Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 12 A 2223/13
Tenor
Der Antrag des beklagten Studentenwerkes auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Das beklagte Studentenwerk trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungszulassungsver-fahrens.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, denn er ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe liegt vor.
3Namentlich folgen aus dem Zulassungsvorbringen des beklagten Studentenwerkes keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es vermag weder die Auslegung der formblattmäßigen Beantragung von Vorausleistungen als bescheidungsfähigen Antrag, dessen Voraus-setzungen sich nach § 36 Abs. 1 BAföG richten, noch die Annahme des Verwal-tungsgerichts maßgeblich in Frage zu stellen, die Ausbildung sei ohne einen – als Vorausleistung geforderten – Unterhaltsbetrag der Eltern gefährdet gewesen.
4Es trifft zu, dass die Klägerin ihren Antrag auf Vorausleistungen ausweislich der am 30. Dezember 2010 und am 14. Februar 2011 beim Studentenwerk eingegangenen „Formblätter 8“ ursprünglich auf § 36 Abs. 2 Ziff. 1 BAföG gestützt hat. Vorausset-zung für eine Vorausleistung ist danach in einem ersten Schritt, dass die Eltern die für die Anrechnung des elterlichen Einkommens erforderlichen Auskünfte nicht er-teilen und auch keine Unterhaltsleistungen erbringen. Wenn insoweit Abs. 1 ent-sprechend anzuwenden ist, bedeutet dies gesetzessystematisch, dass die erste materielle Anspruchsvoraussetzung des Abs. 1 – Nichtleistung des angerechneten Unterhaltsbetrages der Eltern – durch die entsprechenden Anspruchsvorausset-zungen des Abs. 2 – Nichtleistung des Bedarfs und Missachtung der Mitwirkungs-pflichten – ersetzt wird, die zweite materielle Anspruchsvoraussetzung – Gefährdung der Ausbildung – und die verfahrensrechtlichen Regelungen des Abs. 1 hingegen weiterhin gelten.
5Vgl. auch Humborg, in: Rothe/Blanke, BAföG, Stand September 2012, § 36 Rn. 14.
6Auf § 36 Abs. 1 BAföG konnte die Klägerin ihr Vorausleistungsbegehren bei förm-licher Antragstellung auch noch gar nicht stützen, weil die Eltern erstmals am 26. April 2011 – also erst im weiteren Verlauf des streitbefangenen Förderungs-zeitraumes – Angaben zu ihren Einkommensverhältnissen gemacht haben, die eine Berechnung des nach dem BAföG anzurechnenden Unterhaltsbetrages ermöglichen sollten.
7Entgegen der Auffassung des beklagten Studentenwerkes konnte die Klägerin diesen Vorausleistungsantrag durchaus schon zeitgleich mit ihrem Antrag auf Ausbil-dungsförderung im Dezember 2010 – also dem ersten Monat des Bewilligungszeit-raumes – rechtswirksam stellen. Abgesehen davon, dass der Vorausleistungsantrag
8im Februar 2011 durch erneute Formblatteinreichung auch wiederholt und ergänzt worden ist, lässt sich nicht nachvollziehen, dass der Antragszeitpunkt nicht – wie die Beklagtenseite anzunehmen scheint – innerhalb des streitbefangenen Bewilligungs-zeitraumes liegen soll. Zudem bedeutet die Verfahrensregelung in § 36 Abs. 1 letzter Halbsatz BAföG lediglich, dass der Antrag auf Gewährung von Vorausleistungen grundsätzlich vor dem Ende des jeweiligen Bewilligungszeitraumes zu stellen ist,
9vgl. Humborg, in: Rothe/Blanke, a.a.O., § 36 Rn. 11.2,
10aber keinesfalls, dass er – etwa wenn der Auszubildende bereits frühzeitig die zu-künftige Nichtleistung jeglichen Unterhaltes glaubhaft zu machen in der Lage ist – nicht schon vor Beginn des Bewilligungszeitraumes eingereicht werden kann und bearbeitet werden muss.
11Vgl. Humborg, in: Rothe/Blanke, a.a.O., § 36 Rn. 13.1; zur Möglichkeit, den Vorausleistungsantrag dem allgemeinen Antrag auf Bewilligung von Aus-bildungsförderung, der auch schon vor Beginn des Bewilligungszeit raumes gestellt werden kann, bei-zufügen: Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, 4. Auflage 2005, § 36 Rn. 12.
12Dass bei Antragstellung auch bereits die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 BAföG vorliegen, ist nicht erforderlich, denn im Rahmen der Nr. 2 ist das Amt für Ausbildungsförderung als Herr des Geschehens gefordert.
13Vgl. Humborg, in: Rothe/Blanke, a.a.O., § 36 Rn. 16
14Entfällt nach einer rechtswirksamen Antragstellung, die sich aus § 36 Abs.2 Nr. 1 BAföG rechtfertigt, dessen weitere – für die Ersetzung der Nichtleistung des „ange-rechneten Unterhalts“ in § 36 Abs. 1 BAföG durch die Nichtleistung des „Bedarfs nach den §§ 12 bis 14a BAföG“ ausschlaggebende – Voraussetzung, dass die Eltern die für die Anrechnung ihres Einkommens erforderlichen Auskünfte nicht erteilen oder Urkunden nicht vorlegen, hat das Ausbildungsförderungsamt mit Blick auf die vorstehend geschilderte Gesetzessystematik zu prüfen, ob – da sich nunmehr ein anzurechnender Unterhaltsbetrag errechnen lässt – das Vorausleistungsbegehren seine Rechtsgrundlage nicht dennoch in der Grundregelung des § 36 Abs. 1 BAföG findet.
15Vgl. dazu, dass sich bei nachträglichen Angaben der Eltern die Voraussetzungen für eine Vorausleistung nach § 36 Abs. 1 BAföG richten, auch: Ramsauer/
16Stallbaum/Sternal, a.a.O., § 36 Rn. 24.
17Dies ist im Vorausleistungsantrag selbst zumindest dann angelegt, wenn aus ihm – wie hier – hervorgeht, dass die Eltern generell zu keinen weiteren Unterhaltsleistung-en für die dritte Ausbildung ihrer Tochter bereit seien. Dies bezieht nämlich ein, dass auch ein nach den Bestimmungen des BAföG angerechneter Unterhaltsbetrag nicht geleistet wird. Ihre dahingehende Haltung haben die Eltern gem. entsprechenden Gesprächsnotizen vom 6. April 2011 und vom 12. April 2011 in Telefonaten unter-mauert,
18vgl. zur Glaubhaftmachung auch durch eine An-hörung der Eltern: Humborg, in: Rothe/Blanke, a.a.O., § 36 Rn. 12,
19und auch mit der – unter Druck des Ausbildungsförderungsamtes nach Maßgabe von § 36 Abs. 2 Nr. 2 BAföG erfolgten – Übersendung der Einkommensunterlagen zur Feststellung des anrechenbaren Unterhaltsbetrages, mit dem sie nach Ansicht des Ausbildungsförderungsamtes ihre Tochter unterstützen müssten, nicht ausdrücklich aufgegeben.
20Vgl. zu dem Ausnahmefall, dass sich eine elterliche Erklärung nur auf die Anwendung von § 24 Abs. 3 BAföG bezieht: Humborg, in: Rothe/Blanke, a.a.O., § 36 Rn. 10 m. H. a. BVerwG, Beschluss vom 25. November 1987 - 5 B 43.86 -, Buchholz 436.36 § 36 BAföG Nr. 10, juris.
21Von einem zunächst nur vorsorglich gestellten Vorausleistungsantrag
22vgl. zu dieser Rechtsfigur: BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2010 - 5 C 13/09 -, NVwZ-RR 2010, 570, juris,
23kann insoweit nicht die Rede sein. Vor diesem Hintergrund ist zu der vom Verwal-tungsgericht vorgenommenen Auslegung des Vorausleistungsbegehrens der Klä-gerin im Ergebnis nichts zu erinnern.
24Das gilt auch hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Subsumption unter die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 BAföG, namentlich die Annahme, die Ausbildung der Klägerin sei ohne die Vorausleistung in Höhe des angerechneten Betrages auch gefährdet gewesen. Das beklagte Studentenwerk verkennt insoweit, dass für diese Frage die fortschreitenden Verhältnisse im Bewilligungszeitraum für die Vorausleistung maßgeblich sind,
25vgl. Humborg, in: Rothe/Blanke, a.a.O., § 36 Rn. 9.3 und 9.4,
26und bei der entsprechenden Betrachtung im Vorhinein eine abstrakte Gefährdung ausreicht, die auch durch die Inanspruchnahme kurzfristiger Kredite von dritter Seite und den Bezug von Vorbehaltsleistungen, wie sie der Klägerin erstmals mit Bescheid vom 30. Mai 2011 gewährt worden sind, nicht ausgeschlossen wird.
27So Ramsauer/Stallbaum/Sternal, a.a.O., § 36 Rn. 9.
28Schon darin, dass dem Auszubildenden selbst unter Anrechnung von Elterneinkom-men noch ergänzend Ausbildungsförderung zusteht, manifestiert sich regelmäßig die Abhängigkeit der Fortsetzung der Ausbildung von zusätzlichen Geldmitteln, über die der Betreffende nach den Angaben im Förderungsantrag selbst nicht ausreichend verfügt.
29Davon ausgehend, dass die Ausbildung durch die Nichtleistung des nach dem BAföG angerechneten Betrages gefährdet ist: BayVGH, Urteil vom 16. No-vember 1993 - 12 B 92.1995 -, juris, m. H. a. BVerwG, Beschluss vom 10. November 1988 - 5 B 20.88 -, Buchholz 436.36 § 36 BAföG Nr. 11, juris.
30Dass eine Fallgestaltung gegeben gewesen sein könnte, in der trotz der Nicht-leistung des Unterhaltsbetrages durch die Eltern ein Anspruch auf Vorausleistungen nicht bestanden hat, weil die Ausbildung dennoch nicht gefährdet war,
31vgl. dazu, dass die Gefährdung eine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung neben der Nichtleistung des Unterhaltsbetrages ist: Humborg, in: Rothe/Blan-ke, a.a.O., § 36 Rn. 9,
32drängte sich dem Verwaltungsgericht nicht auf und ist vom beklagten Ausbildungs-förderungsamt auch nicht substantiiert geltend gemacht worden, zumal dies für den Bewilligungszeitraum Oktober 2011 bis September 2012 mit Bescheid vom 30. Juli 2012 selbst ohne weitergehende Feststellungen zur Gefährdung der Ausbildung (vgl. die „Sachfeststellung“ vom 23. Juli 2012) Vorausleistungen gewährt hat.
33Nach alledem kann die Berufung auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer tatsächlicher und/oder rechtlicher Schwierigkeiten zugelassen werden. Die Rechtslage stellt sich – was die vom beklagten Ausbildungsförderungsamt inso-weit hervorgehobenen Probleme der „Umdeutung“ und eines „vorsorglich gestellten Antrags“ betrifft – anders dar, als die Beklagtenseite unterstellt.
34Ebenso wenig kommt eine Berufungszulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache in Betracht. Die vom beklagten Ausbildungsförderungsamt als grundsätzlich aufgeworfenen Fragen,
351. „ob eindeutig gestellte Anträge umgedeutet werden dürfen und
36müssen“;
372. ob „vorsorglich gestellte Anträge Rechtswirksamkeit erlangen, ohne
38dass die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind“ und
393. ob „eine Gefährdung der Ausbildung rückwirkend konstruiert werden
40darf“,
41stellen sich nach den obigen Ausführungen von vornherein nicht bzw. so nicht.
42Schließlich scheidet auch eine Berufungszulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen eines Verfahrensmangels aus. Der von Beklagtenseite sinngemäß gerügte Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO liegt ersichtlich nicht vor. Eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes in Hinblick auf eine Gefährdung der Ausbildung musste sich mit Blick auf die Nichtleistung des Unterhaltsbetrages seitens der Eltern nicht aufdrängen. Im Übrigen dringt das beklagte Ausbildungs-förderungsamt mit seiner Rüge auch deshalb nicht durch, weil es in der mündlichen Verhandlung vom 7. August 2013, in der es sachkundig vertreten war, entsprechen-de Beweisanträge nicht gestellt hat.
43Vgl. auch: Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 124 Rn. 191, m.w.N.
44Die Kostenentscheidung folgt auch §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.
45Mit diesem Beschluss, der nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar ist, wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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Referenzen
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- VwGO § 124 4x
- VwGO § 152 1x
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- VwGO § 124a 1x
- § 36 BAföG 2x (nicht zugeordnet)
- § 36 Abs. 1 letzter Halbsatz BAföG 1x (nicht zugeordnet)
- 5 C 13/09 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
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- § 36 Abs. 2 Nr. 2 BAföG 2x (nicht zugeordnet)
- § 36 Abs. 1 BAföG 6x (nicht zugeordnet)