Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 16 E 1195/13
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 31. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die weitere Beschwerde gegen diesen Beschluss wird nicht zugelassen.
1
Gründe
2I.
3Der Kläger, Betreiber einer Schankwirtschaft, begehrt die Berichtigung bzw. Löschung von Aufzeichnungen in einem Vermerk vom 9. Januar 2006, der sich in einem Verwaltungsvorgang des Finanzamtes C. befinden soll und im Hinblick auf eine steuerliche Betriebsprüfung im Mai 2006 erstellt wurde. Von dem Vermerk will der Kläger anlässlich finanzgerichtlicher Verfahren Kenntnis erlangt haben, die jeweils für die Jahre 2004 bis 2008 einerseits die von ihm zu entrichtende Einkommenssteuer und andererseits die Gewerbe- und Umsatzsteuer sowie die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen betrafen bzw. noch betreffen. Erstere sind seit April 2014 rechtskräftig abgeschlossen, während das weitere Verfahren beim Bundesfinanzhof anhängig ist. Das Finanzamt lehnte das Begehren des Klägers, das unter anderem auf die Löschung bestimmter Angaben über Ermittlungen der Steuerfahndung in den Jahren 1988, 2002 und 2005 gerichtet ist, im Juli 2013 ab.
4Mit seiner am 12. August 2013 beim Verwaltungsgericht Minden eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, das er in erster Linie auf § 19 des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten (Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen – DSG NRW) und im Übrigen auf Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes stützt. Nach Anhörung der Beteiligten hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Finanzgericht Münster verwiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
5II.
6Die nach § 17a Abs. 4 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in Verbindung mit den §§ 146, 147 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
7Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten zu Recht gemäß § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das im Finanzrechtsweg sachlich und örtlich zuständige Finanzgericht Münster verwiesen.
8Dass das geltend gemachte Berichtigungs- und Löschungsbegehren eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art betrifft, für die im Ausgangspunkt der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO eröffnet ist, ist unstreitig und bedarf keiner weiteren Begründung. Fraglich ist vielmehr allein, ob die Streitigkeit nach § 33 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu den Finanzgerichten abgedrängt wird (§ 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO). Dies ist zu bejahen, da es sich ausschließlich um eine Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten im Sinne von § 33 Abs. 2 FGO handelt.
9Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist der Finanzrechtsweg gegeben in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Abgabenangelegenheiten im Sinne dieses Gesetzes sind nach § 33 Abs. 2 FGO - soweit hier von Bedeutung - "alle mit der Verwaltung der Abgaben einschließlich der Abgabenvergütungen oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten". Damit wird der Begriff der Abgabenangelegenheit maßgeblich vom Anwendungsbereich der abgabenrechtlichen Vorschriften bestimmt.
10Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2012- 7 B 2.12 -, juris, Rn. 13.
11Die abgabenrechtlichen Vorschriften sind in erster Linie bei Streitigkeiten über Steuern (§ 3 der Abgabenordnung - AO) heranzuziehen, wozu die Durchführung der Besteuerung, das Erhebungsverfahren und die Vollstreckung zählen. Darüber hinaus finden sie auf Angelegenheiten Anwendung, die mit einem konkreten Steuerrechtsverhältnis in Zusammenhang stehen.
12Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2012- 7 B 2.12 -, juris, Rn. 13; Schleswig-Holsteinisches FG, Beschluss vom 8. November 2011- 5 K 113/11 -, juris, Rn. 17.
13Fehlt es an diesem Bezug, kann der erforderliche rechtswegbestimmende Zusammenhang weder allein damit begründet werden, dass die Steuerakten Vorgänge wiedergeben, über die in Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften entschieden worden ist, noch damit, dass bei der Entscheidung über das streitgegenständliche Begehren gegebenenfalls auch diese Vorschriften zu beachten sind.
14Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2012- 7 B 2.12 -, juris, Rn. 14 und 17 mit weiteren Nachweisen.
15Dies zugrunde gelegt ist die Berichtigung und Löschung von personenbezogenen Daten aus Steuerakten eine Abgabenangelegenheit im Sinne von § 33 Abs. 2 FGO, wenn über sie auf der Grundlage steuerverfahrensrechtlicher Regelungen zu entscheiden ist oder wenn die begehrte Änderung des Akteninhalts im Steuerrechtsverhältnis wurzelt und insoweit mit der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften im Zusammenhang stehen. Ersteres ist nicht der Fall, da der primär auf § 19 Abs. 3 DSG NRW und im Übrigen auf Verfassungsrecht gestützte Anspruch auf Datenberichtigung und –löschung als eigenständiger und bereichsübergreifender Anspruch und damit gerade nicht als steuerverfahrensrechtlicher Anspruch ausgestaltet ist. Das Verwaltungsgericht hat jedoch im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der geltend gemachte Anspruch im Steuerrechtsverhältnis des Klägers verankert ist und mit der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften im Sinne von § 33 Abs. 2 FGO in Zusammenhang steht.
16Der erforderliche Bezug zu einem konkreten Steuerschuldverhältnis ist gegeben. Denn das Begehren des Klägers bezieht sich auf den Inhalt eines Verwaltungsvorgangs einer Finanzbehörde, der Unterlagen enthalten soll, die in finanzgerichtlichen Verfahren beigezogen wurden. Diese Verfahren betreffen die Erhebung von Steuern für die Jahre 2004 bis 2008 gegenüber dem Kläger selbst bzw. gegenüber der von ihm betriebenen Schankwirtschaft.
17Die mit der Klage begehrte Entscheidung darüber, ob die Steuerakte in dem vom Kläger geltend gemachten Sinne zu bereinigen ist, steht auch im Zusammenhang mit der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften. Das folgt zunächst aus der Pflicht der Finanzbehörde, die vollständigen Verwaltungsvorgänge bis zum rechtskräftigen Abschluss des finanzgerichtlichen Rechtsstreits aufzubewahren. Diese Pflicht ergibt sich aus § 71 Abs. 2 i. V. m. § 86 Abs. 1 FGO.
18Vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 26. März 1998- 10 K 3328/94 AO -, juris, Rn. 42.
19Aber auch nach vollständigem Abschluss der Steuererhebung und nach der Durchsetzung der Steuerforderungen können bei der Entscheidung über die Bereinigung von Steuerakten abgabenrechtliche Vorschriften zur Anwendung kommen, wie etwa § 88a AO, der die Sammlung nach § 30 AO geschützter Daten für die Zwecke künftiger Verfahren ermöglicht und einer Berichtigung oder Löschung personenbezogener Daten entgegenstehen kann.
20Anders als der Kläger annimmt, führt die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Eröffnung des Rechtswegs zu den Verwaltungsgerichten für Ansprüche eines Insolvenzverwalters auf Informationszugang bzw. Akteneinsicht, die dieser auf das Informationsfreiheitsgesetz stützt,
21vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2012- 7 B 2.12 - juris; zustimmend unter Aufgabe seiner zuvor abweichenden Rechtsprechung: BFH, Beschluss vom 8. Januar 2013 - VII ER-S 1/12 -, juris; ähnlich ferner BSG, Beschluss vom 4. April 2012- B 12 SF 1/10 R -, juris, Rn. 10,
22zu keiner anderen Einschätzung. Zunächst ist festzustellen, dass die vom Kläger begehrte Veränderung des Inhalts einer Steuerakte bereits aufgrund des hiermit verbundenen Eingriffs in abgabenrechtlich relevante Unterlagen nicht mit einer Auskunft über den Akteninhalt oder mit einer Akteneinsicht vergleichbar ist. Darüber hinaus macht der Kläger als unmittelbar am steuerlichen Verwaltungsverfahren Beteiligter im Sinne der §§ 78, 359 AO die Bereinigung einer Steuerakte geltend, die Unterlagen zur Erhebung und Festsetzung von Steuern in einem bzw. mehreren konkreten Verwaltungsverfahren enthält. Es geht damit um ein dem Steuerrechtsverhältnis zuzurechnendes Annexverfahren.
23Vgl. zu § 51 Abs. 1 Nr. 7 Sozialgerichtsgesetz mit ähnlicher Tendenz: Bayerisches LSG, Urteil vom 31. März 2011 - L 15 SB 80/60 -, juris, Rn. 18.
24Dadurch unterscheidet sich das Begehren des Klägers deutlich von der vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Konstellation. Dort begehrte ein Dritter, der gerade nicht an dem in den betreffenden Akten erfassten Steuerschuldverhältnis beteiligt war, unter Berufung allein auf das Informationsfreiheitsgesetz Auskünfte, ohne dass diese in Zusammenhang mit der Steuererhebung oder der Durchsetzung von Steuerforderungen in einem laufenden Verwaltungs- bzw. Vollstreckungsverfahren des insolventen Steuerschuldners standen.
25Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2012- 7 B 2.12 -, juris, Rn.16; vglbar ferner BSG, Beschluss vom 4. April 2012 - B 12 SF 1/10 R -, juris, Rn. 21; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. März 2012 - OVG 12 L 67.11 -, juris, Rn. 4; VG Aachen, Urteil vom 12. Februar 2014- 8 K 2198/12 -, juris, Rn. 42.
26Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Kostenentscheidung ist vorliegend nicht entbehrlich, weil die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht zu den Verfahrenskosten gehören, über die gemäß § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG im Rahmen der Endentscheidung zu befinden ist. Die Anfechtung der Entscheidung über den Rechtsweg löst vielmehr ein selbstständiges Rechtsmittelverfahren aus, in dem nach den allgemeinen Vorschriften über die Kosten zu befinden ist.
27Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. September 2012- 7 B 5.12 -, juris, Rn. 7.
28Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr (Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nicht.
29Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (§ 17a Abs. 4 Satz 5 GVG) liegen nicht vor, da der Senat nicht von der Entscheidung eines obersten Bundesgerichts abweicht und die Frage, ob der Anspruch eines Steuerschuldners auf Berichtigung bzw. Löschung von Daten in der ihn betreffenden Steuerakte vor den Verwaltungsgerichten verfolgt werden kann, auf der Grundlage der gesetzlichen Regelung unter Anwendung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze sowie der vorhandenen Rechtsprechung eindeutig in dem obigen Sinne zu beantworten ist.
30Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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Referenzen
- §§ 78, 359 AO 2x (nicht zugeordnet)
- GVG § 17b 1x
- § 30 AO 1x (nicht zugeordnet)
- § 3 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- § 19 Abs. 3 DSG 1x (nicht zugeordnet)
- FGO § 86 1x
- FGO § 33 5x
- VwGO § 154 1x
- § 88a AO 1x (nicht zugeordnet)
- 12 SF 1/10 2x (nicht zugeordnet)
- 8 K 2198/12 1x (nicht zugeordnet)
- 5 K 113/11 1x (nicht zugeordnet)
- 10 K 3328/94 1x (nicht zugeordnet)
- 15 SB 80/60 1x (nicht zugeordnet)