Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 18 A 792/14
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Antragsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der Prozesskostenhilfeantrag ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
3Der auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtbescheids (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, weil die Darlegungen in der Antragsschrift keine derartigen Zweifel begründen.
4Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Verwaltungsgericht die Zuständigkeit der Bezirksregierung B. für den Erlass des angefochtenen Bescheids vom 10. September 2013 zutreffend bejaht und eine Benennung der für den Kläger zuständigen Aufnahmeeinrichtung nach § 15a Abs. 3 Satz 1 AufenthG durch eine interne Mitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als ausreichend angesehen. Die Zuständigkeit der Bezirksregierung B. folgt aus § 15a Abs. 4 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 11 der Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerwesen (ZustAVO vom 15. Februar 2005 (GV. NRW. S. 50) in der Fassung der Verordnung vom 19. Juli 2011 (GV.NRW. S. 376). Die Benennung der zuständigen Aufnahmeeinrichtung durch das BAMF gegenüber der Bezirksregierung erfolgt nicht durch einen Verwaltungsakt. Dies ergibt sich aus den nachstehenden Ausführungen:
5§ 15a AufenthG dient der gleichmäßigen Verteilung insbesondere der finanziellen Lasten, die die Aufnahme unerlaubt eingereister Ausländer mit sich bringt. Zwischen den Bundesländern wird diese Lastenverteilung durch eine quotengerechte Verteilung der Ausländer auf die einzelnen Länder erreicht. Die Quotierung folgt – vorbehaltlich der Vereinbarung eines abweichenden Schlüssels durch die Länder – dem für die Verteilung von Asylbewerbern geltenden Schlüssel (§ 15a Abs. 1 Satz 4 AufenthG, § 45 AsylVfG). Die Bestimmung enthält ein komplexes und verschachteltes Regelungssystem, dessen Verständnis sich am ehesten bei einer am Verfahrensablauf orientierten Betrachtung erschließt. Der Gesetzgeber ist im Rahmen des § 15a AufenthG davon ausgegangen, dass der Erstkontakt des zu verteilenden Ausländers mit der Ausländerbehörde erfolgt. Diese hat den Ausländer anzuhören und das Ergebnis der Anhörung an die die Verteilung veranlassende Stelle zu übermitteln (§ 15a Abs. 4 Satz 2 AufenthG), deren Bestimmung nach § 15a Abs. 1 Satz 5 AufenthG durch das jeweilige Bundesland erfolgt. In Nordrhein-Westfalen ist die Bezirksregierung B. durch § 11 ZustAVO zur die Verteilung veranlassenden Stelle bestimmt worden. Nach Maßgabe von § 15a Abs. 2 AufenthG können die Ausländerbehörden die Ausländer verpflichten, sich zu dieser Stelle zu begeben. Die Verteilung des Ausländers auf eines der Bundeländer erfolgt sodann nach § 15a Abs. 1 Satz 3 AufenthG durch das BAMF als vom Bundesministerium des Innern bestimmter zentraler Verteilungsstelle. Das BAMF benennt der die Verteilung veranlassenden Stelle gemäß § 15a Abs. 3 Satz 1 AufenthG die nach Absatz 3 Sätze 2 und 3 zur Aufnahme verpflichtete Aufnahmeeinrichtung. Insoweit wird danach differenziert, ob das Land, dessen Behörde die Verteilung veranlasst hat, seine Aufnahmequote erfüllt hat. Ist diese nach den Feststellungen des BAMF nicht erfüllt, so ist die der Landesbehörde nächstgelegene aufnahmefähige Aufnahmeeinrichtung des Landes aufnahmepflichtig (§ 15a Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Hat das Land seine Aufnahmequote bereits erfüllt, ist die vom BAMF bestimmte Aufnahmeeinrichtung eines anderen Landes zur Aufnahme verpflichtet (§ 15a Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Im letztgenannten Fall ordnet die Behörde, welche die Verteilung veranlasst hat, nach § 15a Abs. 4 Satz 1 AufenthG an, dass der Ausländer sich zu der durch die Verteilung festgelegten Aufnahmeeinrichtung zu begeben hat. Diese Anordnung ist ein Verwaltungsakt, gegen den nach § 15a Abs. 4 Satz 7 AufenthG kein Widerspruch stattfindet. Gemäß § 15a Abs. 4 Satz 8 AufenthG hat die Klage keine aufschiebende Wirkung. Die dieser Anordnung vorausgehende Benennung der zuständigen Aufnahmeeinrichtung durch das BAMF dagegen (§ 15a Abs. 3 Satz 1 AufenthG) ist ein Verwaltungsinternum und damit kein dem Ausländer gegenüber bekannt zu gebender Verwaltungsakt.
6Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Juni 2014, § 15a AufenthG Rn.14; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 15a AufenthG Rn. 8; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht,Stand: Januar 2014, § 15a AufenthG Rn.21 ff; Müller, Asylmagazin, 2007, 4 ff.; a.A. OVG NRW, Beschlüsse vom 3. September 2010 – 19 B 1847/09 – und 18. Januar 2012 – 17 E 831/11 -.
7Es fehlt an der für einen Verwaltungsakt nach § 35 Satz 1 VwVfG NW erforderlichen, auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichteten Regelung, nämlich an einer der Bestandskraft fähigen verbindlichen Festlegung von Rechten oder Pflichten für ein anderes Rechtssubjekt. Nicht bereits durch die Benennung gegenüber der die Verteilung veranlassenden Stelle soll und wird die zuständige Aufnahmeeinrichtung gegenüber dem Ausländer verbindlich bestimmt. Diese Bestimmung erfolgt vielmehr erst durch die Anordnung der die Verteilung veranlassenden Stelle nach § 15a Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Diese Anordnung ist die gegenüber dem Ausländer maßgebliche Verteilungsentscheidung, auf die sich auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 15a AufenthG,
8vgl. Ziffer 15a 1.1.2,
9mit dem Erfordernis bezieht, dem Ausländer einen schriftlichen Verteilungsbescheid auszuhändigen. Dieses Verständnis des § 15a AufenthG wird durch den Umstand bestätigt, dass eine gegen die Anordnung nach § 15a Abs. 4 Satz 1 AufenthG erhobene Klage gemäß § 15a Abs. 4 Satz 7 AufenthG keine aufschiebende Wirkung hat. Der Gesetzgeber hat damit erkennbar beabsichtigt, das Verteilungsverfahren einschließlich etwaiger gerichtlicher Verfahren zu beschleunigen.
10Vgl. BT-Drs. 15/3984, S. 1 und 4.
11Diesem Zweck liefe es zuwider, wenn zur Umsetzung der Verteilung auf die Länder zwingend zwei Verwaltungsakte – einer des BAMF und einer der die Verteilung veranlassenden Stelle – erforderlich wären. Dies gilt erst recht mit Blick auf die dann jeweils gegebenen unterschiedlichen Rechtsbehelfe - Widerspruch gegen die Entscheidung des BAMF, Klage gegen die Entscheidung der die Verteilung veranlassenden Stelle – und den mangels entsprechender Regelungen in § 15a AufenthG nach § 80 Abs. 1 VwGO gegebenen Suspensiveffekt des Widerspruchs nach § 80 Abs. 1 VwGO gegen eine als Verwaltungsakt verstandene Verteilungsentscheidung des BAMF. Dass § 15a AufenthG keine Regelung hinsichtlich des gegen die Entscheidung des BAMF statthaften Rechtsbehelfs und dessen Suspensiveffekts enthält, ist deshalb als beredtes Schweigen des Gesetzgebers in dem Sinne zu verstehen, dass insoweit ein Verwaltungsakt nicht vorgesehen und deshalb entsprechende Rechtsbehelfe nicht gegeben sind. Diese Auslegung entspricht auch der Entstehungsgeschichte des § 15a AufenthG. Diese im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens aufgrund einer Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses,
12BT-Drs. 15/3479, S. 2f.,
13in Anlehnung an eine Beschlussempfehlung des Innenausschusses,
14vgl. BT-Drs. 15/955, S. 10 ff.,
15in das Gesetz eingefügte Bestimmung knüpft an einen bereits zum AuslG 1990 vorgelegten Gesetzentwurf an. Nach dessen Begründung wirkt die Verteilungsentscheidung der zentralen Verteilungsstelle ausschließlich verwaltungsintern; die zentrale Verteilungsstelle trifft keine rechtsbehelfsfähigen Entscheidungen.
16Vgl. BT-Drs. 14/5266 S. 5, 7.
17Die Verteilungsvorschrift ist den vergleichbaren Regelungen des Asylverfahrensgesetzes in §§ 44 ff. AsylVfG nachgebildet.
18Vgl. BT-Drs. 15/3984, S. 1.
19Die – der Verteilungsentscheidung des BAMF nach § 15a Abs. 3 Satz 1 AufenthG korrespondierende – Entscheidung der zentralen Verteilungsstelle nach § 46 Abs. 2 AsylVfG ist ebenfalls kein Verwaltungsakt.
20VG Berlin, Beschluss vom 20. Januar 2012 – 30 L 1816/11 -, juris Rn. 13; Funke-Kaiser in: GK AsylVfG, Stand: Juli 2014, § 46 Rn. 3 f.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Juni 2014, § 46 AsylVfG Rn. 16; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 46 AsylVfG, Rn. 7 ff. Vgl. auch die Begründung des Gesetzentwurfs: BT-Drs. 12/2062, S. 35 – „rein zahlenmäßige Verteilung“.
21Auch das aus Art. 19 Abs. 4 GG folgende Gebot effektiven Rechtsschutzes spricht nicht gegen die Annahme, die Verteilungsentscheidung des BAMF sei kein Verwaltungsakt. Ungeachtet der Frage, inwieweit die der Wahrung der Rechte des Ausländers dienende Prüfung der Voraussetzungen des § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG überhaupt dem BAMF obliegt,
22vgl. z.B. OVG Bremen, Urteil vom 25. Juni 2014 – 1 B 30/14 -, juris Rn. 5 (Zuständigkeit der Ausländerbehörde); Keßler, in: HK-AuslR, 2008, § 15a AufenthG Rn. 29 (ggf. auch Bundesamt),
23wäre dessen interne und für sich genommen gegenüber dem Ausländer noch unverbindliche Einschätzung jedenfalls mittelbar in dem gerichtlichen Verfahren überprüfbar und ggf. korrigierbar, das sich gegen die Anordnung der die Verteilung veranlassenden Stelle nach § 15a Abs. 4 Satz 1 AufenthG richtet.
24Von den vorstehenden Grundsätzen ausgehend, setzt die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verteilungsentscheidung des beklagten Landes nicht etwa voraus, dass das BAMF dem Kläger zuvor die zuständige Aufnahmeeinrichtung in Form eines Verwaltungsaktes benannt hat.
25Auch die materiellen Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Senats zu beurteilenden Verteilungsentscheidung greifen nicht durch. Soweit der Kläger im Rahmen des § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG geltend macht, er sei minderjährig und habe das Recht, sich am Wohnort seines Vormunds aufzuhalten, geht er von unzutreffenden Prämissen aus. Der Kläger kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder als minderjährig angesehen werden, noch steht er unter Vormundschaft.
26Weist der Ausländer nach, dass zwingende Gründe bestehen, die der Verteilung an einen bestimmten Ort entgegenstehen, so ist dem bei der Verteilung Rechnung zu tragen. Die Amtsermittlungspflicht des beklagten Landes wird insoweit durch die in § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG vorgegebene Nachweisobliegenheit des Ausländers relativiert. Der Beklagte ist danach nicht gehalten, von Amts wegen nach etwaigen zwingenden Gründen i.S.v. § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG zu suchen, sondern der Ausländer hat deren Bestehen nachzuweisen. „Nachweisen“ verlangt mehr als „geltend machen“. Der Ausländer ist nach § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG gehalten, den auf einen zwingenden Grund führenden Sachverhalt so zu unterbreiten, dass die zuständige Behörde grundsätzlich keine eigenen Ermittlungen mehr anzustellen braucht. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Ausländer, der sich auf einen zwingenden Grund i.S.v. § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG beruft, in der Regel ein eigenes Interesse am Ausgang des Verteilungsverfahrens hat, so dass der gebotene Nachweis im allgemeinen nicht allein durch eigene Behauptungen zu führen sein wird, solange diese nicht durch objektive Umstände, z.B. Belege, bestätigt werden.
27Senatsbeschluss vom 22. Juli 2014 – 18 B 696/14 -.
28Der Kläger hat für seine Behauptung, er sei am 27. März 1997 geboren und damit minderjährig, keinerlei Nachweise beigebracht. Das vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums F. erstellte Gutachten vom 18. Juni 2013 kommt zu dem Ergebnis, dass beim Kläger zum Untersuchungszeitpunkt (5. Juni 2013) Volljährigkeit vorlag. Zwar könne ein Alter von knapp unter 18 Jahren nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, es erscheine aber als denkbar unwahrscheinlich. Mit Blick auf dieses Gutachten hat das Familiengericht L. durch Beschluss vom 6. Dezember 2013 (308 F 64/13) festgestellt, dass die mit Beschluss vom 7. März 2013 angeordnete Vormundschaft für den Kläger nicht vor dem 30. Juni 2014 endet. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Vormundschaft sei bis zum 30. Juni 2014 aufrechtzuerhalten. Erst dann könne nach den Angaben des medizinischen Sachverständigen mit hinreichender Sicherheit von einer Volljährigkeit des Klägers ausgegangen werden. Steht der Kläger daher seit dem 1. Juli 2014 nicht mehr unter Vormundschaft, bedarf es keiner Entscheidung, welche Folgen aus § 11 BGB zu ziehen sind, wonach der Minderjährige den Wohnsitz des gesetzlichen Vertreters teilt. Abgesehen davon sei angemerkt, dass aufgrund der vorliegenden Untersuchungsergebnisse davon auszugehen ist, dass der Kläger jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt volljährig ist. Soweit der Kläger sich darauf beruft, Altersfestsetzungsuntersuchungen seien ethisch verwerflich, ist jedenfalls ein Verwertungsverbot der Ergebnisse einer durchgeführten Untersuchung nicht gegeben. Der jugendpsychiatrische Befundbericht vom 13. September 2013 kann die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids schon deshalb nicht in Frage stellen, weil er nicht vor Veranlassung der Verteilung vorgelegt worden ist.
29Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
30Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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