Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 13 A 1326/17
Tenor
Auf die Berufung der Klägerinnen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 4. April 2017 geändert. Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 9. Oktober 2015 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 4. Dezember 2015 verpflichtet, die Anträge auf Übermittlung der Kundenliste vom 6. Mai 205, soweit diese das Großkugelkopfsystem betrifft, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten und der Beigeladenen in beiden Instanzen zu 3/5. Die Beklagte und die Beigeladene tragen in beiden Instanzen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen zu 2/5. Im Übrigen trägt jeder der Beteiligten seine außergerichtlichen Kosten selbst. Die Klägerinnen haften als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klägerinnen sind gesetzliche Krankenkassen. Die Beigeladene ist die deutsche Vertriebsgesellschaft eines Medizinproduktherstellers mit Hauptsitz in der Schweiz. Sie vertrieb seit dem Jahr 2003 bis etwa ins Jahr 2012 die Implantat-Systeme mit der Bezeichnung „E. /N. M. -H. “ und „E. P. “. Im Jahr 2010 empfahl das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als Ergebnis einer Risikobewertung einen Anwendungsstopp für das gesamte H. . Eine entsprechende Empfehlung für das P. gibt es nicht. Zu behördlichen Zwangsmaßnahmen kam es ebenfalls nicht.
3Unter dem 8. Oktober 2012 setzte das Regierungspräsidium G. das BfArM darüber in Kenntnis, dass es im Rahmen der Überwachung der Beigeladenen im April 2012 die Verkaufszahlen aller E. -N. -Komponenten und der MMC-Pfanne nachvollzogen habe. Ferner habe die Beigeladene es darüber informiert, das E. /N. M. -H. auf Grund stark zurückgegangener Nachfrage aus dem regulären Vertriebsprogramm zu nehmen. Sie ziehe aber in Betracht, dieses Produkt in begründeten Einzelfällen bereitzustellen. Die EU Design Type Examination Certificates (EG-Auslegungsprüfbescheinigungen) werde sie für alle E. /N. Komponenten und die MMC Pfanne im Jahr 2013 bzw. 2014 auslaufen lassen. Eine Erneuerung der Zertifikate sei nicht beabsichtigt.
4Im November 2012 übersandte das Regierungspräsidium G. dem BfArM zu der Fallnummer 2805/09 eine Kundenliste der Beigeladenen zum E. /N. System einschließlich der jeweiligen Verkaufszahlen aller Komponenten (E. Femoral Component, E. Acetabular Component, N. M. , Zimmer MMC Cupp) seit Inverkehrbringen 2003 bis zum Jahr 2012. Aus der Kundenliste geht hervor, an welche Kliniken in Deutschland die Beigeladene E. /N. Systeme in der Vergangenheit geliefert hat. Die Fallnummer 2805/09 betrifft die Risikobewertung der Versorgung mit N. M. und E. Acetabular Components.
5Im Juli 2013 beantragte der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS) bei dem BfArM die Übersendung dieser Kundenliste zwecks Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegenüber der Beigeladenen. Diesen Antrag lehnte das BfArM mit Bescheid vom 9. Mai 2014 ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch hatte keinen Erfolg. Der Widerspruchsbescheid vom 2. Oktober 2015 ist bestandskräftig.
6Mit Erlass vom 19. Dezember 2013 forderte das Bundesministerium für Gesundheit das BfArM im Zusammenhang mit dem Auskunftsersuchen des MDS auf, eine aktuelle Risikoeinschätzung sowohl des Großkopf- als auch des Oberflächenersatzsystems der Beigeladenen abzugeben. Hierauf berichtete das BfArM an das Ministerium für Gesundheit unter dem 15. Januar 2014, es lägen 262 Meldungen für das Metall-auf-Metall Großkopfprothesensystem der Beigeladenen vor. Auf Basis des beim BfArM dokumentierten Vorkommnisgeschehens ließen sich keine weiteren Maßnahmeempfehlungen nach der MPSV ableiten, die über die Empfehlungen von Juni 2010 und Oktober 2010 hinausgingen.
7Unter dem 6. Mai 2015 beantragten die Klägerinnen die Übermittlung der dem BfArM vorliegenden Kundenliste der Beigeladenen. Dieses Begehren lehnte das BfArM mit Bescheiden vom 21. Oktober 2015 ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, ein Anspruch ergebe sich zunächst nicht aus § 22 Abs. 3 der Verordnung über die Erfassung, Bewertung und Abwehr von Risiken bei Medizinprodukten (Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung – MPSV). Die Kundenliste sei von ihm – dem BfArM – in keinem Stadium des durchgeführten Risikobewertungsverfahrens angefordert, sondern vom Regierungspräsidium G. unaufgefordert übersandt worden. Die Kundenliste stehe damit nicht im Zusammenhang mit der von ihm durchgeführten Risikobewertung und sei auch nicht für eine solche von Bedeutung. Auch aus anderen Rechtsvorschriften lasse sich ein Übermittlungsanspruch nicht ableiten. Das Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz – IFG) begründe keinen Anspruch, weil es – unabhängig davon, ob sich die Klägerinnen überhaupt auf das IFG berufen könnten – an der Einwilligung der Beigeladenen als Betroffene fehle. Eine entsprechende Anwendung des § 84a Abs. 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG) scheide schon mangels planwidriger Regelungslücke aus. Schließlich bestehe auch kein Anspruch aus Amtshilfe. Dabei brauche nicht abschließend entschieden zu werden, ob es sich bei den Klägerinnen um Behörden im Sinne der Amtshilfevorschriften handele. Denn jedenfalls stehe § 30 VwVfG einer Offenbarung der Kundenliste entgegen. Die Offenbarung der Kundenliste würde unbefugt erfolgen. Dies schon deshalb, weil es an der Einwilligung der Beigeladenen fehle. Die Klägerinnen machten zudem kein rechtliches Interesse an der Offenbarung der Kundenliste geltend, welches das Interesse der Beigeladenen an dem Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse überwiege. Außerdem bestünden grundsätzliche Bedenken gegen eine Offenlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen aus der Fallbearbeitung. Eine Weitergabe entsprechender Informationen könne negativen Einfluss auf das zukünftige Melde- und Kooperationsverhalten der Hersteller von Medizinprodukten in Risikobewertungsverfahren haben. Demgegenüber rechtfertige das von den Krankenkassen verfolgte Gebot der Wirtschaftlichkeit kein anderes Abwägungsergebnis. Es erscheine bereits höchst zweifelhaft, ob die Offenbarung der Kundenliste geeignet und notwendig sei, den von den Klägerinnen beabsichtigten Regress bei der Beigeladenen überhaupt oder ggf. leichter vornehmen zu können. Den Klägerinnen stünden aber jedenfalls andere gleich- bzw. wirksamere Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Interessen zur Verfügung, welche die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen unberührt ließen. Sie könnten sich mit einem Aufruf über die Mitgliederzeitschriften, Presse, Funk oder Fernsehen direkt an die Patienten wenden. Auch wenn die Patienten möglicherweise im Einzelfall nicht genau wüssten, welche Implantate ihnen eingesetzt worden seien, so sei ein solcher Aufruf ein geeignetes und gleich wirksames, ggf. wirksameres Mittel, um die Geschädigten zu identifizieren. Mit Hilfe der Kundenliste sei es den Klägerinnen lediglich möglich, wiederum Auskunftsrechte gegenüber den Leistungserbringern geltend zu machen. Diese hätten sich aber auch in der Vergangenheit nicht bereit gezeigt, Informationen preiszugeben. Es sei zu erwarten, dass sie sich erneut weigern würden. Angesichts der Verjährungsfristen für die Regressansprüche erscheine ein solches Vorgehen wenig erfolgversprechend.
8Nach Ablehnung der gegen die Ablehnungsbescheide gerichteten Widersprüche durch Widerspruchsbescheide vom 4. Dezember 2015 haben die Klägerinnen am 11. Januar 2016 Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen:
9Sie hätten einen Anspruch auf Übermittlung der Kundenliste durch das BfArM. Ein solcher Anspruch folge aus § 22 Abs. 3 MPSV. Die streitgegenständliche Kundenliste stelle eine Information bzw. Auskunft zu durchgeführten Risikobewertungen aus den Jahren 2010 und 2013/2014 dar. Anlass für die weitere Risikobewertung sei das Begehren des MDS auf Übersendung der streitgegenständlichen Kundenliste gewesen. Mithin sei davon auszugehen, dass die Kundenliste – insbesondere mit Blick auf die in ihr enthaltenen Verkaufszahlen – unmittelbar Relevanz für die ergänzende Risikobewertung gehabt habe und sie Informationen zu durchgeführten Risikobewertungen des BfArM enthalte.
10Dass die streitgegenständliche Kundenliste vom Regierungspräsidium G. „unaufgefordert“ übersandt worden sei, ändere an dem Bezug zwischen Kundenliste und durchgeführter Risikobewertung nichts. Insbesondere liege die Kundenliste nicht „zufällig“ vor, sondern sei im Zusammenhang mit der Risikobewertung des E. /N. -Systems übermittelt worden. Auch schränke § 22 Abs. 3 MPSV den Auskunftsanspruch nicht auf solche Unterlagen ein, die das BfArM im Rahmen der Risikobewertung selbst erhoben oder ermittelt habe. Dies werde schon aus dem Wortlaut deutlich. § 22 Abs. 3 MPSV erfasse Informationen zu, nicht Informationen aus durchgeführten Risikobewertungen.
11Sie könnten auch einen Beitrag zur Risikoverringerung im Sinne des § 22 Abs. 3 MPSV leisten. Die Kundenliste ermöglichte es ihnen, die Versicherten zu ermitteln, denen eine E. -N. -Hüftprothese eingesetzt worden sei. Sie könnten von den auf der Kundenliste aufgeführten Leistungserbringern verlangen, die Namen derjenigen Versicherten mitzuteilen, die eine E. -N. -Hüftprothese der Beigeladenen erhalten hätten. Zur Offenlegung der Versichertennamen seien die Leistungserbringer gemäß § 294a Abs. 1 Satz 1 SGB V verpflichtet. Jedenfalls aber könne der Kreis der potenziell Betroffenen mithilfe der Kundenliste eingeschränkt werden und eine wesentlich zielgerichtetere Ansprache von Versicherten erfolgen. Betroffene Versicherte könnten sodann im Hinblick auf das Risiko einer Gesundheitsbeeinträchtigung durch die eingesetzte Hüftprothese sowie dessen mögliche Minimierung beraten werden. Die Aufklärung und Beratung ihrer Versicherten obliege ihnen gemäß §§ 1 Satz 4, 13, 14 SGB V. Eine Beratung von Amts wegen sei angezeigt, zumal die Beigeladene lediglich einen freiwilligen Vertriebsstopp umgesetzt, die Produkte aber nicht zurückgerufen habe.
12Sie hätten darüber hinaus auch ein berechtigtes Interesse an dem Inhalt der begehrten Kundenliste. Sie diene dazu, ihrer Verpflichtung nachzukommen, ihre Versicherten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen nach § 66 SGB V zu unterstützen und eigene Regressansprüche aus übergegangenem Recht nach § 116 Abs. 1 SGB X gegenüber der Beigeladenen geltend zu machen. § 76 Abs. 1 SGB IV gebiete, Einnahmen – hierzu zählten auch Schadensersatz- und Regressansprüche – rechtzeitig und vollständig zu erheben. Die Durchsetzung übergegangener Schadenersatz- bzw. Regressforderungen leiste letztlich auch einen Beitrag zur Erhaltung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Sicherung ihrer finanziellen Stabilität sei anerkanntermaßen ein Gemeinwohlbelang von hoher Bedeutung, der auch Grundrechtseinschränkungen rechtfertigen könne.
13Ein anderer, einfacherer Weg zur Ermittlung der betroffenen Versicherten stehe nicht zur Verfügung. Aus den Abrechnungsdaten der Krankenhäuser sei für sie zwar ersichtlich, welcher Versicherte eine Hüftprothese eingesetzt bekommen habe, nicht aber, welches konkrete Produkt von welchem Hersteller verwendet worden sei. Sie müssten sich auch nicht darauf verweisen lassen, über Mitgliederzeitschriften oder sonstige Kanäle alle Versicherten zu kontaktieren. Ein solches Vorgehen wäre nicht annähernd so effizient.
14Das auf Rechtsfolgenseite der Beklagten zustehende Ermessen sei wegen ihres überwiegenden Interesses auf Null reduziert. Der Zweck des § 22 Abs. 3 MPSV spreche dafür, im Regelfall von der Ermächtigung Gebrauch zu machen und die in der Vorschrift genannten Stellen zu informieren. Nur in Ausnahmefällen, bei gewichtigen entgegenstehenden Interessen von betroffenen Unternehmen, könne von einer Unterrichtung abgesehen werden. Solche lägen hier nicht vor. Kundenlisten könnten zwar grundsätzlich als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis qualifiziert werden. Die streitgegenständliche Kundenliste weise aber keine aktuelle Wettbewerbsrelevanz mehr auf, weil die Beigeladene die Prothesen seit geraumer Zeit jedenfalls nicht mehr auf dem regulären Vertriebsweg vertreibe. Ferner sei ein Teil der belieferten Kliniken in Deutschland bekannt. Im Internet seien entsprechende Auflistungen zu finden. Zudem sei ein Interesse am Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nur dann anzuerkennen, wenn die Offenlegung geeignet sei, Wissen Konkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen, wobei hierfür die prognostische Einschätzung nachteiliger Auswirkungen im Falle des Bekanntwerdens nachvollziehbar und plausibel dargelegt werden müsse. Davon könne im Verhältnis zu ihnen – den Klägerinnen – keine Rede sein.
15Ungeachtet dessen hätten sie ein deutlich überwiegendes Interesse an der Übermittlung der Kundenliste. Neben den bereits genannten Punkten sei zu berücksichtigen, dass die Übermittlung der Kundenliste zeitlich dränge, weil hinsichtlich Teile der Ansprüche Verjährung bzw. das Erlöschen drohe. Die Befürchtung, eine Weitergabe könne einen negativen Einfluss auf das zukünftige Melde- und Kooperationsverhalten der Hersteller von Medizinprodukten in Risikobewertungsverfahren haben, verfange nicht. Dieser abstrakt-pauschale Hinweis auf mögliche Vorbehalte von Herstellern, ihren gesetzlich vorgeschriebenen Verpflichtungen nachzukommen, sei nicht geeignet, das Auskunftsrecht nach § 22 Abs. 3 MPSV einzuschränken. Die allenfalls relevante konkrete Möglichkeit einer erheblichen und spürbaren Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung der Behörde als Folge der Ermöglichung des Zugangs zu bestimmten Informationen habe die Beklagte nicht dargetan.
16Daneben stehe ihnen ein Anspruch auf Übermittlung der Kundenliste auch aus §§ 4, 5 VwVfG zu. Als Körperschaften des öffentlichen Rechts nähmen sie Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr und seien damit Behörden im Sinne des Verwaltungsverfahrensrechts. § 30 VwVfG stehe der Herausgabe der Kundenliste auch unter Abwägung der Geheimhaltungsinteressen der Beigeladenen nicht entgegen.
17Schließlich hätten sie auch einen Anspruch auf Übermittlung der Kundenliste aus § 84a AMG analog. Es bestehe eine planwidrige Regelungslücke, weil das Medizinprodukterecht keine Regelung zu Auskunftsansprüchen enthalte. Die Interessenlage sei vergleichbar, zumal sich in Einzelfällen die Abgrenzung zwischen Arzneimittel und Medizinprodukt als schwierig darstelle.
18Die Klägerinnen haben beantragt,
19die Widerspruchsbescheide vom 4. Dezember 2015 sowie die zugrunde liegenden Bescheide vom 21. Oktober 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vorliegende Liste, auf der die Krankenhäuser vermerkt sind, die von der Beigeladenen mit den Hüftendoprothesen „E. -N. -M. -Großkopf- und Oberflächenersatz-Systeme“ beliefert wurden, an die Klägerinnen zu übermitteln.
20Die Beklagte hat beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Zur Begründung nimmt sie Bezug auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren und führt ergänzend aus: Die Kundenliste stehe nicht im Zusammenhang zu einer vom BfArM durchgeführten Risikobewertung. Ein solcher könne auch nicht daraus abgeleitet werden, dass das Bundesministerium für Gesundheit das BfArM mit Erlass vom 19. Dezember 2013 aufgefordert habe, eine Aktualisierung der Bewertung der in Rede stehenden Medizinprodukte vorzunehmen. Für die Neubewertung sei die Kundenliste nicht von Relevanz gewesen.
23Die Beigeladene hat beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Zur Begründung hat sie ausgeführt: Die Kundenliste stelle bereits keine Information oder Auskunft im Sinne des § 22 Abs. 3 MPSV dar. Nach dem Wortlaut der Norm dürfe das BfArM Informationen und Auskünfte zu durchgeführten Risikobewertungen übermitteln. Das Wort „zu“ sei dahin auszulegen, dass die begehrte Information oder Auskunft einen engen sachlichen Bezug zu der Risikobewertung aufweisen müsse. Auch nach Sinn und Zweck der Regelung umfasse der Auskunftsanspruch nach § 22 Abs. 3 MPSV nur solche Informationen und Auskünfte, die im Zusammenhang mit medizinischen Risiken Relevanz aufwiesen. Das BfArM sei hingegen nicht aus § 22 Abs. 3 MPSV ermächtigt und verpflichtet, Einsicht auch in solche Informationen zu gewähren, die – wie hier – lediglich zufällig oder versehentlich, ohne jeden sachlichen Grund, in seinen Herrschaftsbereich gelangt seien.
26Jedenfalls aber könne die Herausgabe der Kundenliste keinen Beitrag zur Risikoverringerung leisten. Es stehe bereits nicht fest, ob von den streitgegenständlichen Implantat-Systemen überhaupt ein Risiko ausgehe. Bezüglich des Oberflächenersatzsystems sei keine Risikobewertung durchgeführt worden. Auch die von den Klägerinnen angenommene Ursächlichkeit des Großkopfsystems für Patientenbeschwerden sei aus wissenschaftlicher Sicht nicht belegt, da zahlreiche Alternativursachen in Betracht kämen. Ungeachtet dessen sei auch nicht ersichtlich, welchen Beitrag die Klägerinnen zur Risikoverringerung leisten wollten. Die Bewertung von Risiken durch Medizinprodukte und die Entscheidung über die notwendigen Maßnahmen sei Aufgabe des BfArM. Die individuelle medizinische Beratung von betroffenen Patienten obliege den behandelnden Ärzten. Zudem sei eine Beratung der Versicherten zu medizinischen Fragen allenfalls mithilfe der Medizinischen Dienste denkbar (vgl. § 275 Abs. 3 Nr. 4 SGB V).
27Die Klägerinnen hätten an der begehrten Kundenliste auch kein berechtigtes Interesse. Dieses umfasse nicht jedwedes Interesse an Informationen, sondern nur ein solches, dass eine enge Verbindung zu medizinischen Risiken aufweise und auf deren Erkenntnis gerichtet sei. Der Auskunftsanspruch unterstelle zudem seiner Konzeption nach eine Überwindung eines im Einzelfall bestehenden Informationsdefizits und gebiete auch im Interesse des Datenschutzes eine restriktive Auslegung.
28Soweit die Klägerinnen ihr berechtigtes Interesse mit der Sachverhaltsermittlung zum Zwecke der rechtlichen Unterstützung der Versicherten begründeten, fehle es bereits an einer gesetzlichen Grundlage für die beabsichtigte Beratungstätigkeit „von Amts wegen“. Gemäß § 275 Abs. 3 Nr. 4 SGB V i. V. m. § 66 SGB V seien die Krankenkassen zwar zur Unterstützung der Versicherten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen verpflichtet. Dies setzte aber zunächst ein Tätigwerden des Versicherten selbst voraus. Dies entspreche dem in § 19 Satz 1 SGB IV niedergelegten Grundsatz, dass Leistungen der Krankenkassen auf Antrag erbracht würden, soweit sich aus den Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige nicht etwas Abweichendes ergebe. Zudem handele es sich bei zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen der Versicherten auch nicht um Rechte nach dem Sozialgesetzbuch. Die von den Klägerinnen angeführte Geltendmachung behaupteter eigener Schadensersatzansprüche begründe ebenfalls kein berechtigtes Interesse. Die Stabilität der Krankenversicherungen werde durch die verweigerte Herausgabe der Kundenliste nicht berührt, da ihre finanzielle Leistungsfähigkeit dadurch nicht ansatzweise infrage gestellt werde.
29Die Kundenliste sei weiter zur Förderung der klägerischen Ziele nicht geeignet. Den Klägerinnen stehe der behauptete Auskunftsanspruch gegenüber den Krankenhäusern nicht zu. § 294a SGB V verpflichte die Krankenhäuser lediglich bei Hinweisen auf drittverursachte Gesundheitsschäden zur unaufgeforderten Mitteilung an die Krankenkassen, diene aber nicht als Anspruchsgrundlage für ein Auskunftsverlangen der Krankenkassen gegenüber den Krankenhäusern auf Offenbarung von Patientendaten.
30Ein berechtigtes Interesse der Klägerinnen scheide schließlich deshalb aus, weil ihr Anliegen ins Blaue hinein erfolge und damit auf unzulässige Ausforschung gerichtet sei.
31Jedenfalls aber müsse die auf Rechtsfolgenseite zu treffende Ermessensentscheidung zu Lasten der Klägerinnen ausfallen. Deren Auskunftsinteresse stehe ihr höher zu bewertendes Interesse an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse entgegen. Die Kundenbeziehungen, die mit Übermittlung der Kundenliste offenbart würden, seien unabhängig von dem betroffenen Prothesenmodell weiterhin von Bedeutung. Für den Fall einer Offenbarung seien schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile zu befürchten. Die begehrten Kundendaten spiegelten in ihrer Gesamtheit ihre Marktstrategie wider und ließen auf gefestigte, bis heute bestehende Geschäftskontakte schließen, die über die streitgegenständlichen Produkte hinausgingen. Bei Offenlegung der begehrten Informationen an die Klägerinnen werde der Personenkreis mit Zugriff auf die Geschäftsgeheimnisse in einem für sie unüberschaubaren Maße erweitert. Die Offenbarung der Kundenliste würde ferner Allgemeinwohlbelange berühren. Die behördliche Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen beschränke sich in der Regel auf absolute Ausnahmefälle, weil der Schutz vor unbefugter Offenbarung die Kooperationsbereitschaft der Unternehmen stärke. Eine von den ihr übertragenen Aufgaben losgelöste Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen würde das Vertrauensverhältnis zwischen Herstellern und Aufsichtsbehörde erheblich belasten. Ferner müsse das Recht der Patienten auf Wahrung ihrer informationellen Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Berücksichtigung finden. Die Erteilung der begehrten Auskunft würde sich als Unterstützungshandlung für eine nach Sozial- und Medizinprodukterecht unzulässige Erhebung personenbezogener Daten darstellen. Zu berücksichtigen sei schließlich, dass den Patienten in Gestalt des Prothesenpasses detaillierte Informationen über ihr Implantat und den Hersteller zur Verfügung stünden. Unabhängig von etwaigen rechtlichen Verpflichtungen habe sie bereits in der Vergangenheit ihre Implantat-Systeme stets mit einem doppelten Satz an Prothesenstickern an die Krankenhäuser ausgeliefert, wobei jeweils ein Set für die Akten des Krankenhauses bestimmt gewesen sei und ein Set für den Prothesenpass des Patienten.
32Die Klägerinnen hätten auch keinen Anspruch auf Übermittlung der Kundenliste aus § 84a Abs. 2 AMG analog. Es fehle bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Ungeachtet dessen lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 84a Abs. 2 Satz 1 AMG nicht vor.
33Ein Anspruch auf Übermittlung der Kundenliste lasse sich auch nicht auf die Vorschriften über Amtshilfe stützen. Die Erteilung von Auskünften durch § 22 Abs. 3 MPSV sei dem BfArM als eigene Aufgabe zugewiesen; sie könne daher keine Amtshilfe darstellen. Jedenfalls aber sei die Gewährung von Amtshilfe nach § 5 Abs. 2 Satz 2 VwVfG ausgeschlossen.
34Mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom 4. April 2017 ergangenem Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Übermittlung der begehrten Kundenliste scheide in Bezug auf Oberflächenersatzsysteme von vornherein aus, da diese nicht Gegenstand eines Risikobewertungsverfahrens gewesen seien. Hinsichtlich „E. /N. M. -Großkugelkopfsysteme“ habe das BfArM den Antrag rechtsfehlerfrei abgelehnt. Es bestünden bereits Zweifel an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 MPSV. Dies betreffe zunächst den persönlichen Anwendungsbereich der Norm, welche zwar den Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, nicht aber ausdrücklich auch die Krankenhäuser selbst berechtige. Es liege nahe, Angelegenheiten der Risikobewertung und der Risikovorsorge mit einer zentralen Institution und nicht individuell mit jeder einzelnen Krankenkasse zu regeln. Die Zweifel beträfen zudem den sachlichen Umfang eines etwaigen Anspruchs. Die Kundenliste habe keinen unmittelbaren Bezug zu vorliegenden Meldungen von Vorkommnissen und Risikobewertungen. Auch erschließe sich ihr Nutzen für die fachliche Risikobewertung nicht ohne weiteres. Jedenfalls aber habe das BfArM das Übermittlungsersuchen nicht ermessensfehlerhaft abgelehnt. Die Kundenliste stelle ein nach § 30 VwVfG schützenswertes Geschäftsgeheimnis der Beigeladenen dar. Demgegenüber bestehe kein öffentliches Interesse der Klägerinnen, welches die Übermittlung der Liste zwingend geböte. Insbesondere machten die Klägerinnen keine konkreten individuellen Rechte geltend, sondern eine generelle Vorabinformation, auf deren Grundlage Schadensersatztatbestände erst ermittelt werden sollten. Zur Durchsetzung etwaiger Ansprüche gegen die Beigeladene seien die Klägerinnen nicht zwingend auf die Kundenliste angewiesen. Mit § 294a Abs. 1 Satz 1 SGB V stehe ihnen das notwendige gesetzliche Instrument zur Verfügung, um sich die erforderlichen Informationen von den Leistungserbringern zu verschaffen. Dass es nach Angabe der Klägerseite bisher nicht gelungen sei, die Krankenhäuser zu einem entsprechenden Auskunftsverhalten zu bewegen, könne nicht zu Lasten der Beigeladenen gehen. Hiervon abgesehen hätten die klagenden Kassen auch keine Einzelheiten zu ihren diesbezüglichen Bemühungen mitgeteilt. Vor diesem Hintergrund reduziere sich die Übermittlung der Kundenliste auf das verständliche Bemühen um Verwaltungsvereinfachung. Ein zwingender Anspruch ergebe sich hieraus jedoch nicht. Mithin fehle es auch an den Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung „auf Null“. Ein Rückgriff auf § 84a AMG verbiete sich. Der Gesetzgeber habe mit dem Recht der Medizinprodukte ein eigenes Regelungssystem geschaffen. Hiervon abgesehen richte sich der arzneimittelrechtliche Auskunftsanspruch auf Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen, etwaige Verdachtsfälle und sämtliche weitere Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Bedeutung sein können (§ 84a Abs. 1 Satz 2 AMG). Die Übermittlung einer Kundenliste sei hierunter nicht zu fassen. Schließlich scheide ein Anspruch auf Amtshilfe nach § 4 VwVfG jedenfalls deshalb aus, weil die ersuchte Hilfeleistung eine Aufgabe darstelle, die der um Auskunft ersuchten Stelle selbst obliege. § 22 Abs. 3 MPSV weise die Befugnis zur Auskunftserteilung in Zusammenhang mit Risikobewertung und Risikovorsorge bei Medizinprodukten ausdrücklich der zuständigen Bundesoberbehörde, hier dem BfArM, zu.
35Hiergegen wenden sich die Klägerinnen mit ihrer von dem Senat zugelassenen Berufung. Zur Begründung wiederholen sie ihr Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren und tragen ergänzend vor:
36Als gesetzliche Krankenkassen gehörten sie zum Kreis der Informations- und Auskunftsberechtigten. Der Wortlaut des § 22 Abs. 3 MPSV sei mit der Formulierung „andere Organisationen, Stellen und Personen“ in Bezug auf den Kreis der Informationsberechtigten weit gefasst. Der Medizinische Dienst des GKV und die Deutsche Krankenhausgesellschaft würden lediglich beispielhaft als auskunftsberechtigte Organisationen genannt, hätten aber für keine anderen Organisationen, Stellen und Personen Ausschlusswirkung. Auch gesetzessystematisch sei nicht ersichtlich, weshalb die Nennung des Medizinischen Dienstes des GKV gesetzliche Krankenkassen ausschließe, die institutionell und körperschaftlich von diesem zu trennen seien und sich in ihren gesetzlich zugewiesenen Aufgaben maßgeblich unterschieden. Ihr Ziel, mit Hilfe der begehrten Kundenliste die betroffenen Versicherten zu ermitteln, über die potenzielle Fehlerhaftigkeit der eingesetzten E. -N. -Hüftprothese aufzuklären und über einen sachgerechten Umgang sowie zu Schadensersatzansprüche zu beraten, stelle auch keine Kompetenzanmaßung dar. Die Beratung sei insbesondere nicht einem Produktrückruf gleichzusetzen. Es sei auch nicht sicher davon auszugehen, dass Ärzte und Patienten durch die bislang erfolgte mediale Berichterstattung zu den Mängeln der streitgegenständlichen Implantat-Systeme oder durch die Beigeladene selbst ausreichend informiert worden seien. Das Auskunftsersuchen erfolge ferner nicht anlasslos ins Blaue hinein. Das Landgericht G. habe in mehreren Entscheidungen u. a. festgestellt, dass es aufgrund eines Konstruktionsfehlers bei dem H. zum Auftreten eines erhöhten Metallabriebs kommen könne. Da die Kundenliste 13 Seiten umfasse, werde es bundesweit deutlich mehr als die in G. und X. behandelten Patienten geben, die von den fehlerhaften Hüftgelenksimplantaten betroffen seien. Darüber hinaus scheide ein Anspruch auf Übermittlung der Kundenliste nicht nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG aus. Die Herausgabe der streitgegenständlichen Kundenliste stelle keine „eigene Aufgabe“ des BfArM dar. Sie zähle schon nicht zum originären Aufgabenkreis, sondern sei eine den Aufgabenkreis des BfArM ergänzende Befugnis.
37Die Klägerinnen beantragen,
38unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Köln vom 4. April 2017 (7 K 132/16) die Widerspruchsbescheide der Beklagten vom 4. Dezember 2015 sowie die zugrunde liegenden Bescheide vom 21. Oktober 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vorliegende Liste, auf der die Krankenhäuser vermerkt sind, die von der Beigeladenen mit den Hüftendoprothesen „E. -N. -M. -Großkopf- und Oberflächenersatzsysteme“ beliefert wurden, an die Klägerinnen zu übermitteln.
39Die Beklagte beantragt,
40die Berufung zurückzuweisen.
41Zur Begründung tragen sie ergänzend zu ihrem Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen vor: Die Übermittlung von Informationen, die von Gesetzes wegen für den MDS bestimmt seien, an einzelne Krankenkassen, sei aus gesetzessystematischen Gründen ausgeschlossen. Dies folge aus den Regelungen zum Sozialdatenschutz. Versicherten- und Gesundheitsdaten dürften in bestimmten Fällen zwar dem MDK, ausdrücklich aber nicht den Krankenkassen als Leistungsträger zugänglich gemacht werden (§ 275 Abs. 1, 1c, 2, 3 SGB V). Wann eine Verarbeitung von Sozialdaten durch den MDK zulässig sei und wem der MDK Sozialdaten übermitteln dürfe, sei gesetzlich im Einzelnen bestimmt (§ 276 Abs. 2 SGB V). Diese institutionelle Trennung zwischen dem MDK und Kostenträgern sei auf den MDS zu übertragen. Übermittle die Beklagte Informationen an den MDS, dienten diese Informationen der Risikoverringerung auf der Ebene eines Spitzenverbandes. Nach der Systematik des Neunten Kapitels im SGB V sei nicht davon auszugehen, dass einzelnen Krankenkassen Sozialdaten zur Regressbearbeitung im konkreten Einzelfall übermittelt werden solle.
42Die Beigeladene beantragt,
43die Berufung zurückzuweisen.
44Zur Begründung wiederholt sie ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend im Wesentlichen vor: Würde den Klägerinnen die begehrte Einsicht in die Kundenliste gewährt, führte dies dazu, dass sie sämtliche von ihr – der Beigeladenen – belieferten Kunden und mit dem E. /N. M. -Prothesensystem und dem E. Oberflächenersatz versorgten Patienten anschreiben würde, um sie auf die vermeintlichen Risiken hinzuweisen und zu angeblich notwenigen Revisionsoperationen zu beraten. In der Sache versuchten die Klägerinnen denjenigen Zustand herbeizuführen, der bei Anordnung einer Produktwarnung oder eines Produktrückrufs durch die zuständige Behörde bestanden hätte. Vorliegend habe sich die für derartige Schritte zuständige Behörde aber gegen eine entsprechende Anordnung entschieden. Würde den Klägerinnen die Möglichkeit gegeben, Maßnahmen zu ergreifen, zu denen die zuständige Behörde sie bewusst nicht verpflichtet habe, so hätte dies eine Umgehung der gesetzlich vorgesehenen sachlichen und inhaltlichen Kompetenz zur Folge. Selbst bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 MPSV habe die Beklagte das Übermittlungsersuchen jedenfalls ermessensfehlerfrei abgelehnt. Zu einem Ermessensausfall sei es nicht gekommen. Bei verständiger Auslegung der Ausgangsbescheide ergebe sich, dass die Beklagte ihr Ermessen auch im Hinblick auf § 22 Abs. 3 MPSV ausgeübt habe. Die von der Beklagten angestellten Überlegungen seien allgemeiner Art, die nicht nur für § 4 Abs. 1 VwVfG, sondern auch und gerade in Bezug auf § 22 Abs. 3 MPSV relevant seien. Der Verweis der Beklagten auf § 30 VwVfG, der Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes der Geheimhaltungsverpflichtung sei und damit auf alle Verwaltungsverfahren Anwendung finde, mache deutlich, dass die von der Beklagten angestellten Überlegungen für beide in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen Geltung hätten. Entscheidend sei, dass die Beklagte ermessensfehlerfrei im Ergebnis alle wesentlichen Abwägungsaspekte in ihrer Entscheidung aufgenommen und entsprechend berücksichtigt habe. Die Herausgabe der streitgegenständlichen Kundenliste sei zur Erreichung der von den Klägerinnen verfolgten Interessen weder geeignet noch erforderlich. Sie – die Beigeladene – habe in Absprache mit dem BfArM die Field Safety Notice veröffentlicht, sämtliche Anwender des Produkts kontaktiert und zur Durchführung von Schulungen verpflichtet. Es sei von einer umfassenden ärztlichen Aufklärung auszugehen, die Patienten mit Beschwerden in die Lage versetzt haben dürfte, eigenverantwortlich – gegebenenfalls unter aktiver Einbeziehung der Krankenversicherung nach § 66 SGB V – ihre Ansprüche gegenüber der Beigeladenen geltend zu machen.
45Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
46Entscheidungsgründe:
47Die zulässige Berufung der Klägerinnen hat teilweise Erfolg. Sie ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der auf Verpflichtung der Beklagten zur Übermittlung der streitgegenständlichen Kundenliste gerichtete Hauptantrag ist unbegründet (I.). Die Klägerinnen haben aber einen Anspruch auf Neubescheidung des Antrags auf Übermittlung der Kundenliste, soweit diese das H. betrifft, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO (II.).
48I. Der Hauptantrag ist unbegründet. Zwar ist die uneingeschränkte Ablehnung der beantragten Übermittlung der Kundenliste rechtswidrig und verletzt die Klägerinnen in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 MPSV – anders als von der Beklagten angenommen – für die Übermittlung der Kundenliste, soweit diese das H. betrifft, erfüllt sind (1.). Die von den Klägerinnen begehrte Verpflichtung konnte indessen in diesem Umfang nicht ausgesprochen werden. Es fehlt an der erforderlichen Spruchreife im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt nicht vor (2.). Ein gebundener Anspruch auf Übermittlung der Kundenliste folgt auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 84a AMG oder aus den Regelungen zur Amtshilfe nach §§ 4 ff. VwVfG (3.).
491. Gemäß § 22 Abs. 3 MPSV dürfen Informationen und Auskünfte zu vorliegenden Meldungen, durchgeführten Risikobewertungen und korrektiven Maßnahmen auch an den Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und andere Organisationen, Stellen und Personen übermittelt werden, soweit von diesen ein Beitrag zur Risikoverringerung geleistet werden kann oder ein berechtigtes Interesse besteht. Mit der damit spezialgesetzlich geregelten Offenbarungsbefugnis geht – wenn auch nicht ausdrücklich geregelt – ein entsprechender Auskunftsanspruch der Berechtigten einher.
50Vgl. hierzu auch Stößlein, in: Anhalt/Dieners (Hrsg.), Medizinprodukterecht, 2. Aufl. 2017, § 10 Rn. 95.
51Dessen tatbestandliche Voraussetzungen liegen vor, soweit die begehrte Kundenliste das von der Beigeladenen in der Vergangenheit vertriebene H. betrifft. Die Klägerinnen zählen zu dem Kreis derjenigen, denen nach § 22 Abs. 3 MPSV Informationen und Auskünfte übermittelt werden dürfen (a). Mit der Übermittlung der Kundenliste begehren sie Informationen zu durchgeführten Risikobewertungen (b), an denen sie ein berechtigtes Interesse haben (c).
52a) Die Klägerinnen werden vom persönlichen Anwendungsbereich des § 22 Abs. 3 MPSV erfasst. Die Regelung begründet einen Auskunftsanspruch bei Vorliegen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen für den Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS), die Deutsche Krankenhausgesellschaft und andere Organisationen, Stellen und Personen. Mit der Formulierung „andere Organisationen, Stellen und Personen“ hat der Verordnungsgeber den persönlichen Anwendungsbereich der Norm bewusst weit gefasst. Eine einschränkende Auslegung dahingehend, dass jedenfalls Krankenkassen vom Anwendungsbereich des § 22 Abs. 3 MPSV ausgeschlossen sind, weil ihnen die Möglichkeit offen steht, über den MDS Auskunftsersuchen beim BfArM geltend zu machen, lässt sich weder dem Wortlaut der Regelung entnehmen, noch ist ein solches Normverständnis nach Sinn und Zweck der Regelung geboten. Wie das Verwaltungsgericht in seinen Entscheidungsgründen zutreffend ausgeführt hat, kommt dem MDS zwar gemäß § 282 Abs. 1 und 2 SGB V als rechtsfähiger Körperschaft des öffentlichen Rechts in allen medizinischen Fragen gegenüber dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen eine beratende Funktion zu. Dies kann auch die Beratung zur Sicherheit von Medizinprodukten umfassen. Der MDS koordiniert und fördert zudem gemäß § 282 Abs. 2 Satz 2 SGB V die bundesweite Zusammenarbeit des medizinischen Dienstes der Krankenkassen im Sinne des § 278 Abs. 1 Satz 1 SGB V, der die Beratungsfunktion für allgemeine medizinische Fragen der gesundheitlichen Versorgung gegenüber den einzelnen Krankenkassen wahrnimmt (§ 275 Abs. 4 SGB V). Angesichts dessen liegt gerade mit Blick auf das mit der Statuierung des Auskunftsrechts vom Verordnungsgeber verfolgte Ziel, einen weiteren Beitrag zu einem wirksamen Gesundheitsschutz zu leisten,
53vgl. BR-Drs. 337/02, S. 28,
54die ausdrückliche Nennung des MDS als Auskunftsberechtigter nahe. Entsprechend seiner Funktion wird der MDS auch an anderer Stelle in der MPSV besonders hervorgehoben, etwa als möglicher zu beteiligender Dritter im Rahmen der Abstimmung zu speziellen Fragen im Bereich der Medizinprodukte-Sicherheit (vgl. § 20 Abs. 3 Satz 3 MPSV). Dies lässt aber nicht den Rückschluss zu, dass Krankenkassen ein eigener Auskunftsanspruch nach § 22 Abs. 3 MPSV ungeachtet des Vorliegens der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen verwehrt sein soll. Zwingende Gründe, die Krankenkassen auch bei Vorliegen berechtigter individueller Auskunftsinteressen zur Informationserlangung auf einen „Umweg“ über den MDS zu verweisen und sie vom Kreis der unmittelbar Anspruchsberechtigten auszuschließen, sind nicht greifbar.
55b) Die Klägerinnen begehren mit der Übermittlung der Kundenliste auch eine Information zu einer durchgeführten Risikobewertung. Dabei kann der Senat offen lassen, ob eine Risikobewertung im Dezember 2013/Januar 2014 auch zu dem P. durchgeführt worden ist und die Kundenliste eine Information hierzu im Sinne des § 22 Abs. 3 MPSV darstellt. Denn die Liste steht jedenfalls in einem ausreichenden sachlichen Zusammenhang mit der Risikobewertung, die das BfArM zum H. durchgeführt hat.
56§ 22 Abs. 3 MPSV beschränkt den Auskunftsanspruch auf Informationen und Auskünfte zu vorliegenden Meldungen im Sinne der §§ 3 ff. MSPV, durchgeführten Risikobewertungen nach §§ 8 ff. MPSV und zu korrektiven Maßnahmen gemäß §§ 14 ff. MPSV. Schon der Wortlaut („zu“) verlangt einen gewissen Zusammenhang zwischen der begehrten Information und einer Meldung, Risikobewertung oder korrektiven Maßnahme im Sinne der Medizinprodukte-Sicherheitsverordnung. Ob die Auskünfte und Informationen von dem BfArM selbst gewonnen worden oder zu welchem Zeitpunkt sie zu den Akten gelangt sind, ist nach dem offen formulierten Tatbestand hingegen unerheblich, zumal die zuständigen Behörden auch nach der Durchführung einer Risikobewertung Informationen hierzu austauschen (vgl. § 20 MPSV). Angesichts dessen kann es ebenfalls nicht von Relevanz sein, ob aus Sicht der zuständigen Behörde die Information oder Auskunft für die Meldung, Risikobewertung oder korrektive Maßnahme erheblich war.
57Die umfassende Einbeziehung aller im Zusammenhang mit der Überwachung der Medizinproduktesicherheit stehenden und von der zuständigen Behörde erlangten Unterlagen ist auch nach Sinn und Zweck des § 22 Abs. 3 MPSV geboten. Vor dem Hintergrund europarechtlicher Vorgaben zur Vertraulichkeit,
58vgl. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 RL 90/385/EWG, Art. 20 Abs. 1 Satz 1 RL 93/42/EWG,
59regeln die Vorschriften des § 22 MPSV über den Informationsaustausch zwischen den für Erfassung, Bewertung und Abwehr von Risiken unmittelbar zuständigen Behörden hinaus Ausnahmen vom Vertraulichkeitsgebot für die im Rahmen der Überwachung der Medizinproduktesicherheit erlangten Informationen und Daten.
60Vgl. hierzu auch Stößlein, in: Anhalt/Dieners (Hrsg.), Medizinprodukterecht, 2. Aufl. 2017, § 10 Rn. 96; Dexe, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 2. Aufl. 2014, § 44 Rn. 20.
61Als abschließende Spezialregelung entzieht § 22 Abs. 3 MPSV damit etwaige Auskunftsansprüche insbesondere dem Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes (vgl. § 1 Abs. 3 IFG).
62Vgl. Dexe, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2. Aufl. 2014, § 44 Rn. 17 ff.
63Dies zugrunde gelegt, fällt die Kundenliste nicht aus dem Anwendungsbereich heraus, weil sie im Jahr 2010 im Rahmen der ersten Risikobewertung des Großkugelkopfsystems noch nicht vorlag und deshalb für das Ergebnis dieser Risikobewertung nicht von Relevanz war. Ebenso entfällt der Sachzusammenhang nicht deshalb, weil das BfArM die Kundenliste nach eigenen Angaben auch bei Durchführung der erneuten Risikobewertung Ende Dezember 2013/Anfang Januar 2014 nicht herangezogen hat. Es hat hierzu in der mündlichen Verhandlung erläutert, im Rahmen der durchgeführten Risikobewertungen würden Kundenlisten grundsätzlich nicht angefordert. Zwar seien Verkaufszahlen als Abschätzung der Inzidenzrate von Relevanz, diese würden aber grundsätzlich in anderer Weise abgefragt. Dies lässt einen hinreichenden thematischen Bezug der Kundenliste zur Risikobewertung des Großkugelkopfsystems hier jedoch nicht entfallen. Das BfArM stand ausweislich des Schreibens des Regierungspräsidiums G. vom 8. Oktober 2012 im Austausch betreffend die Risikobewertung der von der Beigeladenen vertriebenen E. -N. -Komponenten. So hatte das BfArM dem Regierungspräsidium G. noch Anfang August 2012 „eine Zwischeninformation […] mit neuen Erkenntnissen“ übersandt. Die Übersendung der Kundenliste am 13. November 2012 erfolgte danach nicht zufällig und ohne sachlichen Bezug, sondern im Rahmen des Informationsaustausches zur Risikobewertung der von der Beigeladenen vertriebenen E. -N. -Komponenten. Dabei spielten auch die aus der Kundenliste ersichtlichen konkreten Verkaufszahlen eine Rolle, wie sich ausdrücklich aus dem Schreiben des Regierungspräsidiums G. ergibt.
64Dort heißt es: „Im Rahmen unserer Überwachung beim deutschen Vertreiber A. Germany GmbH wurden bereits im April 2012 die Verkaufszahlen aller E. -N. -Komponenten und der MMC-Pfanne im SAP vor Ort nachvollzogen.“
65c) Die Klägerinnen können ihren Auskunftsanspruch zwar nicht darauf stützen, mit Hilfe der Kundenliste einen Beitrag zur Risikoverringerung und damit einen Beitrag zu einem wirksamen Gesundheitsschutz zu leisten (aa). Sie haben aber ein berechtigtes Interesse an der begehrten Auskunft im Sinne des § 22 Abs. 3 MPSV, soweit die Kundenliste das H. betrifft (bb). Einer weiteren Sachverhaltsaufklärung entsprechend der von den Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisanträge bedurfte es nicht (cc).
66(aa) Das Merkmal der Risikoverringerung setzt neben der Geeignetheit der beabsichtigten Maßnahmen für einen wirksamen Gesundheitsschutz voraus, dass der Auskunftsersuchende hierzu auch berechtigt ist. Soweit die Klägerinnen das Ziel der einzelfallbezogenen Beratung zu etwaigen Gesundheitsbeeinträchtigungen durch die von der Beigeladenen hergestellten Hüftimplantat-Systeme verfolgen, fehlt ihnen die Ermächtigung zu einer solchen proaktiven Beratung. Unabhängig davon, dass es in erster Linie Aufgabe der zuständigen Behörde im Sinne des MPSV ist zu entscheiden, ob und welche Maßnahmen nach Durchführung einer Risikobewertung geboten sind (vgl. § 9 Satz 1 MPSV), insbesondere ob eine Information der betroffenen Patienten angezeigt ist, können die Klägerinnen ihre beabsichtigte Beratungstätigkeit weder auf § 13 SGB I noch auf § 14 SGB I stützen.
67Nach § 13 SGB I sind die Leistungsträger, ihre Verbände und die sonstigen im Sozialgesetzbuch genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Bevölkerung über die Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch aufzuklären. Die Regelung ist auf die allgemeine Aufklärung der Allgemeinheit zu den sozialrechtlichen Rechten und Pflichten der Versicherten gerichtet.
68Vgl. BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 13/03 R – SozR 4-1200 § 46 Nr 1 = juris, Rn. 19; Hase, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Usching (Hrsg.), BeckOK Sozialrecht, 54. Ed. Stand: 1. März 2019, SGB I § 13 Rn. 1, 3, 5.
69Eine solche allgemeine Aufklärung verfolgen die Klägerinnen mit ihrem Auskunftsbegehren hingegen nicht. Sie zielen auf die einzelfallbezogene Beratung von Versicherten, denen das von der Beigeladenen hergestellte Implantat-System eingesetzt worden ist.
70Eine Ermächtigung zur proaktiven Beratung über etwaige Gesundheitsbeeinträchtigungen können die Klägerinnen auch nicht auf § 14 SGB I stützen. Danach hat jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Anders als § 13 SGB I normiert § 14 SGB I damit zwar einen individuellen, also für den Einzelnen bestimmten und auf den Einzelfall bezogenen Beratungsanspruch. Dieser dient aber ausschließlich der Beantwortung von Fragen und der Förderung des Versicherten in Angelegenheiten des immer komplizierter werdenden sozialen Leistungssystems.
71Vgl. BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 13/03 R –, SozR 4-1200 § 46 Nr. 1 = juris, Rn. 21; BGH, Urteil vom 2. August 2018– III ZR 466/16 –, NJW 2019, 68 = juris, Rn. 15.
72Eine individuelle Beratung zu Gesundheitsfragen zählt hierzu nicht.
73(bb) Mit Blick auf das H. stellt das von den Klägerinnen geltend gemachte Interesse, mit Hilfe der Kundenliste das Vorliegen etwaiger Regressansprüche nach § 116 Abs. 1 SGB X zu ermitteln bzw. derartige Ermittlungen zu erleichtern, ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 22 Abs. 3 MPSV dar, und zwar unabhängig von einer etwaigen Anknüpfung auch an § 76 SGB IV. Ob das berechtigte Interesse auch auf die Beratungspflicht der Leistungsträger nach § 66 Abs. 1 SGB V gestützt werden kann, kann offen bleiben.
74Der Begriff des berechtigten Interesses ist grundsätzlich weit zu verstehen und erfasst jedes nach vernünftigen Erwägungen durch die Sachlage gerechtfertigte schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur.
75Vgl. zu derselben Formulierung in § 43 VwGO: Sodan, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 75.
76Der Verordnungsgeber hat damit neben der Alternative, dass das Auskunftsersuchen der Risikoverringerung dient, einen nicht voraussetzungslosen, aber weitgehenden Auskunftstatbestand geschaffen. Mit Blick auf den normativen Zusammenhang ist es zwar aber geboten, das berechtigte Interesse auf ein solches zu begrenzen, das in einem gewissen Sachzusammenhang mit dem von der Behörde überprüften Medizinprodukt und der Risikobewertung steht. Es spricht aber nichts dafür, dass nach der Zielrichtung der MPSV das berechtigte Interesse eine enge Verbindung zu medizinischen Risiken haben und auf deren Erkenntnis gerichtet sein müsse. Welches Gewicht das geltend gemachte Interesse in Abwägung mit etwaigen schützenswerten Belangen Dritter oder der Allgemeinheit gegebenenfalls auch mit Blick auf die Medizinprodukte-Sicherheit hat, ist vielmehr sodann im Rahmen des Ermessens in den Blick zu nehmen.
77Das Interesse, mit Hilfe der beim BfArM vorliegenden Informationen zu etwaigen Meldungen, durchgeführten Risikobewertungen und korrektiven Maßnahmen Schadensersatzansprüche gegen den Hersteller eines Medizinprodukts geltend machen zu können, steht in einem solchen Sachzusammenhang und stellt auch nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers ein berechtigtes Interesse dar; wenngleich er in erster Linie den betroffenen Patienten im Blick gehabt haben mag,
78vgl. BR-Drs. 337/02, S. 28,
79dessen Informationsdefizit durch den Auskunftsanspruch kompensiert und die beweisrechtliche Position gegenüber dem Medizinproduktehersteller gestärkt werden kann, indem ihm Informationen und Auskünfte zu vorliegenden Meldungen, durchgeführten Risikobewertungen und korrektiven Maßnahmen zugänglich gemacht werden.
80Dass das Interesse der Klägerinnen an der Übermittlung der Kundenliste zunächst der Ermittlung möglicher geschädigter Patienten dient, deren etwaige gesetzliche Schadensersatzansprüche gegen die Beigeladene gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf die Klägerinnen als Versicherungsträger übergegangen sind, lässt das Merkmal der Berechtigung nicht entfallen. Insbesondere ist mit Blick auf das H. das Interesse nicht auf die – unzulässige – Ausforschung ins Blaue hinein gerichtet. Zwar sind die konkreten Revisionsraten unbekannt. Auch liegt bislang keine rechtskräftige Entscheidung zur Mangelhaftigkeit des von der Beigeladenen in der Vergangenheit vertriebenen Großkugelkopfsystems vor. Es bestehen aber – ungeachtet des Vorbringens der Beklagten und der Beigeladenen zum zeitlichen Auftreten etwaiger gegebenenfalls durch Produktmängel verursachter Gesundheitsschäden – belastbare Anhaltspunkte dafür, dass das von den Klägerinnen verfolgte Begehren nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Nach den – hier nicht bindenden – Feststellungen des Landgerichts G. in seinem Urteil vom 25. Februar 2019 – 6 O 83/12 – ist das von der Beigeladenen in den Verkehr gebrachte Prothesensystem, die sog. Großkugelkopfprothese, fehlerhaft. Es besteht die Möglichkeit des Auftretens eines erhöhten Metallabriebs, der gesundheitlich bedenklich ist.
81Vgl. LG G. , Urteil vom 25. Februar 2019– 6 O 83/12 –, juris, Rn. 5 ff. (zum Implantat-System), 110 ff. (zur Fehlerhaftigkeit).
82Ein solcher, nach den Feststellungen des Landgerichts alle Großkugelkopfprothesen betreffender Produktionsfehler lässt wiederum den Schluss zu, dass über die bereits bekannten Fälle hinaus Patienten bundesweit betroffen sind und gegebenenfalls Regressansprüche der Klägerinnen gegen die Beigeladene bestehen. Diesen Anhaltspunkten weiter nachgehen zu wollen, stellt ein berechtigtes Interesse dar.
83Schließlich verfolgen die Klägerinnen mit ihrem Auskunftsbegehren keine unzulässige Umgehung des sozialrechtlichen Datenschutzes. Die Kundenliste selbst enthält keine personenbezogenen Daten. Zu einer Offenbarung wäre das BfArM auch nicht befugt; gemäß § 22 Abs. 4 MPSV i. V. m. § 11 Abs. 1 Satz 2 MPSV sind die Informationen und Auskünfte vor ihrer Übermittlung so zu anonymisieren, dass ein Personenbezug nicht mehr hergestellt werden kann. Die Kundenliste ermöglicht den Klägerinnen lediglich, den Kreis der Krankenhäuser einzugrenzen, an welche sie im Rahmen ihrer weiteren Ermittlungen herantreten können. Unter welchen Voraussetzungen diese wiederum berechtigt oder sogar verpflichtet sind, personenbezogene Daten an die Klägerinnen herauszugeben, richtet sich nach den hierfür maßgeblichen Regelungen des Sozialrechts.
84Die gesetzliche Grundlage zur Übermittlung personenbezogener Daten an die Krankenversicherungen, um diesen zu ermöglichen, auf sie übergegangene Schadensersatzansprüche gegen Drittverursacher geltend zu machen, hat der Gesetzgeber – auch mit Blick auf die Ausschöpfung von Einsparmöglichkeiten – in § 294a Abs. 1 Satz 1 SGB V geschaffen.
85Vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 48, 146.
86Dass Krankenkassen Regressansprüche unabhängig davon verfolgen können, ob und inwieweit Versicherte ihrerseits überhaupt Ansprüche angemeldet haben oder nicht, ist dem Sozialrecht danach keinesfalls fremd. Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen sowie die Krankenhäuser nach § 108 SGB V sind nach § 294a Abs. 1 Satz 1 SGB V verpflichtet, die erforderlichen Daten, einschließlich der Angaben über Ursachen und den möglichen Verursacher, den Krankenkassen mitzuteilen, wenn Hinweise auf drittverursachte Gesundheitsschäden vorliegen. Diese Anhaltspunkte können auch in Anforderungen der Krankenkassen aufgrund dort bekannt gewordener Verdachtsfälle enthalten sein. Die Regelung schließt damit ein Anfordern von Auskünften durch die Krankenkassen nicht aus.
87Vgl. BGH, Urteil vom 23. März 2010 – VI ZR 327/08 –, FamRZ 2010, 972 = juris, Rn. 20; Schäfer, in: Berchtold/Huster/Rehborn (Hrsg.), Gesundheitsrecht, 2. Aufl. 2018, SGB V § 294a Rn. 10; Hornung, in: Hänlein/Schuler (Hrsg.), SGB V, 5. Aufl. 2016, § 294a Rn. 8; Michels, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, 6. Aufl. 2018,§ 294a Rn. 2. Offenlassend unter Verweis auf ausschließlich bejahende Stimmen: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11. November 2009 – L 1 KR 152/08 –, juris, Rn. 106.
88Die Prüfung, ob die erforderlichen Hinweise im Sinne des § 294a Abs. 1 Satz 1 SGB V tatsächlich vorliegen, obliegt dabei weiterhin den Leistungserbringern. Ein Automatismus dahingehend, dass mit Hilfe der Kundenliste unabhängig von den sozialrechtlichen Vorgaben personenbezogene Daten von den Krankenhäusern erlangt werden können, besteht danach nicht.
89Das berechtigte Interesse entfällt schließlich auch nicht deshalb, weil die Kundenliste, soweit sie das H. betrifft, für das von den Klägerinnen verfolgte Ziel völlig ungeeignet wäre. Dabei bedarf es keiner abschließenden Klärung der Frage, ob allein die mit der Kundenliste nachzuvollziehende Tatsache, dass in einer Klinik dieses Implantat-System implantiert worden ist, einen hinreichend konkreten Anhaltspunkt für drittverursachte Gesundheitsschäden begründet und daher die Offenbarung von Patientendaten nach § 294a Abs. 1 Satz 1 SGB V gerechtfertigt wäre. Die Klägerinnen können mit Hilfe der Kundenliste jedenfalls aber den Kreis betroffener Versicherter eingrenzen und sowohl Ärzte wie auch Patienten zielgerichteter ansprechen. Dies wiederum ist geeignet, auf etwaige Verdachtsfälle aufmerksam zu machen und so gegebenenfalls auch weiterführende Auskunftsansprüche nach dem Sozialrecht zu substantiieren.
90Ein berechtigtes Interesse an der Übermittlung der Kundenliste besteht hingegen nicht, soweit die Klägerinnen ihr Auskunftsverlangen auch damit begründen, Regressansprüche wegen einer etwaigen Mangelhaftigkeit des Großflächenersatzsystems verfolgen zu wollen. Ihr Ersuchen ist insoweit auf ein bloßes Ausforschen gerichtet, welches nicht mehr den erforderlichen Sachzusammenhang mit dem von der Behörde überprüften Medizinprodukt und der Risikobewertung aufweist. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass aufgrund eines Produktmangels Regressansprüche zugunsten der Klägerinnen entstanden sein könnten, liegen nicht vor. Soweit das BfArM auch das Großflächenersatzsystem Ende Dezember 2013/Anfang Januar 2014 auf Erlass des Ministerums für Gesundheit einer Risikobewertung unterzogen hat, ist dies jedenfalls nicht aufgrund bekannt gewordener Vorkommnisse, Rückrufe oder schwerwiegender unerwünschter Ereignisse (vgl. § 8 Satz 1 MPSV) erfolgt, sondern allein aus Anlass des Auskunftsersuchens des MDS. Bei der Risikobewertung des Großflächenersatzsystems hat das BfArM keine Risiken feststellen können. Auch der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen konnte auf Nachfragen in der mündlichen Verhandlung keine konkreten Vorkommnisse benennen, die den Verdacht stützen, dass es durch das Großflächenersatzsystem zu Schäden bei betroffenen Patienten gekommen ist.
91cc) Hiernach bestand keine Veranlassung, den Sachverhalt entsprechend den von den Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisanträgen weiter aufzuklären. Die Klägerinnen haben hilfsweise beantragt, Beweis zu erheben
92über die Behauptung, dass ein vorzeitiges Prothesenversagen bei den mit den Hüftendoprothesen E. -N. -M. -Großkopf- und Oberflächenersatzsysteme der Beigeladenen versorgten und bei den Klägerinnen versicherten Patienten auch noch zu einem späteren Zeitpunkt als fünf Jahre nach der Implantation der Endoprothese auftreten kann,
93sowie
94über die Behauptung, dass sich aus der aus dem Metallabrieb von E. -N. -M. -Großkopf- und Oberflächenersatzsystemen der Beigeladenen folgenden Metallionenkonzentration im Körper das Risiko einer Gesundheitsschädigung ergeben kann.
95Mit Blick auf das H. bedurfte es einer weiteren Sachverhaltsaufklärung bereits deshalb nicht, weil es auf die zu beweisenden Tatsachen für die Bejahung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 MPSV nicht ankommt (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO analog). Mit Blick auf das P. waren die Anträge wiederum auf eine unzulässige Ausforschung des Sachverhalts gerichtet. Es fehlte aus den bereits dargelegten Gründen an tatsächlichen Grundlagen, aufgrund derer die Annahme gestützt werden kann, dass für den Wahrheitsgehalt der aufgestellten Behauptungen mit Blick auf das P. jedenfalls eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht.
962. Die von den Klägerinnen begehrte Verpflichtung zur Übermittlung der Kundenliste, soweit diese das H. betrifft, kann indes nicht ausgesprochen werden. Insoweit fehlt es an der erforderlichen Spruchreife. Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt nicht vor.
97Eine Ermessensreduzierung auf Null ist von den Gerichten nur in Ausnahmefällen aufgrund besonderer Umstände anzunehmen, wenn sich die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten der Verwaltung offensichtlich auf eine einzige verdichten und die Ermessensentscheidung für den konkret betroffenen Einzelfall praktisch zu einer gebundenen Entscheidung wird. Dies ist der Fall, wenn nur eine ganz bestimmte Entscheidung jeden denkbaren Ermessensfehler vermeidet.
98Vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 Rn. 128 ff.; Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 114 Rn. 39.
99Davon ausgehend ist eine offensichtliche Verdichtung des dem BfAM eingeräumten Ermessensspielraums zu einem Rechtsanspruch der Klägerinnen auf Übermittlung der Kundenliste der Beigeladenen aus den noch unter II. darzulegenden Gründen weder mit Blick auf das Entschließungs- noch hinsichtlich des Auswahlermessens festzustellen.
1003. Ein gebundener Anspruch auf Übermittlung der Kundenliste folgt auch weder aus einer entsprechenden Anwendung des § 84a AMG (a) noch aus den Vorschriften zur Amtshilfe (b).
101a) § 84a AMG räumt dem Arzneimittelgeschädigten Auskunftsansprüche gegen den pharmazeutischen Unternehmer und gegen die Zulassungs- und Überwachungsbehörde für Arzneimittel ein, die auf bekannte Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie ihm bekannt gewordene Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Bedeutung sein können, gerichtet sind. Die Regelung hat eine dienende Funktion gegenüber § 84 AMG, der eine spezielle verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung für Arzneimittel normiert. Der Auskunftsanspruch soll das Informationsdefizit kompensieren, welchem der Arzneimittelgeschädigte im Vergleich zum pharmazeutischen Unternehmer hinsichtlich der Eigenschaften des Arzneimittels unterliegt.
102Vgl. BT-Drs. 14/7752, 20; Franzki, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), BeckOK Großkommentar AMG § 84a Rn. 2; Brock/Stoll, in: Kügel/Müller/Hofmann (Hrsg.), Arzneimittelgesetz, 2. Aufl. 2016, § 84a Rn. 1 f.
103Eine entsprechende Anwendung auf den vorliegenden Fall kommt nicht in Betracht. Für Schadensereignisse durch Medizinprodukte, auf die das AMG keine Anwendung findet, weil es sich nach § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG nicht um Arzneimittel handelt, gilt das Produkthaftungsgesetz. Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, im Medizinproduktegesetz eine eigenständige Regelung zur Haftung des Medizinprodukteherstellers bzw. des Verantwortlichen für das Inverkehrbringen zu normieren. Das Produkthaftungsgesetz enthält weder eine Gefährdungshaftung, wie sie in § 84 AMG speziell für Arzneimittel geregelt ist, noch stellt das Produkthaftungsgesetz einen mit § 84a AMG vergleichbaren Auskunftsanspruch zur Verfügung. Ein solcher findet sich auch nicht im Medizinproduktegesetz. Anhaltspunkte für eine planwidrige Gesetzeslücke sind hingegen nicht ersichtlich. § 84a AMG wurde durch Gesetz vom 19. Juli 2002 (BGBl 2002 I Seite 2674) eingefügt. Das Produkthaftungsgesetz vom 15. Dezember 1989 wurde durch Gesetz vom 17. Juli 2017 (BGBl I 2017, S. 2421) zuletzt geändert, ohne dass eine dem § 84a AMG entsprechende Regelung eingefügt wurde. Das Medizinproduktegesetz ist im Jahr 2002 neugefasst worden und hat seither ebenfalls mehrfach Änderungen erfahren, zuletzt durch Gesetz vom 9. August 2019 (BGBl I 2019, S. 1202). Da der Gesetzgeber weiterhin von einer bereichsspezifischen Medizinprodukthaftung abgesehen hat, ist davon auszugehen, dass er Medizinprodukte bewusst den allgemeinen Haftungsbestimmungen des Produkthaftungsgesetzes und des Bürgerlichen Gesetzbuches unterstellen will und absichtsvoll keine Gefährdungshaftung mit eigenem Auskunftsanspruch im Medizinproduktegesetz vorgesehen hat.
104Vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 21. Juni 2012 – 22 U 89/10 –, juris, Rn. 44 ff.; Koyuncu/Müller, MPR 2012, 158 (158, 162); Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, AMG § 84a Rn. 1.
105Schließlich lägen selbst bei entsprechender Anwendung des § 84a AMG die Voraussetzungen nicht vor, weil das Informationsbegehren nicht auf Tatsachen gerichtet ist, die einen etwaigen Schadensersatzanspruch gegen die Beigeladene als Herstellerin eines Medizinprodukts begründen können, sondern auf die Ermittlung von möglicherweise geschädigten Personen.
106b) Die Berufung auf Amtshilfe im Sinne der §§ 4 ff. VwVfG scheidet ebenfalls aus, weil die Übermittlung von Informationen und Auskünften zu durchgeführten Risikobewertungen im Rahmen der Überwachung der Medizinprodukte-Sicherheit dem BfArM als zuständige Bundesbehörde als eigene Aufgabe obliegt (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG). Nach der Legaldefinition des § 4 Abs. 1 VwVfG NRW ist Amtshilfe die auf Ersuchen geleistete ergänzende Hilfe zwischen Behörden. Sie ist eine im Einzelfall erfolgende Beistands- und Unterstützungshandlung in einem fremden Verfahren.
107Vgl. Shirvani, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz (Hrsg.), VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 4 Rn. 29 m. w. N.
108Gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG liegt Amtshilfe nicht vor, wenn die Hilfeleistung in Handlungen besteht, die der ersuchten Behörde als eigene Aufgabe obliegen. Bei einer eigenen Aufgabe fehlt das für die Amtshilfe chrakateristische altruistische Element. Maßgebend für die Einordnung als eigene Aufgabe ist, ob durch oder auf Grund Gesetzes, Rechtsverordnung oder sonstige Rechtsnorm einer Behörde eine Aufgabe im Bereich öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit zur eigenständigen Erledigung im eigenen Namen übertragen ist. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass für die ersuchende Behörde auf die im Aufgabenbereich liegende Hilfeleistung außerhalb von Amtshilfe ein Anspruch bzw. ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber besteht, damit also die Pflicht zur Hilfeleistung für die ersuchte Behörde sich nicht erst aufgrund des Ersuchens der auf die Hilfe angewiesenen Behörde ergibt.
109Vgl. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 4 Rn. 35; Funke-Kaiser, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, 45. Ed. Stand: 1. Juli 2019, § 4 Rn. 31.
110Dies ist hier der Fall. Die Offenbarung von Auskünften und Informationen zu durchgeführten Risikobewertungen obliegt dem BfArM nach der spezialgesetzlichen Regelung des § 22 Abs. 3 MPSV gegenüber den Klägerinnen als eigene Aufgabe, unabhängig von etwaigen Amtshilfeersuchen.
111II. Die Klägerinnen haben aber einen Anspruch auf Neubescheidung ihrer Anträge auf Übermittlung der Kundenliste, soweit diese das H. betrifft, aus § 22 Abs. 3 MPSV. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs liegen aus den unter I.1. dargelegten Gründen vor. Die Beklagte hat das insofern eingeräumte Ermessen bislang nicht ausgeübt. Dies ist nachzuholen.
112Die im Rahmen der Prüfung des Auskunftsanspruchs nach §§ 4 ff. VwVfG getroffenen Erwägungen zu § 30 VwVfG können, wenngleich darin die auch im Rahmen der Ermessensausübung nach § 22 Abs. 3 VwGO gegeneinander abzuwägenden widerstreitenden Interessen der Klägerinnen und der Beigeladenen Berücksichtigung gefunden haben, entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht als hilfsweise getroffene Ermessenserwägungen zu dem Auskunftsanspruch nach § 22 Abs. 3 MPSV gewertet werden. Dem steht entgegen, dass es sich bei der Offenbarungsbefugnis nach § 30 VwVfG um eine gerichtlich voll überprüfbare Tat- und Rechtsfrage auf Tatbestandsseite handelt,
113vgl. Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 30 Rn. 20,
114dem BfArM demnach bei der Prüfung der Voraussetzungen einer Offenbarungsbefugnis nach § 30 VwVfG auf Rechtsfolgenseite kein Ermessensspielraum im Sinne des § 40 VwVfG eingeräumt war, innerhalb dessen es zwischen mehreren rechtlich zulässigen Entscheidungen aus Zweckmäßigkeitsgründen unter Abwägung der öffentlichen Belange und der Interessen Einzelner sachgerecht hätte entscheiden können.
115Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 Rn. 13; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 1983 – 10 S 902/82 –, NJW 1984, 1911 (1913).
116Gegen eine Gleichsetzung der zu § 30 VwVfG getroffenen Erwägungen mit Ermessenserwägungen zu § 22 Abs. 3 MPSV spricht weiter, dass § 40 VwVfG eine dem Zweck der Ermächtigung entsprechende Ermessensausübung verlangt.
117Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 Rn. 63 m. w. N.
118Der Ermächtigungszweck der spezialgesetzlichen Offenbarungsbefugnis des § 22 Abs. 3 MPSV ist mit den Zielen des für das Verwaltungsverfahren in § 30 VwVfG allgemein geregelten „Geheimhaltungsanspruchs mit Offenbarungsvorbehalt“,
119vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 1986 – 7 C 71.83 –, BVerwGE 74, 115 = juris, Rn. 12,
120aber nicht gleichlaufend.
121Ein Nachschieben der nach § 22 Abs. 3 MPSV erforderlichen Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren ist ausgeschlossen.
122Im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens (§ 40 VwVfG) wird das BfArM das Auskunftsinteresse der Klägerinnen mit schutzwürdigen Belangen der Beigeladenen abzuwägen haben, die sich hier insbesondere aus den Grundrechten ergeben. Die Kundenliste stellt ein verfassungsrechtlich jedenfalls durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Betriebs- und Geschäftsgeheimnis dar.
123Vgl. BVerfG, Urteil vom 7. November 2017 – 2 BvE 2/11 –, BVerfGE 147, 50 = juris, Rn. 234 f., und Beschluss vom 14. März 2006 – 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03 –, BVerfGE 115, 205 = juris, Rn. 81 ff.
124Geschützt sind alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat.
125Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006– 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03 –, BVerfGE 115, 205 = juris, Rn. 87; BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2009 – 20 F 23.07 –, NVwZ 2009, 1114 = juris, Rn. 11; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. März 2017 – 10 S 413/14 –, DVBl 2017, 786 = juris, Rn. 42; Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 6 Rn. 75 ff.; Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, 30. Aufl. 2019, § 203 Rn. 11; Wolff, NJW 1997, 98 (98).
126Umfasst ist damit auch die hier im Streit stehende Kundenliste, die unternehmensbezogen ist und nichtoffenkundige Informationen enthält. Dabei ist unerheblich, dass im Internet bereits einzelne Krankenhäuser im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Implantat-Systemen genannt werden. Denn jedenfalls in ihrer konkreten Zusammenstellung, einschließlich der Verkaufszahlen, ist der Inhalt der Kundenliste weder beliebig zugänglich noch allgemein bekannt. Die Beigeladene als Geheimnisträgerin hat auch den Willen zur Geheimhaltung.
127Das Geheimhaltungsinteresse ist schließlich berechtigt. Ein berechtigtes Interesse liegt vor, wenn die Offenlegung der Information geeignet ist, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen.
128Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Janaur 2009– 20 F 23.07 –, NVwZ 2009, 1114 = juris, Rn. 11; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. März 2017 – 10 S 413/14 –, DVBl 2017, 786 = juris, Rn. 42; OVG NRW, Beschluss vom 23. Mai 2011 – 8 B 1729/10 –, NVwZ-RR 2011, 855 = juris, Rn. 29.
129Für das Vorliegen eines Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses genügt danach weder ein bloß subjektiv empfundener Nachteil noch ein irgendwie gearteter Nachteil, der keinen Bezug auf die grundrechtlich geschützte Teilnahme des Unternehmens am Wettbewerb hat. Vielmehr ist das Erfordernis einer Wettbewerbsrelevanz der betreffenden Information dem Begriff des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses immanent.
130Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Januar 2014 – OVG 12 B 50.09 –, juris, Rn. 48.
131Dabei ist es ausreichend, wenn sich die Wettbewerbsrelevanz einer Information nur mittelbar erschließt. Die offengelegte Information muss nicht schon für sich genommen ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis offenbaren; es genügt, wenn die Information Rückschlüsse auf Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse zulässt.
132Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. März 2017 – 10 S 413/15 –, DVBl 2017, 786 = juris, Rn. 42; OVG NRW, Beschluss vom 23. Mai 2011 – 8 B 1729/10 –, NVwZ-RR 2011, 855, juris, Rn. 31; Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 6 Rn. 93.
133Die Kundenliste der Beigeladenen weist die erforderliche Wettbewerbsrelevanz auf. Zwar kann die Schutzbedürftigkeit einer Information durch bloßen Zeitablauf entfallen, wenn sie für die aktuellen Markt- und Wettbewerbsverhältnisse keinerlei Bedeutung mehr hat und damit keine aktuelle Wettbewerbsrelevanz aufweist. Allein aus dem Zeitablauf eines Vorgangs kann aber nicht automatisch auf das Fehlen schutzwürdiger Interessen geschlossen werden.
134Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Januar 2014 – OVG 12 B 50.09 –, juris, Rn. 50.
135Nach diesen Maßgaben entfällt die Wettbewerbsrelevanz hier nicht deshalb, weil die in der Kundenliste enthaltenen Informationen den zwischen 2003 und 2012 mit dem E. /N. -System belieferten Kundenstamm der Beigeladenen sowie die Verkaufszahlen zu dem seit mehreren Jahren nicht mehr vertriebenen Implantat-System betreffen. Denn ungeachtet dessen lassen diese Informationen– worauf die Beigeladene zu Recht hingewiesen hat – Rückschlüsse auf den aktuellen Kundenstamm, die derzeitige Kostenkalkulation und Entgeltgestaltung der Beigeladenen zu.
136Die Einordnung der Kundenliste als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis begründet für die Beigeladene aber keinen absoluten Schutz vor Offenbarung gegenüber Dritten (vgl. Art. 12 Abs. 1 GG). Anders als etwa § 6 Satz 2 IFG sieht § 22 Abs. 3 MPSV eine absolute Beschränkung der Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nicht vor. Die widerstreitenden Interessen der Klägerinnen und der Beigeladenen sind gegenüberzustellen. Dabei wird auch zu erwägen sein, ob eine die Geheimhaltungsinteressen der Beigeladenen weniger belastende teilweise Übermittlung der Kundenliste in Betracht kommt; etwa durch Schwärzung der Verkaufszahlen und der nicht das H. betreffenden Informationen und/oder durch Herausgabe nur der Teile der Kundenliste, die für die Klägerinnen jeweils in regionaler Hinsicht von Interesse sind. Soweit das BfArM in den angefochtenen Bescheiden zu § 30 VwVfG weiter ausgeführt hat, einer Offenbarung stehe entgegen, dass diese einen negativen Einfluss auf das zukünftige Melde- und Kooperationsverhalten der Hersteller von Medizinprodukten in Risikoverfahren haben könne, stellt dies zwar auch im Rahmen des § 22 Abs. 3 MPSV keine zweckwidrige und von vornherein ermessensfehlerhafte Erwägung dar. Diese grundsätzliche Überlegung bedarf im Einzelfall aber jedenfalls der Konkretisierung. Dies folgt schon daraus, dass der Verordnungsgeber mit§ 22 Abs. 3 MPSV einen Offenbarungstatbestand geschaffen hat, der typischerweise Unterlagen zu Medizinprodukten betrifft.
137Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 3, 155 Abs. 1 Satz 1, 159 Satz 2 VwGO.
138Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kosten des Berufungsverfahrens folgt gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO aus einer entsprechenden Anwendung von §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
139Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache im Hinblick auf die Rechtsfrage, wie die Tatbestandsmerkmale des § 22 Abs. 3 MPSV mit Blick auf ihren normativen Zusammenhang auszulegen sind, von grundsätzlicher Bedeutung ist.
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