Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (5. Senat) - 5 Bs 217/20
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 17. November 2020 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren - und - insoweit unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 17. November 2020 - auf 10.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
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1. Zweifel könnten bereits an der Zulässigkeit der Beschwerde bestehen. Denn Beschwerden gegen Beschlüsse in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes müssen einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen; mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 4 VwGO). Zweifeln könnte man im vorliegenden Fall jedenfalls daran, ob sich die Beschwerde mit dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt, denn die zahlreichen, zur Begründung der Beschwerde vorgelegten Schriftsätze der Antragstellerin gehen auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts jedenfalls nicht ausdrücklich ein. Zugunsten der Antragstellerin geht das Beschwerdegericht allerdings davon aus, dass sie sinngemäß geltend machen will, der Beschluss des Verwaltungsgerichts sei fehlerhaft, weil dort die mit den im Beschwerdeverfahren Schriftsätzen angesprochenen Gesichtspunkte nicht oder nicht zutreffend gewürdigt worden seien.
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2. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die mit ihr dargelegten Gründe, die das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen es nicht, den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern.
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Die Antragstellerin trägt zur Begründung ihrer Beschwerde (vgl. die 20 diesbezüglichen Schriftsätze, nämlich die Beschwerdeschrift vom 23.11.2020 sowie die weiteren Schriftsätze vom 24.11.2020 (zwei Schriftsätze), 26.11.2020 (zwei Schriftsätze), 27.11.2020, 30.11.2020, 1.12.2020 (zwei Schriftsätze), 3.12.2020, 4.12.2020, 9.12.2020, 14.12.2020, 15.12.2020, 17.12.2020, 7.1.2021, 12.1.2021, 20.1.2021, 22.1.2021 und 24.1.2021, mit den Anlagen Ast. 27 bis Ast. 58) im Wesentlichen Folgendes vor:
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a) Die Antragstellerin macht geltend, für die Schließung der Gaststätten nach § 15 Abs. 1 HmbSARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung (i. F.: CoronaVO) fehle es nach wie vor an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage.
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aa) Daran habe auch der mit dem Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung eingeführte § 28 a IfSG nichts geändert. Insoweit nehme sie Bezug auf die im Gesetzgebungsverfahren erfolgten Stellungnahmen der Sachverständigen Prof. Dr. ..., Prof. Dr. ... und Rechtsanwalt ... (Anl. Ast. 21 – Ast. 23).
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Dieser Einwand greift nicht durch. Das Beschwerdegericht hat bis zuletzt noch vor Inkrafttreten des neuen § 28 a IfSG angenommen, dass die CoronaVO bereits in §§ 32 Satz 1 und 2, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eine hinreichende gesetzliche Grundlage findet, weil die Verordnungsermächtigung mit höherrangigem Recht vereinbar ist und insbesondere die Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG und des Parlamentsvorbehalts beachtet (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 18.11.2020, 5 Bs 209/20, juris Rn. 10 ff.); darauf wird hiermit Bezug genommen. Dass sich diese Rechtslage durch die Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes durch den neuen § 28 a in dem Sinne verschlechtert hätte, dass es nunmehr keine hinreichende gesetzliche Grundlage für die betreffenden Landesverordnungen mehr gäbe, ist fernliegend und wird auch von der Antragstellerin nicht behauptet.
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bb) Die Antragstellerin macht geltend, auch die in § 28 a Abs. 2 IfSG normierten Schwellenwerte (Inzidenzen) seien ohne jegliche Relevanz. Allein schon wegen der hohen Dunkelziffer an Infektionen sei es denklogisch ausgeschlossen, etwa bei einer Unterschreitung des Schwellenwerts von 50 Infektionen auf 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen von einer Kontrolle des Infektionsgeschehens auszugehen. Dies bestätige auch die Studie einer von Prof. Dr. ... angeführten Autorengruppe vom 22. November 2020 (Anl. Ast. 29), die für einen Strategiewechsel plädiere. Auch habe der Sachverständige Prof. ... (Anl. Ast. 26) im Gesetzgebungsverfahren keinerlei Evidenz dafür erkennen können, weshalb die maßgeblichen Inzidenzwerte nun gerade bei 35 oder 50 liegen sollten. Gegen eine Kontrollierbarkeit des Infektionsgeschehens spreche auch der Umstand, dass das RKI dieses wiederholt als „diffus“ bezeichnet habe.
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Auch diese Rüge bleibt erfolglos. Der Umstand, dass es eine hohe Dunkelziffer an Infektionen geben mag, führt nicht zur Sinnlosigkeit der Festsetzung von Inzidenzwerten, bis zu denen die Gesundheitsämter nach bisherigen Erfahrungen das Infektionsgeschehen noch einigermaßen zurückverfolgen und daran anknüpfend Quarantänemaßnahmen verhängen können. Es bleibt sinnvoll, bei möglichst vielen erkannten Infektionen die Infektionsketten zu klären und diese nach Möglichkeit zu unterbrechen.
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cc) Weiter meint die Antragstellerin, die in § 28 a IfSG vorgesehenen Befristungen der Rechtsverordnungen seien eine „Mogelpackung“, wie sich an den wiederholt im Rahmen der im rechtsfreien Raum agierenden Schaltkonferenzen der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten vereinbarten Verlängerungen des Lockdowns zeige.
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Auch dieser Einwand verfängt nicht. Die in § 28 a Abs. 5 Satz 2 IfSG normierte Pflicht, die Geltungsdauer der Rechtsverordnungen auf grundsätzlich vier Wochen zu begrenzen, wird nicht deswegen zur „Mogelpackung“, weil die Verordnungsgeber mittlerweile von der dort ebenfalls vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, die Verordnungen zu verlängern. Die gesetzlich begründete Befristungspflicht zwingt die Verordnungsgeber dazu, nach Ablauf der vier Wochen zu prüfen, ob und ggf. in welcher Hinsicht und in welchem Umfang eine Verlängerung der Verordnung erforderlich ist; allein dies dürfte bereits „disziplinierend“ gegenüber gleichsam automatischen Verlängerungen der Verordnungen wirken. In Hamburg wird der Verordnungsgeber zusätzlich dadurch kontrolliert, dass er, falls er eine Coronaverordnung verlängern möchte, gemäß § 3 Abs. 1 des Hamburgischen Gesetzes über die Parlamentsbeteiligung beim Erlass infektionsschützender Maßnahmen (HmbVGBl. 2020, S. 701) die betreffende Rechtsverordnung unverzüglich, spätestens 24 Stunden nach der Beschlussfassung der Hamburgischen Bürgerschaft zuzuleiten hat. § 3 Abs. 2 bis 5 dieses Gesetzes enthält weitere Verpflichtungen des Verordnungsgebers zur Beteiligung der Bürgerschaft. Diese Parlamentsbeteiligung und der damit verbundene öffentliche Rechtfertigungszwang führen unweigerlich zu einer noch erhöhten Kontrolldichte. Gleichwohl steht der Verordnungsgeber in der Pflicht, das Infektionsgeschehen aufmerksam zu verfolgen und die diesbezüglich angebrachten Entscheidungen zu treffen. Entwickelt sich das Infektionsgeschehen ungünstig, so kann die Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnungen geboten sein, ohne dass deswegen die jeweilige Befristungsdauer zur Farce würde.
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b) Die Antragstellerin trägt vor, sie halte an ihrer Rechtsauffassung fest, dass ein Infektionsgeschehen im Sinne des § 2 IfSG nicht festgestellt sei. Dies beruhe darauf, dass eine Infektion im Sinne des IfSG nicht mittels der PCR-Tests festgestellt werden könne. Der PCR-Test gebe keine Auskunft über eine Infektiösität, sondern erkenne allein bestimmte Gensequenzen. Ob diese einem intakten, infektiösen oder einem nicht intakten, nicht infektiösen Agens zuzuordnen seien, lasse sich mit einem PCR-Test nicht erkennen; darauf wiesen die Hersteller selbst hin. Hinzu komme, dass weder dem Robert-Koch-Institut (RKI) noch der Antragsgegnerin bekannt sei, welcher Ct-Wert dem Testverfahren zugrunde gelegen habe und auf welche bzw. auf wie viele Gensequenzen getestet worden sei; laut einer im September 2020 im Oxford Academic Journal veröffentlichten Studie (Anl. Ast. 40) sei aber bei Ct-Werten von 35 und größer anzunehmen, dass ein positives Testergebnis mit einer Wahrscheinlich von 97% „falsch positiv“ sei in dem Sinne, dass eine Infektion ausgeschlossen werden müsse. Eine weitere, in der Fachzeitschrift Oxford Academic am 3. Dezember 2020 veröffentlichte Studie (Anl. Ast. 43) habe bestätigt, dass es bei hoher Zyklusschwelle unwahrscheinlich sei, dass diese Personen ein infektiöses Potential hätten. Eine Auswertung der durchschnittlichen Ct-Werte und der Zyklen-Schwellenwerte von 22 PCR-Präparaten, die an den Universitätskliniken in Genf (Hôpitaux universitaires de Genève, HUG) ausgewertet worden seien (Anl. Ast. 41), ergebe für die ausgewerteten Präparate einen Zyklen-Schwellenwert zwischen 38 und 40; der durchschnittliche effektive Ct-Wert liege laut dieser Auswertung bei 35,33, also genau in dem Bereich, in dem bei einem positiven Testergebnis die Wahrscheinlichkeit einer effektiven Infektion gerade einmal drei Prozent betrage. Auch die WHO habe am 14. Dezember 2020 darauf hingewiesen (Anl. Ast. 47), dass das Ergebnis eines PCR-Testverfahrens im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 ohne Kenntnis des dem Test zugrundeliegenden Vervielfältigungszyklus (Ct-Wert) eine Diagnostik nicht rechtfertige; dementsprechend sei die hierzulande verfolgte „Teststrategie“ wertlos, da dem RKI die jeweiligen Ct-Werte nicht bekannt seien. Am 20. Januar 2021 habe die WHO einen weiteren Hinweis vom 13. Januar 2021 veröffentlicht (Anl. Ast. 57); dort erinnere sie die Testbenutzer daran, dass mit abnehmender Prävalenz das Risiko falsch positiver Ergebnisse steige.
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Auch diese Rüge greift nicht durch. Die von der Antragstellerin geäußerten Kritikpunkte an den PCR-Tests vermögen nicht das Pandemiegeschehen und die in Deutschland epidemische Notlage ernstlich in Frage zu stellen. Sie erschüttern auch nicht die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts (BA S. 17 f.).
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aa) Soweit die Antragstellerin im Zusammenhang mit ihren Angriffen gegen den PCR-Test leugnet, dass überhaupt im infektionsrechtlichen Sinne eine epidemische Lage von nationaler Tragweite vorliegt, ist dieser Einwand rechtlich unerheblich, weil die von § 28 a Abs. 1 Satz 1 IfSG vorausgesetzte Feststellung einer derartigen Lage durch den Deutschen Bundestag selbst getroffen worden ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 23.12.2020, 13 MN 506/20, juris Rn. 45).
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bb) Die sonstigen, gegen die Tragfähigkeit von PCR-Testergebnissen gerichteten Einwände der Antragstellerin vermögen, ihre Stichhaltigkeit unterstellt, allenfalls die absolute Zahl täglich als „neuinfiziert“ erfasster Personen mindernd in Frage zu stellen, wobei die Antragstellerin selbst betont, dass es eine hohe „Dunkelziffer“ unerkannter Infektionen gebe; was wiederum den möglichen Fällen von positiv getesteten, aber nicht infektiösen Menschen gegenüber zu stellen wäre. Auch wenn ein positiver PCR-Test nicht bedeutet, dass bei der betroffenen Person Symptome einer Erkrankung an COVID-19 auftreten müssen, ändert dies nichts daran, dass der PCR-Test Rückschlüsse darauf zulässt, wie weit sich das Virus SARS-CoV-2 ausgebreitet hat und in welchem Umfang Neuinfektionen drohen. Jedenfalls hat der Verordnungsgeber sich bei seiner Beurteilung nicht auf eine offensichtlich ungeeignete Datengrundlage gestützt. Denn das RKI weist darauf hin, dass für eine labordiagnostische Untersuchung zur Klärung des Verdachts auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 „PCR-Nachweissysteme entwickelt und validiert“ worden seien, die „als ‚Goldstandard‘ für die Diagnostik“ gelten (www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_nCoV.html; Stand 23.12.2020); diese gemäß § 4 Abs. 1 IfSG besonders gewichtige Expertise darf der Verordnungsgeber seiner eigenen Einschätzung der Situation und des sich daraus ergebenden Handlungsbedarfs zugrunde legen (vgl. Bay VerfGH, Entsch. v. 30.12.2020, Vf. 96-VII-20, juris Rn. 28).
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Außerdem ändern die Einwände der Antragstellerin an den weiteren gesicherten Parametern des Infektionsgeschehens (steigende Zahlen der symptomatisch und darunter auch schwer an COVID-19 Erkrankten, deswegen Hospitalisierten und intensivmedizinisch Behandelten und künstlich beatmeten Patienten) nichts (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 23.12.2020, a. a. O., Rn. 45). Die ihrerseits nahegelegte ungezielte Testung asymptomatischer Personen in erheblichem Umfang entspricht im Übrigen nicht der anlassbezogenen Nationalen Teststrategie des RKI spätestens seit dem 15. Oktober 2020, der zufolge die Versorgung symptomatischer COVID-19-Fälle ein vorrangiges übergeordnetes Ziel darstellt und im Übrigen eine Testung asymptomatischer Personen im Interesse des Schutzes vulnerabler Gruppen und sowie zur Verhütung der Verbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 erfolgt, namentlich bei Kontaktpersonen, Bewohnern, Personal und Besuchern von Gemeinschaftseinrichtungen (vgl. RKI, Nationale Teststrategie - wer wird in Deutschland auf das Vorliegen einer SARS-CoV-2-Infektion getestet?, veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Teststrategie/Nat-Teststrat.html, Stand: 18.12.2020) .
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Solange jedenfalls keine zuverlässigere Testmethode vorhanden und anerkannt ist, stellt der PCR-Test ein geeignetes Instrument zur Einschätzung der Übertragungsgefahr von SARS-CoV-2 dar (vgl. VGH München, Beschl. v. 8.9.2020, 20 NE 20.2001, juris Rn. 28).
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Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das RKI durchaus Problembewusstsein hinsichtlich der Aussagekraft von PCR-Testergebnissen erkennen lässt und dies auch an die die Infektionszahlen meldenden Gesundheitsämtern weitergibt. So führt es auf seiner Webseite (Thema: „Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2“, dort bei: „Direkter Erregernachweis durch RT-PCR“, unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_nCoV.html;jsessionid=FB8D1B394265CA02281EC87483AF68F4.internet121?nn=2386228#Start) aus:
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„Bei niedriger Prävalenz und niederschwelliger Testindikation (einschließlich der Testung asymptomatischer Personen) werden an die Spezifität der Teste im Hinblick auf den positiven Vorhersagewert hohe Anforderungen gestellt. Dem tragen z. B. "Dual Target" Tests Rechnung. Unabhängig vom Testdesign sind jedoch grundsätzlich die für einen Test vorliegenden Daten zu den Leistungsparametern entscheidend. Die verwendeten Targets (Zielgene) können sich zwischen verschiedenen Testsystemen sowie innerhalb eines Testsystems (z. B. im Falle von "Dual Target"-Tests) in ihrer analytischen Spezifität und Sensitivität unterscheiden. Insbesondere bei diskrepanten Ergebnissen innerhalb eines Tests bzw. unklaren/unplausiblen Ergebnissen der PCR-Testung (z. B. grenzwertige Ct-Werte, untypischer Kurvenverlauf) muss eine sorgfältige Bewertung und Validierung durch einen in der PCR-Diagnostik erfahrenen und zur Durchführung der Diagnostik ermächtigten Arzt (s. dazu auch die Hinweise im EBM) erfolgen. Ggf. muss zur Klärung eine geeignete laborinterne Überprüfung (z. B. Wiederholung mit einem anderen Testsystem) erfolgen bzw. eine neue Probe angefordert werden. Der Befund soll eine klare Entscheidung im Hinblick auf die Meldung ermöglichen.“
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c) Die Antragstellerin trägt vor, es sei nicht erforderlich, mittels staatlich angeordneter grundrechtsbeschränkender Maßnahmen zu verhindern, dass Menschen die ausgeatmete Luft anderer Menschen zum Teil (Aerosole) wieder einatmeten. Die durch das Coronavirus verursachte Krankheit COVID-19 nehme in der weit überwiegenden Zahl der Fälle einen milden Verlauf oder bleibe sogar symptomfrei. Die weltweite Sterblichkeitsrate habe Prof. ... mit 0,2% berechnet (Anl. Ast. 25); dies entspreche einer schweren Grippe. In Hamburg würden nur wenige COVID-19 Patienten stationär behandelt; gemessen an der Bevölkerungsgröße von knapp 1,9 Mio. Einwohnern liege der Hospitalisierungsgrad unter einem Hundertstel Prozent. Auch habe eine Studie der Initiative Qualitätsmedizin (Anl. Ast. 28), eines Zusammenschlusses deutscher und schweizerischer Kliniken, gezeigt, dass in den betreffenden Krankenhäusern im ersten Halbjahr 2020 inclusive Covid-19 weniger schwere Atemwegsinfektionen (SARI) stationär behandelt worden seien als im ersten Halbjahr 2019 und dort zu keinem Zeitpunkt ein Kapazitätsengpass erkennbar gewesen sei.
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Auch dieser Einwand verfängt nicht. Für Hamburg ergibt sich hinsichtlich der festgestellten Covid-19-Infektionen eine Sterblichkeitsrate von ca. 2,3 % (vgl. die Zahlen unter https://www.hamburg.de/corona-zahlen/, Stand, 1.2.2021: 1.073 Todesfälle bei 46.562 Infektionen). Dass der Hospitalisierungsgrad von Covid-19-Erkrankten sich in Hamburg bisher in noch beherrschbaren Grenzen hält, bedeutet nicht, dass die durch die CoronaVO auferlegten Beschränkungen überflüssig wären; im Gegenteil dürften sie ihren erheblichen Anteil dazu beigetragen haben, dass die Belastungen insbesondere im Bereich der Intensivmedizin keine grenzwertigen Belastungen erreicht haben wie in einigen europäischen Ländern. Abgesehen davon ist der Verordnungsgeber rechtlich nicht daran gehindert, die Bedeutung des Rechts auf Leben und Gesundheit an und für sich höher einzuschätzen, als dies offenbar die Antragstellerin tut.
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d) Die Antragstellerin macht geltend, der Altersmedian der in Deutschland an Covid-19 Verstorbenen liege bei 82 Jahren; dies entspreche im Wesentlichen den Verhältnissen bei allen Sterbefällen. Es handele sich um „multimorbide Hoch- und Höchstbetagte, (die) vor dem Inverkehrbringen des sog. Drosten-Tests Mitte Januar 2020 vermutlich eines natürlichen Todes gestorben wären“ (Schriftsatz vom ...). Dieser Personenkreis besuche keine Gaststätten mehr; dementsprechend sei es weder geeignet noch erforderlich oder gar angemessen, zu deren Schutz Gaststätten wie die der Antragstellerin zu schließen. Dieser Personenkreis sei vielmehr durch speziell auf ihn zugeschnittene Maßnahmen zu schützen.
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Auch diese Argumente schlagen nicht durch.
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Der Umstand, dass der größte Anteil der an Covid-19 Verstorbenen älter als 80 Jahre und deren Lebenserwartung entsprechend begrenzt ist, macht diese Gruppe nicht weniger schutzwürdig. Es ist im Übrigen auch im Hinblick auf die Belastung des Gesundheitswesens nicht, wie die Antragstellerin möglicherweise meint, gleichsam unerheblich, ob die „Höchstbetagten“ nun „bald an Covid-19 oder an etwas Anderem sterben“. Denn Covid-19-Erkrankte werden des Öfteren intensivpflichtig und müssen in diesem Falle häufig künstlich beatmet werden, und diese Phase dauert nicht selten mehrere Wochen an (vgl.: „Eine höhere Letalität und lange Beatmungsdauer unterscheiden COVID-19 von schwer verlaufenden Atemwegsinfektionen in Grippewellen“, RKI, Epidemiologisches Bulletin 41/2020 vom 8.10.2020, unter: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/41_20.pdf?__blob=publicationFile), was die Kapazitäten der Intensivstationen in besonderem Maße bindet.
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Soweit die Antragstellerin einwendet, dass dieser Personenkreis üblicherweise keine Gaststätten mehr besuche, ist dies so bereits nicht zutreffend; es gibt nicht wenige Menschen in diesem Alter, die gerne und oft essen gehen. Davon abgesehen, setzt sie sich nicht mit dem dagegen gerichteten Argument des Verwaltungsgerichts auseinander, dass der Verordnungsgeber mit der Betriebsuntersagung für Gaststätten nicht nur mögliche Gäste um ihrer selbst willen vor einer Infektion schützen wolle, sondern auch darauf abziele, soziale Kontakte überhaupt zu verringern, um zu verhindern, dass sich eine Vielzahl von Menschen infiziere und dann entweder selbst an Covid-19 erkranke oder aber zumindest das Virus in ihr berufliches und privates Umfeld, u. U. auch an Angehörige von Risikogruppen, weitertrage (...). Diese Erwägung des Verwaltungsgerichts ist plausibel. Gaststätten gehören zu den Bereichen, in denen es erfahrungsgemäß zu höheren Personenkonzentrationen kommt, die die Infektionsgefahr erhöhen. Wer sich dort infiziert, kann in der Tat das Virus in sein Umfeld weitertragen, was wiederum auch Angehörige von Risikogruppen gefährden kann, auch wenn diese selbst keine Gaststätten mehr aufsuchen. Es können auch nicht sämtliche über achtzigjährige Personen durch speziell auf sie zugeschnittene Maßnahmen geschützt werden. Solche Schutzmaßnahmen sind zwar mit gewissen Erfolgsaussichten möglich gegenüber Bewohnern von Pflegeheimen oder vergleichbaren Einrichtungen (vgl. § 30 CoronaVO). In solchen Einrichtungen wohnt in Hamburg aber nur ein sehr begrenzter Anteil dieser Altersgruppe: So haben Ende 2019 von den über 90-Jährigen 27 Prozent in Pflegeheimen gelebt; bei den 80- bis unter 90-Jährigen lag der Anteil der Heimbewohnerinnen und -bewohner bei acht Prozent, und von den 70- bis unter 80-Jährigen wurden lediglich zwei Prozent in einem Pflegeheim betreut (vgl. die Meldung des Statistikamts-Nord vom 25.1.2021, unter https://www.sueddeutsche.de/leben/gesellschaft-hamburg-27-prozent-der-ueber-90-jaehrigen-leben-in-pflegeheimen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210125-99-159275).
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e) Die Antragstellerin weist darauf hin, dass es laut einer Studie „SARS-CoV-2-Nukleinsäure-Screening nach dem Lockdown mit fast zehn Millionen Einwohnern in Wuhan, China“ vom 20. November 2020 (Anl. Ast. 35) keine Hinweise darauf gebe, dass die dort identifizierten asymptomatischen positiven Fälle infektiös gewesen seien.
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Auch dieser Hinweis, mit dem keine wesentlichen bisher unberücksichtigten Erkenntnisse verbunden sind, führt nicht zum Erfolg der Beschwerde. Generell wird unterschieden, ob eine ansteckende Person zum Zeitpunkt der Übertragung bereits erkrankt (symptomatisch) war, ob sie noch keine Symptome entwickelt hatte (präsymptomatisches Stadium) oder ob sie auch später nie symptomatisch wurde (asymptomatische Infektion). Das RKI geht davon aus, dass es vermutlich auch Ansteckungen durch asymptomatische Personen gibt, wobei diese Ansteckungen vermutlich jedoch eine untergeordnete Rolle spielen. Unabhängig davon bleiben die beiden anderen genannten Personengruppen als wichtige Infektionsüberträger bestehen, wobei die Dauer von der Ansteckung (Infektion) bis zum Beginn der eigenen Ansteckungsfähigkeit (Infektiosität) genauso variabel ist wie die Inkubationszeit. Auch sehr kurze Intervalle bis zum Beginn der Ansteckungsfähigkeit sind möglich, eine Ansteckung anderer Personen kann noch am Tag nach der eigenen Infektion, möglicherweise sogar am selben Tag erfolgen (vgl. zu alldem: RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand: 25.1.2021, „3. Übertragung durch asymptomatische, präsymptomatische und symptomatische Infizierte“, unter:
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https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html;jsessionid=E6043ABC65754F625373667A870A6D63.internet082?nn=13490888#doc13776792bodyText3)
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f) Die Antragstellerin trägt vor, des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass das RKI laut eigener Homepage (Anl. Ast. 38, „Falldefinitionen des Robert-Koch-Instituts zur Übermittlung von Erkrankungs- oder Todesfällen und Nachweisen von Krankheitserregern“, Stand: 29.05.2020) sämtliche Patienten ohne labordiagnostischen Nachweis als Covid-19-Fälle erfasse, die aus einem Alten- oder Pflegeheim kämen, in welchem zwei oder mehr Pneumonien aufgetreten seien. Daraus ergäben sich unrealistisch hohe Zahlen von Covid-19-Fällen.
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Auch dieser Einwand greift nicht durch. Dies gilt schon deshalb, weil das RKI seine Darstellung zur Falldefinition mittlerweile geändert hat und dort die obige von der Antragstellerin zitierte Vorgabe nicht mehr enthalten ist (vgl. die dortigen Hinweise vom 23.12.2020 unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Falldefinition.pdf;jsessionid=C524CCEAB62DA854B7D25BAD633F404D.internet061?__blob=publicationFile).
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g) Die Antragstellerin macht geltend, entgegen der Darstellung der Antragsgegnerin (Beschwerdeerwiderung vom 25.11.2020) und des RKI (Täglicher Lagebericht vom 25.11.2020, vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Nov_2020/2020-11-25-de.pdf?__blob=publicationFile) seien tatsächlich nicht binnen 24 Stunden 410 neue Todesfälle wegen Covid-19 aufgetreten. Wie die Analyse von Prof. Dr. ... vom 30. November 2020 (Anl. Ast. 42) ergebe, sei lediglich ein Teil der vom RKI als „Covid-19-Todesfälle“ geführten Sterbefälle ursächlich an dem Coronavirus SARS-CoV-2 verstorben. Überhaupt sei für das Jahr 2020 keine signifikante Übersterblichkeit festzustellen.
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Auch dieser Einwand verfängt nicht.
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aa) Es erscheint schon vom Ansatz her als zweifelhaft, dass der Verordnungsgeber nur bei Vorliegen einer Übersterblichkeit Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit ergreifen dürfen soll. Jedenfalls ist aber die Sterblichkeitsrate durch Covid-19 Erkrankungen für Hamburg präzise festgestellt worden durch eine bis Ende Dezember 2020 erfolgte Evaluation. Die für Gesundheit zuständige Behörde hat im April 2020 das Institut für Rechtsmedizin des UKE mit der systematischen Evaluation der im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion stehenden Hamburger Sterbefälle beauftragt. Durch diese systematische Evaluation von Sterbefällen im Kalenderjahr 2020 wurden wesentliche Erkenntnisse zu den Krankheitsverläufen und Todesursachen gewonnen. Die Anzahl der Todesfälle, die durch das Institut für Rechtsmedizin insgesamt mit Stand 28. Dezember 2020 abschließend evaluiert wurden, liegt bei 575. Davon war in insgesamt 509 Fällen nach rechtsmedizinischer Untersuchung die Covid-19-Erkrankung sicher todesursächlich (vgl. die Pressemitteilung der hamburgischen Sozialbehörde vom 29.12.2020, unter Corona-Briefing: Kalenderwoche 53 - Infektionsgeschehen, Schutzimpfungen, Schnelltests für Pflegeheim-Besucher - hamburg.de). Daraus ergibt sich für den letztgenannten Zeitraum ein Anteil sicher todesursächlicher Covid-19-Erkrankungen an den „mit Covid-19“ Verstorbenen von ca. 88,52% (509/575). Es ist nicht ersichtlich, weshalb diese Zahlen aus Hamburg nicht im Großen und Ganzen auch für das sonstige Bundesgebiet repräsentativ sein sollten. Bezogen auf bundesweit 56.945 „mit Covid-19-Verstorbene“ (Stand 31.1.2021, vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Jan_2021/2021-01-31-de.pdf?__blob=publicationFile, S. 1) ergäbe sich daraus eine Zahl von etwa 50.400 sicher an Covid-19 Verstorbenen im Laufe von 10 bis 11 Monaten (vgl. den ersten Situationsbericht des RKI vom 4.3.2020, S. 1: damals noch „0“ Verstorbene in Deutschland: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-03-04-de.pdf?__blob=publicationFile). Diese (in den letzten drei Monaten stark angestiegene) Zahl übertrifft auch die Todesfallzahlen schwerer Grippeepidemien in Deutschland erheblich.
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bb) Die im Jahr 2020 während bestimmter Phasen in Deutschland deutlich zu verzeichnende Übersterblichkeit zeigt klare Zusammenhänge mit dem Verlauf der Corona-Pandemie. Wie das Statistische Bundesamt („Sonderauswertung zu Sterbefallzahlen der Jahre 2020/2021“ vom 29.1.2021, unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/sterbefallzahlen.html) mitgeteilt hat, lagen die Sterbefallzahlen in den Monaten der ersten und der zweiten Coronawelle im Jahr 2020 deutlich über dem Durchschnitt der Sterbefallzahlen der betreffenden Monate in den Jahren 2016 bis 2019, wobei im März 2018 eine besonders schwere Grippewelle zu verzeichnen gewesen war:
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„Bei der Betrachtung des Jahresverlaufes in der Sterbefallstatistik sind die typischen Schwankungen während der Grippezeit von ungefähr Mitte Dezember bis Mitte April zu beachten. Dies wird beim Blick auf die Zahlen aus den Vorjahren deutlich: Im März 2019 starben beispielsweise etwa 86700 Menschen. Im März 2018, also in einem Jahr, als die Grippewelle besonders heftig ausfiel, waren es 107100. Auch ohne Corona-Pandemie können die Sterbefallzahlen demnach insbesondere in der typischen Grippezeit stark schwanken.
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Im Jahresverlauf haben sich erstmals von der 13. bis zur 18. Kalenderwoche (23. März bis 3. Mai) durchgehend und deutlich erhöhte Sterbefallzahlen im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019 gezeigt. In der 15. Kalenderwoche (6. bis 12. April) war die Abweichung mit 15 % über dem vierjährigen Durchschnitt am größten. Auch die Zahl der COVID-19-Todesfälle, die beim Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet werden, erreichte in dieser Woche ihren damaligen Höchststand. Im gesamten April lag die Zahl der Gestorbenen mit derzeit etwa 83800 gemeldeten Fällen deutlich über dem Durchschnitt der Vorjahre (+ 10 %).
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Ein deutliches Maximum gab es im Zuge einer Hitzewelle im August. Infolgedessen waren die Sterbefallzahlen in diesem Monat höher als im Durchschnitt der Vorjahre (+ 7 %). Auch im September waren die Zahlen noch erhöht (+ 6 %). In der ersten Oktoberhälfte lag die Gesamtzahl der Sterbefälle zunächst wieder im Bereich des Durchschnitts der Vorjahre. Danach stiegen mit dem erneuten Anstieg der COVID-19-Todesfallzahlen auch die gesamten Sterbefallzahlen über den Durchschnitt hinaus an. Im Oktober lagen sie 5 % über dem Durchschnitt der Vorjahre, im November 12 % und im Dezember 29 %.“
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h) Die Antragstellerin trägt vor, die Belastungssituation in der Intensivmedizin rechtfertige ebenfalls nicht die Annahme einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Beispielhaft sei insoweit auf die Auswertung der Zahlen vom 6. Dezember 2020 (Anlagenkonvolut Ast. 45) hinzuweisen, aus der sich ergebe, dass eine Überlastung des Gesundheitswesens durch Covid-19 nach wie vor nicht gegeben sei. In Hamburg seien nur etwa 100 Intensivbetten mit Covid-19-Patienten belegt; es liege auf der Hand, dass dies angesichts der Gesamtbevölkerung Hamburgs von 1,899 Mio. Einwohnern die Annahme einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht rechtfertige. Auch werde das Gesundheitswesen bekanntlich seit vielen Jahren regelmäßig in der Influenzasaison an seine Belastungsgrenze gebracht, wie sich beispielhaft aus einem Artikel in der FAZ vom 27. Februar 2015 ergebe (Anl. Ast. 48); dies sei aber noch nie zum Anlass genommen worden, die Volkswirtschaft in großen Teilen still zu legen und die Grundrechte in bisher nicht gekanntem Ausmaß zu beschränken.
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Auch dieser Angriff vermag nicht durchzuschlagen.
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Die Entwicklung der bundesweiten Belegungszahlen in der intensivmedizinischen Versorgung durch Covid-19 Fälle seit Anfang Oktober 2020 zeigt einen bis Anfang Januar 2021 andauernden sprunghaften Anstieg (zu den folgenden Zahlen vgl. https://www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/zeitreihen). Zum Zeitpunkt der 19. Änderungsverordnung zur Hamburgischen CoronaVO vom 30. Oktober 2020 (HmbGVBl. S. 547), durch dessen § 15 der Betrieb von Gaststätten untersagt wurde, war diese Belegungszahl bereits von 360 am 1. Oktober 2020 auf 1.832 am 30. Oktober 2020 angestiegen und hatte sich damit in diesem kurzen Zeitraum mehr als verfünffacht. Diese Entwicklung hat sich trotz der bundesweit abgestimmten Schließung der Gaststätten von Anfang November 2020 bis Anfang Januar 2021 fortgesetzt (1.11.2020: 2.056 Fälle; 4.1.2021: 5.723 Fälle). Diese Zahlen deuten darauf hin, dass der ab November 2020 geltende „kleine Lockdown“, in dessen Rahmen die Gaststätten geschlossen wurden, diese Entwicklung nur geringfügig hat beeinflussen können und letztlich erst der Mitte Dezember 2020 einsetzende „größere Lockdown“ die erforderliche Wirkung gehabt hat. Vor allem zeigen sie aber, dass es bei einer ungebremsten Fortsetzung des Infektionsgeschehens zu einer Belastung der intensivmedizinischen Versorgung gekommen wäre, die durchaus grenzwertig oder deutlich überfordernd hätte werden können. Dem entspricht es, dass es zeitweilig in einigen Regionen Deutschlands, in denen besonders hohe Infektionsraten zu verzeichnen waren, tatsächlich zu überfordernden Belastungen von Intensivstationen gekommen ist (vgl. den Bericht vom 16.12.2020 unter: https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_89137376/sachsen-wie-nah-sind-die-krankenhaeuser-dem-kollaps-.html). Angesichts all dessen erscheint die hier streitgegenständliche Vorgehensweise des hamburgischen Verordnungsgebers plausibel. Dem steht nicht entgegen, dass es in Hamburg, anders als etwa in Sachsen, bisher nicht zur Überlastung der intensivmedizinischen Versorgung gekommen ist.
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Der Hinweis der Antragstellerin auf bereits in der Vergangenheit erfolgte Belastungen der Intensivstationen bei schweren Influenza-Wellen führt zu keiner anderen Beurteilung. Wie oben (unter „d)“) bereits ausgeführt, müssen Covid-19-Erkrankte häufig künstlich beatmet werden, und diese Phase dauert nicht selten mehrere Wochen an (vgl.: „Eine höhere Letalität und lange Beatmungsdauer unterscheiden COVID-19 von schwer verlaufenden Atemwegsinfektionen in Grippewellen“, RKI, Epidemiologisches Bulletin 41/2020 vom 8.10.2020, unter: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/41_20.pdf?__blob=publicationFile), was die Kapazitäten der Intensivstationen in besonderem Maße bindet. Dies unterscheidet die Intensivpflege von Covid-19-Erkrankten gegenüber derjenigen von Influenzapatienten.
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i) Die Antragstellerin trägt vor, soweit die Videoschaltkonferenz der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten vom 19. Januar 2021 nunmehr besonderes Gewicht auf den Gedanken einer „Vorsorge“ hinsichtlich der britischen Virusmutation B.1.1.7 gelegt habe, sei auch dies unerheblich. Abgesehen davon, dass dieses in der Verfassung nicht vorgesehene Organ keine Exekutivbefugnisse habe, sei nirgends belegt, dass diese neue Virusvariante die pandemische Lage deutlich verschärfe. Im Gegenteil entspreche „es schon dem Stand einer ehedem üblichen gymnasialen Ausbildung“, dass ein Virus im Laufe seiner Existenz immer ungefährlicher werde, um sich so seinem Wirt umso besser anpassen zu können. Auch eine aktuelle Studie aus dem Vereinigten Königreich komme zu dem Schluss, es gebe keine Hinweise darauf, dass diese Virusvariante gefährlicher sei als das ursprüngliche, längst mutierte Virus.
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Auch dieser Angriff verfängt nicht. Ob der vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin offenbar für sich in Anspruch genommene „Stand einer ehedem üblichen gymnasialen Ausbildung“ eine dahingehende Gesetzmäßigkeit enthalten hat, „dass ein Virus im Laufe seiner Existenz immer ungefährlicher wird, um sich so seinem Wirt umso besser anpassen zu können“, mag dahinstehen. Jedenfalls dürfte dies nicht für die Coronavirus-Mutation B.1.1.7 gelten. Auch wenn derzeitig noch nicht geklärt ist, ob und ggf. wie oft diese Virusmutation mit schwereren Krankheitsverläufen einhergeht, so gibt es jedenfalls deutliche Hinweise darauf, dass sie erheblich ansteckender ist als die zuvor bekannten Virusvarianten (vgl. RKI, Übersicht und Empfehlungen zu neuen SARS-CoV-2-Virusvarianten, Stand: 25.1.2021, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Virusvariante.html;jsessionid=4F39DB467CF0FD875DA58E92681BA218.internet082?nn=2386228). Dem entspricht es, dass es in Deutschland bereits dazu gekommen ist, ganze Kliniken in Quarantäne zu legen, um einer weiteren Verbreitung dieser Mutation entgegenzuwirken (vgl. DW v. 25.1.2021, Corona-Alarm: Virus-Mutante B.1.1.7 in Berliner Krankenhaus, https://www.dw.com/de/corona-alarm-virus-mutante-b117-in-berliner-krankenhaus/a-56339514). Höhere Infektionszahlen (durch ansteckendere Virusmutationen) führen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zu mehr schweren Krankheitsverläufen, zu einer stärkeren Belastung der Intensivstationen und zu höheren Todesfallzahlen.
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j) Die Antragstellerin nimmt abschließend Bezug auf ein Urteil des Amtsgerichts Weimar vom 11. Januar 2021 (6 OWi – 523 Js 202518/20, juris); daraus ergebe sich, dass die derzeitig geltenden Kontaktbeschränkungen verfassungswidrig seien.
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Diese Bezugnahme führt im hier vorliegenden Fall schon deshalb nicht weiter, weil sich das o. g. Urteil des Amtsgerichts Weimar allein auf die im April 2020 in Thüringen geltenden Bestimmungen zur Kontaktbeschränkung bezieht. Es thematisiert dabei im Wesentlichen die Fragen, ob diese Bestimmungen angesichts der Regelung in § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG in der Fassung vom 27. März 2020 („Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen.“) den verfassungsmäßigen Anforderungen der Wesentlichkeitslehre genügt haben, und ob die dortigen Kontaktbeschränkungen mit der Menschenwürde und dem Verhältnismäßigkeitsgebot vereinbar waren. Mit der Schließung von Gaststätten befasst sich das o. g. Urteil des Amtsgerichts Weimar hingegen nicht.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG. Nach der Auffassung des Beschwerdegerichts ist in Fällen der hier gegebenen Art, in denen der Antragsteller sich unter begehrter Vorwegnahme der Hauptsache gegen die durch eine Coronaverordnung angeordnete Schließung seines Gewerbebetriebs wendet, ohne selbst konkrete Angaben zu seinem diesbezüglichen Interesse zu machen, der doppelte Betrag des Auffangwerts in § 52 Abs. 1 GKG angemessen.
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Referenzen
- § 28 a IfSG 3x (nicht zugeordnet)
- § 28 a Abs. 5 Satz 2 IfSG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- 523 Js 202518/20 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG 4x (nicht zugeordnet)
- IfSG § 28 Schutzmaßnahmen 2x
- IfSG § 4 Aufgaben des Robert Koch-Institutes 1x
- IfSG § 32 Erlass von Rechtsverordnungen 1x
- IfSG § 2 Begriffsbestimmungen 2x
- VwGO § 146 2x
- § 52 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 5 Bs 209/20 1x (nicht zugeordnet)
- § 28 a Abs. 1 Satz 1 IfSG 1x (nicht zugeordnet)
- § 28 a Abs. 2 IfSG 1x (nicht zugeordnet)
- 13 MN 506/20 1x (nicht zugeordnet)
- § 30 CoronaVO 1x (nicht zugeordnet)