Urteil vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (3. Senat) - 3 L 24/16

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 17. Dezember 2015 geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 27. November 2013 und dessen Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2014 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Ausübung des Vorverkaufsrechts durch den Beklagten im Zusammenhang mit einer vertraglichen Vereinbarung hinsichtlich des Flurstückes 1 der Flur 2 Gemarkung C. – D. Straße 3 –, das in einem Sanierungsgebiet liegt. Das Grundstück ist mit einer Baulast belastet, nach der es als Stellplatzfläche für 18 PKW-Einstellplätze einschließlich der notwendigen Zufahrt für die Flurstücke 4, 5, 6, 7 und 8 der Flur 9 der Gemarkung C. dient.

2

Die Klägerin zu 2. ist die A. Vermögensverwaltung GmbH und Co. KG (künftig GmbH & Co. KG). Bis zum 10. September 2013 war persönlich haftender Gesellschafter die A. Vermögensbeteiligung GmbH, Kommanditist Herr I. A., der Kläger zu 1. alleiniger Gesellschafter der A. Vermögensbeteiligung GmbH war der Kläger zu 1.

3

Mit „Kauf- und Übertragungsvertrag“ vom 16. Januar 2012 hatte der Kläger zu 1. diverses Grundvermögen an die A. Vermögensverwaltung GmbH & Co. KG, die Klägerin zu 2., veräußert.

4

Durch Vertrag vom 06. Juli 2013 veräußerte die GmbH & Co. KG als Verkäuferin an den Kläger zu 1. unter anderem das hier streitbefangene Grundstück D. Straße 3 zur Größe von 485 m². Die Veräußerung sollte gemäß § 1 des Vertrags dergestalt erfolgen, dass der Kläger zu 1. Alleineigentümer wurde. Nach § 3 erfolgte die Übertragung gegen Aufrechnung mit einem Darlehnsrückzahlungsanspruch des Klägers zu 1. gegenüber der GmbH & Co. KG in Höhe von 230.000,00 Euro. Auf das hier betroffene Grundstück sollten 70.000 Euro entfallen. Der Besitzübergang sollte mit Wirkung vom 30. Juni 2013 erfolgen.

5

Mit Schreiben vom 22. Juli 2013, eingegangen bei dem Beklagten am darauffolgenden Tag, legten die Rechtsanwälte E. den Kaufvertrag dem Beklagten vor und baten um Mitteilung, ob ein gesetzliches Vorkaufsrecht gemäß §§ 24 ff. BauGB und nach landesrechtlichen Verordnungen des Denkmalschutzes bestehen könnte. Falls die Ausübung des Vorkaufsrechtes in Betracht komme, werde um entsprechende Mitteilung gebeten, damit dann nähere Angaben zum Vertragsinhalt gemacht werden könnten.

6

Spätestens am 10. September 2013 wurden neben dem Kläger zu 1. Frau F. A. und Frau G. A. Kommanditistinnen der Klägerin zu 2.

7

Mit Bescheid vom 01. Oktober 2013 erteilte der Beklagte die Bescheinigung gemäß §§ 144, 145 BauGB. In dem Bescheid wird ausgeführt, das der Hansestadt Greifswald gemäß § 24 BauGB und ggf. nach § 25 BauGB zustehende Vorkaufsrecht werde durch diese Bescheinigung nicht berührt. Über die Ausübung des Vorkaufsrechts entscheide sie binnen zwei Monaten nach Vorliegen sämtlicher behördlicher Genehmigungen zum oben genannten Kaufvertrag.

8

Am 26. November 2013 fasste der Oberbürgermeister eine Eilentscheidung zur Ausübung des Vorkaufsrechts. In der Vorlage hierzu heißt es: Der Kläger zu 1. habe im Rahmen der Anhörung mitgeteilt, es sei seine Absicht, seine Immobilien in Greifswald für sich und seine Nachkommen zu ordnen. Er sei der Ansicht, dass bei der Herauslösung eines Grundstücks aus einer Gesellschaft und der Überführung in das Privatvermögen kein vorkaufsrechtlicher Vorgang vorliege. Das werde seitens des Beklagten anders gesehen.

9

Das Vorkaufsrecht werde ausgeübt, da es gemäß dem städtebaulichen Rahmenplan Zielsetzung sei, die historisch gewachsenen Grundraster und Stadtstrukturen zu erhalten und zu sichern. Die Ausübung des Vorkaufsrechts solle der Bodenordnung dienen und eine Blockranderschließung ermöglichen. Das Grundstück sei mit einer Breite von ca. 14 m separat mit einem mehrgeschossigen Gebäude schwer bebaubar. Wesentlich wirtschaftlicher wäre eine einheitliche Bebauung über mehrere Grundstücke. Eine Befreiung von der Baulast wäre nur dann möglich, wenn ein Ersatzgrundstück für 18 Stellplätze zur Verfügung gestellt würde bzw. Ersatzstellplätze nachgewiesen würden oder ein Ablösebetrag in Höhe von 90.000,00 Euro gezahlt werde. Hierzu sei in jedem Fall die Zustimmung des begünstigten Grundstückseigentümers erforderlich.

10

In der Zwischenzeit sei ein Anhörungsverfahren durchgeführt und die Entscheidung verwaltungsintern abgestimmt worden. Hier habe es Verzögerungen wegen unterschiedlicher Auffassungen innerhalb der Verwaltung gegeben, über die erst in der 48. Kalenderwoche entschieden worden sei. Da der Hauptausschuss erst wieder am 02. Dezember 2013 tage, sei eine Eilentscheidung des Oberbürgermeisters erforderlich, wenn das Vorkaufsrecht ausgeübt werden solle.

11

Mit Bescheid vom 27. November 2013, unterschrieben von dem Oberbürgermeister und seinem Stellvertreter, erklärte der Beklagte die Ausübung des Vorkaufsrechts gegenüber der Klägerin zu 2. In dem Bescheid wird ausgeführt: Das Grundstück D. Straße 3 liege im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet Innenstadt/H.. Auf der Grundlage des Rahmenplanes sei es unter anderem Ziel, das historisch gewachsene Grundraster und die Stadtstrukturen zu bewahren und zu ergänzen. Das Grundstück sei mit einem mehrgeschossigen Gebäude schwer bebaubar. Das werde ein Grund sein, dass die angestrebte städtebauliche Entwicklung, nämlich die Blockrandschließung, dort stagniere. Wesentlich wirtschaftlicher stelle sich eine einheitliche Bebauung über mehrere Grundstücke dar. Die Ausübung des Vorkaufsrechts diene der Bodenordnung. Diese sei hier notwendig, da sich östlich der D. Straße viele kleine Flurstücke befänden, die zum Teil schwer selbstständig nutzbar seien. Der Bescheid wurde der Klägerin zu 2. am 29. November 2013 zugestellt.

12

Am 02. Dezember 2013 genehmigte der Hauptausschuss die Eilentscheidung des Oberbürgermeisters zur Ausübung des Vorkaufsrechts. In dem Protokoll wird ausgeführt: Der stv. Oberbürgermeister habe die Eilbedürftigkeit der Entscheidung dargelegt.

13

Mit Schreiben vom 06. Dezember 2013 beantragte der Beklagte bei dem Ministerium für Wirtschaft, Bau und Tourismus Mecklenburg-Vorpommern die Zustimmung zum Erwerb des Grundstückes zu einem Mehrpreis in Höhe von 10.500,00 Euro gegenüber dem aktuellen Bodenwert. Diese Zustimmung wurde mit Erlass vom 19. Dezember 2013 erteilt.

14

Am 09. Dezember 2013 legte die Klägerin zu 2. Widerspruch gegen den Bescheid vom 27. November 2013 ein.

15

Diesen Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2014 zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde am 04. März 2014 zugestellt.

16

Am 03. April 2014 haben die Kläger Klage erhoben. Sie machen geltend:

17

Das Vorkaufsrecht sei nicht fristgerecht ausgeübt worden. Die sanierungsrechtliche Genehmigung habe die Wirksamkeit des Vertrags nicht in Frage gestellt.

18

Der Klägerin zu 2. sei keine Abwendungsmöglichkeit eingeräumt worden.

19

Der Vertrag sei ausschließlich ein „Vehikel“ für die Entnahme des Grundstücks aus dem Betriebsvermögen gewesen. Die Abfassung als Kaufvertrag habe ausschließlich steuerrechtliche Gründe gehabt. Es habe somit kein Austausch zwischen fremden Dritten stattgefunden.

20

Die Voraussetzung für die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Baugesetzbuch, nämlich das Vorliegen des Wohls der Allgemeinheit als Rechtfertigungsgrund, sei nicht gegeben. Es fehle auch die notwendige Ermessenserwägung.

21

Wegen der Baulasterklärung könne das Grundstück ohnehin nicht für eine Mehrfamilienhausbebauung jedenfalls ohne Zustimmung der Klägerseite herangezogen werden.

22

Die Kläger haben beantragt,

23

den Bescheid des Beklagten vom 27. November 2013 und seinen Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2014 aufzuheben.

24

Der Beklagte hat beantragt,

25

die Klage abzuweisen.

26

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 17. Dezember 2015 abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt:

27

Es liege ein Verkauf an einen Dritten als Voraussetzung für das Eingreifen des Vorkaufsrechts vor. Gründe des Wohls der Allgemeinheit rechtfertigten die Ausübung des Vorkaufsrechts. Der lange Zeitraum seit Inkrafttreten der Sanierungssatzung stelle die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht in Frage. Die bestehende Baulast stehe der künftigen Realisierung einer Wohnbebauung auf dem verkauften Grundstück grundsätzlich nicht entgegen. Es lägen auch keine Ermessensfehler bei der Ausübung des Vorkaufsrechts vor. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass der Beklagte sich gebunden gefühlt habe. Die Erwägungen, die insbesondere vom Immobilienverwaltungsamt während des Verwaltungsverfahrens angestellt worden seien, deuteten hierauf hin. Eine grundsätzliche Abwendungsbefugnis habe der Ausübung des Vorkaufsrechts nicht entgegengestanden. Hierfür habe es einer Verpflichtungserklärung des Klägers zu 1. bedurft.

28

Schließlich sei das Vorkaufsrecht auch ordnungsgemäß ausgeübt worden. Die zweimonatige Ausschlussfrist habe erst mit der ordnungsgemäßen Mitteilung des rechtswirksamen Kaufvertrages begonnen. Dazu müssten alle für die Wirksamkeit des Vertrags erforderlichen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen erteilt sein. Hierzu zähle auch die sanierungsrechtliche Genehmigung. Sie sei erst mit Bescheid vom 01. Oktober 2013 erteilt worden.

29

Der Oberbürgermeister habe die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht als Eilentscheidung treffen dürfen. Die notwendige Beschlussfassung des Hauptausschusses sei jedoch fristgerecht nachgeholt worden.

30

Dieses Urteil wurde den Klägern am 12. Januar 2016 zugestellt.

31

Am 20. Januar 2016 haben die Kläger den Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat durch Beschluss vom 11. Mai 2016, den Klägern zugestellt am 23. Mai 2016, entsprochen hat.

32

Am 22. Juni 2016 haben die Kläger die Berufung begründet und einen Antrag gestellt. Sie führen aus:

33

Ein Vorkaufsrecht sei schon mangels rechtsbegründenden Kaufvertrags nicht gegeben gewesen. Der Kläger zu 1. habe seine Vermögensverhältnisse neu ordnen wollen. Nach dieser Neuordnung habe er seine Kommanditanteile an seine Töchter übertragen. Es habe sich um einen Vorgang in der privaten Vermögenssphäre zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern gehandelt. Es sei ein klassischer Austauschvorgang innerhalb der Vermögenssphäre, der hier bedingt sei durch gesellschaftsrechtliche und steuerrechtliche Notwendigkeit, indem eben der Kläger zu 1. das Grundstück aus der Vermögensmasse der Klägerin zu 2. nicht „einfach so“ entnehmen konnte, sondern der Entnahmevorgang wirtschaftlich unterlegt werden musste.

34

Für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit eines Vertrags zwischen Verwandten gemäß § 26 Ziffer 1 BauGB komme es auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags an. Werde die Schutzbedürftigkeit somit nach der Veräußerung aufgelöst, sei das Veräußerungsgeschäft nach dem Wortlaut des § 26 Nr. 1 BauGB dem Zugriff der Gemeinde entzogen. Zu diesem Zeitpunkt sei kein Verkauf von Seiten eines Familienmitglieds an einen Angehörigen vorgesehen gewesen, sondern von Seiten einer Kommanditgesellschaft an deren alleinigen Gesellschafter. In dieser Konstellation sei aber erst recht auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages abzustellen, weil der Gedanke, dass bei familieninternen Vermögensumstrukturierungen bzw. gerade bei personenidentitätsgeprägten Vermögensänderungen kein Vorkaufsrecht bestehen könne, auch hier zutreffe. Maßgebend sei der Zeitpunkt des schuldrechtlichen Geschäfts. Es könne nicht angehen, dass zum Beispiel eine Kommune eine sanierungsrechtliche Genehmigung erst nach Jahren erteile und damit die Wirksamkeit eines zwischen Vater und Sohn abgeschlossenen Kaufvertrags herbeiführe.

35

Im Übrigen ergebe sich aus dem Rechtsgedanken des § 470 BGB und des § 26 BauGB, dass das Vorkaufsrecht auch dann nicht ausgelöst werde, wenn nach einem notariellen Kaufvertrag ein Gesellschafterwechsel, der eben nur familiär bedingt sei, eintrete und anschließend nach dem Gesellschafterwechsel an den ehemaligen Gesellschafter ein Vermögensgegenstand weitergegeben werde. Zum Zeitpunkt der sanierungsrechtlichen Genehmigung bzw. Ausübung des Vorkaufsrechts liege ein privilegierter Tatbestand darin vor, dass die Veräußerung von Vermögen durch die Töchter an ihren Vater erfolge, der auch einer ihrer gesetzlichen Erben sei.

36

Der Ausübung des Vorkaufsrechts fehle auch das Wohl der Allgemeinheit. Das Vorliegen eines förmlich festgelegten Sanierungsgebietes sei in Abrede zu stellen. Dabei bestehe ein Zusammenhang zwischen dem Stand der Konkretisierung des Sanierungsgebiets und dem Fortschritt der Verwirklichung der Sanierung. Hier sei davon auszugehen, dass das Wohl der Allgemeinheit in keiner Hinsicht gefährdet sei, wenn die Übertragung an den Kläger zu 1. privat durch „seine“ Gesellschaft veranlasst wäre. Der Beklagte hätte im Übrigen als Abwendungsbefugnis den Klägern die Bereitschaft erklären müssen, die auf dem Grundstück liegenden Baulasten entfallen zu lassen und insofern Ersatzgrundstücke anzubieten. Im Übrigen hätte der Beklagte während der Dauer des Sanierungsverfahrens eine sachgerechte Sanierung durch Überplanung ermöglichen müssen.

37

Die Baulast stehe im Übrigen der Realisierung einer Bebauung entgegen.

38

Die Bescheide würden zudem an Ermessensfehlern leiden. Ihnen sei eine Ermessensentscheidung nicht wirklich zu entnehmen. Ein Entschließungsermessen sei nicht erkennbar.

39

Die Kläger beantragen,

40

das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 17. Dezember 2015 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 27. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2014 aufzuheben.

41

Der Beklagte beantragt,

42

die Berufung zurückzuweisen.

43

Es liege ein Kaufvertrag im Sinne der Vorkaufsrechtsvorschriften vor. Die Übernahme eines Grundstücks durch einen Gesellschafter unterliege dem Vorkaufsrecht.

44

Im Falle eines sanierungsrechtlich genehmigungsbedürftigen Grundstückkaufvertrags trete der Vorkaufsfall nicht bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sondern erst zum Zeitpunkt der Erteilung der sanierungsrechtlichen Genehmigung ein. Sofern sich vor der sanierungsrechtlichen Genehmigung „Umgestaltungen“ durch die Kaufvertragsparteien ergeben sollten, könne darin die zulässige Verhinderung eines Vorkaufsfalls oder aber eine unzulässige Umgehung des gesetzlichen Vorkaufsrechts liegen.

45

Dem behaupteten möglichen Gestaltungsmissbrauch seitens des Beklagten, etwa zu einem späteren Zeitpunkt die sanierungsrechtliche Genehmigung zu erteilen, um damit einen für sie günstigeren Zeitpunkt abzupassen, entzögen die einschlägigen Vorschriften jegliche Grundlage.

46

Gründe des Wohls der Allgemeinheit für die Ausübung des Vorkaufsrechts lägen vor. Sie ergäben sich aus den inhaltlichen Festsetzungen des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets. Dies sei bereits in dem Anhörungsschreiben vom 02. September 2013 dargestellt worden.

47

Selbst wenn der Ausgangsbescheid an Ermessensfehlern gelitten haben sollte, seien sie durch den Widerspruchsbescheid geheilt worden.

48

Selbst wenn die Voraussetzungen für eine Eilentscheidung nicht gegeben gewesen wären, habe der Hauptausschuss selbst fristgerecht die Entscheidung des Oberbürgermeisters gebilligt.

49

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung geworden.

Entscheidungsgründe

A.

50

Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach Zulassung der Berufung durch den Senat fristgerecht begründet worden; ebenso fristgerecht ist ein Antrag gestellt worden.

B.

51

Die Berufung ist begründet.

I.

52

Die Klage beider Kläger ist zulässig. Die Ausübung des Vorkaufsrechts kann neben dem Verkäufer auch der Käufer anfechten (BVerwG, U. v. 25.05.1982 – 4 B 98/82 – BRS 39 Nr. 96).

II.

53

Die Klage ist begründet, weil die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind und die Kläger in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

54

Rechtsgrundlage für die Ausübung des Vorkaufsrechts ist im vorliegenden Fall § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB. Danach steht der Gemeinde beim Kauf von Grundstücken in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet ein Vorkaufsrecht zu. Es darf nur ausgeübt werden, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt. Bei der Ausübung des Vorkaufsrechts hat die Gemeinde den Verwendungszweck des Grundstücks anzugeben.

55

Die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts hat das unzuständige Organ der Hanse- und Universitätsstadt Greifswald getroffen. Statt des Oberbürgermeisters war im vorliegenden Fall der Hauptausschuss zuständig.

56

Nach § 38 Abs. 4 S. 1 KVerf M-V entscheidet der Bürgermeister in eigener Zuständigkeit alle Angelegenheiten, die nicht von der Gemeindevertretung oder dem Hauptausschuss wahrgenommen werden. Nach § 22 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 und 4 KVerf M-V kann die Hauptsatzung bestimmen, dass der Hauptausschuss oder der Bürgermeister Entscheidungen bis zu bestimmten Wertgrenzen in folgenden Angelegenheiten trifft: die Verfügung über Gemeindevermögen, insbesondere die Veräußerung oder Belastung von Grundstücken, Schenkungen, die Hingabe von Darlehen und die Aufnahme von Krediten durch die Gemeinde und die Übernahme von Bürgschaften, der Abschluss von Gewährverträgen, die Bestellung sonstiger Sicherheiten für Dritte sowie wirtschaftlich gleich zu achtende Rechtsgeschäfte. Enthält die Hauptsatzung solche Regelungen nicht, obliegt die Entscheidung nach Satz 2 ausschließlich der Gemeindevertretung. Dementsprechend bestimmt § 10 Abs. 3 der Hauptsatzung der Universitäts- und Hansestadt Greifswald in der hier maßgeblichen Fassung der Satzung vom 25.02.2013 (HS HGW 2013), dass der Oberbürgermeister Entscheidungen unterhalb der in § 5 Abs. 5 dieser Hauptsatzung für den Hauptausschuss festgesetzten Wertgrenzen trifft. Der Hauptausschuss entscheidet nach § 5 Abs. 5 Nr. 3 HS HGW 2013 bei Verfügungen über Gemeindevermögen, insbesondere Erwerb, Veräußerung, Tausch oder Belastung von Grundstücken sowie Annahme und Vergabe von Erbbaurechten innerhalb einer Wertgrenze von 25.000,- Euro bis 600.000,- Euro. Folglich war, wovon auch der Beklagte ausgeht, für die Ausübung des Vorkaufsrechts, das einen Vertragsgenstand von 70.000 Euro betraf, grundsätzlich der Hauptausschuss zuständig.

57

Nach § 38 Abs. 4 Satz 2 und 3 KVerf M-V entscheidet der Bürgermeister in Fällen äußerster Dringlichkeit anstelle des Hauptausschusses; diese Entscheidungen bedürfen der Genehmigung durch den Hauptausschuss, soweit dieser zuständig ist, im Übrigen durch die Gemeindevertretung. Ein Fall der äußersten Dringlichkeit war hier nicht gegeben.

58

Die HS HGW 2013 bestimmt in § 10 zutreffend: „In Fällen äußerster Dringlichkeit entscheidet er – der Oberbürgermeister – anstelle des Hauptausschusses. Äußerste Dringlichkeit liegt vor, wenn die Entscheidung so zeitnah erfolgen muss, dass bis zu einer Dringlichkeitssitzung des Hauptausschusses oder der Bürgerschaft nicht zugewartet werden kann.“ Demnach bedeutet Dringlichkeit Eilbedürftigkeit oder Unaufschiebbarkeit, wobei die Einberufung des Rates (oder des zuständigen Ausschusses) mit verkürzter Einberufungsfrist oder die Ergänzung der Tagesordnung einer bereits terminierten Ratssitzung maßgebend ist (Darsow in: ders., Gentner u.a., Schweriner Kommentierung der Kommunalverfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 4 Aufl. 2014 § 38 Rn. 20). Nach § 18 der Geschäftsordnung der Bürgerschaft der Universitäts- und Hansestadt Greifswald - GO HGW - gilt die Geschäftsordnung der Bürgerschaft sinngemäß für die Sitzungen der Ausschüsse der Bürgerschaft. Nach § 1 Abs. 2 GO HGW beträgt die Ladungsfrist für die ordentliche Sitzung 5 Tage, für Dringlichkeitssitzungen 3 Tage. Der Tag der Zustellung und der Tag der Sitzung sind bei der Berechnung der Ladungsfristen nicht einzubeziehen. Eine Eilentscheidung kommt daher nur in ganz dringenden Fällen, in denen eine Entscheidung binnen weniger Stunden getroffen werden muss, in Betracht (vgl. OVG Saarland, B. v. 07.11.2007 - 1 B 353/07 - NVwZ-RR 2008, 487 = KommJur 2008, 346, zit. nach juris; s. auch OVG Koblenz, U. v. 13.04.2006 - 1 A 11596/05 -BRS 70 Nr. 118 zur Ausübung des Vorkaufsrechts). Die Dringlichkeit kann danach nicht damit begründet werden, dass die interne Abstimmung erhebliche Zeit in Anspruch nimmt, jedenfalls wenn wie hier mit einer Zwei-Monats-Frist nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB ein geraumer Zeitraum zur Verfügung steht.

59

Die Entscheidung des Hauptausschusses vom 02.12.2013 kann nicht als Heilung der zu Unrecht als Eilbeschluss des Oberbürgermeisters gefassten Entscheidung gewertet werden.

60

Nach § 38 Abs. 4 Satz 3 KVerf M-V bedürfen Entscheidungen der Genehmigung, die der Bürgermeister in Fällen äußerster Dringlichkeit anstelle des Hauptausschusses getroffen hat. Dies setzt voraus, dass objektiv ein Fall äußerster Dringlichkeit vorlag. Die Zustimmung des Hauptausschusses kann auch nicht als originäre Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts angesehen werden. Das scheitert im vorliegenden Fall schon daran, dass ausweislich des Protokolls der Sitzung des Hauptausschusses der stv. Oberbürgermeister – nur – die Eilbedürftigkeit begründet hat. Gegenstand einer solchen Genehmigungsentscheidung ist zudem nicht die originäre Sachentscheidung, sondern allein die Entscheidung darüber, ob der Bürgermeister zu Recht die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit angenommen hat (OVG Koblenz, a.a.O.). Läge darin eine – erneute – Sachentscheidung, würde im Ergebnis keine Eilentscheidung getroffen werden, sondern lediglich eine vorläufige. Dass der Bürgermeister auf eine solche Entscheidung in Fällen äußerster Dringlichkeit beschränkt ist, ergibt sich aber nicht aus dem Gesetz. Zudem wäre diese Entscheidung dann die Grundlage der Ausübung des Vorkaufsrechts gewesen mit der Folge, dass hierauf der Verwaltungsakt hätte gestützt werden müssen.

61

Die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung der Gemeinde begründet auch die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Ausübungsbescheides des Beklagten.

62

Sieht man den Fehler, dass der unzuständige Oberbürgermeister über die Ausübung des Vorkaufsrechts entschieden hat, als Verletzung einer internen Zuständigkeitsregelung an, liegt hierin zwar kein Fall fehlender sachlicher Unzuständigkeit (so wohl VGH Mannheim, U. v. 12.09.1997 - 5 S 2498/95 - NJW-RR 1998, 877), weil diese die Zuständigkeit der Behörde bestimmt. Es handelt sich aber um einen (sonstigen) Verfahrensfehler (vgl. OVG Koblenz, U. v. 13.04.2006 - 1 A 11596/05 -, zit. nach Juris).

63

Der Fehler kann auch als fehlerhafte Beteiligung eines Ausschusses gewertet werden, weil der an sich berufene Hauptausschuss nicht beteiligt worden ist; in diesem Fall ist der Fehler für die Rechtmäßigkeit bedeutsam, wie sich aus §§ 44 Abs. 3 Nr. 3 und 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG M-V ergibt (in diesem Sinne etwa VGH München, U. v. 31.03.2003 - 4 B 00.2823 -, NVwZ-RR 2003, 819). Die nach § 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG M-V grundsätzlich mögliche Heilung des Fehlers – etwa durch die nachträgliche Genehmigung der Gemeindevertretung als zuständiges Gemeindeorgan – kommt hier nach dem oben Dargelegten nicht in Betracht.

64

Dieser Fehler ist auch im Sinne von § 46 VwVfG M-V relevant. Die Ausübung des Vorkaufsrechts stellt eine Ermessensentscheidung dar. Es sind keine Gesichtspunkte erkennbar, nach denen es offensichtlich ist, dass die Verletzung der Vorschriften über die Zuständigkeit der Organe der Gemeinde die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Hierfür kann insbesondere nicht der Beschluss des Hauptausschusses herangezogen werden, durch den die Entscheidung des Oberbürgermeisters genehmigt worden ist. Er war nämlich bei dieser Entscheidung – wie aus dem Protokoll ersichtlich – davon ausgegangen, dass es sich um eine Genehmigung nach § 38 Abs. 4 Satz 4 KVerf M-V handelte.

65

Dem kann nicht die unbeschränkte Vertretungsmacht des Bürgermeisters nach § 38 Abs. 6 Satz 1 KVerf M-V entgegen gehalten werden. Zwar gilt nach herrschender Ansicht die Vertretungsmacht unbeschränkt, d. h. auch dann, wenn nach Kommunalverfassungsrecht ein Gremium der Gemeinde zuvor hätte entscheiden müssen (vgl. OVG Koblenz, U. v. 15.11.1972 - 2 A 42/72 -, DVBl. 1973, 319, 320 m.w.N.). § 38 Abs. 6 Satz 1 KVerf M-V betrifft indes nur Erklärungen, die unmittelbar Rechtswirkung entfalten (vgl. die Aufzählung bei Darsow a.a.O., § 38 Rn. 5), nicht aber Beschlüsse, die Grundlage des Erlasses eines Verwaltungsakts sind.

66

Die rechtswidrige Ausübung des Vorkaufsrechts verletzt auch die Kläger in ihren Rechten, so dass der Ausübungsbescheid gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben ist. Denn durch die Ausübung des Vorkaufsrechts greift die Gemeinde als Trägerin öffentlicher Gewalt einseitig gestaltend in die durch den Kaufvertrag begründeten privatrechtlichen Beziehungen zwischen dem Verpflichteten und dem Drittkäufer ein und schafft einseitig gestaltend neue privatrechtliche Beziehungen. Die damit verbundenen Belastungen für die Vertragspartner müssen sie nur hinnehmen, wenn die hoheitlich erfolgte Ausübung des Vorkaufsrechts einerseits den materiellen Voraussetzungen entspricht, andererseits die Entscheidung auch von dem gesetzlich hierfür vorgesehenen Gemeindeorgan getroffen worden ist.

C.

67

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.

68

Gründe für die Zulassung der Revision i.S.v. § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

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