Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (3. Senat) - 3 KM 83/17
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 30.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
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Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Normenkontrollantrag (3 K 82/17) sowie dem vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Landesverordnung über das Landesraumentwicklungsprogramm vom 27. Mai 2016 (LEP-LVO M-V) in Bezug auf die Ausweisung eines marinen Vorranggebietes für Windenergieanlagen nördlich der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst in Ziff. 8.1 (2) i.V.m. der zeichnerischen Darstellung des Landesraumentwicklungsprogramms.
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Die A. plant die Errichtung von 103 Windenergieanlagen des Typs Siemens SWT-8.0-154 mit einer Nabenhöhe von 96 m und einer Gesamthöhe von 175 m nebst zwei Umspannplattformen, die sich im Vorranggebiet an die dort bereits bestehenden Anlagen des Windparks „Baltic 1“ anschließen sollen. Das Gemeindegebiet der Antragstellerin liegt in ca. 15 km Entfernung zu diesem Vorranggebiet.
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Mit ihrem am 7. Februar 2017 gestellten Antrag macht die Antragstellerin hinsichtlich der Antragsbefugnis im Wesentlichen geltend, durch die Festsetzung des marinen Vorranggebietes in ihren Rechten auf ordnungsgemäße Berücksichtigung ihrer touristischen Belange verletzt zu sein. Es handele sich bei der Gemeinde um ein Ostseeheilbad und das Gemeindegebiet sei ein touristisches Ziel. Ihre wirtschaftliche Situation und Unabhängigkeit hänge im Wesentlichen vom touristischen Erfolg im Gemeindegebiet ab. Hierfür sei wiederum die Naturbelassenheit der Region von wesentlicher Bedeutung. Der Tourismus werde durch die Sichtbarkeit der Windenergieanlagen, deren Auswirkungen auf Natur und Umwelt und die durch die Anlagen hervorgerufenen Lärm- und Lichtimmissionen negativ beeinflusst. Umfragen hätten bestätigt, dass die Zahl der Touristen durch die Realisierung der Windenergieanlagen im Vorranggebiet sinken könne. Sie sei außerdem als Eigentümerin betroffen, da das Grundstück mit dem Kurhaus und der daran angrenzen Seebrücke in ihrem Eigentum stehe und diese baulichen Anlagen durch die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes negativ beeinflusst seien.
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Der Antrag sei auch begründet. Der Antragsgegner habe nicht berücksichtigt, dass sich vor der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst bereits seit ca. 10 Jahren der Windpark „Baltic 1“ befinde und im damals durchgeführten Raumordnungsverfahren festgestellt worden sei, dass nur eine kleine Eignungsfläche mit 21 Windenergieanlagen festgesetzt werden könne. Im Rahmen der Abwägung sei ferner fehlerhaft nur auf potentielle Konzentrationsflächen für Offshore-Anlagen abgestellt worden, ohne in Frage kommende Onshore-Flächen zu berücksichtigen. Da die Sichtbarkeit der Windenergieanlagen nicht ausreichend untersucht worden sei, seien die Grenzen des streitgegenständlichen Vorranggebietes und des angrenzenden Vorbehaltsgebietes Tourismus falsch bestimmt worden. Auch sei die Wahl der Abwägungskriterien (Tabu- und Restriktionskriterien) nicht nachvollziehbar. Unverständlich sei ferner, warum auf Restriktionsbereiche zurückgegriffen worden sei, obwohl auf anderen Flächen die Errichtung von Windenergieanlagen vorbehaltlos möglich sei. Es sei mit negativen Folgen für den Natur- und Artenschutz zu rechnen und damit mittelbar für den Tourismus. So sei unzureichend berücksichtigt worden, dass sich die Vogelzugkorridore nach Einschätzung des Bundesamtes für Naturschutz nicht in einen Kernbereich und Randbereiche unterteilen ließen. Auch seien keine ausreichenden Vorbehaltsflächen für die Schifffahrt ausgewiesen worden, so dass ein Kollisionsrisiko von Schiffen mit Windenergieanlagen mit erheblichen Folgen für Natur und Umwelt bestehe.
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Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners verwiesen.
II.
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Der Antrag,
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vorläufig für die Dauer des Verfahrens die Landesverordnung über das Landesraumentwicklungsprogramm vom 27. Mai 2016 in Bezug auf die Ausweisung eines marinen Vorranggebietes für Windenergieanlagen nördlich der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst außer Vollzug zu setzen,
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hat keinen Erfolg. Die Antragstellerin verfügt nicht über die nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderliche Antragsbefugnis.
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Die Antragsbefugnis der Antragstellerin folgt nicht aus § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Nach dieser Vorschrift können Behörden im Unterschied zu natürlichen und juristischen Personen die gerichtliche Prüfung von Rechtsvorschriften betreiben, ohne eine Rechtsverletzung i.S.d. § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 VwGO darlegen zu müssen. Die Behörde muss allerdings geltend machen, dass sie entweder die beanstandete Norm anzuwenden hat oder durch den Vollzug der Norm in ihrem Tätigkeitsbereich "betroffen" wird, d.h. die Norm bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beachten hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.03.1989 – 4 NB 10.88 –, BVerwGE 81, 307, 309, juris Rn. 14; BVerwG, Beschl. v. 01.07.2005 – 4 BN 26/05 –, juris Rn. 7; OVG Greifswald, Beschl. v. 23.02.2006 – 4 M 136/05 –, juris Rn. 20). Hierzu hat die Antragstellerin nichts vorgetragen. Sie hat weder dargetan noch ist sonst ersichtlich, inwieweit die streitgegenständliche Regelung des Landesraumentwicklungsprogramms sie in ihrer Tätigkeit als Behörde berührt.
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Die Antragstellerin kann ihre Antragsbefugnis auch nicht aus § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 VwGO herleiten. Nach dieser Vorschrift ist jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Für die aus dem planungsrechtlichen Abwägungsgebot (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG) herzuleitende Antragsbefugnis zur Stellung eines Normenkontrollantrags gegen einen raumordnungsrechtlichen Plan, auf die sich die Antragstellerin beruft, gelten im Grundsatz dieselben Anforderungen wie etwa im Falle eines Normenkontrollantrags gegen einen Bebauungsplan. Ein Antragsteller muss also hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch bestimmte Regelungen des raumordnungsrechtlichen Plans oder deren Anwendung in seinem Recht auf ordnungsgemäße Abwägung seiner Belange verletzt wird. Das wiederum setzt voraus, dass er einen eigenen Belang als verletzt benennt, der für die Abwägung überhaupt zu beachten war (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.03.2019 – 4 BN 11/19 –, juris Rn. 5; BVerwG, Beschl. v. 10.02.2016 – 4 BN 37/15 –, juris Rn. 7; BVerwG, Beschl. v. 13.11.2006 – 4 BN 18/06 –, juris Rn. 6).
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Die Antragsbefugnis ist dagegen nicht gegeben, wenn eine Verletzung des durch § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG vermittelten Abwägungsgebots offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet. Die Prüfung, ob das der Fall ist, ist allerdings nicht unter Auswertung des gesamten Prozessstoffes vorzunehmen, und sie darf nicht in einem Umfang und in einer Intensität erfolgen, die einer Begründetheitsprüfung gleichkommt. Das Normenkontrollgericht ist daher insbesondere nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Deswegen vermag die im Laufe des Verfahrens fortschreitende Sachverhaltsaufklärung durch das Normenkontrollgericht die Antragsbefugnis eines Antragstellers nicht nachträglich in Frage zu stellen. Andererseits muss es widerstreitendes Vorbringen des Antragsgegners, auf dessen Grundlage sich die maßgeblichen Tatsachenbehauptungen in der Antragsschrift als offensichtlich unrichtig erweisen, nicht ausblenden, sondern kann auf der Grundlage des wechselseitigen Schriftverkehrs darüber befinden, ob es einen abwägungserheblichen Belang des Antragstellers geben kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.02.2016 – 4 BN 37/15 –, juris Rn. 7).
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In die Abwägung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG sind alle öffentlichen und privaten Belange einzustellen, soweit sie auf der jeweiligen Planungsebene (Landes- oder Regionalplan) erkennbar und von Bedeutung sind. Abwägungsrelevant sind alle Belange, die mehr als geringwertig, schutzwürdig, nicht mit einem Makel behaftet und für den Planer erkennbar sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang aus den Aufgaben der Raumordnung als einer zusammenfassenden, übergeordneten Planung, ihrer weiträumigen Sichtweise und ihrem Rahmencharakter die Befugnis des Planungsträgers zur Typisierung abgeleitet. Das Abwägungsmaterial braucht mithin nicht so kleinteilig zusammengestellt zu werden wie auf den nachgeordneten Planungsebenen, es sei denn, kleinteilige private Belange wären dann auch auf der nachfolgenden Planungs- oder Zulassungsebene nicht mehr zu prüfen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.02.2016 – 4 BN 37/15 –, juris Rn. 7 ff.).
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Nach diesen Vorgaben ist die Antragsbefugnis der Antragstellerin auch nicht nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 VwGO gegeben. Sie hat nicht hinreichend substantiiert einen eigenen Belang als verletzt benannt, der für die Abwägung zu beachten war. Als eigene Rechtspositionen können vorliegend nur Belange in Betracht kommen, die sich für die Antragstellerin aus der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG normierten Selbstverwaltungsgarantie ergeben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.09.1998 – 4 VR 11/98 –, juris Rn. 15; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Feb. 2019, § 47 Rn. 67). Diese räumt den Gemeinden das Recht ein, ihre örtlichen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze wahrzunehmen. Inhalt der Selbstverwaltungsgarantie ist ein Bündel subjektiver Rechte, deren Beschneidung für die Gemeinde wehrfähig ist. Als solche Rechte gelten: Die Gebietshoheit, die Planungshoheit, die Finanzhoheit, die Personal- und Organisationshoheit und das Recht zur Schaffung und Unterhaltung von Einrichtungen zum Wohl ihrer Einwohner (Daseinsvorsorge) (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 23.02.2006 – 4 M 136/05 –, Rn. 23, juris).
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Die Antragstellerin hat eine fehlerhafte Berücksichtigung ihrer Planungshoheit nicht ausreichend substantiiert geltend gemacht. Eine Verletzung eigener Belange einer Gemeinde kommt zwar in Betracht, wenn raumordnerische Zielfestlegungen unmittelbar das Gemeindegebiet betreffen, da diese gemäß § 1 Abs. 4 BauGB im Rahmen der Bauleitplanung zu beachten sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.11.2003 – 4 CN 6/03 –, juris Rn. 40; Uechtritz, ZUR 2017, 479, 485). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die Ausweisung des marinen Vorranggebietes für Windenergieanlagen im Landesraumentwicklungsprogramm betrifft eine Fläche, die unzweifelhaft außerhalb des Gemeindegebiets, ca. 15 km vom Gemeindegebiet der Antragstellerin entfernt liegt und dem Zugriff der Bauleitplanung durch die Antragstellerin entzogen ist (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 23.02.2006 – 4 M 136/05 –, juris Rn. 24; VG Lüneburg, Urt. v. 11.12.2008 – 5 A 2025/08 –, juris Rn. 30; Keller, ZUR 2005, 184, 186).
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Darüber hinaus ist eine Rechtsverletzung der Gemeinde aus Art. 28 Abs. 2 GG auch durch raumordnerische Festlegungen denkbar, die nicht das eigene Gemeindegebiet der Antragstellerin betreffen. Insoweit bestehen aber grundsätzliche hohe Hürden. Nicht jede faktische Betroffenheit begründet die Antragsbefugnis einer Gemeinde (vgl. Uechtritz, a.a.O.). Das Planungsrecht einer Gemeinde wird durch die Entscheidung überörtlicher Verwaltungsträger nur unter besonderen Voraussetzungen berührt. Solche liegen dann vor, wenn ein Vorhaben eine eigene hinreichend bestimmte Planung der Gemeinde nachhaltig stört, wesentliche Teile des Gemeindegebietes einer durchsetzbaren Planung der Gemeinde entzieht oder gemeindliche Einrichtungen durch das Vorhaben erheblich beeinträchtigt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.08.1995 – 4 B 86/95 –, juris Rn. 12; BVerwG, Urt. .v 15.12.2016 – 4 A 4/15 –, BVerwGE 157, 73, juris Rn. 58; Palme/Schumacher, NuR 2004, 773, 775).
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Auch nach diesen Vorgaben kommt eine aus dem Selbstverwaltungsrecht abgeleitete Antragsbefugnis der Antragstellerin nicht in Betracht. Die Ausweisung eines marinen Vorranggebietes für Windenergieanlagen in einer Entfernung von ca. 15 km von ihrem Gemeindegebiet berührt die Antragstellerin nicht in ihrer Planungshoheit. Weder hat die Antragstellerin konkretisierte planerische Vorstellungen dargelegt, die durch die Festlegung des marinen Vorranggebietes für Windenergieanlagen gefährdet werden könnten, noch kann festgestellt werden, dass hierdurch wesentliche Teile des Gemeindegebietes einer planerischen Gestaltung durch die Antragstellerin entzogen werden könnten. Es ist auch nicht ersichtlich und wird von der Antragstellerin auch nicht geltend gemacht, dass die streitgegenständliche Festlegung des marinen Vorranggebietes der Gemeinde die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben unmöglich machen oder in konkreter Weise erheblich erschweren könnte. Es handelt sich um keine Regelung, die sich mit Regelungstatbeständen der örtlichen Planung überschneidet. Sie hat weder Bedeutung für die Ordnung von Raum und Boden auf dem Gemeindegebiet der Antragstellerin noch enthält sie eine Beschränkung im Hinblick auf die bauliche Nutzung des Gemeindegebiets (so bereits OVG Greifswald, Beschl. v. 23.02.2006 – 4 M 136/05 –, Rn. 24, juris; vgl. zur Klagebefugnis: VG Oldenburg, Urt. v. 11.12.2008 – 5 A 2025/08 –, Rn. 30, juris; Palme/Schumacher, NuR 2004, 773, 775).
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Auch im Übrigen hat die Antragstellerin eine fehlerhafte Berücksichtigung ihrer Rechte aus Art. 28 Abs. 2 GG nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Unabhängig von einer Beeinträchtigung ihrer Planungshoheit kann sich die Befugnis einer Gemeinde, gegen Planungen und Maßnahmen überörtlicher Verwaltungsträger zu klagen, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwar auch daraus ergeben, dass diese das Gemeindegebiet oder Teile hiervon nachhaltig betreffen und die Entwicklung der Gemeinde beeinflussen (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1994 – 11 C 18/93 –, BVerwGE 97, 203, juris Rn. 30; Palme/Schumacher, NuR 2004, 773, 775). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist insbesondere geklärt, dass sich Gemeinden auf das aus Art. 28 Abs. 2 GG abgeleitete Selbstgestaltungsrecht berufen können, wenn sie durch Maßnahmen betroffen sind, die das Ortsbild entscheidend prägen und damit nachhaltig auf das Gemeindegebiet und die Entwicklung der Gemeinde einwirken (vgl. BVerwG, Beschl. v. 05.12.1996 – 11 VR 8/96 –, juris Rn. 22; BVerwG, Beschl. v. 15.04.1999 – 4 VR 18/98 –, juris Rn. 9; OVG Greifswald, Beschl. v. 23.02.2006 – 4 M 136/05 –, juris Rn. 26). Auch diese Voraussetzungen liegen jedoch ersichtlich nicht vor. Der Senat kann nicht erkennen, dass von der Festlegung des Vorranggebietes eine Prägung des Ortsbildes der Antragstellerin ausgehen könnte. Es ist weder ersichtlich, dass die vorhandene städtebauliche Struktur dadurch von Grund auf verändert würde, noch würde dem Ort dadurch ein im Vergleich mit dem vorherigen Zustand neuartiges Gepräge verliehen. Eine das Ortsbild dominierende Wirkung scheidet schon wegen der Entfernung und Lage des Vorranggebietes aus (so bereits OVG Greifswald, Beschl. v. 23.02.2006 – 4 M 136/05 –, juris Rn. 26; vgl. auch VG Lüneburg, Urt. v. 11.12.2008 – 5 A 2025/08 –, juris Rn. 32).
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Hinsichtlich der nachhaltigen Betroffenheit und Entwicklung der Gemeinde kommen zwar auch Maßnahmen außerhalb des Gemeindegebietes in Betracht, jedoch ist für die Annahme einer nachhaltigen Betroffenheit jeweils erforderlich, dass die in Frage stehende Planung oder Maßnahme unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art für die Gemeinde mit sich bringt (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.12.1989 – 4 C 36/86 –, juris Rn. 31; OVG Lüneburg, Beschl. v. 13.09.2010 – 12 LA 18/09 –, juris Rn. 6; OVG Hamburg, Beschl. v. 15.09.2004 – 1 Bf 128/04 –, juris Rn. 11; Palme/Schumacher, NuR 2004 773, 775). Diese Voraussetzungen sind offensichtlich nicht erfüllt. Die Tatsache, dass Windenergieanlagen im Vorranggebiet vom Gemeindegebiet der Antragstellerin aus zu sehen sein werden, reicht nicht aus, um unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art annehmen zu können. Die Antragstellerin hat kein Recht auf völlige Freihaltung der sie umgebenden Meeresflächen von baulichen Anlagen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 13.09.2010 – 12 LA 18/09 –, juris Rn. 6; VG Hamburg, Urt. v. 01.12.2003 – 19 K 3585/03 –, juris Rn. 23). Auch stellt ein ungestörter Blick auf den Horizont für die Antragstellerin nicht für sich genommen einen schützenswerten Belang dar, der in der Abwägung zu berücksichtigen ist (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 20.05.2015 – 3 K 18/12 –, juris Rn. 36; OVG Greifswald, Beschl. v. 23.02.2006 – 4 M 136/05 –, juris Rn. 29).
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Soweit die Antragstellerin negative Auswirkungen der Windenergieanlagen auf Belange des Natur- oder Umweltschutzes befürchtet, sind allein diese Ausführungen nicht geeignet, ihre Antragsbefugnis begründen zu können. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist vielmehr geklärt, dass eine Gemeinde im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nicht befugt ist, als Sachwalterin von Rechten Dritter bzw. des Gemeinwohls Belange ihrer Bürger, wie z.B. Lärmschutzinteressen oder den Schutz vor visuellen Beeinträchtigungen, oder Belange des Naturschutzes geltend zu machen. Die gesetzlichen Anforderungen des Immissionsschutzes und des Schutzes von Umwelt und Natur sind nicht speziell dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde zugeordnet, sondern dienen dem allgemeinen öffentlichen Interesse. Der Gemeinde kommen nicht deshalb "wehrfähige" Rechte zu, weil der Allgemeinheit oder einzelnen Privatpersonen – die ihre Rechte selbst geltend zu machen haben – ein Schaden droht. Eine Gemeinde darf sich nicht zur Sachwalterin der Allgemeinheit oder ihrer Bürger, also zum "bloßen Fürsprecher" machen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.12.2016 – 4 A 4/15 –, BVerwGE 157, 73, juris Rn. 13; BVerwG, Beschl. v. 15.04.1999 – 4 VR 18/98 –, juris Rn. 6; BVerwG, Urt. v. 26.02.1999 – 4 A 47/96 –, juris Rn. 39; BVerwG, Urt. v. 15.12.1989 – 4 C 36/86 –, BVerwGE 84, 209, 213, juris Rn. 27; OVG Greifswald, Beschl. v. 23.02.2006 – 4 M 136/05 –, juris Rn. 27).
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Soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, dass der wirtschaftliche Erfolg und die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Gemeinde wesentlich vom touristischen Erfolg im Gemeindegebiet abhänge und sie diesen Erfolg wegen einer Beeinträchtigung der Naturbelassenheit der Region oder wegen Gefahren für die Natur und Umwelt, etwa durch austretenden Treibstoff bei Schiffskollisionen oder im Hinblick auf den Vogelzug, beeinträchtigt sieht, folgt hieraus nichts anderes. Geklärt ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass sich eine Gemeinde nicht unter dem Sammelbegriff "Verschlechterung der Wirtschaftsstruktur" auf die drohende Existenzvernichtung gewerblicher Betriebe oder auch nur die Beeinträchtigung des Fremdenverkehrs berufen kann. Die Wirtschaftsstruktur einer Gemeinde wird von vielfältigen Faktoren bestimmt und beeinflusst, die jedoch nicht sämtlich speziell dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde zugeordnet sind. Vermeintliche Beeinträchtigungen landwirtschaftlicher oder gewerblicher (auch fremdenverkehrlicher) Betriebe können grundsätzlich nur von den Betroffenen selbst geltend gemacht werden, so wie die Gemeinde auch sonst nicht befugt ist, Rechte ihrer Bürger vor Gericht geltend zu machen. Von der Gemeinde können solche Beeinträchtigungen, selbst wenn sie sich möglicherweise nachteilig auf die kommunale Wirtschaftsstruktur auswirken, grundsätzlich nicht unter Berufung auf Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG abgewehrt werden. Eine Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts ist erst dann in Betracht zu ziehen, wenn die Auswirkungen eines Vorhabens die Wirtschaftsstruktur und Leistungsfähigkeit einer durch Fremdenverkehr geprägten Gemeinde massiv und nachhaltig verschlechtern. Dabei hat die Gemeinde ihre geltend gemachte Beeinträchtigung näher darzulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.12.1996 – 4 C 14/95 –, juris Rn. 15; BVerwG, Beschl. v. 18.09.1998 – 4 VR 11/98 –, juris Rn. 15; BVerwG, Urt. v. 26.02.1999 – 4 A 47/96 –, juris Rn. 40; OVG Greifswald, Beschl. v. 23.02.2006 – 4 M 136/05 –, juris Rn. 28; OVG Koblenz, Beschl. v. 16.08.2001 – 1 B 10286/01 –, juris Rn. 6; Keller, ZUR 2005, 184, 188).
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Dass eine solche Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und Leistungsfähigkeit der Antragstellerin unmittelbar durch die Festlegung des Vorranggebietes bzw. die Errichtung der Windenergieanlagen eintreten könnte und bei der Abwägung hätte berücksichtigt werden müssen, ist indes nicht ersichtlich. Derartige Folgen ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag der Antragstellerin und insbesondere nicht aus der von dem Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern e.V. im Jahr 2015 durchgeführten Gästebefragung. Nach den von der Antragstellerin vorgelegen Unterlagen (vgl. Bl. 87 ff. der Gerichtsakte) wurden in Kühlungsborn, Warnemünde, Graal-Müritz und am Königsstuhl auf Rügen insgesamt 1.663 Personen nach ihrer persönlichen Meinung zu einem Ausbau der Offshore-Windenergie befragt. Zwar gaben nach der zusammenfassenden Aussage des Gutachtens 19 % aller befragten Personen an, die Region aufgrund der Errichtung der Offshore-Windenergieanlagen nicht wieder besuchen zu wollen. Das Gutachten enthält hingegen keine Aussage darüber, dass mit einem Rückgang der Touristenzahlen aufgrund der Realisierung des Windparks für die Antragstellerin finanzielle Auswirkungen im oben beschriebenen Sinn verbunden sein könnten. Es fehlt mithin bereits an der schlüssigen Darlegung einer massiven und nachhaltigen Verschlechterung der Wirtschaftsstruktur und Leistungsfähigkeit der Antragstellerin.
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Im Übrigen hat die durchgeführte Befragung keine Aussagekraft für die Frage, ob das hier streitgegenständliche Vorranggebiet bzw. die Errichtung des Windparks zu einem Rückgang der Touristen- bzw. Übernachtungszahlen führen wird, da der Sachverhalt, der Gegenstand der Befragung war, mit den räumlichen Verhältnissen des hier streitgegenständlichen Vorranggebietes nicht vergleichbar ist. Dies ergibt sich aus Folgendem: Nach den Erläuterungen zur Gästebefragung wurden den befragten Personen Visualisierungen mit der Aufforderung gezeigt, sich diese genau anzuschauen und hierzu gestellten Fragen zu beantworten. Die als Anlage dem Gutachten beigefügten Visualisierungen zeigen allerdings nicht den im hier streitgegenständlichen Vorranggebiet geplanten Windpark, sondern Windparks in Vorranggebieten nahe Rerik, Rostock und Sassnitz, die im Entwurf zur 1. Beteiligungsstufe noch vorgesehen waren (vgl. Bl. 984, Ziff. 3.2., Bd. 2 des Verwaltungsvorgangs), tatsächlich aber nicht Gegenstand des Landesraumentwicklungsprogramms geworden sind. Die Entfernung vom Ufer zu diesen Vorranggebieten beträgt ca. 6 bis 8 km und ist damit deutlich geringer als diejenige zu dem hier streitgegenständlichen Vorranggebiet.
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An der Verwertbarkeit des Gutachtens bestehen im Übrigen auch deshalb Zweifel, weil den befragten Personen offenbar wesentliche Informationen nicht vermittelt wurden, die erforderlich sind, um eine Aussage über die gestellten Fragen machen zu können. So wurde ihnen etwa nicht verdeutlicht, in welchem Radius die Anlagen sichtbar sein werden, wie viele Anlagen errichtet werden sollen oder dass die Sichtbarkeit maßgeblich von der Stellung der Windräder, den Lichtverhältnissen oder der Trübung der Atmosphäre abhängt (vgl. hierzu auch den Bericht der b. GmbH von Oktober 2013 über die Visualisierung der Sichtbarkeit von Offshore-Windparks; Bl. 261, Ziff. 2.1.2, Bd. 1 des Verwaltungsvorgangs).
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Soweit sich die Antragstellerin auf ihre Position als Eigentümerin des Kurhauses und der Seebrücke beruft, folgt hieraus ebenfalls nicht ihr Antragsbefugnis. Abwägungserhebliche Belange folgen für die Antragstellerin nicht aus Art. 14 GG, da sie sich nicht auf den verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums berufen kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.11.2009 – 2 BvR 2034/04 –, juris Rn. 37; BVerwG, Urt. v. 26.02.1999 – 4 A 47/96 –, juris Rn. 17). Ungeachtet dessen gilt für Grundstücke im gemeindlichen Eigentum zwar nichts anderes als für andere Grundstücke. Wird fremdes Grundeigentum durch eine hoheitliche Planung betroffen, indem es entweder unmittelbar überplant wird oder als Nachbargrundstück nachteilige Wirkungen von dem beabsichtigten Vorhaben zu erwarten hat, so ist dieser Umstand grundsätzlich als privater Belang in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.12.2016 – 4 A 4/15 –, BVerwGE 157, 73, juris Rn. 63). Insoweit fehlt es aber an einer hinreichend substantiierten Darlegung eigener Belange, die in die Abwägung hätten eingestellt werden müssen. Die Antragstellerin macht lediglich geltend, eine negative Betroffenheit für die touristische Nutzung des Kurhauses und der angrenzenden Seebrücke folge aus einer Beeinträchtigung des Landschaftsbildes. In welcher Art und Weise eine Beeinträchtigung zu erwarten ist und nach den oben dargestellten Vorgaben in die Abwägung hätte eingestellt werden müssen, bleibt hingegen offen. Allein das Interesse an einer Freihaltung der Meeresfläche kann abwägungserhebliche Belange der Antragstellern – wie bereits oben dargelegt wurde – nicht begründen. Auch gibt es keinen Anspruch darauf, von planbedingten Wertminderungen verschont zu bleiben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 09.02.1995 – 4 NB 17/94 -, NVwZ 1995, 895, 896, OVG Greifswald, Urt. v. 20.05.2015 – 3 K 18/12 –, juris Rn. 36). Eine Beeinträchtigung schützenswerter Belange durch Licht- oder Lärmimmissionen kommt ersichtlich bereits aufgrund der Entfernung des Vorranggebietes nicht in Betracht.
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Da der Antrag bereits aus diesen Gründen unzulässig ist, kommt es nicht mehr auf die Ausführungen der Beteiligten zur Begründetheit des Antrags an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG (vgl. Ziff. 9.8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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