Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Senat) - 2 O 77/06

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin - 6. Kammer - vom 6. März 2006 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

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Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

2

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt.

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Die dagegen erhobene Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO). Dass der Klägerin ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zustehen könnte, ist nicht ersichtlich.

4

Dies gilt zunächst für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann einem Ausländer für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, so lange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Dringende humanitäre oder persönliche Gründe im Sinne dieser Vorschrift müssen sich aus konkret-individuellen Umständen des Einzelfalls ergeben (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 03.01.2007 - 3Bs 47/05 -, Juris; Hailbronner, AuslR, Stand: 02/07, § 25 Rn. 66). Sie müssen ferner einen Inlandsbezug aufweisen, d.h. die weitere Anwesenheit des Ausländers gerade in der Bundesrepublik Deutschland erfordern (vgl. OVG Hamburg a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn lediglich aus Gründen der allgemeinen Verhältnisse im Heimatland die Ausreise vorübergehend tatsächlich unmöglich ist, wie dies für die Klägerin als staatenlose Palästinenserin im Hinblick auf eine Abriegelung des Westjordanlandes geltend gemacht wird. Allgemein kann eine tatsächliche Unmöglichkeit der Ausreise nur unter den Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen.

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Ein dringender humanitärer oder persönlicher Grund für die weitere Anwesenheit der Klägerin im Bundesgebiet gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ergibt sich auch nicht aus dem noch nicht abgeschlossenen Asylverfahren ihrer zweijährigen Tochter. Ein Ausländer, der sich auf den Schutz der familiären Lebensgemeinschaft mit einem sich im Asylverfahren befindenden Familienangehörigen beruft, kann nicht geltend machen, einer stärkeren Rechtsstellung zu bedürfen als der Asylbewerber selbst, dem lediglich eine Aufenthaltsgestattung gemäß §55 AsylVfG zusteht und dem nach § 10 Abs. 1 AufenthG vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt werden darf. Der Klägerin kann daher aus diesem Grund lediglich eine Duldung beanspruchen, §60 a Abs. 2 AufenthG.

6

Dass der Klägerin gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ein Anspruch auf Verlängerung der ihr ursprünglich für einen Intensivsprachkurs für die Dauer von 4 Monaten erteilten Aufenthaltserlaubnis zustehen könnte, weil auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für sie eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, dass eine Aufenthaltsbeendigung wegen einer atypischen, für den Gesetzgeber nicht vorhersehbaren und nicht berücksichtigten Notlage schlechthin unvertretbar erscheint. Die Bestimmung dient hingegen nicht dazu, subsidiäre Aufenthaltsrechte zu schaffen, wenn die vorgebrachten Gründe an sich von den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften und den dort normierten Voraussetzungen erfasst werden, den dortigen Anforderungen aber nicht genügen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 01.11.2006 - 3 Bs 126/05 -, Juris; Hailbronner a.a.O Rn. 85). Ein solcher Fall liegt aber hier vor.

7

Auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG sind nicht erfüllt. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Allerdings begründet die etwa noch fehlende Verlängerung bzw. Neuausstellung eines Reisepasses die tatsächliche Unmöglichkeit der Ausreise. Davon, dass mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist, kann jedoch nicht ausgegangen werden. Die Klägerin ist im Besitz eines Reisepasses, dessen Gültigkeit lediglich abgelaufen ist. Sie trägt vor, auch der Beklagte gehe davon aus, dass sie alles ihr Zumutbare unternommen habe, um die Ausstellung eines Reisepasses zu erreichen, indem sie bei den zuständigen Behörden die Verlängerung bzw. Neuausstellung eines entsprechenden Reisedokumentes beantragt habe; die Verfahrenslaufzeiten seien aber wegen der politischen Verhältnisse in ihrer Heimatregion unbefriedigend. Dass mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen wäre, ergibt sich daraus nicht. Dies gilt auch dann, wenn man hierfür - entsprechend den Auslegungshinweisen des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 27.07.2005 (Az. II 610-1300.1) - ausreichen lässt, dass das Hindernis voraussichtlich noch mindestens 6 Monate bestehen wird. Allein die Möglichkeit, dass dies der Fall sein könnte, genügt insoweit nicht.

8

Aus diesem Grund sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG auch im Hinblick auf das noch nicht abgeschlossene Asylverfahren der Tochter der Klägerin nicht erfüllt. Im übrigen hat der Beklagte - für den Fall, dass dies anders zu sehen sein sollte -, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ermessensfehlerfrei versagt. Er hat erläutert, dass dem Interesse der Klägerin, bis zum Abschluss des Asylverfahrens ihrer Tochter in der Bundesrepublik Deutschland bleiben zu können, auch unter Berücksichtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten familiären Belange durch eine Duldung ausreichend Rechnung getragen wird, und ist dabei auf alle maßgeblichen Umstände eingegangen (vgl. Schriftsatz v. 13.04.2006, Bl. 71 ff. d. Gerichtsakte). Ein Ermessensfehler liegt nicht etwa im Hinblick auf die Erwägung vor, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Aufenthaltsverfestigung führe bzw. führen könne. In rechtlicher Hinsicht kann diese Wirkung im Hinblick auf die mit der Aufenthaltserlaubnis verbundene Rechtmäßigkeit des Aufenthalts sowie darauf, dass die erlassene Abschiebungsandrohung sich mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erledigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.1999 - 9 C 12.99 -, NVwZ-Beil. 2000, 25), nicht verneint werden. In tatsächlicher Hinsicht hat der Beklagte in diesem Zusammenhang ferner zutreffend auf die Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse hingewiesen, die durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gefördert wird. Ebenfalls zu Unrecht beanstandet die Klägerin, dass in den Erwägungen des Beklagten von "sukzessiv gestellten Asylanträgen" die Rede ist. Mit dieser Formulierung wird die zeitliche Abfolge der Anträge der Tochter und ihres Vaters zutreffend angesprochen. Dass der Beklagte gleichzeitig einen Missbrauchsvorwurf erheben will, ist nicht erkennbar. Eine Ermessensbindung auf Grund der Soll-Vorschrift des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG kommt in der besonderen Fallkonstellation, dass der Ausländer sich auf den Schutz der familiären Lebensgemeinschaft mit einem sich im Asylverfahren befindenden Familienangehörigen beruft, aus den bereits zu § 25 Abs. 4 AufenthG angesprochenen systematischen Gründen nicht in Betracht (zum Verständnis des § 25 Abs. 5 Satz 2 als Regelanspruch, sofern nicht ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, vgl. Hailbronner, a.a.O. Rn.103).

9

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

10

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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