Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 9 A 5000/94
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Gebührenbescheide des Beklagten vom 28. Januar 1992 werden aufgehoben, soweit in ihnen Entwässerungsgebühren für das Jahr 1992 für die Grundstücke Im L. 39 und 39a in T. abschließend festgesetzt worden sind.
Es wird festgestellt, daß die Gebührenbescheide des Beklagten vom 28. Januar 1992 rechtswidrig gewesen sind, soweit in ihnen Abschlagszahlungen auf Entwässerungsgebühren für das Jahr 1993 für die o.g. Grundstücke festgesetzt worden sind.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist Eigentümer der an die städtische Kanalisation angeschlossenen Hausgrundstücke Im L. Nr. 39 und Nr. 39a in T. .
3Mit Grundbesitzabgabenbescheiden vom 28. Januar 1993 setzte der Beklagte für die genannten Grundstücke und für das Jahr 1992 die zu leistenden Entwässerungsgebühren abschließend fest und erhob zugleich für das Jahr 1993 auf die zu leistenden Entwässerungsgebühren Abschlagszahlungen. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die angefochtenen Grundbesitzabgabenbescheide und die im Berufungsverfahren mit Schreiben vom 20. und 22. August 1996 erfolgten Erläuterungen des Beklagten Bezug genommen. Mit Bescheiden vom 21. Januar 1994 setzte der Beklagte für den Verbrauchszeitraum 1993 die Entwässerungsgebühren abschließend fest.
4Nach erfolglosem Vorverfahren hat der Kläger gegen die Bescheide vom 28. Januar 1993 fristgerecht Klage erhoben. Zur Begründung hat er im wesentlichen folgendes vorgetragen: Der der Gebührenerhebung zugrunde liegende einheitliche Frischwassermaßstab führe zu einem offensichtlichen Mißverhältnis, weil das auf den Grundstücken verbleibende Wasser sowie das aus eigenen Wasserversorgungsanlagen zugeführte Wasser nicht berücksichtigt werde, obgleich die Regenwasserzurückhaltung etwa durch eine Zisterne in zunehmendem Maß an Bedeutung gewinne.
5Der Kläger hat beantragt,
6die Abgabenbescheide des Beklagten vom 28. Januar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 1993 aufzuheben, soweit darin für das Jahr 1992 die für die Grundstücke Im L. 39 und Im L. 39a in T. zu entrichtenden Entwässerungsgebühren abschließend festgesetzt worden sind, sowie
7festzustellen, daß die betreffenden Bescheide rechtswidrig gewesen sind, soweit darin Abschlagszahlungen von 720,00 DM (Grundstück Im L. 39) bzw. 1.300,00 DM (Grundstück Im L. 39a) gefordert worden sind.
8Der Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Zur Begründung hat er geltend gemacht, daß der Frischwassermaßstab angesichts der weitgehend homogenen Grundstücksnutzung in der Stadt T. ein zulässiger Maßstab auch für die Bemessung der Regenwassergebühren sei. Eine Großverbraucher treffende Ungleichbehandlung könne durch eine Billigkeitsentscheidung ausgeglichen werden, ohne daß bereits in der Satzung eine Gebührendegression vorgesehen werden müßte.
11Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, daß der Frischwassermaßstab für die Stadt T. ein wirksamer Maßstab sei, weil von insgesamt 6.594 an die Frischwasserversorgung angeschlossenen Grundstücke lediglich auf 37 Grundstücken mehr als 2.500 cbm Frischwasser im Jahr verbraucht würden.
12Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, mit der er im wesentlichen geltend macht, daß im Zuge des neuen ökologischen Bewußtseins immer mehr Grundstückseigentümer dazu übergegangen seien, Niederschlagswasser auf dem Grundstück versickern zu lassen und es nicht in die Kanalisation einzubringen. Würde aber eine mit dem einheitlichen Gebührensatz in Rechnung gestellte wesentliche Leistung, nämlich die Ableitung von Niederschlagswasser in das städtische Kanalnetz nicht in Anspruch genommen, sondern nur Schmutzwasser eingeleitet, liege ein offensichtliches Mißverhältnis zwischen der Inanspruchnahme der öffentlichen Anlage und der dafür berechneten Gebühr vor. In dem Urteil sei das Verwaltungsgericht nicht der Frage nachgegangen, ob in T. eine beachtliche Anzahl von Grundstückseigentümern vorhanden sei, die nur Schmutzwasser in die Kanalisation einleiteten. Würden mehr als 10 % der Grundstückseigentümer betroffen sein, so sei der Frischwassermaßstab des Beklagten kein zulässiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab und damit die Gebührensatzung nichtig.
13Der Kläger beantragt,
14das angefochtene Urteil zu ändern und nach den Klageanträgen zu erkennen.
15Der Beklagte beantragt,
16die Berufung zurückzuweisen.
17Zur Begründung macht er geltend, daß es in der Stadt T. lediglich einen kleinen Prozentsatz von Gebührenpflichtigen gebe, die ausschließlich Schmutzwasser in die Kanalisation einleiteten und das Niederschlagswasser auf dem Grundstück versickern ließen. Ihr Anteil liege deutlich unter 10 %. Er, der Beklagte, habe Kenntnis von der Anzahl der Grundstückseigentümer, da er bei der Erteilung der Erlaubnis für die Sickeranlagen gemäß § 7 WHG durch die untere Wasserbehörde des I. beteiligt werde. Diese atypischen Einzelfälle hätten daher nach dem Grundsatz der Typengerechtigkeit bei der Wahl des Frischwassermaßstabs unberücksichtigt bleiben können. Darüber hinaus sei bei dem Grundstück des Klägers, Im L. 39a, durch eine Untersuchung festgestellt worden, daß der überwiegende Teil des Regenwassers von den befestigten Flächen aufgrund eines falschen Anschlusses sogar dem Schmutzwasserkanal zugeleitet werde.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Die zulässige Berufung ist mit beiden Klageanträgen begründet.
21Die Gebührenbescheide vom 28. Januar 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 1993 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit in ihnen für das Jahr 1992 Entwässerungsgebühren abschließend festgesetzt worden sind.
22Als Rechtsgrundlage für die Erhebung von Entwässerungsgebühren für das Jahr 1992 kommt § 9 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Stadt T. vom 18. April 1986 i.d.F. der 7. Änderungssatzung vom 13. Dezember 1991 (GS) nicht in Betracht. Diese Satzungsregelung ist, soweit hier von Belang, in materiell-rechtlicher Hinsicht unwirksam.
23Dies folgt jedoch nicht aus der Verwendung eines einheitlichen Frischwassermaßstabs zur Bemessung der Schmutzwasser- und Niederschlagswassergebühren. Auf die insoweit zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu wird gemäß § 130 b VwGO Bezug genommen, zumal der Kläger die tatsächlichen Angaben des Beklagten, auf die sich das Verwaltungsgericht gestützt hat, auch in der Berufung nicht angegriffen hat.
24Das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Beurteilung. Es mag sein, daß, wie der Kläger in seinem Schriftsatz vom 13. Juni 1995 vorträgt, infolge des neuen ökologischen Bewußtseins immer mehr Grundstückseigentümer dazu übergegangen sind, Niederschlagswasser auf dem Grundstück versickern zu lassen und es nicht in die Kanalisation einzubringen. Dem war jedoch - unabhängig von dem Umstand, daß die Maßstabsregelung aus anderen Gründen unwirksam ist - schon aufgrund des unzureichenden Vorbringens des Klägers nicht weiter nachzugehen.
25Abgesehen davon, daß der Kläger selbst nicht behauptet hat, daß diese Entwicklung bereits in dem hier maßgebenden Veranlagungszeitraum (1992) eingesetzt hat, hat der Beklagte hierzu dahingehend Stellung genommen, daß der Anteil dieser Grundstückseigentümer deutlich unter 10 % liege. Im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes sind die Verwaltungsgerichte zwar verpflichtet, jede mögliche Aufklärung des Sachverhalts bis an die Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern die Aufklärung nach ihrer Auffassung für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist. Aufklärungsmaßnahmen brauchen jedoch nur zu erfolgen, soweit sie sich dem Gericht aus dem Sachvortrag oder den beigezogenen Unterlagen aufdrängen. Läßt es der Beteiligte an substantiiertem Sachvortrag fehlen, so hat es dabei sein Bewenden. Die Untersuchungsmaxime ist keine prozessuale Hoffnung, das Gericht werde mit ihrer Hilfe schon die klagebegründenden Tatsachen finden.
26Vgl. OVG NW, Beschluß vom 11. Juni 1996 - 9 A 1864/94 - m.w.N.
27Gemessen hieran ist der Senat nicht verpflichtet, die Anzahl derjenigen Eigentümer von Amts wegen zu ermitteln,, die ihr gesamtes Regenwasser nicht mehr in die Kanalisation der Stadt T. einleiten. Denn dem pauschalen Vorbringen des Klägers fehlt es angesichts der Erklärungen des Beklagten an jeglicher Substantiierung und Konkretisierung, zumal gerade die Anschlußsituation auf dem Grundstück des Klägers - Im L. 39a - gegen seine eigene Auffassung spricht.
28Die Unwirksamkeit des Gebührenmaßstabes folgt jedoch aus der Unwirksamkeit der Regelung in § 9 Abs. 2 Satz 4 GS. Hiernach wird auf Antrag eine Gebührenbefreiung für die nicht eingeleitete Frischwassermenge gewährt, wenn nachgewiesen oder aufgrund von Erfahrungswerten glaubhaft gemacht wird, daß von dem im Kalenderjahr bezogenen Frischwasser mehr als 60 cbm nicht in die Abwasseranlage eingeleitet worden sind. Diese Grenzwertregelung ist mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar, weil ihr auch unter Zugrundelegung der Grundsätze der Typengerechtigkeit und der Verwaltungspraktikabilität die vom Gleichheitssatz gebotene Differenzierung der Gebühr nach der Benutzungsintensität fehlt.
29BVerwG, Beschluß vom 28. März 1995 - 8 N 3.93 -, DÖV 1995, 826 -; OVG NW, Urteile vom 18. März 1996 - 9 A 384/93 - und - 9 A 428/93 -.
30Die Nichtigkeit der Grenzwertregelung führt zur Nichtigkeit des gesamten Frischwassermaßstabs. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, daß, hätte der Satzungsgeber von der Nichtigkeit der Grenzwertregelung gewußt, an dem Frischwassermaßstab ohne jede Grenzwertregelung festgehalten hätte. Vielmehr ist, wie der Umstand belegt, daß der Rat der Stadt T. auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hin den Grenzwert ab dem Jahr 1995 von 60 cbm auf 20 cbm reduziert hat, indiziell zu ersehen, daß der Rat der Stadt T. aus Praktikabilitätserwägungen im Rahmen des Frischwassermaßstabes an einer Grenzwertregelung festhalten und nicht jede auf dem Grundstück zurückgehaltene Wassermenge in Abzug bringen wollte.
31Auch die Erhebung von Abschlagszahlungen (Vorausleistungen) für das Jahr 1993 ist rechtswidrig gewesen.
32Dabei kann der Senat offen lassen, ob die Satzungsregelung in § 12 Abs. 2 Satz 1 GS, die allein als Rechtsgrundlage für die Erhebung von Vorausleistungen in Betracht kommen könnte, in jeder Hinsicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Versteht man die genannte Satzungsbestimmung, wonach bis zum Ausgang eines neuen Festsetzungsbescheides die Gebühr über das Kalenderjahr hinaus den in Abs. 1 des § 12 GS genannten Fälligkeitsterminen weiter zu entrichten ist, dahingehend, daß sich die für das Vorjahr konkret festgesetzte Gebühr im Folgejahr ihrem Betrag nach schlicht perpetuiert, folgt die Rechtswidrigkeit der Erhebung von Vorausleistungen im vorliegenden Fall schon daraus, daß aufgrund der rückwirkenden Kassation der Gebührenfestsetzung für das Jahr 1992 eine der Perpetuierung fähige Gebührenfestsetzung nicht existiert.
33Geht man davon aus, daß für die Bemessung der Vorausleistungen der Frischwassermaßstab des § 9 GS Anwendung findet (etwa in der Form des Frischwasserbezugs des Vorjahres), führt die Anknüpfung an den unwirksamen Firschwassermaßstab zur Unwirksamkeit der Rechtsgrundlage für die Erhebung von Vorausleistungen und damit ebenfalls zu deren Rechtswidrigkeit.
34Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
35Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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