Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 Bs 84/21

Tenor

Die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 6. April 2021 werden zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Beschwerde-verfahrens je zur Hälfte mit Ausnahme ihrer außergerichtlichen Kosten, die sie jeweils selbst tragen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragsteller wenden sich gegen eine von der Antragsgegnerin zugunsten der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 14 Wohneinheiten und einer Tiefgarage.

2

Die Antragsteller zu 1. bis 8. sind Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft ..., in deren gemeinschaftlichen Eigentum das Flurstück ... der Gemarkung Osdorf steht. Das Flurstück ... ist u.a. mit den beiden zweigeschossigen Reihenhauszeilen ... bebaut. Die Antragsteller zu 1. und 2. sind Sondereigentümer des Reihenhauses ... Der Antragsteller zu 5. ist Sondereigentümer des Reihenhauses ... und Alleineigentümer des eingeschossigen Einfamilienhauses ... (...) und des eingeschossigen Wohn- und Geschäftshauses ... (Flurstück ...). Die Beigeladene ist Eigentümerin des Vorhabengrundstücks ... (Flurstück ...), das ebenso wie das Grundstück ... in der Mitte des Baublocks ... - ... - ... im Gartenbereich liegt. Das Reihenhaus ... liegt nordwestlich und das Wohngebäude ... nördlich des Vorhabengrundstücks der Beigeladenen.

3

Alle Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Osdorf 5 vom 26. Juni 1964 (HmbGVBl. S. 138), der das Vorhabengrundstück als private Grünfläche festsetzt. Für die Reihenhäuser der Antragsteller gelten jeweils die Festsetzungen WR II RH mit der Bestimmung eines 12 m tiefen Baufensters. Für das Wohngebäude ... des Antragstellers zu 5. gilt die Festsetzung WR II unter der Bestimmung eines Baufensters. Im Wohngebiet offener Bauweise sind gemäß § 2 Nr. 2 Satz 1 des Gesetzes über den Bebauungsplan Osdorf 5 (im Folgenden kurz: G B-Plan Osdorf 5) nur Einzel- und Doppelhäuser mit nicht mehr als zwei Wohnungen zulässig. Die nicht überbaubaren Teile der Baugrundstücke im Wohngebiet und die als private Grünflächen festgesetzten Teile anderer Baugrundstücke sind gemäß § 2 Nr. 3 Satz 1 G B-Plan Osdorf 5 von Werbung freizuhalten sowie gärtnerisch anzulegen und zu unterhalten mit Ausnahme der erforderlichen Fahr- und Gehwege.

4

Die Antragsgegnerin erteilte den beiden Geschäftsführern der Beigeladenen unter dem 25. Oktober 2018 einen positiven Vorbescheid für ein Bauvorhaben auf dem Grundstück ..., der u.a. eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB für das Errichten eines dreigeschossigen Mehrfamilienhauses (ca. 20 m x 25 m) mit Staffelgeschoss und mit 14 Wohneinheiten sowie einer Tiefgarage auf einer nicht überbaubaren Grundstücksfläche einschließt. Hiergegen erhoben die Antragsteller zu 1. und 2., denen die Entscheidung über die Befreiungserteilung mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 5. November 2018 bekannt gegeben worden war, erstmals mit Schreiben vom 22. November 2018 Widerspruch.

5

Im Baugenehmigungsverfahren mit Konzentrationswirkung erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen mit Bescheid vom 15. April 2020 eine Baugenehmigung für die Errichtung eines dreigeschossigen Mehrfamilienhauses mit 14 Wohneinheiten, einem Staffelgeschoss und einer Tiefgarage. Dabei wiederholte sie die bereits im Vorbescheid vom 25. Oktober 2018 erteilte Befreiung für die Errichtung des Gebäudes auf einer nicht überbaubaren Grundstücksfläche. Die Antragsgegnerin gab den Antragstellern zu 1., 2. und 5. die Baugenehmigung nicht bekannt. Die Antragsteller zu 2. und 5. erhoben mit Schreiben vom 9. November 2020 Widerspruch gegen den Baugenehmigungsbescheid. Der Antragsteller zu 2. erhob mit Schreiben vom 9. Dezember 2020 erneut auch Widerspruch gegen den Vorbescheid. Der Antragsteller zu 5. erhob mit Schreiben vom 9. Dezember 2020 ebenfalls Widerspruch gegen den Vorbescheid. Die Antragstellerin zu 1. erhob mit Schreiben vom 4. Januar 2021 erneut auch Widerspruch gegen den Vorbescheid und zudem gegen den Baugenehmigungsbescheid.

6

Am 5. Januar 2021 haben die Antragsteller zu 1. bis 8. einen ausdrücklich nur gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 15. April 2020 gerichteten Aussetzungsantrag gestellt. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 6. April 2021 die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragsteller zu 1. und 2. und des Antragstellers zu 5. - soweit dieser das Wohngebäude ... betrifft - gegen den Baugenehmigungsbescheid und den Vorbescheid angeordnet und im Übrigen den Antrag der Antragsteller abgelehnt.

7

Zur Begründung heißt es in dem Beschluss u.a., aus der Festsetzung der maximal zulässigen Wohnungszahl je (Wohn-)Gebäude in § 2 Nr. 2 G B-Plan Osdorf 5 folge keine Rechtsverletzung des Antragstellers zu 5. Hierbei könne offenbleiben, ob das Vorhabengrundstück im Anwendungsbereich der Zwei-Wohnungsklausel liege. Denn diese wirke jedenfalls nicht nachbarschützend. Dem Antragsteller zu 5. komme auch der geltend gemachte Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung des Baugebiets gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1962 nicht zu. Es sei ihm schon nicht darin zu folgen, wenn er eine Prägung zu erkennen suche, wonach der Plangeber ein „Familienhausgebiet“ bzw. eine aufgelockerte kleinteilige Bebauung mit gärtnerisch angelegten und großzügigen Grünflächen mit einer geringen Besiedlungsdichte habe schaffen wollen.

8

Der Antragsteller zu 5. berufe sich jedoch im Ergebnis zu Recht auf eine Verletzung des nachbarschützenden Gebots der Rücksichtnahme, das sich hier aus § 31 Abs. 2 BauGB ergebe. Das Vorhaben sei in Bezug auf das Wohnhaus ... unzumutbar. Es stehe in erheblichem Gegensatz zu dem, was der Beigeladenen als bauliche Nutzung ihres Grundstücks zustehe bzw. was der Antragsteller zu 5. als plangemäße Bodennutzung hinzunehmen habe. Die erteilte Befreiung für das Errichten eines dreigeschossigen Mehrfamilienhauses (ca. 20 m x 25 m) mit Staffelgeschoss und mit 14 Wohneinheiten sowie einer Tiefgarage auf einer nicht überbaubaren Grundstücksfläche sei gemäß § 31 Abs. 2 BauGB ganz offensichtlich rechtswidrig, weil sie die Grundzüge der Planung berühre. Sie schaffe - geradezu i.S. eines planändernden Aktes - ein vollständig neues Baufenster in einem hierfür gerade nicht vorgesehenen Bereich. Dies sei umso augenfälliger als es sich um ein relativ kleines, überschaubares Plan- und Baugebiet handele.

9

Die Auswirkungen des Vorhabens auf das Grundstück ... seien in einer Gesamtschau auch unzumutbar. Nach dem hier in Würdigung der planungsrechtlichen Situation gebotenen sensibleren Maßstab seien die Nachteile für den Antragsteller zu 5. so gewichtig, dass er diese nicht hinzunehmen habe. Das Vorhaben entfalte gegenüber dem Wohngebäude eine erdrückende Wirkung. Das Vorhabengebäude, das 23,15 m breit und 12,47 m hoch sein solle, werde, was zu seiner Lage in dem für die Bebauung überhaupt nicht vorgesehenen „Blockinnenbereich“ hinzukomme, massive „Ausmaße“ in Richtung des nördlich gelegenen Wohngebäudes ... haben. Zwar solle das Gebäude „nur“ über drei Vollgeschosse verfügen, da aber das Staffelgeschoss Richtung Süden (und nicht Richtung Norden) zurückspringe wirke das Gebäude gegenüber dem Wohngebäude des Antragstellers zu 5. als viergeschossig und damit in ganz erheblicher Weise übermächtig. Es sei auch nicht auszuschließen, dass es aufgrund der Kubatur des geplanten Gebäudes zu für den Antragsteller zu 5. unzumutbaren Verschattungen kommen werde, zumal die Beigeladene ein Verschattungsgutachten nicht eingeholt habe. Das Gericht verkenne nicht, dass in aller Regel davon auszugehen sei, dass auch im Hinblick auf Belichtung und Belüftung die Einhaltung des bauordnungsrechtlichen Mindestabstands grundsätzlich ausreiche, um das Bedürfnis der jeweiligen Nachbarn nach Sonne und Luft zu erfüllen. Ein solcher Regelfall liege aber nicht vor. Unter Berücksichtigung der besonderen planungsrechtlichen Gegebenheiten erscheine es angesichts der Lage des Mehrfamilienhauses im Süden des antragstellerischen Grundstücks sowie des Umstandes, dass das über 12,47 m hohe Gebäude dasjenige auf dem Grundstück des Antragstellers zu 5. erheblich überragen werde, überwiegend wahrscheinlich, dass es jedenfalls während des gesamten Frühlings und Herbstes zu Verschattungen kommen werde, die der Antragsteller zu 5. in Anbetracht der hier gegebenen bauplanungsrechtlichen Konstellation nicht hinzunehmen habe.

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Der Antrag der Antragsteller zu 1. und 2. sei ebenfalls begründet. Auch ihnen gegenüber sei das geplante Vorhaben in der hiesigen bauplanungsrechtlichen Gesamtlage rücksichtslos, weil davon auszugehen sei, dass bei der Errichtung des Gebäudes für die Antragsteller zu 1. und 2. unzumutbare Einsichtnahmemöglichkeiten geschaffen würden. Zwar erzeuge ein Bauvorhaben regelmäßig keine rücksichtslosen Einsichtsmöglichkeiten auf den jeweiligen Nachbargrundstücken, wenn es die bauordnungsrechtlich erforderlichen Abstandsflächen einhalte. Ein solcher Regelfall liege hier aber - obgleich die Abstandsflächen nach § 6 HBauO (genau) eingehalten würden - aufgrund der eklatanten Rechtswidrigkeit der erteilten Befreiung nicht vor. Zu dem unmittelbar im (Nord-)Westen des Vorhabengrundstücks gelegenen Reihenhaus der Antragsteller zu 1. und 2. sowie insbesondere zu dem rückwärtigen Gartenbereich hin würden von dem Vorhabengebäude aus ganz gravierende Einsichtnahmemöglichkeiten eröffnet werden. Zu den geplanten bodentiefen Fenstern (die indes nicht in ungewöhnlicher Anzahl oder Größe geplant sein dürften) komme hinzu, dass die an der Westseite des zu errichtenden Mehrfamilienhauses geplanten Balkone im 1. und 2. OG nur etwa 6,6 m (Terrassenwand) bis etwa 5,6 m (bei 4 m tiefer Terrasse) von der Terrasse der Antragsteller zu 1. und 2. entfernt lägen. Außerdem lägen die Balkone - dies gelte namentlich für den im 2. OG - in einem Winkel von etwa 45° und eröffneten gleichsam Aussichtsplattformen zu den Antragstellern zu 1. und 2. in einen Bereich hin, in dem letztere überhaupt nicht mit einer Bebauung zu rechnen (gehabt) hätten.

11

Im Übrigen sei der Antrag hinsichtlich der Antragsteller zu 3., 4., 6. bis 8. und der anderen Grundstücke des Antragstellers zu 5. unbegründet.

II.

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1. Die jeweils gemäß §§ 146 Abs. 4, 147 Abs. 1 VwGO zulässigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen haben in der Sache keinen Erfolg. Die beiden Beschwerden sind unbegründet, weil die mit ihnen dargelegten Gründe, die das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO allein zu prüfen hat, es nicht rechtfertigen, den erstinstanzlichen Beschluss zu ändern und - wie von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen jeweils beantragt - auch die Aussetzungsanträge der Antragsteller zu 1., 2. und 5. gemäß §§ 80 Abs. 5 Satz 1, 80a Abs. 3 VwGO abzulehnen. Die Darlegungen der beiden Beschwerdeführerinnen sind nicht geeignet, die Richtigkeit der entscheidungstragenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu erschüttern, dass die erteilte Befreiung für das Errichten eines dreigeschossigen Mehrfamilienhauses (ca. 20 m x 25 m) mit Staffelgeschoss und mit 14 Wohneinheiten sowie einer Tiefgarage auf einer nicht überbaubaren Grundstücksfläche offensichtlich rechtswidrig ist und infolgedessen die Antragsteller zu 1., 2. und 5. als betroffene Grundstücksnachbarn bei der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen Interessenabwägung in ihren Rechten verletzt sind, weil das Bauvorhaben der Beigeladenen mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt.

13

a) Nicht zu folgen ist dem Einwand der Beigeladenen, der Antragsteller zu 5. könne sich nach Treu und Glauben nicht mehr auf sein Widerspruchsrecht berufen, weil der Vorbescheid vom 25. Oktober 2018 ihm gegenüber bestandskräftig geworden sei. Der Antragsteller zu 5. habe erst zwei Jahre nach der Kenntnisnahme von dem Vorbescheid mit Schreiben vom 9. Dezember 2020 Widerspruch eingelegt. Der Antragsteller zu 5. habe von dem Vorbescheid sichere Kenntnis erlangt, als ihm dieser mit Schreiben vom 5. November 2018 bekannt gegeben worden sei. Dies habe die Verwalterin der Wohnungseigentümergemeinschaft mit Schreiben vom 22. November 2018 bestätigt. Selbst wenn der Antragsteller zu 5. das Schreiben nicht erhalten haben sollte, müsste er sich die Kenntnis der Verwalterin zurechnen lassen.

14

Entgegen der Annahme der Beigeladenen lässt sich nach dem Akteninhalt nicht feststellen, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller zu 5. den Vorbescheid gemäß § 41 Abs. 1 HmbVwVfG bekannt gegeben hat. Das angeführte Schreiben vom 5. November 2018 enthält ausweislich der Sachakten im Adressfeld nur die Angabe „gem. Verteiler“. In dem angehefteten Verteiler wird der Antragsteller zu 5. - anders als die Antragsteller zu 1. und 2. - als Adressat nicht benannt. Der Antragsteller zu 5. behauptet, erst durch die Baugenehmigung vom 15. April 2020 Kenntnis von dem Vorbescheid erhalten zu haben.

15

Wer geltend macht, durch einen Vorbescheid in eigenen Rechten verletzt zu sein, der ihm nicht bekanntgegeben worden ist, von dem er aber in anderer Weise sichere Kenntnis erlangt hat, muss sich jedoch in aller Regel nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als ob ihm gegenüber die Jahresfrist des § 70 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO in Lauf gesetzt worden wäre. Zutreffend ist insoweit, dass die Verwalterin der Wohnungseigentümergemeinschaft ... mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 5. November 2018 Kenntnis von der in dem Vorbescheid getroffenen Befreiungsentscheidung erlangt hat. Dieses Schreiben ist „gem. Verteiler“ an die „Eigentümerverwaltung ... Vertreten durch Fr. U. ... Hamburg“ adressiert worden, so dass die Verwalterin das Schreiben nach § 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 WEG i.d.F. vom 26. März 2007 mit Wirkung für und gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer - als Verband – entgegengenommen hat. Ob die einzelnen Wohnungseigentümer persönlich über den Eingang eines derartigen Schreibens zu informieren sind, ist dabei eine Frage der ordnungsmäßigen Verwaltung. Eine Zurechnung der Kenntnis von dem Inhalt dieses Schreibens in Bezug auf einzelne Wohnungseigentümer ist auf dieser Grundlage aber nicht möglich. Eine Wissenszurechnung zu Lasten des Antragstellers zu 5. könnte entsprechend dem Aufgabenkreis der Verwalterin nach § 27 Abs. 2 Nr. 1 WEG i.d.F. vom 26. März 2007 nur erfolgen, wenn das Schreiben von der Antragsgegnerin „an alle Wohnungseigentümer in dieser Eigenschaft“ gerichtet worden wäre. Eine Kenntnisnahme des Antragstellers zu 5. von dem Vorbescheid ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben der Verwalterin vom 22. November 2018 an die Antragsgegnerin. Mit diesem Schreiben hat sie lediglich im Namen der Wohnungseigentümergemeinschaft Widerspruch gegen den Vorbescheid erhoben. Für eine Kenntnis einzelner Wohnungseigentümer von dem Vorbescheid gibt dieses Schreiben nichts her.

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b) Zu kurz greift der Einwand der Antragsgegnerin, bereits der Tenor des angegriffenen Beschlusses sei rechtsfehlerhaft, weil das Verwaltungsgericht entgegen § 88 VwGO (i.V.m. § 122 Abs. 1 VwGO) auch in Bezug auf den Vorbescheid die aufschiebende Wirkung der Widersprüche angeordnet habe, obwohl dies von den anwaltlich vertretenen Antragstellern gar nicht beantragt worden sei.

17

Die Antragsgegnerin rügt damit lediglich einen Verfahrensmangel, der für sich genommen die Richtigkeit des Ergebnisses des erstinstanzlichen Beschlusses, dass den Widersprüchen der Antragsteller gegen den Vorbescheid aufschiebende Wirkung zukommt, sei es nach § 80 Abs. 1 oder Abs. 5 Satz 1 VwGO, nicht in Zweifel zieht. Die Antragsgegnerin legt selbst dar, dass die Widersprüche aufschiebende Wirkung entfalten, weil § 212a Abs. 1 BauGB zugunsten des Vorhabens hinsichtlich des Vorbescheides nicht eingreife, so dass dessen Regelungen in die angefochtene Baugenehmigung erneut aufgenommen worden seien (vgl. dazu OVG Hamburg, Beschl. v. 13.7.2012, 2 Bs 142/12, NordÖR 2012, 539, juris Rn. 3).

18

Soweit die Antragsgegnerin in der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen den Vorbescheid auch eine gehörswidrige Überraschungs-entscheidung sieht, rügt sie ebenfalls lediglich einen Verfahrensmangel.Ein etwaiger Verfahrensmangel des Verwaltungsgerichts allein führt aber gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO nicht zum Beschwerdeerfolg, wenn darin nicht zugleich eine entscheidungserhebliche Verletzung des materiellen Rechts liegt.

19

c) Entgegen den Einwänden der Beschwerdeführerinnen dürfte das Verwaltungsgericht auch zutreffend festgestellt haben, dass die gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB erteilte Befreiung für das Errichten eines dreigeschossigen Mehrfamilienhauses (ca. 20 m x 25 m) mit Staffelgeschoss und mit 14 Wohneinheiten sowie einer Tiefgarage auf einer nicht überbaubaren Grundstücksfläche offensichtlich rechtswidrig ist, weil dadurch die Grundzüge der Planung berührt werden.

20

Das Gesetz umschreibt in § 31 Abs. 2 BauGB mit dem alle Befreiungsgründe erfassenden Begriff der "Grundzüge der Planung" die planerische Grundkonzeption, die den Festsetzungen eines Bebauungsplans zugrunde liegt und in ihnen zum Ausdruck kommt. Hierzu kann alles gehören, was das Ergebnis der Abwägung über die von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange und den mit den getroffenen Festsetzungen verfolgten Interessenausgleich trägt. Ob die betreffenden Aspekte die Grundzüge der Planung i.S.v. § 31 Abs. 2 BauGB berühren, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft und ob sich das Planungsziel auch im Fall der Erteilung einer Befreiung noch verwirklichen lässt. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung in der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist. Die Grundzüge der Planung werden nicht berührt, wenn zwar von Festsetzungen abgewichen wird, die für die Grundzüge der Planung maßgeblich sind, die Abweichungen aber im Hinblick auf die planerische Zielsetzung nicht ins Gewicht fallen. Der Abweichung vom Planinhalt darf keine derartige Bedeutung zukommen, dass die angestrebte und im Plan zum Ausdruck gebrachte städtebauliche Ordnung in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Es muss - mit anderen Worten - angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Plangeber gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung gekannt hätte. Durch das Erfordernis, die Grundzüge der Planung zu wahren, soll sichergestellt werden, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht beliebig durch Befreiungserteilungen außer Kraft gesetzt werden können. Denn die Änderung eines Bebauungsplans obliegt nach den §§ 1 Abs. 8, 2 Abs. 1 BauGB der Gemeinde und nicht der Bauaufsichtsbehörde (siehe OVG Hamburg, Beschl. v. 18.6.2020, 2 Bf 210/19.Z, m.w.N. aus der Senatsrechtsprechung).

21

Die Antragsgegnerin verkennt den Begründungszusammenhang für das vom Verwaltungsgericht angenommene planerische Grundkonzept, wenn sie sich vor allem dagegen wendet, dass in der Festsetzung der privaten Grünflächen in dem Baublock ... - ... - ... ein Grundzug der Planung des Bebauungsplans Osdorf 5 vom 26. Juni 1964 liegen solle. Das Verwaltungsgericht hat maßgeblich auch darauf abgestellt, dass durch die erteilte Befreiung von der festgesetzten überbaubaren Grundstücksfläche „ein vollständig neues Baufenster“ geschaffen werde. Die Abweichung auch von der festgesetzten privaten Grünfläche wird in der von der Antragsgegnerin erteilten Befreiung gar nicht erwähnt. Es geht also nicht - wie in einer Vielzahl von Befreiungsfällen - nur um eine mehr oder wenige große Abweichung von einer festgesetzten Baugrenze oder Baulinie, sondern um die Neuschaffung eines kompletten Baufensters mit einer Brutto-Grundfläche von ca. 480 m2 im Wege einer Befreiung. Damit wird tief in das Interessengeflecht der Planung eingegriffen, weil zugunsten eines einzelnen Grundstückseigentümers eine Bebauungsmöglichkeit neu zugelassen wird, die der Plangeber an dieser Stelle des Plans überhaupt nicht vorgesehen und abgewogen hat. Dabei hat der Plangeber für den Baublock ... - ... - ... konkrete Festsetzungen getroffen, um die städtebauliche Ordnung der bebauten Teile zu sichern und die bauliche Entwicklung der bisher unbebauten, jetzt zur Bebauung anstehenden Flächen zu ordnen (siehe S. 3 der Begründung zum Bebauungsplan Osdorf 5). Demgemäß hat er für den Baublock abgewogen, welche Gebäude im Bestand bauplanungsrechtlich gesichert, an welcher Stelle Bebauungsmöglichkeiten durch die Festsetzung von Baugrenzen und Bebauungstiefen neu zugelassen werden und welche Gebäude fortan nur noch Bestandsschutz genießen sollen. Der Plangeber hat damit auch eine Entscheidung darüber getroffen, welche bislang unbebauten Flächen in dem Baublock zukünftig bebaubar sein sollen.

22

Dass der Plangeber, worauf die Beschwerdeführerinnen hinweisen, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht nur in den Wohngebieten Baufenster festgesetzt hat, nimmt diesen Festsetzungen für den Baublock als ein Grundzug der Planung nichts an Gewicht. Der Plangeber hat vielmehr die Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen in dem Baublock noch durch die Festsetzung der privaten Grünflächen und der Bestimmung in § 2 Nr. 3 Satz 1 G B-Plan Osdorf 5, wonach die nicht überbaubaren Teile der Baugrundstücke im Wohngebiet gärtnerisch anzulegen und zu unterhalten sind, ergänzt. Die Festsetzung einer Grünfläche setzt eine eigene städtebauliche Funktion und eine gerade nicht auf Bebauung zielende Zweckbestimmung voraus. Private Grünflächen überlagern nicht das Bauland i.S.v. § 19 Abs. 3 Satz 1 BauNVO, sondern sie werden regelmäßig - wie auch hier - auf Flächen festgesetzt, die an Bauland grenzen, um eine ortsbildprägende oder sonstige städtebauliche Funktion von Freiflächen zu erhalten. Das Wohnbauvorhaben der Beigeladenen mit einem dreigeschossigen Mehrfamilienhaus auf einer Brutto-Grundfläche von ca. 480 m2 durchkreuzt diese gärtnerische Freiflächenkonzeption des Plangebers.

23

Die Kritik der Beschwerdeführerinnen, das Verwaltungsgericht verwende zu Unrecht den Begriff des Blockinnenbereichs, wie ein solcher Gegenstand in dem zitierten Fall des Beschwerdegerichts in dessen Beschluss vom 27. März 2017 (2 Bs 51/17, NVwZ-RR 2017, 338, juris) war, ist zwar berechtigt, weil es vorliegend an einer geschlossenen oder nahezu geschlossenen Blockrandbebauung fehlt, die einen entsprechenden Blockinnenbereich ausformen würde. Dies ändert aber nichts daran, dass die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Nachverdichtung in der Form des Geschosswohnungsbaus der von dem Plangeber festgesetzten aufgelockerten Bebauung des Baublocks mit begrünten Freiflächen zuwiderläuft. Der Umstand, dass der Plangeber straßennah auch Stellplätze mit Einfahrten (siehe § 2 Nr. 4 G B-Plan Osdorf 5) festgesetzt hat und erforderliche Fahr- und Gehwege auf den nicht überbaubaren Teilen der Baugrundstücke im Wohngebiet zulässig sind (§ 2 Nr. 3 Satz 1 G B-Plan Osdorf 5), stellt die mit der Festsetzung der privaten Grünfläche verbundene gärtnerische Freiflächenkonzeption nicht in Frage. Die Stellflächen treten neben die privaten Grünflächen und auch insoweit darf die benachbarte Bebauung nicht beeinträchtigt bzw. dürfen Wohnruhe und Gartenanlagen nicht erheblich beeinträchtigt werden.

24

d) Dem Verwaltungsgericht dürfte auch darin zu folgen sein, dass das erkennbar objektiv rechtswidrige Vorhaben der Beigeladenen die Antragsteller zu 1., 2. und 5. im Falle seiner Verwirklichung bei der Nutzung ihrer Grundstücke unzumutbar beeinträchtigen würde, so dass das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme verletzt ist.

25

Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche selbst nicht drittschützend ist, so dass der Nachbar lediglich ein subjektiv-öffentliches Recht auf Würdigung seiner nachbarlichen Interessen hat; unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung die Rechte des Nachbarn verletzt, ist dabei nach den Maßstäben zu beantworten, die das Bundesverwaltungsgericht zum drittschützenden Gebot der Rücksichtnahme i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO entwickelt hat. Für den Nachbarn bedeutet das, dass er ein Bauvorhaben, für das eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB erteilt wurde, nur dann mit Erfolg angreifen kann, wenn dieses ihm gegenüber rücksichtslos ist. Ob das der Fall ist, erfordert eine Abwägung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung, der Interessen des Bauherrn und dessen, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot besteht nicht bereits dann, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen einer rechtmäßigen Befreiung objektiv nicht erfüllt sind; eine subjektive Verletzung nachbarlicher Rechte ist erforderlich. Andererseits haben die Interessen des planwidrig handelnden Bauherrn tendenziell ein geringeres Gewicht als bei der Beurteilung einer plankonformen Bebauung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (siehe OVG Hamburg, Beschl. v. 27.3 2017, a.a.O., juris Rn. 15 m.w.N.).

26

Die Beschwerdeführerinnen berücksichtigen bei ihrer Kritik an der wertenden Abwägungsentscheidung des Verwaltungsgerichts, das Vorhaben der Beigeladenen werde sich rücksichtlos auf die Grundstücksnutzung der Antragsteller zu 1., 2. und 5. auswirken, zu wenig, dass sich der Grad einer „rücksichtslosen“ Betroffenheit des Nachbarn nicht nur nach der Intensität der tatsächlichen Beeinträchtigungen bestimmt, sondern auch nach der Bewertung der rechtlichen Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit von Bauherr und Nachbar im Einzelfall. Diese Bewertung fällt eindeutig zum Nachteil der eine offensichtlich rechtswidrige Befreiung beanspruchenden Beigeladenen aus, was hier im Schwerpunkt für die Beurteilung des Vorhabens als rücksichtslos maßgeblich ist:

27

Das Vorhaben widerspricht mit einer Brutto-Grundfläche von ca. 480 m2 sowohl vollständig den Festsetzungen der überbaubaren Grundstücksfläche als auch der privaten Grünfläche. Gemessen an dem in vergleichbarer Lage befindlichen Wohngebäude des Antragstellers zu 5., für das in dem Bebauungsplan zwei Vollgeschosse als zulässig und ein Baufenster mit einer Grundfläche von ca. 182 m2 festgesetzt sind und zudem nach § 2 Nr. 2 Satz 1 G B-Plan Osdorf 5 eine Zwei-Wohnungsklausel gilt, soll das Vorhaben über drei Vollgeschosse auf einer Brutto-Grundfläche von ca. 480 m2 mit 14 Wohneinheiten verfügen, ohne dass hierfür bei der gebotenen Interessenabwägung tragende Gesichtspunkte ersichtlich wären. Allein der Wille der Antragsgegnerin, eine wegen dringenden Wohnbedarfs erwünschte Nachverdichtung zu ermöglichen, ist hierfür jedenfalls ungenügend.

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Bei plankonformer Nutzung bzw. Bebauung der für das Vorhabengrundstück festgesetzten privaten Grünfläche hätten die Antragsteller zu 1., 2. und 5. nur mit Nebenanlagen zu rechnen, die dem Nutzungszweck der privaten Grünflächen dienen, wie z.B. Geräteschuppen oder Gewächshäuser. Gemessen an den bloßen Lästigkeiten, die üblicherweise mit derartigen baulichen Anlagen verbunden sind, sind die Beeinträchtigungen, die von dem dreigeschossigen Mehrfamilienhaus der Beigeladenen mit einer Gebäudehöhe von 12,47 m, einer Frontbreite zum Grundstück des Antragstellers zu 5. hin von 24,99 m und einer Entfernung der 2 m bis 2,5 m tiefen Balkone zu dem Reihenhaus der Antragsteller zu 1. und 2. hin von ca. 6,5 m ausgehen werden, als unzumutbar zu bewerten.

29

Das eingeschossige Einfamilienhaus des Antragstellers zu 5. mit einer Firsthöhe von 7,8 m hat lediglich eine Frontbreite zu dem Vorhabengrundstück von knapp 10 m und wird bei einem Abstand zwischen beiden Gebäuden von ca. 14 m durch das Vorhaben abgeriegelt. Außerdem wird das Vorhaben zu unzumutbaren Beeinträchtigungen von Belichtung und Besonnung der südlichen Grundstückshälfte des Antragstellers zu 5. führen. Der Hinweis der Beschwerdeführerinnen, das Grundstück des Antragstellers zu 5. sei bereits zuvor durch inzwischen für das Vorhaben gefällte Birken und Gehölze verschattet gewesen, verfängt nicht, weil eine natürliche, laubabhängige Verschattung nicht mit einer Verschattung durch ein dreigeschossiges Mehrfamilienhaus mit Staffelgeschoss bei einer Frontbreite von 24,99 m vergleichbar ist. Die von der Beigeladenen im Beschwerde-verfahren vorgelegte, von deren Architekten erstellte perspektivisch unvermaßte Verschattungsstudie gibt keinen Aufschluss über die hier maßgebliche Frage, welches Maß an Verschattung durch das Vorhaben dem Antragsteller zu 5. zumutbar ist.

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Die drei nordwestlichen Balkone des Vorhabens einschließlich der Terrasse im Staffelgeschoss eröffnen unzumutbare Einsichtnahmemöglichkeiten in den Rückzugs- und Erholungsbereich im Garten der Antragsteller zu 1. und 2. Insoweit besteht auch keine relevante Vorbelastung durch die Einsichtnahmemöglichkeiten, die sich von der Rückseite des Gebäudes ... ergeben, weil diese jedenfalls nicht aus kurzer Distanz bestehen und lediglich durch Fenster, aber nicht durch Balkone eröffnet werden, die einem längeren Aufenthalt im Freien dienen sollen.

31

Die Beschwerdeführerinnen weisen zwar zutreffend darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Beschwerdegerichts (bestätigt auch für die reduzierte Mindestabstandsflächentiefe von 0,4 H im Beschl. v. 26.9.2007, 2 Bs 188/07, ZfBR 2008, 283, juris Rn. 8; im Einzelnen dazu Beschl. v. 6.11.2019, 2 Bs 218/19, DVBl. 2020, 445, juris Rn. 38 f.) eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots wegen einer Beeinträchtigung der Belichtung, Belüftung oder Besonnung oder wegen entstehender Einsichtnahme-möglichkeiten in der Regel ausscheidet, wenn die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen eingehalten werden. Dabei darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass es insoweit nur um die Einhaltung bauordnungsrechtlicher Mindeststandards geht und das Rücksichtnahmegebot nur aus tatsächlichen Gründen in der Regel nicht verletzt wird, wenn die Mindestabstandsflächentiefe von 0,4 H eingehalten wird. Das mit der Festsetzung von privaten Grünflächen verbundene Freiflächenkonzept gewährt den Bewohnern aber einen großzügigeren Sozialabstand und mehr Zugang von Licht, Luft und Sonne als die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Mindeststandards.

32

e) Ohne Erfolg muss auch der Einwand der Antragsgegnerin bleiben, die Einhaltung der Festsetzung der privaten Grünfläche geltend zu machen sei treuwidrig, weil die Antragsteller selbst auf dem Flurstück 4873 auf einer als private Grünfläche ausgewiesenen Fläche einen Garagenhof mit acht Einzelgaragen errichtet hätten.

33

Die Geltendmachung eines Abwehrrechts wegen einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme stellt sich als unzulässige Rechtsausübung und damit als Verstoß gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben dar, wenn der Grundstückseigentümer selbst in vergleichbarer Weise gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Die Versagung des Abwehranspruchs beruht darauf, dass es treuwidrig wäre, einen Nachbarn Beeinträchtigungen durch die Bebauung des anderen Nachbarn auszusetzen, ihm selbst aber eine Ausnutzung seines Grundstücks unter Berufung auf das Gebot der Rücksichtnahme zu verwehren.

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Auf eine solche unzulässige Rechtsausübung könnte sich die Antragsgegnerin bereits deshalb nicht berufen, weil sie selbst nicht Grundstücksnachbarin der Antragsteller ist. Davon abgesehen dürfte es auch an einem vergleichbaren Verstoß der Antragsteller zu 1., 2. und 5. fehlen, weil von dem eingeschossigen Garagenhof keine unzumutbaren Beeinträchtigungen für die Grundstücksnutzung der Beigeladenen ausgehen dürften.

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2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und 3, 159 Satz 1 VwGO.

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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 39 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Soweit die Antragsgegnerin sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch im Beschwerdeverfahren jeweils einen Streitwert von nur 5.000,-- Euro für angemessen hält, übersieht sie, dass bezogen auf die verschiedenen Grundstücke/ Reihenhäuser der Antragsteller in ihrer Eigenschaft als Eigentümer bzw. als Sondereigentümer mehrere Streitgegenstände vorliegen, deren Werte gemäß § 39 Abs. 1 GKG zusammengerechnet werden. Das Verwaltungsgericht hat deshalb zutreffend erstinstanzlich einen Streitwert von 35.000,-- Euro festgesetzt. Da im Beschwerdeverfahren nur noch Beeinträchtigungen in Bezug auf das Sondereigentum der Antragsteller zu 1. und 2. an ihrem Reihenhaus und das Eigentum des Antragstellers zu 5. an dem Grundstück ... in Streit stehen, ermäßigt sich der Streitwert in der zweiten Instanz entsprechend auf 10.000,-- Euro.

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