Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 16 A 1014/11
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 4. März 2011 wird zurückgewiesen.Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Das Berufungsverfahren betrifft die Frage der Kostenlast einer Erneuerung des Brückenbauwerks in I. -G. , über das die Gleise der Bahnstrecke 2631 (Köln – Trier) der Klägerin bei Kilometer 2,9 verlaufen, die darunter von der Bahnstrecke Köln-Bonn der Beklagten (so genannte Vorgebirgsbahn) gekreuzt wird. Die beiden Gleise der Vorgebirgsbahn werden zum Güterverkehr und für den Stadtbahnbetrieb der Linie 18 der Kölner Verkehrsbetriebe Aktiengesellschaft (KVB) zwischen Köln und Bonn benutzt.
3Die Königliche Eisenbahndirektion Cöln als eine Rechtsvorgängerin der Klägerin und damalige gesetzliche Vertreterin des Königlich Preußischen Staates und die Aktiengesellschaft der Cöln-Bonner-Kreisbahnen, eine Rechtsvorgängerin der Beklagten, schlossen im September 1907 zum Zwecke der Durchführung einer staatlich genehmigten Kreuzung der beiden Eisenbahnstrecken folgenden Vertrag:
4„...
5Die Aktiengesellschaft der Cöln-Bonner Kreisbahnen beabsichtigt bei der durch Allerhöchste Genehmigungsurkunde vom 20. Mai 1904 genehmigten Verlegung der Vorgebirgsbahn zwischen Vochem und Hermülheim und Herstellung einer neuen normalspurigen Linie Vochem-Kendenich die Staatsbahn auf der Strecke Cöln-Trier in km 2,9 + 90 mit zwei Gleisen zu kreuzen und zwar mittelst einer in dem Damme der Staatsbahn herzustellenden Unterführung mit eisernem Überbau, welche durch Erlass des Herrn Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 5. Februar 1906 IV.D.20 791 die ministerielle Genehmigung erhalten hat. Die Königliche Eisenbahndirektion Cöln übernimmt die Ausführung dieser Unterführung auf Kosten der Aktiengesellschaft der Cöln-Bonner Kreisbahnen unter nachstehenden Bedingungen.
6§ 1
7Die Eisenbahndirektion gestattet die Kreuzung der Staatsbahngleise durch Anlage einer Unterführung auf jederzeitigen Widerruf. Sie ist berechtigt, im Falle des Widerrufs die Unterführung sowohl, als auch die auf Ihrem Eigentum befindlichen Bahnanlagen auf Kosten der Aktiengesellschaft der Cöln-Bonner-Kreisbahnen zu beseitigen und zwar nach vorausgegangener dreimonatlicher Kündigung.
8§ 2
9Die Eisenbahndirektion übernimmt die Ausführung der Unterführung auf Grund des dem Vertrage anliegenden Entwurfs, sowie alle sonstigen hierdurch am Bahnkörper notwendig werdenden Veränderungen. ...
10§ 3
11Die Aktiengesellschaft der Cöln-Bonner Kreisbahnen wird der Eisenbahndirektion Cöln alle Kosten ersetzen, welche ihr aus dem im § 2 des Vertrages bezeichneten Arbeiten entstehen. Die zu erstattenden Kosten werden nach den bei der Staatsbahnverwaltung bestehenden Vorschriften für die Ausführungen von Leistungen und Lieferungen im Interesse Dritter berechnet. Die Aktiengesellschaft wird vor Beginn der Arbeiten 40 000 M als zinslosen Vorschuss bei der Eisenbahnhauptkasse in Cöln einzahlen. Die Zahlung von weiteren Raten, die nicht unter 15 000 M betragen sollen, hat die Aktiengesellschaft binnen 14 Tagen nach erhaltener jedesmaliger Aufforderung, die Zahlung der verbleibenden Restsumme binnen 4 Wochen nach Empfang der Abrechnung bei der Königlichen Hauptkasse zu Cöln zu leisten. An der Abrechnung, welche der Aktiengesellschaft nach Fertigstellung der Arbeiten zugehen wird, soll dieser nur ein rechnerisches Prüfungsrecht, nicht aber ein sachliches Einspruchsrecht zustehen.
12§ 4
13Die Unterführung geht nach Fertigstellung ohne weiteres in das alleinige unbeschränkte Eigentum der Staatsbahnverwaltung über. Diese übernimmt die laufende, gewöhnliche Unterhaltung des Bauwerks und der darauf befindlichen Gleise der Staatsbahn auf ihre Kosten, wofür die Aktiengesellschaft als einmalige Entschädigung den Betrag von 5000 M zu zahlen hat. Hierauf kommen jedoch 3000 M, die die Aktiengesellschaft laut Vertrag vom 5. Dezember 1895 für laufende, gewöhnliche Unterhaltung des Unterführungsbauwerks in km 2,9 der Strecke Cöln-Trier gezahlt hat, in Anrechnung, da dieses Bauwerk jetzt fortfällt und durch die Unterführung in km 2,9 + 90 obiger Strecke ersetzt wird. Die Aktiengesellschaft hat daher tatsächlich noch 2000 M, in Worten: ZWEITAUSEND MARK, zugleich mit der Restsumme (vergl. § 3 des Vertrages) an die Hauptkasse Cöln zu zahlen. Die Aktiengesellschaft hat keinerlei Anspruch auf Rückforderung dieser Unterhaltungsentschädigung oder eines Teils derselben, wenn die Unterführung aus irgend einem Grunde beseitigt oder nicht mehr benutzt werden sollte. Die Kosten für Ausbesserungen solcher Schäden, welche durch den Betrieb der Bonner Kreisbahn, bezw. der Staatsbahn oder durch höhere Gewalt verursacht werden sollten, sowie die Kosten für bauliche Ergänzungen, welche später nach der allein massgebenden Ansicht der Staatseisenbahnverwaltung erforderlich werden sollten, sind in der vorbezeichneten Entschädigung nicht mitenthalten. Derartige Aufwendungen hat die Aktiengesellschaft der Cöln-Bonner-Kreisbahnen in jedem Falle besonders zu bezahlen.
14§ 5
15Der Aktiengesellschaft steht ein Anspruch auf Entschädigung für Unterbrechung oder Störung ihres Betriebes infolge von Unterhaltungs- und Erneuerungsarbeiten an der Unterführung oder sonstige durch den Betrieb der Staatsbahn oder bauliche Aenderungen an derselben veranlasste Hinderungsgründe nicht zu.
16§ 6
17Die Eisenbahndirektion gestattet der Aktiengesellschaft zur Anlage der Unterführung und ihres zweigleisigen Bahnkörpers an der Kreuzungsstelle die Benutzung des der Staatsbahn gehörigen Geländes auf Widerruf. Zum Zeichen der Widerruflichkeit zahlt die Aktiengesellschaft am Schlusse jedes Rechnungsjahres am 31. März, zum ersten mal innerhalb 14 Tagen nach Abschluß dieses Vertrages eine Anerkennungsgebühr von 3 M an die Eisenbahnhauptkasse Cöln.
18…
19§ 8
20Bei Aufgabe der Benutzung der vorbezeichneten Anlagen wird die Aktiengesellschaft die Kosten der Wegräumung und Verfüllung tragen, sofern nicht eine andere Abmachung getroffen werden sollte.
21§ 9
22Sämtliche Verpflichtungen, die die Aktiengesellschaft durch diesen Vertrag der Staatsbahn gegenüber eingeht, hat auch ihr etwaiger Rechtsnachfolger in der Konzession zu übernehmen.“
23In der Folgezeit wurde die Unterführung errichtet; vorgenommene Vertragsänderungen betrafen die in § 6 Satz 2 des Vertrags bestimmte Anerkennungsgebühr.
24Im Jahr 2006 informierte die Klägerin die Beklagte von dem Ende der Nutzungsdauer der Unterführung, von der Notwendigkeit ihrer Erneuerung und gab die voraussichtlichen Kosten mit 5.285.000 Euro an. Nachdem die Beklagte die Übernahme dieser Kosten verweigert hatte, widerrief die Klägerin gemäß § 1 des Vertrags zum Ablauf des 31. Mai 2008 die Gestattung der Kreuzung ihrer Bahngleise und wies auf die Pflicht zur Beseitigung der Unterführung sowie der auf dem klägerischen Grundstück befindlichen Bahnanlagen der Beklagten auf deren Kosten hin. Dem Widerruf trat die Beklagte entgegen.
25Die Klägerin hat im November 2008 beim Landgericht Köln wegen des Rückbaus der Eisenbahnunterführung gegen die Beklagte Klage auf Zahlung von 650.000 Euro und auf Feststellung einer eventuell über diesen Betrag hinausgehenden Kostentragungspflicht erhoben. Das Landgericht Köln hat den ordentlichen Rechtsweg als unzulässig angesehen und die Klage an das Verwaltungsgericht Köln verwiesen, weil aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters des für diesen Rechtsstreit entscheidenden Vertrags aus dem Jahr 1907 und der zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Eisenbahnkreuzungsgesetzes der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sei. Im Anschluss daran hat die Klägerin hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Baukostenvorschusses für die Erneuerung des Brückenbauwerks beantragt.
26Die Klägerin hat vorgetragen: Die Beklagte sei verpflichtet, den Rückbau der Unterführung durchzuführen oder die Kosten hierfür sowie für die anschließende Wiederherstellung der Bahnstrecke der Klägerin zu tragen. Da die Kosten nur geschätzt werden könnten und Baumaßnahmen in der Regel teurer als zunächst geplant seien, sei der Feststellungsantrag erforderlich.
27Die Klägerin hat nach Umstellung des Hilfsantrags beantragt,
281. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 650.000 Euro nebst Zinsen i. H. v. 8 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
292. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin auch die über 650.000 Euro hinausgehenden Kosten einschließlich Zinsen i. H. v. 8 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten, die erforderlich sein werden im Zusammenhang mit dem Rückbau des Brückenbauwerkes bei Kilometer 2,9 der Bahnstrecke 2631 der Klägerin in I. -G. einschließlich des nach dem Rückbau erforderlichen Gleisschlusses dieser Bahnstrecke,hilfsweise,festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin einen Baukostenvorschuss in Höhe der vollständigen Kosten oder der anteiligen Baukosten der Erneuerung des Brückenbauwerkes bei Kilometer 2,9 der Bahnstrecke 2631 der Klägerin in I. -G. zu leisten.
30Die Beklagte hat beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Das Eisenbahnkreuzungsgesetz sei vorliegend einschlägig, weil die von ihr betriebene Strecke überwiegend dem Betrieb einer Straßenbahn diene und gemäß § 1 Abs. 5 EKrG eine Straßenbahn, die nicht im Verkehrsraum einer öffentlichen Straße liege, als Straße behandelt werde, wenn sie eine Eisenbahn kreuze. Der im Jahr 1907 geschlossene Vertrag sei nach § 19 Abs. 1 EKrG außer Kraft getreten. Zudem verstoße er nach § 59 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 134 BGB gegen ein gesetzliches Verbot und sei unwirksam. Die Klägerin könne die Brücke nicht zurückbauen, weil sie anderenfalls den Straftatbestand des § 315 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllte. Auch verstoße der Vertrag gegen das Eisenbahnkreuzungsgesetz, weil dieses eine einseitige Auflösung des Kreuzungsverhältnisses durch den Rückbau einer Anlage nicht vorsehe.
33Das Verwaltungsgericht hat unter Einstellung des Verfahrens, soweit die Klageänderung als Klagerücknahme zu werten sei, und Klageabweisung der Hauptanträge im Übrigen die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines Baukostenvorschusses in der Höhe der Hälfte der Kosten für die Erneuerung des Brückenbauwerks festgestellt: Hinsichtlich der beiden Hauptanträge bleibe die Klage ohne Erfolg, weil die Klägerin gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße. Der Widerruf und die Kündigung sowie die Geltendmachung des Ersatzes von Kosten für die Wiederherstellung des früheren Zustands dienten nur als Vorwand dafür, die Beklagte zum Ersatz der Kosten für eine Ersatzbrücke zu veranlassen. Zudem liege ein Fall der Pflicht zur alsbaldigen Rückgewähr vor. Der dolo-agit-Einwand folge daraus, dass die Eisenbahnaufsichtsbehörde bei der Unterbrechung der Bahnstrecke gegen die Beteiligten vorgehen könne, weil die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands und damit eine Stilllegung der Strecke ohne die nach § 11 AEG erforderliche behördliche Genehmigung gegeben wäre. Der Hilfsantrag sei zulässig und begründet. Anspruchsgrundlage sei die aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag folgende Vorschusspflicht.
34Die Beklagte hat die Zulassung der Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil beantragt und trägt in dem vom Senat zugelassenen Berufungsverfahren vor:
35Die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag seien nur anwendbar, wenn das öffentliche Recht eine planwidrige Lücke aufweise, was wegen der Anwendbarkeit des Eisenbahnkreuzungsgesetzes nicht der Fall sei. Die Verantwortungsverteilung folge aus § 14 Abs. 1 Satz 1 EKrG. Nach dieser Vorschrift seien Anlagen an Kreuzungen, soweit sie Eisenbahnanlagen seien, vom Eisenbahnunternehmer auf seine Kosten zu unterhalten und in Betrieb zu halten. Dass der Straßenbahnbetrieb auf Eisenbahngleisen erfolge, stehe der Anwendung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes ebenso wenig entgegen wie die teilweise Mischnutzung; dies habe das OVG Saarl. (Urteil vom 28. April 1998 ‑ 2 M 2/98 ‑) entsprechend entschieden. Die rechtliche Einordnung von Anlagen der von der Beklagten betriebenen Art werfe nicht abschließend geklärte Rechtsfragen auf; dies habe das OVG NRW in seinem Urteil vom 15. März 2011 (20 A 2148/09) zu den Anforderungen und zum Umfang von Eisenbahnbetriebsanlagen ausgeführt. Wegen des lediglich untergeordneten Eisenbahnverkehrs auf der Strecke sei fraglich, ob es sich noch um eine planfeststellungspflichtige Eisenbahnbetriebsanlage i. S. v. § 18 AEG und damit um eine Eisenbahn i. S. d. Eisenbahnkreuzungsgesetzes handele.
36Die Voraussetzungen einer Geschäftsführung ohne Auftrag seien zudem nicht erfüllt. Die Erneuerung des Brückenbauwerks sei für die Klägerin kein Geschäft der Beklagten, mithin kein „auch fremdes Geschäft“ i. S. v. § 677 BGB. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, das Brückenbauwerk sei für den Betrieb beider Strecken notwendig, sei irrig. Sie - die Beklagte - sei nicht für die Aufrechterhaltung des Brückenbauwerks, das im Eigentum der Klägerin stehe, verantwortlich. Für den Betrieb der Strecke der Beklagten bedürfe es nicht der Aufrechterhaltung des Brückenbauwerks. Die Beklagte habe lediglich für den sicheren Betrieb ihrer Bahnanlagen zu sorgen. Abgesehen hiervon umfasse die in § 4 Satz 2 des Vertrags geregelte Unterhaltungspflicht der Klägerin auch die Erneuerung des Bauwerks. Die in § 5 des Vertrags angesprochene Erneuerung der Brücke stehe mit der Regelung in § 4 Satz 2 des Vertrags im Zusammenhang. Wenn die Erneuerung der Brücke der Beklagten obläge, wäre eine Freistellung von Schadensersatzansprüchen nicht notwendig.
37Die Beklagte beantragt,
38das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
39Die Klägerin beantragt,
40die Berufung zurückzuweisen.
41Auf der Strecke der Beklagten finde nicht nur Straßenbahnverkehr, sondern ebenfalls Eisenbahnverkehr statt. § 1 Abs. 5 EKrG sei als Spezialnorm nicht analogiefähig. Die von der Beklagten angeführten Urteile des OVG NRW und des OVG Saarl. seien nicht einschlägig, da sie baurechtliche Vorgaben beträfen. Der Vertrag aus dem Jahr 1907 sei weiterhin gültig. Die Erneuerung der Brücke liege allein im Interesse der Beklagten. Dies belege die Entstehungsgeschichte des Vertrags von 1907. Der Vertrag sei einer Auslegung im Hinblick auf eine Kostentragung durch die Beklagte für die Erneuerung des Bauwerks zugänglich. Sie ‑ die Klägerin - trage nur die Unterhaltungskosten für die Unterführung. Wenn die Beklagte für Beschädigungen an der Brücke aufzukommen habe, dann gelte dies erst recht für den Neubau der Anlage. In § 5 werde auch von „Erneuerungsarbeiten an der Unterführung“ gesprochen. Die Kosten für den Bau der Unterführung habe die Rechtsvorgängerin der Beklagten zu tragen gehabt. Da Neubau und Wiederaufbau der Brücke gleichwertig seien, habe die Beklagte auch die Kosten für die Erneuerung zu tragen.
42Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von den Beteiligten vorgelegten Schriftstücke Bezug genommen.
43Entscheidungsgründe:
44Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht auf den Hilfsantrag der Klägerin die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines Baukostenvorschusses für die Erneuerung des Brückenbauwerks festgestellt. Ob die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auch hinsichtlich der Feststellung einer hälftigen Kostenlast beider Beteiligter zutreffend ist, kann dahinstehen. Da die Klägerin das Urteil nicht angefochten hat, ist die Klageabweisung auch hinsichtlich des insoweit abgewiesenen Hilfsantrags der Klägerin rechtskräftig geworden, so dass im Berufungsverfahren hierzu keine Überprüfung erfolgt. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die vom Verwaltungsgericht festgestellte hälftige Kostenlast der Beklagten.
45Der Anspruch auf Zahlung des Baukostenvorschusses ergibt sich aus dem zwischen den Rechtsvorgängern der Beteiligten im September 1907 zum Zwecke der Durchführung einer staatlich genehmigten Kreuzung beider Eisenbahnstrecken abgeschlossenen Vertrag. Das Eisenbahnkreuzungsgesetz ist entgegen der Auffassung der Beklagten auf die vorliegende Kreuzung nicht anwendbar. Dies hat zur Folge, dass § 14 EKrG, der Fragen der Erhaltung und Inbetriebhaltung der Kreuzungsanlage regelt, nicht einschlägig ist und ein von der Beklagten geltend gemachtes Außerkrafttreten des Vertrags von 1907 gemäß § 19 Abs. 1 EKrG von vornherein ausscheidet.
46Den Geltungsbereich des Eisenbahnkreuzungsgesetzes bestimmt § 1 EKrG. Nach dessen Absatz 1 gilt das Gesetz für Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen, also für wesentlich verschiedene und ungleichwertige Verkehrswege.
47Vgl. auch BVerwG, Urteile vom 5. November 1965 ‑ IV C 49.65 ‑, Buchholz 407.2 KreuzungsG Nr. 2 = juris, Rn. 10 und vom 4. Juni 1982 ‑ 4 C 28.79 -, BVerwGE 65, 346 = juris, Rn. 20, 22 f.
48Das Eisenbahnkreuzungsgesetz ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, daher nicht anwendbar, wenn sich - wie hier - zwei Eisenbahnen kreuzen.
49Vgl. Marschall/Schweinsberg, Kommentar zum Eisenbahnkreuzungsgesetz, 5. Auflage 2000, § 1 Rn. 5.3.
50Der eindeutige Wortlaut und die präzise Systematik von § 1 EkrG sprechen zudem dafür, dass der Geltungsbereich des Eisenbahnkreuzungsgesetzes insoweit abschließend geregelt ist.
51Eine Anwendbarkeit des Eisenbahnkreuzungsgesetzes ergibt sich auch nicht aus der Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 5 EKrG. Nach dieser Bestimmung werden Straßenbahnen, die nicht im Verkehrsraum einer öffentlichen Straße liegen, wie Straßen behandelt, wenn sie Eisenbahnen kreuzen, und wenn sie Straßen kreuzen, wie Eisenbahnen. Vorliegend erfolgt auf der Gleisstrecke der Beklagten Eisenbahn- und Straßenbahnverkehr. Die Gleisstrecke ist indes Teil der Eisenbahninfrastruktur der Beklagten als Eisenbahninfrastrukturunternehmen (vgl. § 2 Abs. 1 und 3 AEG) und damit Eisenbahn i. S. v. § 1 Abs. 3 EKrG, da sie dem öffentlichen Verkehr dient, mithin nach ihrer Zweckbestimmung zur Personen- und Güterbeförderung benutzt werden kann. Wie die Klägerin zutreffend ausgeführt hat, hält die Beklagte Schienennetz-Benutzungsbedingungen vor. In Ziff. 1.1 heißt es, dass „gegenüber jedem Zugangsberechtigten einheitlich die diskriminierungsfreie Benutzung der Eisenbahninfrastruktur“ gewährleistet wird. In Ziff. 4.1.1 heißt es weiter, dass „Grundlage der Bemessung des Entgeltes für die Benutzung der Schienenwege“ die Entgeltgrundsätze der Beklagten (siehe Ziff. 2 der SNB-BT) sind. Im Besonderen Teil der Schienennetz-Benutzungsbedingungen der Beklagten heißt es unter Ziff. 1.1: „Die Eisenbahninfrastruktur der HGK befindet sich in Köln sowie im südlichen und westlichen Umfeld von Köln und inDormagen.“ Ziff. 1.2 verweist schließlich auf eine Übersicht der Eisenbahn-infrastruktur im Internet unter www.hgk.de in der Rubrik „Netz“. Unter http://www.hgk.de/leistungen/netzbetrieb/kennzahlen-netzplan ist der in diesem Klageverfahren relevante Streckenabschnitt zu finden. Handelt es sich bei den Gleisen der Beklagten daher um Eisenbahninfrastruktur und damit um Eisenbahn i. S. d. Eisenbahnkreuzungsgesetzes, führt die Nutzung der Gleise auch für den Straßenbahnverkehr nicht dazu, dass diese Infrastruktur als Straßenbahn i. S. v. § 1 Abs. 5 EKrG zu behandeln wäre. Vielmehr sind die Gleise nach wie vor solche einer Eisenbahn. Auf die Frage einer überwiegenden Nutzung der Gleise durch Eisenbahn oder Straßenbahn kommt es dabei nicht an.
52Soweit die Eisenbahninfrastruktur der Beklagten auch von Straßenbahnen benutzt wird, mithin deren Betreiber gleichfalls ein Interesse an dem Fortbestand der Unterführung hat, ist eine etwaige finanzielle Beteiligung an der Erneuerung der Unterführung dem Ausgleich im Innenverhältnis zwischen der Beklagten und dem Straßenbahnverkehrsunternehmen vorbehalten. Dass die Klägerin Eigentümerin der Unterführung mit eisernem Überbau ist, sie nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz die Betreiberverantwortlichkeit nach § 4 AEG trifft, steht der Anwendung des Vertrags von 1907 ebenfalls nicht entgegen.
53Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des OVG NRW (Urteil vom 15. März 2011 ‑ 20 A 2148/09 ‑, DVBl 2011, 767 = juris, Rn. 143 ff.) ist für den hier zu beurteilenden Fall nicht ergiebig. Dort werden die Planfeststellungsbedürftigkeit von Anlagen nichtbundeseigener Eisenbahnen sowie die umfassende Planfeststellung eines Vorhabens nach § 18 AEG behandelt und nicht, ob im Falle einer gemischten Nutzung von Eisenbahnstruktur durch Eisenbahn und Straßenbahn das Eisenbahnkreuzungsgesetz anwendbar ist. Das gleiche gilt für das in Bezug genommene Urteil des OVG Saarl. vom 28. April 1998 (2 M 2/98, juris, Rn. 29). Dort werden Fragen einer Planfeststellungsbedürftigkeit nach § 28 PBefG behandelt. Dass eine Straßenbahn auf Teilstrecken den Bahnkörper eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens mitbenutzt, steht nach dieser Entscheidung der Einstufung als Straßenbahn und der Planfeststellungsbedürftigkeit nach dem § 28 PBefG nicht entgegen. Hieraus lässt sich bei der Nutzung einer Eisenbahnstrecke von Eisenbahnen und Straßenbahnen aber nichts für die Anwendbarkeit des Eisenbahnkreuzungsgesetzes herleiten.
54Ein Anspruch auf Baukostenvorschuss lässt sich im Wege der Auslegung des Vertrags von 1907 anhand dessen Wortlauts und Vertragszwecks ableiten. Der Bau der Unterführung mit eisernem Überbau lag ausweislich der Präambel des Vertrags im alleinigen Interesse der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Die Kreuzung wurde auf ihren Wunsch eingerichtet. Folgerichtig übernahm die Rechtsvorgängerin der Klägerin nach Satz 2 der Präambel die Ausführung des Vorhabens auf Kosten der Rechtsvorgängerin der Beklagten „unter nachstehenden Bedingungen“. So heißt es in § 3 Satz 1 des Vertrags weiter, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten der Rechtsvorgängerin der Klägerin alle Kosten ersetzen werde, welche ihr aufgrund der Arbeiten zur Ausführung der Unterführung entstehen würden. Zwar ging die Unterführung gemäß § 4 Satz 1 des Vertrags nach Fertigstellung in das Eigentum der Rechtsvorgängerin der Klägerin über und sie übernahm nach Satz 2 die laufende, gewöhnliche Unterhaltung des Bauwerks auf ihre Kosten, wofür die Rechtsvorgängerin der Beklagten jedoch eine „einmalige Entschädigung“ von „5000 M“ zu zahlen hatte. Die Kosten für Ausbesserungen solcher Schäden, die durch den Betrieb der Rechtsvorgänger der Beteiligten oder durch höhere Gewalt verursacht würden, waren von der vorstehenden Regelung indes ausgenommen; solche Aufwendungen hatte die Rechtsvorgängerin der Beklagten „in jedem Fall besonders zu bezahlen“. Auch behandelt der Vertrag Erneuerungsarbeiten an der Unterführung. In § 5 heißt es unter anderem, dass der Rechtsvorgängerin der Beklagten ein Anspruch auf Entschädigung für Unterbrechung oder Störung ihres Betriebes infolge von Unterhaltungs- und Erneuerungsarbeiten an der Unterführung nicht zustehe. Die Vertragsparteien haben demnach die Notwendigkeit von Erneuerungsarbeiten an der Unterführung bei der Vertragsgestaltung durchaus berücksichtigt, von weiter ausführenden Regelungen hierzu jedoch abgesehen. Es lässt aus den einzelnen Bestimmungen des Vertrags aber zusammenfassend der Grundsatz ableiten, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten und nunmehr die Beklagte selbst an dem Bau, an der Unterhaltung und den Ausbesserungen der Unterführung infolge des Bahnverkehrs die finanzielle Last zu tragen hat und gleiches für den Fall der Erneuerung der Unterführung zu gelten hat, da die Erneuerung dem Bau der Unterführung gleichzusetzen ist.
55Aber auch wenn der Vertrag von 1907 hinsichtlich der Erneuerung des Bauwerks eine Lücke enthielte, könnte diese im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden. Die Vertragsparteien sind augenscheinlich von einer erheblichen Nutzungsdauer des Brückenbauwerks ausgegangen und haben die Frage der Kostentragung für eine Erneuerung des Bauwerks deshalb nicht ausdrücklich behandelt. In Anbetracht des Vertragszwecks hätten sie den offen gebliebenen und damit planwidrig nicht abschließend bestimmten Punkt aber dahin geregelt, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten auch die Kosten für eine Erneuerung der Unterführung zu tragen hätte. Dabei würde es sich nicht um die Schaffung einer über den wesentlichen Inhalt des Vertrags hinausgehenden zusätzlichen Bindung handeln,
56hierzu BGH, Urteil vom 18. Dezember 1954 ‑ II ZR 76/54 -, BGHZ 16, 71 = juris, Rn. 18,
57sondern um die Konkretisierung einer mit dem Zweck des Vertrags von 1907 in engem Zusammenhang stehenden Verpflichtung. Von einer unzulässigen Erweiterung des Vertragsinhalts kann angesichts der vorliegenden Auslegungsergebnisse keine Rede sein.
58Die Klägerin kann auch einen Vorschuss auf die hälftigen voraussichtlichen Kosten für die Erstellung des neuen Bauwerks verlangen. Wenn sie in Vorleistung träte, könnte sie gegen die Beklagte einen Kostenerstattungsanspruch geltend machen. Der Anspruch auf Kostenvorschuss besteht aus Billigkeitsgründen nach § 242 BGB und in Anlehnung an § 669 BGB. Zudem kennt auch der Vertrag von 1907 in § 3 Satz 3 die Verpflichtung zur Zahlung eines Vorschusses, den damals die Rechtsvorgängerin der Beklagten vor Beginn der Arbeiten bei der Eisenbahnhauptkasse einzuzahlen hatte.
59Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Pflicht der Beklagten zur Kostenübernahme für die Erneuerung des Bauwerks sie unzumutbar belasten würde und ein Anspruch auf Vertragsanpassung i. S. d. § 60 VwVfG bestehen könnte.
60Besteht ein vertraglicher Anspruch der Klägerin auf einen Kostenvorschuss für die Erneuerung der Bahnunterführung, scheidet, weil die Klägerin zur Geschäftsbesorgung aus § 2 des Vertrags berechtigt ist, ein Anspruch aus dem Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) aus.
61Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
62Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. den § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 und 2, § 709 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).
63Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die entscheidungserhebliche Frage der Anwendbarkeit des Eisenbahnkreuzungsgesetzes ist für den Fall der Mischnutzung einer Eisenbahninfrastruktur durch Eisenbahn und Straßenbahn höchstrichterlich nicht geklärt und für ähnlich gelagerte Fälle von Bedeutung.
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