Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (14. Senat) - 14 PA 247/22
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover – Einzelrichter der 3. Kammer - vom 27. April 2022 wird zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
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Die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens ist nicht begründet.
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Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ist davon auszugehen, dass das Verwaltungsgericht die beantragte Prozesskostenhilfe jedenfalls mangels hinreichender Erfolgsaussicht i.S.d. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu Recht verneint hat.
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Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe zu versagen ist, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 -, juris Rn. 26).
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Letzteres ist hier der Fall. Die Klage hat keine hinreichende Erfolgschance. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Kläger voraussichtlich keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung für sein zum Wintersemester 2020/2021 an der Beklagten aufgenommenes Bachelorstudium Maschinenbau hat, weil er den mit der Aufnahme dieses Studiums verbundenen Fachrichtungswechsel jedenfalls nicht unverzüglich vorgenommen hat.
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Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG wird nach einem Ausbildungsabbruch oder einem Fachrichtungswechsel Ausbildungsförderung auch für eine andere Ausbildung geleistet, wenn der Abbruch oder Fachrichtungswechsel aus wichtigem (Nr. 1) oder unabweisbaren (Nr. 2) Grund erfolgt. Bei Auszubildenden an Hochschulen gilt dies nur, wenn der Ausbildungsabbruch bzw. Fachrichtungswechsel bis zum vierten Fachsemester erfolgt (§ 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 BAföG). Anschließend ist förderungsrechtlich ein unabweisbarer Grund erforderlich.
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Das Vorliegen eines wichtigen oder unabweisbaren Grundes kann im Übrigen nur dann angenommen werden, wenn der Auszubildende seiner Obliegenheit zur verantwortungsbewussten, vorausschauenden und umsichtigen Planung sowie zur zügigen zielstrebigen Durchführung der Ausbildung nachgekommen ist. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird dem Auszubildenden entsprechend seinem Ausbildungsstand und Erkenntnisvermögen zugemutet, den Gründen, die einer Fortsetzung der bisherigen Ausbildung entgegenstehen, rechtzeitig zu begegnen. Sobald der Auszubildende sich Gewissheit über die Gründe für den Wechsel des Studienfachs verschafft hat, muss er deshalb, damit ein wichtiger bzw. unabweisbarer Grund im Sinne des § 7 Abs. 3 BAföG bejaht werden kann, unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), die erforderlichen Konsequenzen ziehen und die bisherige Ausbildung aufgeben (BVerwG, Urt. v. 21.6.1990 - 5 C 45.87 -, juris Rn. 13 m.w.N.). Ist dem Auszubildenden der wichtige bzw. unabweisbare Grund klar, ist der Fachrichtungswechsel jedenfalls dann nicht mehr unverzüglich, wenn die bisherige Ausbildung zunächst noch ein oder gar mehrere Semester fortgesetzt wird. Entscheidend ist die rechtzeitige Beendigung der bisherigen Ausbildung. Danach muss nicht zwingend im unmittelbaren zeitlichen Anschluss die andere Ausbildung aufgenommen werden (Buter, in Rothe/Blanke, BAföG, Stand: Juli 2019, § 7 Rn. 48 m.w.N.).
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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass der Kläger unter Berücksichtigung dieser Umstände sein im Wintersemester 2018/2019 zum 10. September 2018 an der Middle East Technical University in Ankara/Türkei begonnenes Bachelorstudium der Architektur im Hinblick auf den beabsichtigten Fachrichtungswechsel bereits nach dem Verlassen der Türkei und seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Juni 2019 hätte abbrechen müssen, der Abbruch jedoch tatsächlich erst mit seiner Exmatrikulation mit Wirkung zum 18. November 2020 erfolgt sei. Bis zu diesem Zeitpunkt sei kein Abbruch des Erststudiums erfolgt, vielmehr habe sich der Kläger ausweislich seiner eigenen Ausführungen gegenüber der Beklagten im Verwaltungsverfahren eine Wiederaufnahme seines Studiums in der Türkei offen halten wollen, bis er tatsächlich in Deutschland einen Studienplatz erhalten habe.
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Soweit der Kläger geltend macht, zumindest im Zeitpunkt der Entscheidungsreife seines Prozesskostenhilfeantrags am 9. Juli 2021, spätestens aber am 3. August 2021, sei noch offen gewesen, ob sein „Abbruchwille“ bereits zum Zeitpunkt des Umzugs aus der Türkei nach Deutschland bestanden habe, kann er damit nicht durchdringen.
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Ob ein solcher „Abbruchwille“ vorgelegen hat, ist für die Erfolgsaussichten der Klage unerheblich. Allein der innere Wille, das Erststudium nicht weiter fortsetzen bzw. abbrechen zu wollen, reicht für einen Abbruch des Erststudiums im Sinne von § 7 Abs. 3 BAföG nicht aus. Aus Gründen der Rechtsklarheit ist vielmehr die äußere Kundgabe des Entschlusses des Auszubildenden, die Ausbildung abzubrechen bzw. die Fachrichtung zu wechseln, entscheidend. Um die Annahme auszuschließen, dass er die Ausbildung nur unterbrochen hat, muss der Auszubildende eindeutig zu erkennen geben, dass er die Ausbildung nicht mehr aufnehmen wird. Bei einer Hochschulausbildung ist deshalb grundsätzlich zu verlangen, dass der Auszubildende sich exmatrikuliert (BVerwG, Beschl. v. 4.8.1988 - 5 B 119.87 -, juris Rn. 2; Beschl. v. 13.11.1987 - 5 B 121.86 -, juris Rn. 3; Urt. v. 17.9.1987 - 5 C 75.84 -, juris Rn. 13; vgl. Buter, in Rothe/Blanke, BAföG, Stand: 46. Aktualisierung Juli 2019, § 7 Rn. 48).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen bestand und besteht vorliegend keine hinreichende Grundlage für die Annahme, der Kläger habe sein Architekturstudium an der Middle East Technical University in Ankara/Türkei bereits mit seinem Umzug nach Deutschland im Juni 2019 abgebrochen. Aus dem Umzug allein ergibt sich nicht mit hinreichender Deutlichkeit der (eventuelle) subjektive Entschluss des Klägers, sein Studium in Ankara abzubrechen. Auch eine anderweitige eindeutige Kundgabe seines Willens, die Ausbildung in der Türkei zu beenden, ist jedenfalls vor Beginn des Wintersemesters 2020/2021 nicht erkennbar geworden. Im Gegenteil sprechen die Ausführungen des Klägers in seiner vom Verwaltungsgericht zitierten E-Mail deutlich dafür, dass er seinen Studienplatz in der Türkei vorsorglich noch nicht aufgeben wollte. Erst mit seiner Exmatrikulation mit Wirkung zum 18. November 2020 hat er daher sein Erststudium abgebrochen.
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Vorliegend greift zugunsten des Klägers auch nicht die Vermutungsregel des § 7 Abs. 3 Satz 4 BAföG. Danach wird beim erstmaligen Fachrichtungswechsel oder Abbruch der Ausbildung in der Regel vermutet, dass die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 BAföG erfüllt sind. Die gesetzliche Regelvermutung erstreckt sich auch darauf, dass der Fachrichtungswechsel unverzüglich erfolgt, nachdem der wichtige Grund eingetreten ist (BT-Drs. 15/3655, S. 9; Buter, in Rothe/Blanke, BAföG, Stand: 46. Aktualisierung Juli 2019, § 7 Rn. 48). Die Vermutung greift nach der gesetzlichen Regelung jedoch nur, wenn der Fachrichtungswechsel oder Abbruch der Ausbildung bis zum Beginn des dritten Fachsemesters erfolgt ist. Das ist bei dem Kläger nicht der Fall. Der Kläger hat den Fachrichtungswechsel - wie ausgeführt - erst mit seiner Exmatrikulation mit Wirkung zum 18. November 2020, also während des Wintersemesters 2020/2021 vollzogen. Zu diesem Zeitpunkt dürfte er sich bei seinem im Wintersemester 2018/2019 begonnenen Erststudium aber bereits im fünften Fachsemester befunden haben. In der Türkei beginnt das akademische Jahr in der Regel Mitte September und endet Mitte Juni und ist in zwei Semester gegliedert (https://www.daad.de/de/laenderinformationen/asien/tuerkei/studieren-und-leben-in-der-tuerkei/). Auch wenn nach der Regelung in § 5a Satz 1 BAföG ein Jahr, mithin zwei Fachsemester, unberücksichtigt bleiben (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 11.12.2019 - 4 ME 206/19 -, juris Rn. 6; BVerwG, Urt. v. 18.10.1990 - 5 C 67/86 -, juris Rn. 10), erfolgte der Fachrichtungswechsel somit nicht mehr „bis zum Beginn des dritten Fachsemesters“, sondern während des dritten Fachsemesters.
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Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der Kläger auch den für seinen Fachrichtungswechsel während des dritten Semesters erforderlichen wichtigen oder unabweisbaren Grund bislang nicht dargelegt hat. Auch insoweit greift die Vermutungsregelung nicht, da er – wie dargelegt – den Fachrichtungswechsel nicht vor Beginn des dritten Fachsemesters, sondern während des dritten Fachsemesters vollzogen hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 188 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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Referenzen
- § 5a Satz 1 BAföG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 152 1x
- 4 ME 206/19 1x (nicht zugeordnet)
- 5 C 67/86 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 94/88 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 121 Anfechtungsfrist 1x
- VwGO § 166 2x
- ZPO § 127 Entscheidungen 1x
- § 7 Abs. 3 BAföG 2x (nicht zugeordnet)
- § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- § 7 Abs. 3 Satz 4 BAföG 1x (nicht zugeordnet)