Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (10. Senat) - 10 PA 15/20

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 3. Kammer - vom 29. November 2019 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

I.

1

Die Beklagte gewährt für das drittälteste der fünf Kinder der Klägerin seit dem 14. Oktober 2018 vollstationäre Jugendhilfe in Form der Inobhutnahme. Für dieses erhält die Klägerin nach dem Bescheid der Familienkasse vom 14. September 2018 monatliches Kindergeld in Höhe von 200 Euro (Bl. 7 d.A.). Mit Bescheid vom 22. Oktober 2018 setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin einen Kostenbeitrag in Höhe von 120,54 Euro für den Zeitraum vom 14. Oktober 2018 bis 31. Oktober 2018 und ab dem 1. November 2018 in Höhe von 207,60 Euro monatlich fest. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass dieser Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII unabhängig von einer Heranziehung aus dem Einkommen nach § 94 Abs. 1 SGB VIII zu leisten sei, da die Klägerin Kindergeld beziehe und sich ihr Kind in einer vollstationären Jugendhilfemaßnahme befände.

2

Hiergegen hat die Klägerin am 26. November 2018 Klage erhoben, mit dem Ziel, den Kostenbeitrag auf 200 Euro monatlich zu verringern. Zur Begründung macht sie geltend, dass nur das für das In Obhut genommene Kind tatsächlich gewährte Kindergeld herangezogen werden könne. Die Beklagte hält dem entgegen, dass die Klägerin für alle ihre Kinder insgesamt 1.038 Euro Kindergeld erhalte und dieses im Hinblick auf die Kostenbeitragspflicht unter Anwendung von § 74 EStG anteilig nach Köpfen berechnet werde. Das Verwaltungsgericht hat den mit der Klageerhebung gestellten Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin mit Beschluss vom 29. November 2019 mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage abgelehnt, weil sich das auf das jeweilige Kind entfallende Kindergeld und damit auch der Kostenbeitrag - wie von der Beklagten zutreffend angenommen - nach Kopfteilen bemesse.

3

Mit der hiergegen gerichteten Beschwerde der Klägerin macht sie geltend, dass sie selbst nach SGB II bzw. SGB XII hilfebedürftig sei und es bei einer Zugrundelegung des durchschnittlichen Kindergeldes zu einer Benachteiligung ihrer in ihrem Haus verbliebenen Kinder komme. Denn der das tatsächlich gewährte Kindergeldbetrag übersteigende Betrag in Höhe von 7,60 Euro müsse von den Regelleistungen der übrigen Kinder gezahlt werden, womit deren Lebensunterhalt in dieser Höhe nicht gewährleistet wäre und das grundgesetzlich garantierte Existenzminimum unterschritten werde.

II.

4

Die Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss, mit dem das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren abgelehnt hat, hat keinen Erfolg. Denn zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags hatte die Rechtsverfolgung der Klägerin nicht die gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg.

5

Die Beklagte und das Verwaltungsgericht gehen zu Recht davon aus, dass im Rahmen des § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII auf die Höhe des nach Kopfteilen berechneten Kindergeldes abzustellen ist und nicht auf das für das jeweilige Kind konkret gewährte Kindergeld (so auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.12.2014 – 12 A 2376/12 –, juris Rn. 47 f.).

6

Gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII hat ein Elternteil, das Kindergeld für einen jungen Menschen bezieht, einen Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes zu zahlen, wenn Leistungen über Tag und Nacht außerhalb des Elternhauses erbracht werden. Zahlt der Elternteil diesen Kostenbeitrag nicht, so sind die Träger der öffentlichen Jugendhilfe insoweit berechtigt, das auf dieses Kind entfallende Kindergeld durch Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nach § 74 Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Anspruch zu nehmen (§ 94 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII). § 74 Abs. 2 EStG lautet: Für Erstattungsansprüche der Träger von Sozialleistungen gegen die Familienkasse gelten die §§ 102 bis 109 und 111 bis 113 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch entsprechend.

7

Die Verpflichtung zur Zahlung eines Kostenbeitrages gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII mindestens in Höhe des Kindergeldes, die auch bei einer Inobhutnahme bestehen kann (BVerwG, Urteil vom 21.10.2015 – 5 C 21.14 –, BeckRS 2016, 41160 Rn. 12), soll verhindern, Eltern, die selbst über kein einzusetzendes Einkommen verfügen, das von ihnen nach § 1612b BGB nur treuhänderisch zu verwaltende Kindergeld zu belassen, und bezweckt so eine ungerechtfertigte Bereicherung des Kindergeldberechtigten zu verhindern, indem der Träger der öffentlichen Jugendhilfe von ihm Kostenersatz verlangen kann (Krome in jurisPK-SGB VIII, Stand: 20.01.2020, § 94 Rn. 16 f.; BFH, Urteil vom 28.04.2010 – III R 43/08 –, juris Rn. 17). Da die Staffelung des Kindergeldes bei mehreren Kindern nach § 66 Abs. 1 EStG nicht auf dem unterschiedlichen Bedarf der einzelnen Kinder, sondern auf dem mit steigender Kinderzahl erhöhten Entlastungsbedarf der Familie beruht und die Summe des insgesamt geleisteten Kindergeldes allen Kindern zugutekommen soll, liegt der ungerechtfertigte Vorteil des Kindergeldberechtigten nicht in dem konkret für das Kind gezahlten Kindergeld, sondern in der nach Kopfteilen ausgehend vom Gesamtkindergeld ermittelten Ersparnis (Krome in jurisPK-SGB VIII, Stand: 20.01.2020, § 94 Rn. 17; BFH, Urteil vom 28.04.2010 – III R 43/08 –, juris Rn. 16 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.12.2014 – 12 A 2376/12 –, juris Rn. 47 f.; Schindler in Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 8. Auflage 2019, § 94 Rn. 12; Loos in Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 94 Rn. 24). Die Summe des gesamten Kindergeldes soll die Familie insgesamt entlasten und für alle Kinder gleichermaßen verwendet werden; das für das jeweilige Kind gezahlte Kindergeld soll also nicht - wie die Klägerin letztlich annimmt - allein diesem Kind zugutekommen (BFH, Urteil vom 28.04.2010 – III R 43/08 –, juris Rn. 16; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.12.2014 – 12 A 2376/12 –, juris Rn. 47 f.).

8

Entgegen der Auffassung der Klägerin führt dies dementsprechend auch nicht dazu, dass der Lebensunterhalt der übrigen Kinder in der Höhe des Betrags, der den auf ein Kind entfallenden gestaffelten Kindergeldbetrag überschreitet, nicht gewährleistet und das grundgesetzlich garantierte Existenzminimum unterschritten wäre. Befindet sich ein Kind nicht mehr im Haushalt des Kindergeldberechtigten, sinkt auch der aufgrund der Anzahl der Kinder erhöhte Entlastungsbedarf der Familie, der überhaupt erst zu dem gestaffelt erhöhten Kindergeld geführt hat. Allein der aufgrund der Anzahl der Kinder erhöhte Betrag wird im Falle der Inobhutnahme entzogen. Dies entspricht gerade dem Umstand, dass sich die Anzahl der im Haushalt der Klägerin lebenden Kinder verringert hat.

9

Die nicht erfolgende generelle Benachteiligung in der von der Klägerin angenommenen Weise zeigt sich auch daran, dass im Falle der Erbringung von Leistungen im Sinne des § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII gegenüber einem der jüngeren Kinder mit einem gemäß § 66 EStG erhöhten Kindergeld nicht der tatsächlich auf dieses Kind entfallende Kindergeldbetrag, sondern mit dem Durchschnittswert nach Köpfen ein geringerer Betrag erstattungspflichtig wäre. In diesem Fall wäre die Berechnung nach Kopfteilen für die Familie insgesamt vorteilhaft, weil der Kostenbeitrag niedriger wäre, als das tatsächlich für dieses Kind gezahlte Kindergeld (im Falle der Familie der Klägerin 225 Euro, vgl. Bl. 7 d.A.). Das erhöhte Kindergeld spiegelt eben - wie bereits ausgeführt - nicht allein den tatsächlichen Bedarf des jeweiligen Kindes wider, sondern den Gesamtbedarf aller Kinder sowie der Familie aufgrund der Vielzahl der Kinder.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 188 VwGO und § 166 Abs.1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

11

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

 


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