Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 1165/10
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten der Klägerin abgelehnt.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf einen Wert bis 300,00 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung, über welchen im Einverständnis der Beteiligten entsprechend §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 87a Abs. 2 und 3 VwGO der Berichterstatter anstelle des Senats entscheidet, hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 5 VwGO sind bereits nicht hinreichend dargelegt bzw. liegen auf der Grundlage der Darlegungen der Klägerin nicht vor.
31. An der Richtigkeit des Urteils erster Instanz bestehen keine ernstlichen Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Zweifel solcher Art sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.
4Das Zulassungsvorbringen weckt keine Zweifel in diesem Sinne an der Feststellung des Verwaltungsgerichts, die von der Klägerin geltend gemachten, die Nutzung von Verbandkontaktlinsen betreffenden Aufwendungen für die Reinigungs- und Pflegemittel Lenscare Lösung 1 und 2, Lenscare Pentazyme und Oxysept sowie für den Aufbewahrungsbehälter Peroxid seien gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 10 Satz 3 BVO NRW (a.F.) nicht beihilfefähig; eine anderen Bewertung sei auch nicht mit Blick auf das bei der Klägerin gegebene schwere Krankheitsbild angezeigt, weil diese Aufwendungen jeden Nutzer von Kontaktlinsen gleichermaßen beträfen.
5Die Klägerin macht insoweit geltend, sie sei entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht gleichermaßen betroffen wie jeder andere Nutzer von Kontaktlinsen. Denn sie sei auf das ständige Tragen der Verbandkontaktlinsen zum Schutz der Hornhaut und zur Schmerzlinderung als einzig wirksame Behandlungsform angewiesen. Sie nutze die Kontaktlinsen mithin nicht als Sehhilfe, weshalb auch – anders als bei jedem anderen Nutzer von Kontaktlinsen – das Tragen einer Brille nicht in Betracht komme. Zudem habe die Beklagte auch das zur Behandlung des stark trockenen Auges eingesetzte, nach der BVO NRW an sich nicht beihilfefähige Medizinprodukt Hylo-Lasop bzw. Hylo-Comod aus fürsorgerischen Gründen als beihilfefähig anerkannt; nichts andere könne für die noch streitigen Aufwendungen gelten, da das Beihilferecht einheitlich ausgelegt und angewendet werden müsse.
6Dieses Vorbringen greift nicht durch. Nach der hier noch anzuwendenden Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 10 Satz 3 BVO NRW a.F. (insoweit wortgleich: § 4 Abs. 1 Nr. 10 Satz 3 BVO NRW) sind Aufwendungen zur Beschaffung von Pflege- und Reinigungsmitteln für Kontaktlinsen nicht beihilfefähig. Dies zieht die Klägerin auch nicht in Zweifel. Sie macht vielmehr sinngemäß geltend, der behauptete Beihilfeanspruch ergebe sich (wie auch der von dem Beklagten bejahte Anspruch auf Beihilfe zu den Aufwendungen für das Tränenersatzmittel Hylo-Lasop bzw. Hylo-Comod) mit Blick auf ihre schwere Erkrankung unmittelbar aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.
7Allerdings scheidet ein Rückgriff unmittelbar auf die verfassungsrechtlich in Art. 33 Abs. 5 GG verankerte sowie einfachgesetzlich in § 85 LBG NRW 1981 (nunmehr § 45 BeamtStG) geregelte Fürsorgepflicht als Anspruchsgrundlage nicht bereits deshalb zwingend aus, weil die konkreten Aufwendungen beihilferechtlichen Leistungsbegrenzungen oder – wie hier – Leistungsausschlüssen unterfallen. Vielmehr stellen derartige Regelungen dann keinen Hinderungsgrund für die Beihilfegewährung dar, wenn sie im Einzelfall erhebliche Belastungen des Beihilfeberechtigten zur Folge hätten, die dieser nicht durch die Regelalimentation und durch eine zumutbare Eigenvorsorge bewältigen kann. In diesen Fällen kann die Fürsorgepflicht Beihilfeansprüche vermitteln, um unzumutbare Härten für Beihilfeberechtigte zu vermeiden oder zu beseitigen.
8Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. August 2010 – 2 B 13.10 –, juris, Rn. 15 f., m.w.N., und OVG NRW, Urteil vom 26. November 2009 – 1 A 1524/08 –, juris, Rn. 61 und 76 ff.; vgl. ferner Kohde, in: von Roetteken/Rothländer, Hessisches Bediensteten-recht, Stand: September 2011, BeamtStG § 45 Rn. 33, m.w.N.
9Dass der Leistungsausschluss nach § 4 Abs. 1 Nr. 10 Satz 3 BVO NRW a.F. im vorliegenden Einzelfall zu einer im vorgenannten Sinne erheblichen, nicht zu bewältigenden finanziellen Belastung der Klägerin führen und eine unzumutbare Härte begründen würde, ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Der Ansicht der Klägerin, die Frage der Beihilfefähigkeit der hier streitigen Aufwendungen müsse in gleicher Weise beantwortet werden wie die entsprechende, auf das Tränenersatzmittel bezogene Frage, zumal sie wegen ihrer Erkrankung durch diese Aufwendungen keineswegs gleichermaßen betroffen sei wie jeder andere Nutzer von Kontaktlinsen, ist Folgendes entgegenzuhalten: Dass der Beklagte dem Hinweis des Verwaltungsgerichts folgend einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Beihilfe zu den Aufwendungen für das Tränenersatzmittel unmittelbar aus der Fürsorgepflicht ausnahmsweise und einzelfallbezogen bejaht hat, ist zwar ohne Weiteres nachvollziehbar. Denn die Klägerin ist zwingend auf das nicht durch sonstige Präparate ersetzbare Tränenersatzmittel angewiesen, um schwerste Gesundheitsschäden (eine Vernarbung der Augenoberfläche mit drastischen Einbußen bei der Sehfähigkeit und unerträglichen, permanenten Schmerzen, bis hin zur Einschmelzung der Hornhaut und Verlust der Augen) abzuwenden, und durch die insoweit anfallenden Kosten dauerhaft und wohl auch bereits erheblich belastet. Eine solche Sondersituation liegt in Bezug auf die Kosten der Reinigungs- und Pflegemittel für die (Verband-) Kontaktlinsen aber ersichtlich nicht vor. Zum einen wird die Klägerin, welche als Studiendirektorin a.D. ein nicht unerhebliches Ruhegehalt erhält, insoweit auch angesichts der dauerhaften Verwendung der Mittel nur mit Bagatellkosten belastet, was im Übrigen der wesentliche Grund für die Ausschlussregelung des § 4 Abs. 1 Nr. 10 Satz 3 BVO NRW a.F. sein dürfte. Zum anderen befindet sie sich, was ihren Bedarf an Pflege- und Reinigungsmitteln für die (Verband-) Kontaktlinsen und die anfallenden Kosten betrifft, entgegen dem Zulassungsvorbringen in der genau gleichen Lage wie alle übrigen vergleichbaren Beihilfeberechtigten. Vergleichbar sind jene Beihilfeberechtigten, die aus anderen (Krankheits-) Gründen als die Klägerin, aber in gleicher Weise auf die Verwendung von Kontaktlinsen angewiesen sind und deshalb zu den Anschaffungskosten der Linsen eine Beihilfe erhalten (haben), hinsichtlich der Kosten für Pflege- und Reinigungsmittel aber auf die einschlägige Ausschlussregelung verwiesen worden sind bzw. verwiesen werden. Solche Fälle liegen bei den von der Klägerin angesprochenen Sehfehlern immer dann vor, wenn diese nicht oder nicht ausreichend durch eine Brille korrigiert werden können.
10Vgl. insoweit die Aufzählung solcher, zur Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Haftschalen für Augen führenden Fälle bei Mohr/Sabolewski, Beihilfenrecht Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Stand: Januar 2012, B I § 4 Anm. 10 (Seite B 73 f.).
112. Die Berufung kann auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne der Vorschrift, wenn sie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung des Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.
12Die von der Klägerin als grundsätzlich bedeutsam allein formulierte Rechtsfrage,
13"ob und in welchem Umfang aufgrund der Fürsorgepflicht des Dienstherrn und des schweren Krankheitsbildes im Einzelfall Kosten für an sich nach dem Wortlaut der Beihilfeverordnung nicht beihilfefähige Aufwendungen anerkannt werden müssen",
14vermag schon deshalb nicht auf eine Zulassung der Berufung zu führen, weil sie in dieser Allgemeinheit bereits nicht für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung gewesen ist. Denn das Verwaltungsgericht hat (sinngemäß) einen Beihilfeanspruch aus der Fürsorgepflicht allein für die konkret in Rede stehenden, dem Leistungsausschluss nach § 4 Abs. 1 Nr. 10 Satz 3 BVO NRW a.F. unterfallenden Aufwendungen verneint. Aus dem gleichen Grund könnte die formulierte Frage auch nicht für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein. Ihre Beantwortung liefe vielmehr auf eine vom Fall gelöste, rechtsgutachterliche, nämlich zahlreiche Fallkonstellationen zu bedenken habende Äußerung hinaus. Abgesehen davon könnte die Frage bei – unterstellt – hinreichend konkreter Fassung ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen, weil es ihr dann an einer grundsätzlichen bzw. fallübergreifenden allgemeinen Bedeutung fehlen würde. Denn die Beantwortung der Frage, ob angesichts einer schwerwiegenden Erkrankung, welche das Tragen von Verbandkontaktlinsen erfordert, ausnahmsweise ein Anspruch auf Gewährung von Beihilfe zu den Aufwendungen für insoweit benötigte Pflege- und Reinigungsmittel unmittelbar aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn besteht, hängt ausweislich der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats ausschlaggebend von einer Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls – insbesondere einer Betrachtung der jeweils gegebenen finanziellen Belastung – ab.
153. Eine Zulassung der Berufung kann schließlich auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers erfolgen. Die Klägerin macht insoweit eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend und führt zur Begründung (sinngemäß) aus, es hätte sich dem Verwaltungsgericht aufdrängen müssen, ein Sachverständigengutachten oder ärztliche Befundberichte zu der Frage einzuholen, warum sie "auf die Verbandkontaktlinsen und die Präparate Lenscare Lösung 1 und 2, Aufbewahrungsbehälter Peroxid, Lenscare Pentazyme und Oxisept" angewiesen ist". Der solchermaßen behauptete Aufklärungsmangel ist indes nicht gegeben. Hinsichtlich der Verbandkontaktlinsen liegt dies schon deshalb auf der Hand, weil entsprechende Aufwendungen nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind. Auch in Bezug auf die allein streitgegenständlichen Aufwendungen für die Pflege- und Reinigungsmittel und das Behältnis bedurfte es ersichtlich keiner (weiteren) Sachaufklärung. Denn der Zweck dieser Mittel und des Behältnisses erschöpft sich – wie gesehen: unabhängig von der jeweils gegebenen Art der Erkrankung bzw. des Körperschadens – auf der Hand liegend darin, der Aufbewahrung, Pflege und Reinigung der Kontaktlinsen zu dienen.
16Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 und 3 GKG.
17Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach § 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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