Urteil vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 LB 462/17

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 19. Mai 2017 – 4 A 1616/14 – wird teilweise geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 10. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2014 wird aufgehoben, soweit darin Stundungszinsen von mehr als 40.154 Euro festgesetzt worden sind. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten um die Erhebung von Stundungszinsen.

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Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das D. Der Beklagte setzte gegen den Kläger am 24. September 2009 Anschlussbeiträge für die Herstellung der zentralen Schmutzwasserbeseitigungsanlage fest. Mit Schreiben vom 1. März 2010 beantragte der Kläger die Stundung der Beitragsforderungen. Mit Stundungsbescheid vom 15. Juni 2010 ließ der Beklagte dem Kläger „im Wege der Aussetzung der Vollziehung der Bescheide gemäß § 80 Abs. 4 VwGO“ nach, die Beiträge in 48 gleichen Monatsraten beginnend ab dem 1. Juli 2010 zu tilgen. Über Säumniszuschläge und Zinsen sollte nach Tilgung der Hauptforderung entschieden werden. Mit Bescheid vom 10. Februar 2014 setzte der Beklagte gegen den Kläger Stundungszinsen für die mit Verfügung vom 15. Juni 2010 gestundeten Beiträge in Höhe von 40.154,50 Euro fest. Den Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2014 zurück.

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Am 4. September 2014 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Schwerin erhoben. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 10. Februar 2014 über die Festsetzung von Stundungszinsen in Höhe von 40.154,50 Euro in Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2014 aufzuheben, hilfsweise, den Beklagten unter entsprechender Aufhebung der genannten Bescheide zum Erlass der Stundungszinsen zu verpflichten. Das Verwaltungsgericht Schwerin hat mit Urteil vom 19. Mai 2017 – 4 A 1616/14 – den Bescheid des Beklagten vom 10. Februar 2014 über die Festsetzung von Stundungszinsen in Höhe von 40.154,50 Euro in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2014 aufgehoben, soweit die Festsetzung einen Betrag in Höhe von 1.019 Euro übersteigt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Der Anspruch des Beklagten sei für alle vor Beginn des Jahres 2013 fällig gewordenen Stundungszinsen festsetzungsverjährt. Für den Beginn der Verjährungsfrist komme es nicht auf die Zahlung der letzten Rate, sondern auf die Zahlung des jeweiligen Teilbetrages an. Das habe zur Folge, dass die Stundungszinsen jährlich aus dem noch offenen Betrag festzusetzen seien, um der Festsetzungsverjährung zu entgehen. Für den begehrten Erlass fehle es dagegen an einer sachlichen oder persönlichen Unbilligkeit.

4

Der Senat hat mit Beschluss vom 11. Juni 2019 – 1 LZ 462/17 – die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes zugelassen. Der Beschluss ist dem Beklagten am 14. Juni 2019 zugestellt worden. Der Vorsitzende hat auf Antrag des Beklagten mit Verfügung vom 17. Juli 2019 die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 15. August 2019 verlängert. Am 15. August 2019 hat der Beklagte die Berufung begründet. Er ist der Ansicht, Festsetzungsverjährung sei nicht eingetreten. Die Verjährungsfrist beginne erst insgesamt mit Zahlung der letzten Rate. Eine andere Gesetzesauslegung wäre zweckwidrig, weil dem Schuldner anderenfalls während der Ratenzahlung weitere Zahlungspflichten aufgebürdet werden müssten.

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Der Beklagte beantragt,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 19. Mai 2017 – 4 A 1616/14 – teilweise zu ändern und die Klage des Klägers gegen den Bescheid des Beklagten vom 10. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2014 insgesamt abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil, soweit es der Klage stattgegeben hat.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vom Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist zulässig. Die Berufung ist innerhalb der gemäß § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 VwGO verlängerten Frist begründet worden. Die Begründung enthält einen bestimmten Antrag (§ 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).

12

Die Berufung ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist überwiegend zu ändern, soweit es der Anfechtungsklage des Klägers stattgegeben hat. Die angefochtenen Bescheide sind nur zu einem sehr geringen Teil rechtswidrig und verletzen den Kläger nur insoweit in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Klage des Klägers ist im Übrigen fast vollständig abzuweisen.

13

Rechtsgrundlage des Zinsbescheides des Beklagten ist § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 234 Abs. 1 Satz 1 AO. Danach werden für die Dauer einer gewährten Stundung von Ansprüchen aus dem Abgabenschuldverhältnis Zinsen erhoben. Dem Kläger sind mit Bescheid vom 15. Juni 2010 Beitragsansprüche gestundet worden. Diese Entscheidung stellt den Grundlagenbescheid für den Zinsbescheid dar. Die Festsetzung der Stundungszinsen hat dem Stundungsbescheid zu folgen. Der Regelungsgehalt des Bescheides vom 15. Juni 2010 ergibt sich hinreichend klar aus Bezeichnung und Inhalt. Der Bescheid ist von den Beteiligten übereinstimmend als Stundungsbescheid verstanden und vollzogen worden. Eine Aussetzung der Vollziehung der Beitragsbescheide war vom Beklagten nicht gewollt. Aus dem Regelungszusammenhang des Bescheides ergibt sich, dass sie auch nicht ausgesprochen worden ist. Eine Aussetzung der Vollziehung hätte dazu geführt, dass die Fälligkeit der Beitragsforderung insgesamt entfallen wäre. Stattdessen ist die Fälligkeit nach Maßgabe der Ratenbestimmung in gestufter Weise hinausgeschoben worden.

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Der Zinsanspruch ist vom Beklagten weit überwiegend rechtmäßig festgesetzt worden. Höhe und Berechnung der Stundungszinsen ergeben sich aus § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. §§ 238, 239 AO. Die Zinsen betragen für jeden Monat 0,5 Prozent. Sie sind von dem Tag an, an dem der Zinslauf beginnt, nur für volle Monate zu zahlen; angefangene Monate bleiben außer Ansatz (§ 238 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO). Für die Berechnung der Zinsen wird der zu verzinsende Betrag jeder Abgabenart auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag abgerundet (§ 238 Abs. 2 AO). Gegen die Zinsberechnung macht die Klage keine Einwendungen geltend. Auch für den Senat sind insoweit keine Rechtsanwendungsfehler erkennbar. Allerdings sind Zinsen auf volle Euro zum Vorteil des Abgabenpflichtigen gerundet festzusetzen (§ 239 Abs. 2 Satz 1 AO), so dass der Zinsbescheid aufzuheben ist, soweit der festgesetzte Betrag eine Höhe von 40.154 Euro übersteigt. Die Zinsbeträge für die einzelnen Monatsraten sind dagegen nicht abzurunden, weil sie nur der Ermittlung des Gesamtbetrags dienen (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand Oktober 2019, § 238 AO, Rn. 7; OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.11.2006 – 13 LB 156/06 –, juris Rn. 8).

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Der Zinsanspruch des Beklagten ist nicht verjährt. Gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 AO sind auf die Zinsen die für die Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, wobei die Festsetzungsfrist jedoch ein Jahr beträgt. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO in den Fällen von Stundungszinsen nach § 234 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Stundung geendet hat. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts endet die Stundung im Falle einer vollzogenen Ratenstundung jedoch erst mit der vollständigen Tilgung der gesamten Schuld. Erst mit diesem Zeitpunkt ist die Regelungswirkung der Stundungsentscheidung erledigt. Auf die Fälligkeit der jeweiligen Rate ist dagegen nicht abzustellen. Gestundet werden nicht einzelne Raten, sondern der Gesamtbetrag. Die Festsetzungsverjährungsfrist des Zinsanspruchs läuft daher insgesamt erst mit Ablauf des Kalenderjahres an, in dem die letzte Rate gezahlt worden ist (Klein/Rüsken, AO, 14. Auflage 2018, § 239 Rn. 5; Koenig/Koenig, AO, 3. Auflage 2014, § 239 Rn. 9; Oosterkamp in: Beck’scher Online-Kommentar AO, Stand: Oktober 2019, § 239 Rn. 19; OVG Lüneburg, Urt. v. 29.09.1988 – 3 A 143/88 –, juris Rn. 21; FG Münster, Urt. v. 15.01.1987 – III 4027/84 Erb –, EFG 1987, 280). Die Gegenauffassung (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand Oktober 2019, § 239 AO, Rn. 6), wonach es bei der Ratenstundung auf die tatsächliche Zahlung oder die Fälligkeit des jeweiligen Ratenbetrags ankommen soll, hält der Senat nicht für überzeugend. Für diese Auffassung wird angeführt, dass die Festsetzungsverjährung den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis betreffe, so dass es für den Beginn der Festsetzungsverjährungsfrist auf das Schicksal des Anspruchs und nicht auf den Verwaltungsakt über dessen Fälligkeit ankomme. Bei der Stundung durch Gewährung von Raten sei die Stundung der einzelnen Ratenbeträge mit deren Fälligkeit beendet. Diese Rechtsauffassung vernachlässigt den Umstand, dass die Stundung nach § 222 AO eine einheitliche Entscheidung des Gläubigers ist. Das Gesetz knüpft in § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO an die Stundungsverfügung nicht an die jeweiligen Teilforderungen an.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 2, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO bestehen nicht.

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