Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 M 38/17
Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 4. Januar 2017 – 5 B 2264/16 HGW – wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert:
Es wird festgestellt, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen die Naturschutzgenehmigung des Antragsgegners vom 22. November 2016 aufschiebende Wirkung hat.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des gesamten Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
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Die Beteiligten streiten um die Vollziehbarkeit einer Naturschutzgenehmigung.
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Der Antragsteller ist eine inländische Vereinigung mit der Anerkennung zur Einlegung von Rechtbehelfen nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz. Die Gemeinde Born a. Darß beantragte am 20. Juli 2015 beim Antragsgegner im laufenden Aufstellungsverfahren zum Bebauungsplan Nr. 33 „Holm“ gemäß § 30 Abs. 4 Bundesnaturschutzgesetz eine Ausnahme vom gesetzlichen Biotopschutz für den Verlust einer Strauchhecke als geschütztes Biotop und den Teilverlust und die Beeinträchtigung eines Fließgewässerröhrichts. Am 6. Oktober 2015 beantragte die Gemeinde zudem und gleichfalls zur Umsetzung des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans eine Erlaubnis zum Bauen nach der Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet „Boddenlandschaft“ vom 21. Mai 1996 (nachfolgend: LSG-VO). Der Antragsgegner erteilte der Gemeinde Born a. Darß am 22. November 2016 eine Naturschutzgenehmigung, mit der die Erlaubnis und die Ausnahme zusammengefasst erteilt wurden. Der Antragsteller legte gegen diese Genehmigung Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden worden ist. Antragsgegner und Gemeinde sind der Auffassung, dass der Bescheid vom 22. November 2016 trotz des Widerspruches vollziehbar ist. Der Bebauungsplan ist am 24. Januar 2017 in Kraft getreten.
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Am 14. Dezember 2016 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Greifswald um vorläufigen Rechtsschutz mit dem Antrag nachgesucht, festzustellen, dass sein Widerspruch vom 5. Dezember 2016 gegen die Naturschutzgenehmigung des Antragsgegners vom 22. November 2016 aufschiebende Wirkung entfalte, hilfsweise, die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen. Das Verwaltungsgericht hat die Anträge mit Beschluss vom 4. Januar 2017 – 5 B 2264/16 HGW – abgelehnt. Dem Widerspruch komme keine aufschiebende Wirkung zu, weil er mangels Widerspruchsbefugnis unzulässig sei. Der Beschluss ist dem Antragsteller am 6. Januar 2017 zugestellt worden. Am 11. Januar 2017 hat der Antragsteller dagegen Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet. Mit der Beschwerde verfolgt er sein Antragsbegehren weiter. Antragsgegner und Beigeladener treten dem weiterhin entgegen.
II.
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Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgemäß erhoben (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und begründet (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) worden. Sie ist auch begründet. Der Senat überprüft die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung allein anhand der in der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Diese geben Anlass, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und auf den Hauptantrag des Antragstellers festzustellen, dass sein Widerspruch gegen die Naturschutzgenehmigung des Antragsgegners vom 22. November 2016 aufschiebende Wirkung hat.
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Das Gericht kann in entsprechender Anwendung von §§ 80 Abs. 5 Satz 1, 80a Abs. 3 VwGO feststellen, dass der Rechtsbehelf eines Dritten gegen einen Bescheid aufschiebende Wirkung hat, wenn die Behörde oder der Begünstigte Vollzugsmaßnahmen treffen oder solche Maßnahmen drohen, ohne dass die Voraussetzungen von § 80 Abs. 2 VwGO vorliegen oder die Beteiligten über die Frage streiten, ob der Widerspruch zulässig eingelegt worden ist und deswegen aufschiebende Wirkung entfalten kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 04.07.2012 – 9 VR 6/12 –, juris Rn. 5; OVG Greifswald, Beschl. v. 02.12.2014 – 3 M 51/14 –, juris Rn. 20; VGH Mannheim, Beschl. v. 13.12.2016 – 6 S 346/16 –, juris Rn. 2; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage, § 80, Rn. 181 m.w.N.). Die aufschiebende Wirkung ist hier nicht von Gesetzes wegen durch § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO oder gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO durch Anordnung der sofortigen Vollziehung entfallen, so dass dem Widerspruch des Antragstellers nach der Regel des § 80 Abs. 1 VwGO grundsätzlich aufschiebende Wirkung zukommt.
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Die beantragte Feststellung scheidet allerdings dann aus, wenn unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Rechtsverletzung des Widerspruchsführers vorliegen kann. Wenn die Gewährung von Rechtsschutz nicht in Betracht kommt, (etwa) weil der Rechtsschutzsuchende als Nichtadressat des Verwaltungsakts nicht geltend machen kann, durch ihn in eigenen Rechten verletzt zu sein, besteht auch für den Eintritt der aufschiebenden Wirkung kein hinreichender Anlass (BVerwG, Urt. v. 30.10.1992 – 7 C 24/92 –, juris Rn. 21). Ist der Widerspruch mangels Widerspruchsbefugnis unzulässig, weil der Widerspruchsführer nicht geltend machen kann, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten betroffen zu sein, tritt die aufschiebende Wirkung nicht ein und wird der angefochtene Verwaltungsakt ungeachtet des Widerspruchs vollziehbar (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.08.2012 – 7 VR 6/12 –, juris Rn. 6).
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So liegt der Fall hier jedoch nicht. Der Widerspruch des Antragstellers gegen die Naturschutzgenehmigung des Antragsgegners ist zulässig. Die Widerspruchsbefugnis besteht für den Antragsteller gemäß § 2 Abs. 1 UmwRG ohne Rücksicht auf die Betroffenheit in eigenen Rechten. Danach kann eine nach § 3 anerkannte inländische Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht (Nr. 1), geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein (Nr. 2), und zur Beteiligung in einem Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist (Nr. 3). Diese Vorschrift stellt eine anderweitige gesetzliche Bestimmung im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO dar. Deren tatbestandliche Voraussetzungen sind entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts erfüllt.
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Der Rechtsbehelf des Antragstellers richtet sich insbesondere gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG. Danach findet dieses Gesetz Anwendung für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne von § 2 Absatz 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (Buchst. a), der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben (Buchst. b) oder landesrechtlichen Vorschriften (Buchst. c) eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann. Zu den Entscheidungen in diesem Sinne rechnen unter anderem Bewilligung, Erlaubnis, Genehmigung, Planfeststellungsbeschluss und sonstige behördliche Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die in einem Verwaltungsverfahren getroffen werden, mit Ausnahme von Anzeigeverfahren (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 UVPG). Die der Gemeinde erteilte Naturschutzgenehmigung vom 22. November 2016 ist eine solche Entscheidung.
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Wenn für die Realisierung eines UVP-pflichtigen Vorhabens eine Ausnahme, Befreiung oder Abweichung erforderlich ist, die neben der eigentlichen Zulassung zu erteilen ist und nicht von deren Konzentrationswirkung erfasst wird, werden grundsätzlich auch diese Entscheidungen von § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVPG erfasst. Zweck der Vorschrift ist es, den Vereinigung den Rechtsschutz gegen jede einzelne Entscheidung im Sinne dieser Vorschrift zu eröffnen, die für die Zulassung eines Vorhabens erforderlich ist (Fellenberg/Schiller, in; Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 1 UmwRG, Rn. 10; vgl. auch OVG Koblenz, Beschl. v. 04.03.2016 – 8 B 10233/16 –, juris Rn. 5: „weiter Zulassungsbegriff“). Der Genehmigungsbegriff umfasst alle Teilentscheidungen innerhalb eines gestuften Genehmigungsverfahrens, durch die der Projektträger insgesamt das Recht zur Durchführung des Projekts erhält. Dazu zählen neben Teilgenehmigungen und Vorbescheiden auch Ausnahmeentscheidungen, wenn diese gleichermaßen dazu beitragen, dass der Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts erhält und für die Zulassung des Vorhabens erforderlich sind (Schieferdecker, in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Auflage, § 1 UmwRG, Rn. 17).
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Der Senat teilt nicht die Auffassung der Vorinstanz, dass die Naturschutzgenehmigung keine (teilweise) Zulassungsentscheidung hinsichtlich der im Plangebiet zu verwirklichenden Bauvorhaben getroffen habe, sondern ausschließlich den Bebauungsplan betreffe. Die Bauleitplanung als solche ist mangels Veränderung der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen noch kein Eingriff in Natur und Landschaft (Fischer-Hüftle, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 18, Rn. 1). Der Bescheid ist ausweislich der in Bezug genommenen Antragsunterlagen auf der Grundlage von § 30 Abs. 4 BNatSchG ergangen. Nach dieser Vorschrift kann auf Antrag der Gemeinde über eine erforderliche Ausnahme oder Befreiung von den Verboten des Absatzes 2 vor der Aufstellung des Bebauungsplans entschieden werden, wenn auf Grund der Aufstellung, Änderung oder Ergänzung von Bebauungsplänen Handlungen im Sinne des Absatzes 2 zu erwarten sind. Ist eine Ausnahme zugelassen oder eine Befreiung gewährt worden, bedarf es für die Durchführung eines im Übrigen zulässigen Vorhabens keiner weiteren Ausnahme oder Befreiung, wenn mit der Durchführung des Vorhabens innerhalb von sieben Jahren nach Inkrafttreten des Bebauungsplans begonnen wird. Die Entscheidung des Antragsgegners beinhaltet eine Ausnahme vom Biotopschutz nach § 30 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 NatSchAG M-V. Das ergibt sich zwar nicht aus der für sich genommen unbestimmten Entscheidungsformel des Bescheides, aber hinreichend bestimmt aus dessen Begründung. Die erteilte Ausnahme für die im Bebauungsplan vorgesehenen Festsetzungen macht innerhalb der gesetzlichen Frist weitere Ausnahmen auf Vorhabensebene überflüssig. Die Ausnahme ist auf die Zulassung der Realisierung des Plans gerichtet, sie wirkt als dinglicher Verwaltungsakt auch zugunsten des Bauherrn (Kratsch/Czybulka, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 30, Rn. 52). Insoweit enthält die Naturschutzgenehmigung bereits eine vorhabenbezogene Zulassung. Das gilt gleichermaßen für die mit der Ausnahme in der Naturschutzgenehmigung gemäß § 40 Abs. 1 NatSchAG M-V verbundene Erlaubnis nach § 5 Abs. 3 LSG-VO. Auch diese Genehmigung ist nicht „für die Planung“ ergangen, sondern legalisiert naturschutzrechtlich den Vollzug des Bebauungsplans durch die erlaubnispflichtige Errichtung von baulichen Anlagen sowie von Leitungen, Wegen, Plätzen und Verkehrsflächen in der weiteren Schutzzone des Landschaftsschutzgebietes (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 1 LSG-VO). Das ergibt sich aus dem Erlaubnisantrag und der Begründung der Genehmigung.
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Die Widerspruchsbefugnis des Antragstellers besteht auch im Übrigen. Der Antragsteller macht geltend, dass die Naturschutzgenehmigung Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht, dass die Entscheidung ihn in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes berührt und dass er im Verwaltungsverfahren zur Beteiligung berechtigt war und sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat (§ 2 Abs. 1 UmwRG). Der Antragsteller hat insbesondere dargelegt, dass für das betreffende Vorhaben nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UmwRG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 UVPG und Nr. 18.1 der Anlage 1). Dass der Widerspruch des Antragstellers schließlich aus anderen Gründen unzulässig sein könnte, tragen auch der Antragsgegner und der Beigeladene nicht vor.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
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Hinweis:
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Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
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- UVPG § 3 Grundsätze für Umweltprüfungen 1x
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- VwGO § 147 1x
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