Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (13. Senat) - 13 PA 231/19

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnende Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 6. Kammer - vom 26. Juni 2019 geändert.

Dem Kläger wird für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin C. aus B-Stadt zu den Bedingungen einer im Bezirk des Verwaltungsgerichts Stade niedergelassenen Rechtsanwältin beigeordnet.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

1

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Unrecht abgelehnt.

2

Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

3

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

4

Der Kläger ist nach der von ihm vorgelegten "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung auch nur in Raten aufzubringen.

5

Die Klage gegen den Bescheid vom 13. Februar 2019, mit dem der Beklagte dem Kläger die Ausübung einer Erwerbstätigkeit untersagt hat, bietet auch hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Bescheid erweist sich - im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.8.2005- BVerwG 6 C 15.04 -, BVerwGE 124, 110, 113 - juris Rn. 20; Urt. v. 28.7.1989- BVerwG 7 C 39.87 -, BVerwGE 82, 260, 261 - juris Rn. 8; Niedersächsisches OVG, Urt. v. 15.6.2010 - 8 LB 115/09 -, juris Rn. 27 ff. jeweils m.w.N.) - voraussichtlich als rechtswidrig und den Kläger in eigenen Rechten verletzend (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

6

Der Regelungsinhalt des Bescheids vom 13. Februar 2019 erschöpft sich nicht darin, dass der Beklagte einen Antrag des Klägers auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis nach §§ 4 Abs. 2 Satz 3, 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG in Verbindung mit § 32 BeschV abgelehnt oder dem Kläger die zukünftige Ausübung einer Erwerbstätigkeit untersagt hätte. Die so im Betreff des Bescheids bezeichnete "Erteilung eines Beschäftigungsverbots" stellt sich inhaltlich vielmehr als Aufhebung der Beschäftigungserlaubnis dar, die dem Kläger am 12. Februar 2019 als Nebenbestimmung zur Duldung mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 11. März 2019 erteilt worden war (Blatt 118 der Beiakte 1: "Die Beschäftigung als Pizzabäcker bei der D. GmbH in … B-Stadt ist gestattet.").

7

Die Aufhebung dieser Beschäftigungserlaubnis durch den Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid vom 13. Februar 2019 ist nicht nur an den materiellen Voraussetzungen für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis nach §§ 4 Abs. 2 Satz 3, 60a Abs. 6, 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG in Verbindung mit § 32 BeschV zu messen. Erforderlich ist vielmehr darüber hinaus, dass, abhängig davon, ob sich die am 12. Februar 2019 erteilte Beschäftigungserlaubnis als rechtswidrig oder als rechtmäßig erweist, auch die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 1 Abs. 1 NVwVfG in Verbindung mit § 48 VwVfG oder die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 1 Abs. 1 NVwVfG in Verbindung mit § 49 VwVfG vorliegen. Eine dieser Voraussetzungen ist, dass der Beklagte sein (Rücknahme- oder Widerrufs-)Ermessen erkannt und ausgeübt hat und dass die Ermessensentscheidung keine nach § 114 Satz 1 VwGO relevanten Ermessensfehler aufweist (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - BVerwG 1 C 10.07 -, BVerwGE 129, 367, 375 ff. - juris Rn. 30 ff. (zum Rücknahmeermessen); BVerwG, Beschl. v. 27.6.1990 - BVerwG 7 B 93.90 -, NVwZ-RR 1991, 63 f. - juris Rn. 2 (zum Widerrufsermessen); Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 48 Rn. 77 ff. und § 49 Rn. 8 ff). Besondere, insbesondere geringere Anforderungen ergeben sich insoweit weder aus § 52 AufenthG, der den Widerruf einer Beschäftigungserlaubnis schon nicht erfasst, noch aus § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, der nur verfahrensrechtliche Aspekte der Änderung oder Aufhebung einer Nebenbestimmung über die Ausübung einer Erwerbstätigkeit betrifft. Das danach erforderliche (Rücknahme- oder Widerrufs-)Ermessen hat der Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 13. Februar 2019 ersichtlich nicht betätigt. Er hat sich vielmehr wegen des angenommenen Vorliegens eines Versagungsgrundes nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG als verpflichtet angesehen (Bescheid v. 13.2.2019, S. 1: "Von daher ist Ihnen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit … zu untersagen."), dem Kläger die weitere Erwerbstätigkeit zu untersagen. Eine Berücksichtigung der weiteren individuellen Umstände, insbesondere dass die Beschäftigungserlaubnis erst einen Tag zuvor neu erteilt worden war, ist nicht erfolgt. Da auch jedwede Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null fehlen, leidet der Bescheid vom 13. Februar 2019 an einem Ermessensausfall und daher an einem nach § 114 Satz 1 VwGO relevanten Fehler, der zu seiner Rechtswidrigkeit führt. Die erforderliche Ermessensentscheidung kann auch nicht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nachgeholt werden. § 114 Satz 2 VwGO schafft grundsätzlich nur die prozessualen Voraussetzungen für eine Ergänzung defizitärer Ermessenserwägungen im Verwaltungsprozess, nicht aber für die erstmalige Ausübung des Ermessens (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.2.1998 - BVerwG 1 C 17.97 - BVerwGE 106, 351, 365 - juris Rn. 39 f., und zu den hier nicht einschlägigen Ausnahmen: Senatsurt. v. 8.2.2018 - 13 LB 45/17 -, juris Rn. 73).

8

Die Entscheidung über die Beiordnung beruht auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO. Die vorgenommene kostenmäßige Beschränkung ist nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 3 ZPO regelmäßig gerechtfertigt (vgl. zum lediglich deklaratorischen Charakter einer solchen Beschränkung im Beschluss über die Beiordnung: Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl., § 121 Rn. 11 m.w.N.). Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine kostenmäßig unbeschränkte Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts rechtfertigen könnten (vgl. Hamburgisches OVG, Beschl. v. 1.12.2008 - 4 So 75/08 -, NJW 2009, 1433 f. - juris Rn. 6 (besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem auswärtigen Rechtsanwalt); OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 7.11.1995 - 3 O 5/95 -, NVwZ-RR 1996, 621, 623 - juris Rn. 16 (Erfordernis einer besonders qualifizierten rechtlichen Beratung, die nicht ein im Gerichtsbezirk ansässiger, sondern nur ein auswärtiger Rechtsanwalt gewährleisten kann); Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 166 Rn. 141 m.w.N.), sind hier nicht gegeben.

9

Die Kostenentscheidung folgt aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

 


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