Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 B 1465/15
Tenor
Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 17. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die erstattungsfähig sind.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
2Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin,
3die sofortige Vollziehung der mit Bescheid desAntragsgegners vom 7. Dezember 2015 für den 13. und 20. Dezember 2015 ausgesprochenen Bewilligung von Sonntagsarbeit anzuordnen,
4mit der Begründung abgelehnt, der Antrag sei schon unzulässig, soweit er sich auf die Bewilligung von Sonntagsarbeit für den 13. Dezember 2015 beziehe, da dieser Zeitpunkt bereits überschritten sei. Im Übrigen sei er unbegründet. Denn die gemäß §§ 80a Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung gehe zum Nachteil der Antragstellerin aus. Der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig. Er genüge schon nicht dem Begründungserfordernis des § 39 Abs. 1 VwVfG NRW und lasse auch nicht erkennen, ob das Ermessen dem Zweck der Ermächtigung des § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG entsprechend (vgl. § 40 VwVfG NRW) ausgeübt sei. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin der geltend gemachte Anspruch auf Bewilligung einer Ausnahme von Sonntagsarbeitsverbot zustehe.
5Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
6Hinsichtlich der Bewilligung von Sonntagsarbeit für den 13. Dezember 2015 fehlt es der Beschwerde bereits an der nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO gebotenen Darlegung von Beschwerdegründen unter Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung.
7Bezogen auf den noch bevorstehenden Adventssonntag am 20. Dezember 2015 bleibt der Einwand der Antragstellerin ohne Erfolg, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Beigeladene nicht in ihren subjektiven Rechten verletzt sei (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 zweites Tatbestandsmerkmal VwGO).
8Die Vorschrift des § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG, die auch die durch Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit der Beigeladenen konkretisiert, ist zu ihren Gunsten drittschützend. Deshalb kann die Beigeladene eine (eigene) Rechtsverletzung durch die rechtswidrige Anwendung des § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG rügen.
9Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erschöpft sich der Grundrechtsschutz nicht in seinem klassischen Gehalt als subjektives Abwehrrecht gegenüber staatlichen Eingriffen. Aus Grundrechten ist vielmehr auch eine Schutzpflicht des Staates für das geschützte Rechtsgut abzuleiten, deren Vernachlässigung von dem Betroffenen mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann. Insbesondere die Religionsfreiheit beschränkt sich nicht auf die Funktion eines Abwehrrechts, sondern gebietet auch im positiven Sinn, Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern. Diese Schutzpflicht trifft den Staat namentlich gegenüber den als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfassten Religionsgemeinschaften.
10Vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 -, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 134.
11Allein aus Grundrechten lässt sich zwar keine staatliche Verpflichtung herleiten, die religiös-christlichen Feiertage und den Sonntag unter den Schutz einer näher auszugestaltenden generellen Arbeitsruhe zu stellen. Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erfährt jedoch eine besondere Konkretisierung durch die Sonn- und Feiertagsgarantie nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV. Die Sonn- und Feiertagsgarantie wirkt ihrerseits als in der Verfassung getroffene Wertung auf die Auslegung und Bestimmung des Schutzgehalts von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ein und ist deshalb auch bei der Konkretisierung der grundrechtlichen Schutzpflicht des Gesetzgebers zu beachten. Art. 139 WRV enthält einen Schutzauftrag an den Gesetzgeber, der im Sinne der Gewährleistungen eines Mindestschutzniveaus dem Grundrechtsschutz aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG insoweit Gehalt gibt.
12Vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 -, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 136.
13Auf diesen grundrechtsverankerten Mindestschutz der Sonntage, der in der Wertentscheidung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV angelegt ist, können sich auch andere Grundrechtsträger als Religionsgemeinschaften im Rahmen ihrer Grundrechtsverbürgungen, etwa auch im Rahmen ihrer Vereinigungsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 GG, berufen.
14Vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 -, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 144 und 148.
15Der zeitliche Gleichklang einer für alle Bereiche regelmäßigen Arbeitsruhe ist ein grundlegendes Element für die Wahrnehmung der verschiedenen Formen sozialen Lebens. Die Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen ist dabei auch für die Rahmenbedingungen des Wirkens der politischen Parteien, der Gewerkschaften und sonstiger Vereinigungen bedeutsam. Der objektivrechtliche Schutzauftrag, der in der Sonn- und Feiertagsgarantie begründet ist (Art. 139 WRV), ist mithin auf die Stärkung des Schutzes derjenigen Grundrechte angelegt, die in besonderem Maße auf Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung angewiesen sind. Mit der Gewährleistung rhythmisch wiederkehrender Tage der Arbeitsruhe fördert und schützt die Sonn- und Feiertagsgarantie dabei nicht nur die Ausübung der Religionsfreiheit, sondern dient neben weiteren Grundrechten ebenso der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), und zwar auch – wie hier – in Gestalt der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), die sich so effektiver wahrnehmen lassen.
16Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 2014 -BVerwG 6 CN 1.13 ‑, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 15 unter Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 -, BVerfGE 125, 39.
17Der Antragsgegner verletzt daher die Beigeladene in ihren Grundrechten aus Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 GG, wenn er – wie hier – mit einer rechtswidrigen Ausnahmebewilligung von Sonntagsarbeit die aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV folgenden Mindestanforderungen an den Sonntagsschutz unterschreitet.
18Erfolglos rügt die Antragstellerin ferner, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von einer Rechtswidrigkeit der erteilten Bewilligung ausgegangen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 erstes Tatbestandsmerkmal VwGO). Zutreffend hat das Verwaltungsgericht selbständig tragend darauf abgestellt, dass sich dem Bewilligungsbescheid mangels dargelegter Erwägungen nicht entnehmen lasse, ob der Antragsgegner das ihm zustehende Ermessen dem Zweck der Ermächtigung des § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG entsprechend ausgeübt habe. Der nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantierte gerichtliche Rechtsschutz setzt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung voraus, dass die Behörde offenbart, von welchen Gesichtspunkten sie sich bei der Ausübung des Ermessens hat leiten lassen. Diesem Zweck dient auch die Pflicht zur Begründung von Verwaltungsakten (§ 39 Abs. 1 VwVfG).
19Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. September 2006 - BVerwG 1 C 20.05 -, NVwZ 2007, 470 = juris, Rn. 18.
20Diesen Anforderungen hat der Antragsgegner nicht genügt. Die bloße formelhafte Formulierung, im Rahmen des eingeräumten Ermessens werde die beantragte Genehmigung erteilt, lässt lediglich erkennen, dass der Behörde das eröffnete Ermessen bewusst war. Die Gesichtspunkte, von denen sie sich hat leiten lassen, eröffnet sie nicht in dem erforderlichen Maße. Diese ergeben sich auch nicht aus den Antragsunterlagen, die zum Bestandteil der Bewilligung gemacht worden sind. Denn sie legen nur offen, weshalb die Antragstellerin meint, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung vorliegen. Eine am Zweck der Ermächtigung des § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG ausgerichtete eigenständige behördliche Entscheidung lässt sich der Bewilligung auch unter Berücksichtigung der umfangreichen Darlegungen in den Antragsunterlagen aber nicht entnehmen.
21Ungeachtet dessen beanstandet die Antragstellerin auch zu Unrecht die gleichfalls selbständig tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts, die Unverhältnismäßigkeit eines etwaigen Schadens sei nicht ersichtlich. Die Vorinstanz konterkariere mit ihrer restriktiven Auslegung des § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG den Willen des Gesetzgebers, die Unternehmen in ihren von Art. 12 Abs. 1 GG erfassten Rechten und Interessen zu schützen.
22Die Auslegung des § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG ist in verfassungskonformer Weise vorzunehmen, damit vermieden wird, dass durch die Norm oder ihre Anwendung im Einzelfall die Mindestanforderungen an den Sonn- und Feiertagsschutz unterschritten werden, die sich aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV ergeben.
23Vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 -, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 150.
24Indem gemäß § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG abweichend von § 9 ArbZG eine Beschäftigung von Arbeitnehmern (nur) bewilligt werden kann, wenn besondere Verhältnisse dies zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens erfordern, werden auch die Anforderungen gesteuert, die an das gebotene Bemühen des betroffenen Unternehmens zu stellen sind, Sonn- und Feiertagsarbeit zu vermeiden. Dieses Bemühen ist nicht auf solche Maßnahmen beschränkt, die sich innerhalb des Rahmens eines frei gewählten Geschäftskonzeptes halten. Vielmehr ist es geboten, dass die Unternehmen auch und bereits im Zuge der Festlegung ihres Geschäftskonzeptes dem Gewicht des Sonn- und Feiertagsschutzes angemessen Rechnung tragen. Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse des Unternehmens und ein alltäglich zu befriedigendes Erwerbsinteresse potenzieller Kunden genügen grundsätzlich nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Sonn- und Feiertage zu rechtfertigen.
25Vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 -, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 157; BVerwG, Urteil vom 26. November 2014 - BVerwG 6 CN 1.13 -, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 39.
26Dieser Schutz muss nicht allein deshalb zurückstehen, weil sich Wünsche nach dem Erwerb und der Lieferung von Weihnachtsgeschenken nicht mehr spontan oder kurzfristig, sondern nur durch eine angemessen vorausschauende Planung realisieren lassen.
27Das von der Antragstellerin in ihrem Bewilligungsantrag dargelegte und als solches bezeichnete „Geschäftsmodell“, das solche Wünsche uneingeschränkt zu befriedigen versucht und sie im eigenen Umsatzinteresse durch die Zusage kürzester Lieferfristen noch befördert, trägt seinerseits dem Schutz der Sonn- und Feiertage nicht die gebotene Rechnung. Die Antragstellerin hat zur Begründung der Erforderlichkeit von Sonntagsarbeit nicht dargelegt, versucht zu haben, Belastungsspitzen ohne Inanspruchnahme von Sonntagsarbeit etwa dadurch aufzufangen, dass eine möglichst gleichmäßige Verteilung des Auftragsvolumens auf die gesamte Vorweihnachtszeit erreicht wird. Die in dem Geschäftsmodell der Antragstellerin verankerten Lieferzusagen lassen ein solches Bemühen jedenfalls nicht erkennen. Dies wird auch durch das erstinstanzliche Vorbringen der Antragstellerin veranschaulicht, es könne ihr nicht zum Nachteil gereichen, wenn sie von der Möglichkeit einer zulässigen Werbung mit der Zusage von Lieferzeitpunkten Gebrauch mache. Die danach erkennbar ohne Rücksicht auf den Sonn- und Feiertagsschutz abgegebenen Lieferzusagen innerhalb kürzester Fristen verstärken und erzeugen Engpässe in der Bewältigung des Auftragsvolumens, denen der Schutz der Sonn- und Feiertage nicht weichen muss, weil sie Umsatzinteressen und Kundenerwartungen spiegeln, die ihrerseits hierfür nicht hinreichend gewichtig sind.
28Soweit die Antragstellerin allgemein zur gesellschaftlichen Bedeutung des Weihnachtsgeschäfts ausführt, bleibt offen, welche Erwägung des Verwaltungsgerichts hiermit konkret angegriffen werden soll.
29Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Dabei entspricht es der Billigkeit, der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese einen Sachantrag gestellt und sich damit dem prozessualen Risiko ausgesetzt hat, im Fall ihres Unterliegens ihrerseits mit Kosten belastet zu werden.
30Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Sie entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, der die Antragstellerin nicht entgegen getreten ist.
31Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.
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Referenzen
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- VwGO § 152 1x
- §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 39 Begründung des Verwaltungsaktes 1x
- §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 2857/07 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- ArbZG § 9 Sonn- und Feiertagsruhe 1x
- VwGO § 146 1x
- VwGO § 162 1x
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- 1 BvR 2858/07 3x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 2858/07 3x (nicht zugeordnet)