Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 Bs 55/20

Tenor

Auf die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 27. März 2020 geändert:

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers (6 K 853/20) gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 4. Juli 2019 und den Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2020 wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen eine der Beigeladenen, einer evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde, erteilte Baugenehmigung.

2

Der Antragsteller ist Miteigentümer (verbunden mit Sondereigentum an einer Wohnung) des Grundstücks … (Flurstück …) in Hamburg-…, das mit einem viergeschossigen Mehrfamilienhaus bebaut ist. Das Gebäude ist Bestandteil einer überwiegend geschlossenen Blockrandbebauung in dem Straßenviereck …, …, …, …, ... Südwestlich des Grundstücks des Antragstellers liegt das im Eigentum der Beigeladenen stehende Grundstück … (Flurstücke … und …, bestehend aus den ehemaligen Flurstücken … u. …), das mit der … Kirche und einem Gemeindehaus bebaut ist. Auf dem westlich angrenzenden, ebenfalls im Eigentum der Beigeladenen stehenden Flurstück … befindet sich eine Parkplatzanlage, die sich L-förmig an der westlichen Seite der Kirche entlang bis hinter das Gebäude zieht. Die rückwärtige Grenze des Grundstücks … hat zu dem Wohngebäude des Antragstellers einen Abstand von ca. 30 m.

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Der Baustufenplan Harvestehude/Rotherbaum vom 6. September 1955 (HmbGVBl. S. 294) weist den gesamten Baublock mit „W 2 g“ aus mit dem Zusatz

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„Wohngebiet – Verbot jeder Art gewerbl. und handwerkl. Betriebe, Läden u. Wirtschaften sowie Leuchtreklame. Das Bauvolumen von 1939 darf nicht vergrößert werden. Es darf nur an der Baulinie gebaut werden. Vor- und Hintergärten sind zu erhalten und von jeglicher Bebauung freizuhalten.“

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Am 29. April 1958 stellte der Senat der Antragsgegnerin für die Grundstücke … (damalige Flurstücke …, …, …, …, …, …) den Teilbebauungsplan TB 651 als Verordnung (HmbGVBl. S. 152) fest. Dieser Plan weist die Grundstücke als „Fläche für besondere Zwecke - Kirche“ aus und hebt auf den Grundstücken … (damalige Flurstücke …, …, …, …) die hintere Baulinie auf. Die Planzeichnung stellt zudem sowohl für das Plangebiet als auch für den übrigen Baublock …/…/…/…/… teilweise vordere und hintere Baulinien dar.

6

Ausweislich einer Mitteilung des Bezirksamtes Eimsbüttel vom 13. Oktober 1959 an die Baubehörde war nach alten Bebauungsplänen in dem Bereich eine hintere Baulinie ausgewiesen, die in die Grundbuchblätter als Baubeschränkung zu Gunsten der jeweiligen Nachbarn aufgenommen worden war.

7

Der gesamte Baublock befindet sich zudem im Geltungsbereich der Verordnung über die Erhaltung baulicher Anlagen in Harvestehude vom 26. April 1988 (HmbGVBl. S. 66).

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Mit Bescheid vom 4. Juli 2019 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen eine Baugenehmigung zur „Erweiterung Gemeindehaus … (Nutzung < 100 Personen)“. Ausweislich der Bauvorlage 35 „Betriebsbeschreibung für Arbeitsstätten“, die Bestandteil der Genehmigung ist, soll der Erweiterungsbau für Gemeindearbeit (Konfirmandenunterricht, Pfadfinder, Bibelkreis, Kirchenmusik, Seniorenarbeit, allgemeine Kinder- und Jugendarbeit) in der Zeit von 10 bis 20 Uhr genutzt werden. Die genehmigten Bauvorlagen sehen nördlich des vorhandenen Kirchengebäudes im rückwärtigen Grundstücksbereich des Flurstücks … die Errichtung eines unterirdischen Gebäudes vor, in dem die Räume in einem Rechteck um einen unter der Geländeoberfläche gelegenen, nach oben offenen Innenhof angeordnet sind. Dieser Innenhof ist mit einer Mauer umbaut, die in einer Höhe von 1 Meter über die Oberkante des Terrains hinausragt. Ausweislich der Bauvorlage 46, die Bestandteil der Genehmigung ist, sollen an der westlichen Seite der … Kirche auf dem Flurstück … bis in eine Tiefe von 67 m in den Blockinnenbereich hinein insgesamt 31 Pkw-Stellplätze hergestellt werden. Die Baugenehmigung schließt u.a. auch eine Genehmigung nach § 173 Abs. 1 BauGB mit ein.

9

Mit Schreiben vom 27. Juli 2019, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 31. Juli 2019, legte der Antragsteller Widerspruch ein, den die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2020, zugestellt am 11. Februar 2020, zurückwies.

10

Am 11. Februar 2020 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht um Eilrechtschutz nachgesucht. Am 19. Februar 2020 hat er Klage erhoben (6 K 853/20).

11

Der Antragsteller ist der Ansicht, die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verletze seinen Gebietserhaltungsanspruch. Sie stehe im Widerspruch zu der Wohngebietsfestsetzung des Baustufenplans Harvestehude/Rotherbaum, weil das Vorhaben keine Wohnnutzung darstelle. Insoweit seien die Festsetzungen des Baustufenplans maßgeblich, da der Teilbebauungsplan TB 651, der das Vorhabengrundstück als „Fläche für besondere Zwecke - Kirche“ ausweise, mangels gültiger Rechtsgrundlage unwirksam sei. Die Vorschrift des § 3 des Bebauungsplangesetzes vom 31. Oktober 1923 (HmbGVBl. S. 1357, im Folgenden: B-PlanG 1923), auf die sich der Plangeber gestützt habe, stelle keine hinreichende Rechtsgrundlage dar. Der Teilbebauungsplan hätte zudem nicht vom Senat festgestellt werden dürfen. Die Änderung des von der Hamburgischen Bürgerschaft erlassenen B-PlanG 1923 im Jahr 1935, die die Zuständigkeit für den Erlass der Pläne auf den Senat übertragen habe, sei wegen Verstoßes gegen rechtsstaatliche Prinzipien unwirksam gewesen. Zudem sei bei der Feststellung des Plans gegen die Verfahrensvorschriften des § 3 B-PlanG 1923 verstoßen worden und die erforderliche ordnungsgemäße Ausfertigung des Plans nicht erfolgt. Darüber hinaus verstoße das Vorhaben gegen die Eigenart des Baugebiets, die durch eine straßenparallele Bebauung mit Stadtvillen und geschützte Vor- und Hintergärten geprägt sei, und verletze so nach Maß, Lage und Zweckbestimmung den Gebietsprägungsanspruch gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Des Weiteren sei der Baugenehmigungsbescheid hinsichtlich der Baubeschreibung und der Art der baulichen Nutzung nicht hinreichend bestimmt. Das gelte sowohl hinsichtlich der Genehmigung eines Multifunktionsraums als auch hinsichtlich der ungeklärten Frage des Stellplatzbedarfs. Zudem verstoße die Baugenehmigung gegen die drittschützende Festsetzung der hinteren Baulinie im Teilbebauungsplan, hilfsweise gegen das Einfügungsgebot des § 34 BauGB. Für die Grundstücke … sei die hintere Baulinie in dem Teilbebauungsplan nicht aufgehoben worden. Nach der Entstehungsgeschichte dieses Plans sei sie auch als drittschützend anzusehen. Unabhängig von diesen Fragen aber verstoße die Baugenehmigung gegen das drittschützende Einfügungsgebot des § 34 BauGB, auf das hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche abzustellen sei, wenn der Teilbebauungsplan unwirksam sei. Schließlich verletze das Vorhaben das Rücksichtnahmegebot im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Die Historie des Kirchenbaus und die Vorgeschichte des Erlasses des Teilbebauungsplans zeigten, dass nur die Errichtung des Gotteshauses bezweckt gewesen sei. Die nunmehr beabsichtigte Erweiterung ausschließlich für Nebennutzungen sei grob rücksichtslos und führe zu einer städtebaulichen Verdichtung des von Bebauung freizuhaltenden Gartenruhebereichs, die unter Beachtung der planerischen Ausgangssituation im besonders geschützten Wohngebiet unzumutbar sei. Dies gelte umso mehr angesichts des Umstandes, dass ein weiteres Gemeindehaus nicht erforderlich sei. Schließlich sei durch die Nutzung des Vorhabens mit erheblichen Lärmimmissionen zu rechnen. Nicht einmal die Nutzungsdauer während der Abend- und Nachtstunden sei eingeschränkt worden. Zudem seien zu wenig Stellplätze vorgesehen, so dass mit Parkplatzsuchverkehr zu rechnen sei. Die vorgesehene Stellplatzanlage sei in der Art eines engen Flaschenhalses so konstruiert, dass mit Hin- und Herfahren der Parkplatzsucher und daher mit zusätzlicher Lärmbelastung zu rechnen sei.

12

Mit Beschluss vom 27. März 2020, der Antragsgegnerin zugestellt am 1. April 2020, der Beigeladenen zugestellt am 3. April 2020, hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung werde sich im Klageverfahren als rechtswidrig erweisen und verletze den Antragsteller in seinen Rechten, da sie mit der geltenden planungsrechtlichen Gebietsausweisung unvereinbar sei. Das Vorhaben der Beigeladenen verletze die Festsetzung besonders geschütztes Wohngebiet des Baustufenplans Harvestehude/Rotherbaum, weil die Erweiterung des kirchlichen Gemeindehauses nicht als Wohnen anzusehen sei und daher eine gebietsfremde Nutzung darstelle. Für das Vorhabengrundstück seien die Festsetzungen des Baustufenplans Harvestehude/Rotherbaum maßgeblich. Der Teilbebauungsplan TB 651 sei unwirksam, weil die als Rechtsgrundlage in der maßgeblichen Verordnung angeführte Vorschrift § 4 Abs. 1 B-PlanG 1923 zum Zeitpunkt des Erlasses des Teilbebauungsplans nicht mehr in Kraft gewesen sei. Das B-PlanG 1923 sei bereits am 1. Juli 1939 außer Kraft getreten. Dies folge aus der Regelung des § 42 Abs. 2 Baupolizeiverordnung für die Hansestadt Hamburg vom 8. Juni 1938 (HmbVBl. S. 69, im Folgenden: BPVO), der vorgeschrieben habe, dass am 1. Juli 1939 alle bisherigen baupolizeilichen Vorschriften außer Kraft träten, soweit sie nicht bis zum 1. Mai 1939 durch Verordnung ausdrücklich aufrechterhalten worden seien. In der entsprechenden Verordnung sei das B-PlanG 1923 nicht genannt. Die Vorschriften des B-PlanG 1923 fielen auch unter den Begriff der baupolizeilichen Vorschriften. Denn der damalige Gesetz- und Verordnungsgeber habe nicht zwischen Bauordnungs- und Bauplanungsrecht unterschieden, wie schon der Umstand zeige, dass in der Baupolizeiverordnung selbst neben den bauordnungsrechtlichen auch bauplanungsrechtliche Regelungen - insbesondere zu den Baustufenplänen - getroffen worden seien. Zu diesem Normverständnis passe die Vorschrift des § 42 Abs. 3 BPVO, die ausdrücklich vorsehe, dass die zuvor erlassenen Bebauungs- und Teilbebauungspläne fortgelten sollten. Damit sei auch mittelbar zum Ausdruck gebracht worden, dass das B-PlanG 1923 keine weitere Geltung haben solle. Anderenfalls hätte es einer solchen Regelung nicht bedurft. Die Vorschrift des § 10 Abs. 9 BPVO stehe dem nicht entgegen. Soweit sie sich mit dem Verhältnis von Baustufenplänen zu Bebauungsplänen befasse, müsse sie sich nicht zwingend auf Pläne nach altem Recht beziehen. Darüber hinaus spreche viel für ein Redaktionsversehen des Normgebers. Schließlich stelle § 42 BPVO im Verhältnis zu § 10 Abs. 9 Satz 2 BPVO in Bezug auf das In- und Außerkrafttreten von Vorschriften die speziellere Norm dar. Das B-PlanG 1923 sei auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere nicht durch Regelungen nach 1945, die die Vereinheitlichung von Baurecht für das gesamte Hamburger Gebiet betrafen, wieder in Kraft gesetzt worden. Eine andere Rechtsgrundlage komme für den Teilbebauungsplan TB 651 nicht in Betracht. Darüber hinaus stehe der Rechtswirksamkeit dieses vom Senat erlassenen Plans entgegen, dass nicht der Senat, sondern nach der Rechtsänderung im Jahr 1935 der Senator der Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit für den Erlass von Teilbebauungsplänen zuständig gewesen sei, so dass der Plan vom falschen Normgeber erlassen worden sei.

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Die Antragsgegnerin hat am 2. April 2020 Beschwerde eingelegt, die sie am 28. April 2020 begründet hat. Die am 15. April 2020 erhobene Beschwerde der Beigeladenen ist von dieser am 27. April 2020 begründet worden.

II.

14

Die gemäß §§ 146 Abs. 4, 147 Abs. 1 VwGO zulässigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen haben in der Sache Erfolg.

15

Sowohl die Antragsgegnerin als auch die Beigeladene haben mit ihren Ausführungen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO in ihrer tragenden Begründung erschüttert. Sie haben die Annahme des Verwaltungsgerichts, für das Vorhaben der Beigeladenen sei die Wohngebietsausweisung des Baustufenplans Harvestehude/Rotherbaum maßgeblich, weil die Flächenfestsetzung des Teilbebauungsplans TB 651 unwirksam sei, hinreichend in Zweifel gezogen (s. dazu unten Punkt 2 a). Die dem Beschwerdegericht daher obliegende umfassende summarische Prüfung des Streitgegenstandes nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO führt unter Abwägung der zu berücksichtigenden Belange dazu, dass dem Interesse der Beigeladenen an einer Ausnutzung der ihr erteilten Baugenehmigung der Vorrang gebührt, weil die Klage des Antragstellers voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die Baugenehmigung vom 4. Juli 2019 dürfte keine subjektiven Rechte des Antragstellers verletzen.

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1. Es ist nicht ersichtlich, dass subjektive Rechte des Antragstellers, die ihm das Bauordnungsrecht einräumt, verletzt werden. Die Hamburgische Bauordnung gewährt dem Nachbarn grundsätzlich nur im Rahmen von § 71 Abs. 2 HBauO rechtlich durchsetzbare subjektive Rechte (OVG Hamburg, Beschl. v. 28.7.2009, 2 Bs 67/09, NordÖR 2010, 72, juris Rn. 132; Beschl. v. 25.6.2019, 2 Bs 100/19, BauR 2019, 1740, juris Rn. 77). Ein Verstoß gegen diese Vorschrift ist vorliegend nicht erkennbar.

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2. Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verstößt voraussichtlich auch nicht gegen drittschützende Normen des Bauplanungsrechts.

18

a) Der Antragsteller kann sich nicht erfolgreich auf eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs berufen mit der Begründung, das genehmigte Vorhaben widerspreche der Wohngebietsausweisung des Baustufenplans Harvestehude/Rotherbaum.

19

Für das Vorhaben auf dem Flurstück … ist nicht die Gebietsfestsetzung dieses Baustufenplans maßgeblich, sondern die Festsetzung „Fläche für besondere Zwecke - Kirche“ des Teilbebauungsplans TB 651 vom 29. April 1958 (HmbGVBl. S. 152). Diese Festsetzung ist wirksam vom Senat gemäß §§ 1 ff. B-PlanG 1923 im Rahmen der Feststellung des Teilbebauungsplans als Verordnung getroffen worden.

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aa) Rechtsgrundlage für die Festsetzung „Fläche für besondere Zwecke - Kirche“ ist § 1 B-PlanG 1923.

21

Nach dieser Vorschrift trifft der Bebauungsplan die für eine zweckmäßige Bebauung des Stadtgebiets erforderlichen Bestimmungen (S. 1) und bezeichnet u.a. die für öffentliche Gebäude bestimmten Bodenflächen (S. 2). Da Kirchen öffentliche Gebäude im Sinne dieser Vorschrift darstellen (s. Wulff, Hamburgische Gesetze und Verordnungen, Band 2 1928/1929, S. 441 Anm. 7), kann die Festsetzung „Fläche für besondere Zwecke - Kirche“ auf § 1 B-PlanG 1923 gestützt werden.

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bb) Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist das B-PlanG 1923 nicht durch § 42 Abs. 2 BPVO aufgehoben worden.

23

Nach § 42 Abs. 2 Satz 1 BPVO traten mit dem Inkrafttreten der BPVO alle entgegenstehenden baupolizeilichen Vorschriften außer Kraft. § 42 Abs. 2 Satz 2 BPVO sieht vor, dass zum 1. Juli 1939 alle bisherigen baupolizeilichen Vorschriften außer Kraft treten, soweit sie nicht bis zum 1. Mai 1939 durch Verordnung ausdrücklich aufrechterhalten werden. Die Vorschriften des B-PlanG 1923 fallen nicht unter diese Regelung und sind daher nicht außer Kraft getreten (im Ergebnis ebenso Lechelt, Baurecht in Hamburg, Band I, 1994, Rn. 183, 211, 293, 339).

24

Es handelt sich bei den Vorschriften des B-PlanG 1923 nicht um solche des Baupolizeirechts im Sinne des § 42 Abs. 2 BPVO. Dies entspricht nicht nur sowohl dem damaligen als auch dem heutigen Verständnis des Begriffs Baupolizeirecht und damit der Auslegung des Wortlauts der Vorschrift, sondern auch den Vorstellungen und Zielen des Verordnungsgebers und der Systematik der Baupolizeiverordnung.

25

Im Jahr des Erlasses der BPVO 1938 wurde nicht so streng wie heute zwischen Bauordnungsrecht und Bauplanungsrecht unterschieden, weil damals die Gesetzgebungskompetenzen für diese Regelungsbereiche noch nicht verschiedenen Gesetzgebern zugewiesen waren. Dementsprechend hat der Verordnungsgeber in der BPVO zwar überwiegend baupolizei/-ordnungsrechtliche Vorschriften erlassen, mit den §§ 10 f. BPVO aber auch einige wenige bauplanungsrechtliche Vorschriften eingefügt (Lechelt a.a.O., Rn 316, 373 ff.). Gleichwohl bedeutet der Umstand, dass der Verordnungsgeber mit den Regelungen zu den Baustufenplänen in §§ 10 f. BPVO der Sache nach bauplanungsrechtliche Regelungen getroffen hat, nicht, dass er diese als solche des Baupolizeirechts angesehen hat. Vielmehr waren die beiden verschiedenen sachlichen Regelungsgegenstände des Baurechts auch damals schon bekannt.

26

Das Baupolizeirecht beschränkt traditionell im Interesse der Sicherheit und Ordnung die Baufreiheit des Grundstückseigentümers (Schrödter/Wahlhäuser in: Schrödter, Baugesetzbuch, 9. Aufl. 2019, § 1 Rn. 7). Es diente ursprünglich der baupolizeilichen Gefahrenabwehr und umfasste im Wesentlichen den Bereich, der heute als Bauordnungsrecht bezeichnet wird (vgl. Lechelt a.a.O., Rn. 97, 303 u. Darstellung, Rn. 76 ff., 99). Dementsprechend wurde die Arbeit der Baupolizei auch als Bauordnung oder Bauaufsicht bezeichnet. Die Regelungen über die Baupolizei betrafen die Art und Sicherheit des Bauens. Im Zuge der Entwicklung des Baupolizeirechts ging es u.a. um Fragen der Feuer- und Standsicherheit, der Art der Bauausführung, der Gebäudehöhe, der Gestaltung und Größe von Zugängen, Eingängen und Fenstern, um gesunde Wohnverhältnisse und den Abstand der Gebäude voneinander (Gloede/Dehn, Baupolizeiverordnung für die Hansestadt Hamburg, 1955, S. 9 ff.). Nachdem lange Zeit nur die Gefahrenabwehr im Vordergrund baulicher Regelungen gestanden hatte (Lechelt a.a.O., Rn. 303), kam im Wesentlichen erst gegen Mitte des. 19. Jahrhunderts die Idee einer Bebauungsplanung auf. Sie stand zunächst im Widerspruch zu der damals herrschenden Ansicht, dass baurechtliche Regelungen nur in dem Maße erlassen werden könnten, wie dies unbedingt erforderlich sei und nur aus Gründen der Gefahrenabwehr eine Beschränkung der Baufreiheit des Einzelnen zulässig sei. Erst die Erkenntnis, dass städtebauliche Missstände nur durch planerische Tätigkeit beseitigt werden können, führte schließlich dazu, dass dem Staat mit dem Baupolizeigesetz von 1882 erstmals bauplanerische Möglichkeiten eingeräumt wurden, die später durch das Bebauungsplangesetz von 1892 und das B-PlanG 1923 erweitert und verfeinert wurden (Lechelt a.a.O., Rn. 103, 305). Dementsprechend fällt das B-PlanG 1923 nicht unter das Baupolizeirecht (vgl. auch die Auflistung der bedeutendsten Regelungen der Hamburger Baupolizeigesetzgebung bei Gloede/Dehn a.a.O., S. 9 und die Darstellung der Entwicklung des Baupolizei(-ordnungs)rechts und des Bauplanungsrechts bei Lechelt, Rn. 76 ff. u. Rn. 103 ff.).

27

Es entsprach auch nicht den Zielen und Vorstellungen des Verordnungsgebers, mit der Baupolizeiverordnung einen Ersatz für die Vorschriften über Bebauungspläne zu schaffen und diese außer Kraft treten zu lassen. Die Baupolizeiverordnung lehnte sich in ihrer Struktur an die für Preußen aufgestellte Einheitsbauordnung an. Sie hatte die Vereinheitlichung des geltenden Baurechts in Hamburg zum Ziel (s. Bösling, Baupolizeiverordnung für die Hansestadt Hamburg, 1938, Vorwort). Dass damit im Wesentlichen das Baupolizei-/Bauordnungsrecht gemeint war, zeigt der Umstand, dass die Vereinheitlichung der Bestimmungen über Bebauungspläne erst noch folgen sollte (Bösling a.a.O.). Dieses zeitgenössische Verständnis macht deutlich, dass die Baupolizeiverordnung keine Regelungen über Rechtsgrundlagen für Bebauungspläne traf. Dementsprechend sieht § 10 Abs. 9 Satz 2 BPVO vor, dass die Bestimmungen der Baustufenpläne nicht gelten, soweit sie bei der Feststellung von Bebauungs- oder Fluchtlinienplänen außer Kraft gesetzt werden. Während es Aufgabe der in der BPVO geregelten Baustufenpläne sein sollte, den allgemeinen Rahmen für die bauliche Nutzung der Stadtgebiete zu geben, sollten durch die Bebauungspläne die bauliche Ausnutzbarkeit der Grundstücke, sowie Straßen- und Baulinien und durch die Fluchtlinienpläne Straßen- und Baufluchtlinien endgültig festgesetzt werden (Bösling a.a.O., S. 30 Anm. 7; Gloede/Dehn a.a.O., S. 41). Die verschiedenen Planarten sollten einander ergänzen. Dementsprechend sollten die Regelungen über Bebauungspläne grundsätzlich bestehen bleiben (Lechelt a.a.O., Rn. 293) und nicht etwa durch die Vorschriften in der BPVO über Baustufenpläne ersetzt werden. Hierzu passt die insoweit klarstellende Regelung des § 42 Abs. 3 BPVO, wonach die geltenden Bebauungs-, Teilbebauungs-, Fluchtlinien-, Bauklassen- und Baunutzungspläne mit den zu ihnen gehörigen Bestimmungen der Baupolizeiverordnungen oder Ortssatzungen in Kraft blieben, soweit sich aus den Vorschriften der BPVO oder den Baustufenplänen nicht etwas anderes ergab. Dieser Vorschrift lag der Gedanke zugrunde, dass die bislang vorgenommene Planung Bestand haben sollte (Lechelt a.a.O., Rn. 293 m.w.N.). Nur soweit die Baupolizeiverordnung planungsrechtliche Normen enthielt, die dem alten Recht entgegenstanden, konnten die alten planungsrechtlichen Normen nicht bestehen bleiben. Im Übrigen wirkte sich die Baupolizeiverordnung aus dem Jahr 1938 nicht auf das Bauplanungsrecht aus (Lechelt a.a.O., Rn. 293). Dieses Verständnis der Regelungen der BPVO findet seine Bestätigung in dem Umstand, dass auch nach dem Inkrafttreten der BPVO am 1. Juli 1938 der Verordnungsgeber weiterhin Teilbebauungspläne auf der Grundlage des B-PlanG 1923 erlassen hat, wie die Bekanntmachung über die Festsetzung eines Teilbebauungsplanes in dem Ortsteil 406 - Heidenkampsweg vom 29. April 1939 (HmbVBl. S. 45) beispielhaft zeigt.

28

cc) Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts war der Senat der Antragsgegnerin auch zuständig für den Erlass des Teilbebauungsplans TB 651.

29

Dies folgt aus § 4 Abs. 1 B-PlanG 1923, der in der Fassung vom 16. März 1935 (HmbGVBl. S. 61) dem Senat die Befugnis zur Feststellung von Bebauungsplänen nach diesem Gesetz überträgt.

30

aaa) Der Wirksamkeit dieser Zuständigkeitsregelung aus dem Jahr 1935 steht nicht entgegen, dass die Änderung des von der Hamburgischen Bürgerschaft im Jahr 1923 erlassenen B-PlanG 1923 nicht durch die Bürgerschaft, sondern entsprechend der Ermächtigung in § 1 Abs. 1 Satz 1 des Vorläufigen Gesetzes zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. März 1933 (RGBl. I S. 153) durch den Senat vorgenommen wurde. Diese Gesetzesänderung durch den Senat entspricht offensichtlich nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen, führt aber gleichwohl nicht zu der Annahme, der Teilbebauungsplan TB 651 hätte nicht vom Senat erlassen werden dürfen.

31

Der Inhalt der Neufassung des § 4 Abs. 1 B-PlanG 1923 unterliegt keinen rechtsstaatlichen Bedenken. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 15.4. 1980, 2 BvR 842/77, BVerfGE 54, 53 ff., juris Rn. 49 m.w.N.) entbehren Geltungsanordnungen des nationalsozialistischen Regimes, die von der staatlichen Macht im jeweils vorgesehenen Verfahren gesetzt worden sind, der Gültigkeit als Recht, wenn sie inhaltlich fundamentalen Erfordernissen der Gerechtigkeit widersprechen. Dies trifft auf die Regelung des § 4 Abs. 1 B-PlanG 1923 nicht zu. Der materielle Gehalt dieser Regelung widerspricht nicht fundamentalen Erfordernissen der Gerechtigkeit und entspricht im Übrigen der heute gültigen gesetzlichen Regelung für den Erlass von Bebauungsplänen in § 1 des Gesetzes über die Feststellung von Bauleitplänen und ihre Sicherung (Bauleitplanfeststellungsgesetz) vom 30. November 1999 (HmbGVBl. S. 271, zuletzt geändert am 20.2.2020, Hmb-GVBl. S. 148, 155). Im Übrigen ist die Hamburgische Bürgerschaft als Gesetzgeber nicht nur selbst von der weiteren Gültigkeit des B-PlanG 1923 ausgegangen, als sie dessen Geltung mit dem Gesetz zur Aufhebung des Landesplanungs- und des Bebauungsplangesetzes für das hamburgische Landgebiet vom 25. Februar 1949 (HmbGVBl. S. 239) ausgeweitet hat, sondern hat insoweit auch dessen Regelungen in ihren Willen inhaltlich aufgenommen.

32

bbb) Nicht zutreffend ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, für die Aufstellung des hier in Frage stehenden Plans wäre nach § 4 Abs. 2 B-PlanG 1923 in der Fassung vom 16. März 1935 der Senator der Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit zuständig gewesen.

33

Die genannte Vorschrift überträgt dem Senator der Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit die Aufstellung von Teilplänen über Privatstraßen. Bei dem als Teilbebauungsplan TB 651 bezeichneten Plan handelt es sich ersichtlich nicht um einen solchen Teilbebauungsplan i.S.v. § 4 Abs. 2 B-PlanG 1923 (in der Fassung vom 16. März 1935), denn er trifft Festsetzungen über öffentliche Gebäude im Sinne des § 1 Satz 2 B-PlanG 1923.

34

dd) Der Senat durfte einen Plan dieses Inhalts auch mit der Bezeichnung „Teilbebauungsplan“ feststellen. Soweit das Verwaltungsgericht einwendet, ein Teilbebauungsplan stelle im Verhältnis zu einem Bebauungsplan ein aliud dar, und hierfür auf „die Differenzierung des Normgebers“ verweist, überzeugt dies nicht.

35

Teilbebauungspläne im Sinne des B-PlanG 1923 sind Bebauungspläne, die nur wenige Regelungen enthalten. Überwiegend wurden durch solche Teilbebauungspläne Straßen- oder Baulinien festgesetzt (s. verkürzend Lechelt a.a.O. Rn. 197, 200). Einige Pläne enthalten, wie der hier vorliegende Teilbebauungsplan TB 651, auch weitergehende Festsetzungen. Zwar verwenden die Vorschriften der §§ 3 und 4 B-PlanG 1923 die Begriffe „Bebauungsplan“ und „Teilpläne“ nebeneinander. Daraus ergibt sich aber nicht, dass ein Teilbebauungsplan gegenüber einem Bebauungsplan ein aliud darstellt und nicht mit einer Festsetzung im Sinne von § 1 B-PlanG 1923 festgestellt werden durfte. § 4 Abs. 2 B-PlanG 1923 regelt nach seinem ausdrücklichen Wortlaut nicht alle denkbaren Teilpläne, sondern lediglich „Teilpläne über Privatstraßen“. Dies schließt gesetzessystematisch nicht aus, dass es Teilpläne mit einem anderen Inhalt geben kann (vgl. auch Wulff, Hamburgische Gesetze und Verordnungen, Band 2, 1928/29, S. 443 Anm. 2). Hierfür spricht auch der Umstand, dass das B-PlanG 1923 über die Vorschrift des § 4 Abs. 2 hinaus keine besonderen Regelungen für die Aufstellung und Wirkung von Teilbebauungsplänen enthält. Soweit sich das Verwaltungsgericht für seine Ansicht auf das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. Oktober 2015 in der Sache 1 Bf 46/14 bezieht, überzeugt dies nicht. Dem Urteil lässt sich nicht entnehmen, dass ein Teilbebauungsplan nicht mit den hier getroffenen Festsetzungen nach § 1 B-PlanG 1923 erlassen werden kann.

36

Im Übrigen würde eine bloße fehlerhafte Bezeichnung eines Bebauungsplans nicht zu seiner Unwirksamkeit führen (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 8.5.2012, 4 BN 33/11, juris Rn. 6).

37

ee) Es liegt auch kein Verstoß gegen das in Art. 53 Abs. 2 Satz 1 HV normierte Zitiergebot vor. Insoweit kann offenbleiben, ob diese Vorschrift überhaupt für den Erlass von Rechtsverordnungen gilt, die aufgrund vorkonstitutionellen Rechts ergehen (verneinend OVG Hamburg, Urt. v. 14.1.1960, Bf II 34/59, MDR 1961, 90). Denn die Verordnung über den Teilbebauungsplan TB 651 bezieht sich im Verordnungstext zutreffend auf § 4 Abs. 1 B-PlanG 1923. Wie oben dargestellt, wies die Vorschrift zum Zeitpunkt des Erlasses des in Frage stehenden Teilbebauungsplans TB 651 im Jahr 1958 dem Senat die Zuständigkeit zum Erlass von Bebauungsplänen zu. Dies berechtigte ihn zum Erlass solcher Pläne in der Form von Rechtsverordnungen als der nach Art. 53 HV zulässigen Form von Rechtssetzungsakten der Exekutive (vgl. auch Lechelt a.a.O., Rn. 202).

38

ff) Soweit der Antragsteller gegen die Gültigkeit des Teilbebauungsplans einwendet, dieser sei unter Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften des § 3 B-PlanG 1923 zustande gekommen, kann dahinstehen, welche rechtlichen Folgen ein solcher Verfahrensverstoß hätte. Die Einwände des Antragstellers gehen über unsubstantiierte Behauptungen nicht hinaus, so dass ihnen nicht nachgegangen werden muss.

39

Der weitere Einwand des Antragstellers, die Verordnung über den Teilbebauungsplan TB 651 sei unwirksam, weil sie nicht ordnungsgemäß ausgefertigt worden sei, ist ebenfalls unsubstantiiert und gibt keinen Anlass zu weiteren Ausführungen. Im Übrigen stellt § 2 der Verordnung über den Teilbebauungsplan TB 651 vom 29. April 1958 ausdrücklich fest, dass „das maßgebliche Stück des Plans beim Staatsarchiv … niedergelegt ist.“

40

gg) Da nach alledem der Teilbebauungsplan TB 651 wirksam nach den Vorschriften des B-PlanG 1923 festgestellt worden ist, bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die wirksame Überleitung des Plans nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG, wobei die Regelungen des B-PlanG 1923 insoweit an der Überleitung teilgenommen haben, als sie den Inhalt des Teilbebauungsplans bestimmen (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 28.10.1993, OVG Bf II 41/92; zu den Voraussetzungen der Überleitung s. BVerwG, Beschl. v. 16.5.2017, 4 B 24.16, BRS 85 Nr. 33 (2017), juris Rn. 6 und Urt. v. 1.9.2016, 4 C 2.15, BRS 84 Nr. 71 (2016), juris Rn. 13).

41

b) Soweit der Antragsteller einwendet, die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verstoße gegen die Festsetzung „Fläche für besondere Zwecke - Kirche“ in dem Teilbebauungsplan TB 651, ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund er sich als Miteigentümer eines in einem benachbarten Plangebiet gelegenen Grundstücks auf einen solchen Verstoß berufen können sollte. Es spricht nichts dafür, dass diese Festsetzung auch zum Schutz der Nachbarn erfolgt ist und damit für diese ein subjektives Recht begründen könnte. Auch die vom Antragsteller dargelegte Vorgeschichte des Plans, der er entnehmen will, dass die Festsetzung lediglich einen Sakralbau zulasse, gibt keinen Hinweis auf etwaige Nachbarrechte.

42

c) Das Vorhaben der Beigeladenen verstößt nicht gegen eine nachbarschützende hintere Baulinie, weil eine solche jedenfalls nicht mehr gegenwärtig geltend festgesetzt ist.

43

Das Vorbringen des Antragstellers enthält die unzutreffende Annahme, dass für die Grundstücke … eine rückwärtige Baulinie existiere, auf deren Einhaltung er sich als Nachbar in dem vorliegenden Verfahren berufen könne. Die vorliegenden Pläne und Unterlagen lassen jedoch nicht erkennen, dass für die genannten Grundstücke nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften eine Baulinie festgesetzt ist, an der die Rechtmäßigkeit des Vorhabens gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 HBauO zu messen wäre.

44

Der Teilbebauungsplan TB 651 weist für das Flurstück und das - ehemalige - Flurstück … keine Darstellung von Baulinien auf. Er hebt lediglich für die Flurstücke …, …, … und … eine rückwärtige Baulinie auf, trifft darüber hinaus aber keine Festsetzungen über Baulinien. Soweit der Plan im Übrigen zeichnerisch innerhalb des Plangebiets teilweise vordere und außerhalb des Plangebiets vordere und rückwärtige Baulinien darstellt, handelt es sich nicht um Festsetzungen solcher Linien, sondern allenfalls um ihre nachrichtliche Darstellung. Dies folgt aus dem Umstand, dass der Legende zu dem Teilbebauungsplan keine Darstellung für die Festsetzung von Baulinien zu entnehmen ist.

45

Die Existenz anderer Pläne, die eine noch heute wirksame Festsetzung einer hinteren Baulinie enthalten, ist nicht ersichtlich. Einer in den Akten des Teilbebauungsplans TB 651 enthaltenen Mitteilung des Bezirksamtes Eimsbüttel vom 13. Oktober 1959 an die Baubehörde ist lediglich zu entnehmen, dass nach alten Bebauungsplänen in dem Bereich eine hintere Baulinie ausgewiesen worden war. Allerdings wird nicht konkretisiert, wo und auf welchen Grundstücken diese Baulinie lag. Zudem heißt es in dieser Mitteilung, dass diese in die Grundbuchblätter als Baubeschränkung zu Gunsten der jeweiligen Nachbarn aufgenommen worden war. Daraus folgt, dass eine eventuelle Baulinie bereits im Jahr 1959 nicht mehr als öffentlich-rechtliche Festsetzung existiert hätte. Ob ggf. eine zivilrechtliche Baubeschränkung fortgilt, ist für das vorliegende Verfahren ohne Belang, da nach § 72 HBauO im Baugenehmigungsverfahren lediglich die Vereinbarkeit des Vorhabens mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften geprüft und dementsprechend die Genehmigung nach § 72 Abs. 4 HBauO unbeschadet der Rechte Dritter erteilt wird.

46

d) Eine Berufung des Antragstellers auf den Gebietsprägungsanspruch entsprechend § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, der nur die Wahrung der Art der baulichen Nutzung betrifft (st. Rspr., s. OVG Hamburg, Beschl. v. 17.2.2016, 2 Bs 5/16 m.w.N.), scheidet schon deshalb aus, weil sich das Vorhaben der Beigeladenen nicht in demselben Plangebiet befindet wie das Grundstück des Antragstellers.

47

e) Soweit sich der Antragsteller darauf beruft, dass sich das Vorhaben der Beigeladenen im Hinblick auf die überbaubare Grundstücksfläche nicht in die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB einfügt, weil der Innenbereich des Baublocks bislang unbebaut sei, verkennt er den beschränkten Umfang der sich aus dieser Vorschrift ergebenden Nachbarrechte. Nur das Gebot der Rücksichtnahmegebot, das im Begriff des Einfügens aufgeht (BVerwG, Beschl. v. 11.1.1999, 4 B 128.98, DVBl. 1999, 786, juris Rn. 6), ist drittschützend. Einen über dieses Gebot hinausgehenden Schutz des Nachbarn gewährt § 34 BauGB nicht. Eine Verletzung von Nachbarrechten kann daher nur in Betracht kommen, wenn das Vorhaben die subjektiv-rechtlich gebotene Rücksichtnahme vermissen lässt (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 10.2.2012, 2 Bs 245/11, NordÖR 2012, 402, juris Rn. 9). Das Vorhaben der Beigeladenen ist jedoch nicht als rücksichtslos gegenüber dem Antragsteller anzusehen.

48

Als rücksichtslos ist ein Vorhaben zu werten, wenn die mit ihm verbundenen Beeinträchtigungen für den Nachbarn bei der Nutzung des eigenen Grundstücks bei einer Abwägung, in die die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung und die Interessen des Bauherrn einzustellen sind, billigerweise unzumutbar erscheinen (OVG Hamburg, Beschl. v. 26.9.2016, 2 Bs 105/16 m.w.N.). Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Vorhaben der Beigeladenen zu in diesem Sinne unzumutbaren Beeinträchtigungen des Antragstellers führt.

49

Das Gemeindehaus soll als unterirdisches Gebäude errichtet werden, so dass Beeinträchtigungen der Belichtung, Belüftung oder Besonnung des Grundeigentums des Antragstellers oder eine erdrückende Wirkung ihm gegenüber von vorneherein ausgeschlossen sind.

50

Der Antragsteller befürchtet Lärmbelästigungen. Allerdings ist insoweit zu beachten, dass die nach der Bauvorlage 35 genehmigte Nutzung des Gebäudes als Gemeindehaus nur Nutzungen von 10 bis 20 Uhr umfasst, die typischerweise nicht mit besonderer Lärmentwicklung einhergehen. Hinzu kommt, dass die Nutzungen innerhalb des Gebäudes stattfinden und nur durch die Fenster Geräusche nach draußen dringen können. Zudem ist das Gebäude des Antragstellers ca. 30 m von der Grenze des Baugrundstücks entfernt. Angesichts dieser Umstände ist eine unzumutbare Lärmbelästigung des Antragstellers nicht zu befürchten. Soweit er sich insoweit auf den durch die Nutzung der Stellplätze entstehenden Lärm beruft, ist nicht ersichtlich, wie die westlich des Kirchengebäudes geplante Stellplatzanlage zu einer unzumutbaren Lärmbeeinträchtigung für ein über 30 m entfernt, nordöstlich des Kirchenbaus liegendes Gebäude führen könnte. Insoweit ist auch zu beachten, dass sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt zahlreiche Stellplätze hinter der Kirche auf der Fläche befinden, auf der das genehmigte Vorhaben verwirklicht werden soll. Das Grundstück des Klägers ist also bereits zum jetzigen Zeitpunkt einer gewissen Lärmbelastung ausgesetzt ist. Dass diese durch das Vorhaben erhöht werden könnte, wenn die im Innenbereich liegenden Stellplätze wegfallen, ist nicht plausibel. Soweit der Antragsteller im Hinblick auf die nach seiner Ansicht zu geringe Anzahl an Stellplätzen Parkplatzsuchverkehr befürchtet, würde sich dieser auf die umliegenden Straßen verteilen und überwiegend in dem Haus des Antragstellers im nicht wahrgenommen werden können. Etwaige Wendemanöver auf der Stellplatzfläche gehören zu dem typischerweise mit einer Stellplatzanlage einhergehenden Lärm und sind regelmäßig nicht unzumutbar. Im Übrigen dürften sie auch bereits jetzt auftreten. Eine unzumutbare Verschlechterung der Situation des Antragstellers ist auch insoweit nicht ersichtlich. Die Einwände des Antragstellers gegen die Funktionalität der Stellplatzanlage sind im Hinblick auf das Gebot der Rücksichtnahme ohne Belang, da sich daraus keine weitergehenden Beeinträchtigungen ergeben können.

51

Auch die weiteren Bedenken des Antragstellers vermögen das Vorliegen unzumutbarer Beeinträchtigungen nicht zu begründen. Im Übrigen trifft seine Annahme, die Bauvorlagen 46 und 52 widersprächen einander, nicht zu. Die Bauvorlage 46 zeigt einen Lageplan, auf dem nur die von oben optisch wahrnehmbaren Bestandteile des Vorhabens dargestellt sind. Die unterirdischen Gebäudeteile sind lediglich durch eine rote Linie markiert. Diese Markierung der unterirdischen Gebäudemauer stimmt mit der Darstellung des Grundrisses in der Bauvorlage 52 überein. Soweit der Antragsteller schließlich einwendet, die Beigeladene beabsichtige, das Gemeindehaus zweckwidrig, u.a. auch gewerblich, zu nutzen, ist ihm entgegenzuhalten, dass es darauf schon deshalb nicht ankommt, weil Prüfungsgegenstand des vorliegenden Verfahrens allein die der Beigeladenen erteilte Genehmigung ist und nicht eine möglicherweise spätere baurechtswidrige Nutzung, gegen die die Antragsgegnerin ggf. im Wege der Bauaufsicht einzuschreiten hätte.

III.

52

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.

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