Urteil vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 L 381/15
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 16. März 2015 – 4 A 1565/14 – wird teilweise geändert:
Der Bescheid des Beklagten vom 27. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2014 wird aufgehoben, soweit darin für das Grundstück Gemarkung A-Stadt, Flur 34, Flurstück 233 ein Anschlussbeitrag erhoben wird.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger als Gesamtschuldner zu 1/10 und der Beklagte zu 9/10.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um die Erhebung und Nacherhebung von Schmutzwasserbeiträgen.
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Die Kläger sind Miteigentümer der Grundstücke Gemarkung A-Stadt, Flur ..., Flurstück .../1 mit einer Größe von 390 qm und Gemarkung A-Stadt, Flur ..., Flurstück ... mit einer Größe von 450 qm. Die Grundstücke sind im Grundbuch von A-Stadt auf Blatt ... unter einer jeweils eigenen Nummer im Bestandsverzeichnis eingetragen. Das Grundstück auf dem Flurstück .../1 grenzt an die öffentliche Straße an und ist unter anderem mit einem Wohnhaus bebaut. Es ist an die öffentliche zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Beklagten angeschlossen. Das Grundstück auf dem Flurstück ... ist lediglich mit Nebenanlagen bebaut und hat keinen eigenen Zugang zu öffentlichen Wegeflächen. Für das Grundstück auf dem Flurstück .../1 erhob der Beklagte mit Bescheid vom 31. Januar 2002 vom seinerzeitigen Eigentümer einen Herstellungsbeitrag in Höhe von 1.313,52 Euro. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Mit Bescheid vom 27. November 2012 setzte der Beklagte gegen die Kläger für beide Grundstücke im Wege der Nacherhebung einen Anschlussbeitrag in Höhe von 3.309,60 Euro fest. Als Zahlungsgebot machte der Beklagte einen Betrag von 1.996,08 Euro geltend. Auf den Widerspruch der Kläger änderte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2014 seinen Bescheid vom 27. November 2012 ab. Für das Grundstück auf dem Flurstück .../1 setzte er einen Anschlussbeitrag in Höhe von 1.536,60 Euro bei einem Zahlungsgebot von 223,08 Euro und für das Grundstück auf dem Flurstück ... einen Anschlussbeitrag in Höhe von 1.773 Euro fest. Der Widerspruchsbescheid wurde den Klägern am 24. Juli 2014 zugestellt. Am 25. August 2014 (Montag) haben die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Schwerin erhoben und in der mündlichen Verhandlung beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 27. November 2012 in Form des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2014 aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. März 2015 – 4 A 1565/14 – abgewiesen. Auf den Antrag der Kläger hat der Senat mit Beschluss vom 4. November 2015 – 1 L 381/15 – die Berufung gegen das Urteil zugelassen. Der Beschluss ist den Klägern am 10. November 2015 zugestellt worden. Am 10. Dezember 2015 haben die Kläger die Berufung begründet.
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Die Kläger sind der Auffassung, dass das Grundstück auf dem Flurstück ... als Gartenland nicht der Beitragspflicht unterliege. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei es nicht aus Gründen der bauakzessorischen Nutzung und Eigentümeridentität unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Einheit als Bauland anzusehen. Eine Ausnahme vom bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff sei nicht gerechtfertigt. Die beiden Grundstücke seien beitragsrechtlich getrennt voneinander zu beurteilen. Das Flurstück ... sei nicht erschlossen. Es bestehe auch kein Wegerecht über das Flurstück .../1, deshalb sei es nicht als Bauland nutzbar. Es handele sich um ein gefangenes Grundstück, das von keiner Seite aus an einer öffentlichen Straße liege. Die Abgabenerhebung sei zudem nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2015 wegen des Zeitablaufs unzulässig. Daran habe sich durch die Änderung des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern nichts geändert. Die Neuregelung entspreche nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts.
- 4
Die Kläger beantragen,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 16. März 2015 – 4 A 1565/14 – zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 27. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2014 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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1. Die Berufung der Kläger ist zulässig. Die Berufung ist innerhalb der Frist aus § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO begründet worden. Die Berufungsbegründung enthält einen bestimmten Antrag und die Gründe der Anfechtung des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
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2. Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 27. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2014 ist nur im Umfang der tenorierten Aufhebung rechtswidrig und die Kläger sind lediglich insoweit in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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a) Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V dürfen Abgaben nur aufgrund einer Satzung erhoben werden. Der Beklagte stützt die Beitragserhebung auf die Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Schmutzwasserbeseitigung der Stadt Boizenburg/Elbe vom 9. September 2008 (Beitragssatzung 2008). Diese Satzung ist wirksam. Das ist in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ausführlich dargestellt worden. Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts sind nur wie folgt zu ergänzen:
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Die Vereinbarkeit der Maßstabsregel in § 2 Abs. 2 Buchst. e Beitragssatzung 2008 mit höherrangigem Recht ergibt sich nicht aus der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass mit dieser Regelung der gesamte Grundstücksteil bis zur hintersten Bebauung dem Innenbereich zugeordnet wird. Das trifft nicht zu. Die Satzungsbestimmung beinhaltet in der Rechtsfolge keine bauplanungsrechtliche Abgrenzung. Die Vorschrift setzt vielmehr bereits tatbestandlich voraus, dass ein Grundstück planungsrechtlich mit einer Teilfläche im unbeplanten Innenbereich und mit der anderen Teilfläche im Außenbereich liegt. Die Abgrenzung dieser Teilflächen voneinander richtet sich nicht allein nach Bebauung und Nutzung des veranlagten Grundstücks selbst, sondern maßgeblich nach der Eigenart der näheren Umgebung (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Soweit das Grundstück baulich und gewerblich genutzt werden kann, liegt es auch im unbeplanten Innenbereich und ist es beitragsrechtlich zur Vorteilsfläche zu rechnen. Das ist die durch die Maßstabsregel angeordnete Rechtsfolge. Der durch den Anschlussbeitrag abzugeltende Vorteil ist für das Grundstück in der positiven Veränderung der Erschließungssituation zu sehen. Die Möglichkeit des Anschlusses an eine Abwasserentsorgungsanlage ist für die ordnungsgemäße Erschließung eines Grundstücks bauplanungsrechtlich und bauordnungsrechtlich erforderlich (OVG Greifswald, Urt. v. 01.04.2014 – 1 L 142/13 –, juris Rn. 70). Lediglich das spricht § 2 Abs. 2 Buchst. e Beitragssatzung 2008 für die im Innenbereich liegende Teilfläche eines betreffenden Grundstücks aus, diese gehört zur Vorteilsfläche. Soweit die im Außenbereich liegende Teilfläche gemäß § 2 Abs. 2 Beitragssatzung 2008 gleichfalls der Beitragspflicht unterliegt, weil sie ebenfalls an die zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen ist, ist der Beitragsmaßstab dafür aus einer entsprechenden Anwendung von § 4 Abs. 2 Buchst. g Beitragssatzung 2008 zu gewinnen und die bestehende Regelungslücke zur Normerhaltung durch Analogie zu schließen. Die notwendige Identität des Regelungsziels des Satzungsgebers ergibt sich dabei aus § 4 Abs. 2 Buchst. d Beitragssatzung 2008 (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 24.03.2004 – 1 L 58/02 –, juris Rn. 165; VG Greifswald, Urt. v. 02.10.2014 – 3 A 115/13 –, juris Rn. 39).
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Die Maßstabsregeln der Beitragssatzung 2008 zu Grundstücken in Gebieten, für die ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist, unterliegen gleichfalls keinen rechtlichen Bedenken. Die Vorschrift des § 33 BauGB schafft planungsrechtlich allerdings keinen eigenen räumlichen Bereich. Die in der Vorschrift bezeichneten Gebiete gehören vielmehr zu einem der in §§ 30, 34 und 35 BauGB genannten Bereiche. Durch § 33 BauGB wird lediglich unter Modifizierung der planungsrechtlichen Vorschriften der §§ 30, 34, 35 BauGB ein positiver Zulässigkeitstatbestand geschaffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.1964 – I C 36.64 –, juris Rn. 13). Es ist deshalb unter dem Gesichtspunkt der konkreten Vollständigkeit nicht geboten, eigene Maßstabsregeln zur Bemessung der Vorteilsfläche für Grundstücke vorzusehen, die in Gebieten nach § 33 Abs. 1 BauGB liegen. § 4 Abs. 2 Beitragssatzung 2008 erlaubt die Bestimmung der Vorteilsfläche auch für solche Grundstücke. Wenn sich die Vorteilsfläche nach Entstehen der sachlichen Beitragspflicht durch das Inkrafttreten des Bebauungsplans erhöht, etwa weil die Umgriffsfläche eines planreifen Grundstücks nach § 4 Abs. 2 Buchst. g Beitragssatzung 2008 hinter der Fläche zurückbleibt, für die der Bebauungsplan eine bauliche oder gewerbliche Nutzung festsetzt (§ 4 Abs. 2 Buchst. a Beitragssatzung 2008), entsteht für die hinzukommende Vorteilsfläche eine Teilbeitragspflicht. Eine Schlechterstellung von Grundstücken, die erst nach Wirksamwerden des Bebauungsplans beitragspflichtig werden, ist damit ausgeschlossen. Die Vorschrift zur Bestimmung der Zahl der anrechenbaren Vollgeschosse für planreife Grundstücke in § 4 Abs. 3 Buchst. a Beitragssatzung 2008 schließlich ist zwar nicht geboten, aber vorteilsgerecht und vom gemeindlichen Satzungsermessen gedeckt, da sie sich an der baulichen Ausnutzbarkeit des Grundstücks orientiert.
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Bei der Satzung vom 9. September 2008 handelt es sich um die erste wirksame Schmutzwasserbeitragssatzung des Beklagten. Die sachliche Beitragspflicht für das Grundstück Gemarkung A-Stadt, Flur ..., Flurstück .../1 ist erst mit dem Inkrafttreten der Beitragssatzung 2008 entstanden, § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V. Die angefochtenen Bescheide sind an dieser Satzung zu messen. Früheres Satzungsrecht des Beklagten war unwirksam (vgl. VG Schwerin, Urt. v. 20.02.2008 – 8 A 302/03 –).
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b) Die Rechtsanwendung geschah indes zum Teil rechtswidrig. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sind die beiden Grundstücke der Kläger nicht unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Einheit beitragsrechtlich als ein Grundstück zu behandeln. Beitragspflichtiges Grundstück ist nach § 2 Abs. 4 Beitragssatzung 2008 das Grundstück im grundbuchrechtlichen Sinn. Diese Bestimmung entspricht der Rechtsprechung des Senats, wonach im Anschlussbeitragsrecht im Interesse von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit grundsätzlich vom bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff auszugehen ist (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 14.09.2010 – 4 K 12/07 –, juris Rn. 53 m.w.N.). Ein Abweichen von diesem Grundstücksbegriff ist nur in engen Ausnahmefällen zulässig, wenn die Zugrundelegung des bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriffes zu einem gröblich unangemessenen Ergebnis führen würde. Das ist nur dann der Fall, wenn ein Buchgrundstück wegen seiner Größe oder seines Zuschnitts allein nicht bebaubar ist, aber zusammen mit einem oder mehreren angrenzenden Grundstücken desselben Eigentümers ohne weiteres baulich angemessen genutzt werden darf. Dann wäre es nicht hinnehmbar, das Grundstück bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwandes völlig unberücksichtigt zu lassen (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 21.10.2008 – 1 L 197/08 – im Anschluss an Beschl. v. 29.11.2001 – 1 M 66/01 –, NordÖR 2002, 81, 82). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Grundstücke der Kläger auf den Flurstücken .../1 und ... der Flur ... der Gemarkung A-Stadt sind wegen ihrer Größe jeweils für sich genommen baulich nutzbar. Auf die tatsächlich grundstücksübergreifende Nutzung kommt es deshalb nicht an (vgl. auch OVG Koblenz, Urt. v. 11.08.2015 – 6 C 10860/14 –, juris).
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aa) Die angefochtenen Bescheide sind nur in Ansehung des Grundstücks Gemarkung A-Stadt, Flur ..., Flurstück .../1 rechtmäßig. Die Festsetzung des Beitrags beruht insoweit auf § 4 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. f, Abs. 3 Buchst. d und § 5 Beitragssatzung 2008. Für das veranlagte Grundstück sind 390 qm anrechenbare Grundstücksfläche bei zwei Vollgeschossen mit 40 v.H. zu berücksichtigen, was bei einem Beitragssatz von 9,85 Euro/qm einen Beitragsanspruch in Höhe von 1.536,60 Euro ergibt. Das Zahlungsgebot berücksichtigt, dass der Beitragsanspruch durch den auf den Bescheid vom 17. Juli 2003 gezahlten Betrag von 1.313,52 Euro in dieser Höhe erloschen ist.
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Die vorherige Abgabenerhebung aus dem Jahre 2003 steht der Rechtmäßigkeit der hier angefochtenen Abgabenbescheide nicht unter dem Gesichtspunkt einer „unzulässigen Doppelveranlagung“ oder „unzulässigen Nacherhebung“ entgegen. Das Problem der Nachveranlagung ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt (vgl. grundlegend OVG Greifswald, Urt. v. 15.12.2009 – 1 L 323/06 –, juris Rn. 45 ff. und Aussprung, in: Aussprung/Siemens/Holz/Seppelt, Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern, Stand: Januar 2017, § 12, Anm. 50.2). Dort hat der Senat den Grundsatz aufgestellt, dass bei leitungsgebundenen Einrichtungen die Aufgabenträger grundsätzlich berechtigt und verpflichtet sind, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass sie einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpfen. Einer solchen Nacherhebung stehen der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung, die Rechtsfolgen der Bestandskraft des erster Heranziehungsbescheides und der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ebenso wenig entgegen wie die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V und die darin enthaltene Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung. An dieser Auffassung hält der Senat in ständiger Rechtsprechung fest (vgl. zuletzt OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 101). Auch das Berufungsvorbringen bietet keinen Anlass, von dieser Auffassung abzuweichen.
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Die Beitragserhebung ist schließlich auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen ausgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – es mit dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit für unvereinbar erklärt, wenn der Gesetzgeber ganz von einer Regelung absieht, die der Abgabenerhebung eine bestimmte zeitliche Grenze setzt. Dieses verfassungsrechtliche Erhebungshindernis ist durch das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 und die Neuregelung von § 12 Abs. 2 KAG M-V beseitigt worden (umfassend dargestellt in OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff., rechtskräftig durch BVerwG, Beschl. v. 18.05.2017 – 9 B 71/16 –, juris). Damit besteht nunmehr eine mit höherrangigem Recht vereinbare landesgesetzliche Festlegung einer zeitlichen Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung (vgl. zuletzt OVG Greifswald, Beschl. v. 14.12.2017 – 1 LZ 557/17 –, juris) auch in Ansehung der Berufung fest.
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bb) Die angefochtenen Bescheide sind jedoch rechtswidrig und aufzuheben, soweit damit für das Grundstück Gemarkung A-Stadt, Flur ..., Flurstück ... ein Anschlussbeitrag erhoben wird. Für dieses Grundstück ist die sachliche Beitragspflicht noch nicht entstanden. Gemäß § 3 Beitragssatzung 2008 entsteht die sachliche Beitragspflicht erst, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann oder die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 oder Abs. 3 erfüllt sind. In § 2 Abs. 2 und Abs. 3 Beitragssatzung 2008 werden nur tatsächlich an die zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossene Grundstücke der Beitragspflicht unterworfen. Zu dieser Gruppe rechnet das fragliche Hinterliegergrundstück der Kläger nicht.
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Das Grundstück auf dem Flurstück ... kann bisher auch nicht an die öffentliche Einrichtung des Beklagten angeschlossen werden. Das Anschlussrecht des anschlussberechtigten Grundstückseigentümers richtet sich gemäß § 3 Abs. 1 der Satzung über die Entwässerung der Grundstücke und den Anschluss an die öffentlichen Einrichtungen der Abwasserbeseitigung Abwassersatzung der Stadt Boizenburg/Elbe vom 20. Mai 2008 (Abwassersatzung) nach den Maßgaben dieser Satzung. Es erstreckt sich grundsätzlich nur auf solche Grundstücke, die Zugang zu einer betriebsfertigen und aufnahmefähigen zentralen öffentlichen Einrichtung der Abwasserbeseitigung haben (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Abwassersatzung). Zu dieser Anlage zählen nach dem Satzungsrecht des Beklagten auch die Grundstücksanschlusskanäle bis zur Grenze der anzuschließenden Grundstücke, bei einem Hinterliegergrundstück (wie hier) bis zur Grenze eines davorliegenden, an die zentrale Schmutzwasseranlage anschließbaren Grundstücks (§ 2 Nr. 5 Buchst. e Abwassersatzung). Das Ortsrecht fordert dabei im Grundsatz, dass jedes Grundstück unterirdisch mit einem eigenen Anschlusskanal gesondert und ohne Zusammenhang mit den Nachbargrundstücken an die zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage anzuschließen ist (§ 12 Abs. 1 Satz 1 Abwassersatzung). Ein gemeinsamer Anschlusskanal zum Anschluss mehrerer Grundstücke ist nur ausnahmsweise zulässig und zur Begründung des Anschlussrechts ausreichend. Ein solcher Fall des § 12 Abs. 2 oder Abs. 3 Abwassersatzung liegt hier schon deshalb nicht vor, weil die Zulassung eines gemeinsamen Anschlusskanals für beide Grundstücke der Kläger weder beantragt noch genehmigt und durch Baulast gesichert worden ist. Aus dem Satzungsrecht des Beklagten ergibt sich nach alledem, dass der Eigentümer eines Hinterliegergrundstücks erst mit der betriebsfertigen Herstellung eines eigenen Grundstücksanschlusskanals oder der Zulassung eines gemeinsamen Anschlusskanals das Recht erhält, das auf seinem Grundstück anfallende Abwasser in die zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage einzuleiten. Ein zweiter betriebsfertiger Grundstücksanschlusskanal zum Anliegergrundstück auf dem Flurstück .../1 besteht nach Mitteilung der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung aber bislang nicht. Für das Hinterliegergrundstück auf dem Flurstück ... ist daher mangels Anschlussrechts die sachliche Beitragspflicht noch nicht entstanden.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 159 Satz 2 VwGO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO. Es bestehen keine Gründe, die Revision gemäß § 132 Abs. 1 und 2 VwGO zuzulassen.
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