Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 B 1585/18
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme etwa entstandener außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen, welche dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 22.000,00 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Die Beschwerde des Antragstellers mit dem Antrag,
3unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, den Dienstposten der Leiterin/des Leiters des Hauptzollamtes H. , bewertet nach Besoldungsgruppe A 16, mit dem Beigeladenen oder mit anderen Bewerberinnen und Bewerbern zu besetzen, bis über die Vergabe dieses Dienstpostens eine erneute Auswahlentscheidung durch die Antragsgegnerin getroffen wurde,
4hat keinen Erfolg.
5Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
6Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Verwaltungsgericht im Kern darauf abgehoben, ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin sei nicht zu beanstanden. Insbesondere begründeten die Einwendungen des Antragstellers gegen die Rechtmäßigkeit der Regelbeurteilung keinen relevanten Rechtsfehler. Es sei weder zu beanstanden, dass die Bewertungen der Einzelmerkmale der Leistungsbeurteilung nicht verbal umschrieben, noch, dass die Einzelmerkmale gleich gewichtet worden seien. Auf die Einwendungen des Antragstellers seien die Einzelmerkmale im gerichtlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 21. September 2018 hinreichend plausibilisiert worden. Die Gesamtnote sei aus den unterschiedlichen Einzelbewertungen entwickelt worden und in sich plausibel.
7Dem hält der Antragsteller mit seinem fristgerecht eingegangenen Beschwerdevorbringen entgegen, die Gesamtnote sei nicht hinreichend plausibel begründet. Es gebe zahlreiche Widersprüche zwischen der Bewertung der Einzelkompetenzen im Verhältnis zur Begründung des Gesamturteils. Hinsichtlich der Kompetenzen „Ausdruck“, „Eigenverantwortung/Selbständigkeit“, „Flexibilität“, „Konfliktlösungsverhalten“, „Kritikverhalten“, „Teamverhalten“, „Kontakt- und Kommunikationsverhalten“, „Durchsetzungsfähigkeit“, „Delegationsfähigkeit“ und „Gestaltungsmotivation“ sei nach den Ausführungen in der zusammenfassenden Darstellung der Befähigung und fachlichen Leistung nicht ersichtlich, warum diese mit „C“ und nicht mit „B“ benotet worden seien. Die einheitliche Gewichtung der Kompetenzen sei fehlerhaft. Die Regelung des § 50 Abs. 2 Bundeslaufbahnverordnung sei nach der Begründung des Gesamtergebnisses offensichtlich nur auf das Gesamtergebnis bezogen worden. Es ergebe sich aus der Begründung indes nicht, dass aufgrund dieser Regelung die Gesamtnote abgesenkt worden sei.
8Es bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, ob diese Beschwerdegründe die tragenden Gründe der angegriffenen Entscheidung zum Anordnungsanspruch entkräften. Dies könnte insbesondere der Fall sein, wenn nicht allein ein (inhaltlicher) Widerspruch zwischen den Einzelbewertungen und der Begründung des Gesamturteils gerügt werden soll, sondern auch, dass die Begründung des Gesamturteils bereits nicht den (formellen) Anforderungen an Substanz und Tiefe entspricht. Jedenfalls die letztgenannte Rüge dürfte hier durchgreifen. Die in der Regelbeurteilung des Antragstellers enthaltene Begründung des Gesamturteils lässt schon nicht erkennen, wie die Gesamtnote aus den Einzelbewertungen gebildet wurde. Die Begründung erschöpft sich insofern in der schlichten Feststellung, dass das Gesamtergebnis aus den Einzelnoten entwickelt worden ist. Geboten gewesen wäre eine Erläuterung der Gründe dafür, wieso die Beurteiler auf Grundlage der Einzelfeststellungen im Rahmen von deren Gewichtung und Zusammenführung zu dem letztendlichen Gesamturteil gelangt sind und insbesondere wie die Einzelnoten auf die nicht kongruente Skala der Gesamtnoten übertragen worden sind. Die in den zum Beurteilungsstichtag 1. April 2017 maßgeblichen Beurteilungsrichtlinien vom 1. Juni 2012 festgelegten Bewertungsskalen unterscheiden sich nicht nur in der Art der Notenstufen (fünf bzw. sechs), sondern zusätzlich darin, dass nur bei den Gesamturteilen eine weitere Aufspreizung in Form von jeweils drei Ausprägungsgraden vorgesehen ist. Es gibt hierzu weder einen in den Beurteilungsrichtlinien vorgegebenen noch einen sich in sonstiger Weise aus dem Beurteilungssystem selbst hinreichend klar ergebenden Maßstab, anhand dessen sich die Einzelbewertungen generalisierend in bestimmter Weise auf konkrete Gesamturteile und erst recht auch auf konkrete Ausprägungsgrade dieser Gesamturteile übertragen ließen.
9Vgl. zu den Begründungsanforderungen bei inkongruenten Bewertungsskalen Beschlüsse des Senats vom 22. März 2016 – 1 B 1459/15 –, juris, Rn. 14 ff. und 3. August 2017 – 1 B 434/17 –, juris Rn. 9 ff.
10Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist indes jedenfalls im Ergebnis aus den vom Senat vorab mit Verfügung vom 13. September 2019 angeführten Gründen richtig.
11Der Senat ist nicht daran gehindert zu prüfen, ob das Eilbegehren des Antragstellers aus anderen als den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen keinen Erfolg hat. Zwar prüft das Oberverwaltungsgericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen des Beschwerdeverfahrens grundsätzlich nur die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe. Die Regelung erfasst aber nur die Gründe, aus denen der Beschwerdeführer die Entscheidung des Verwaltungsgerichts für unrichtig hält. Sie entzieht dem Senat daher auch nur die Möglichkeit, der Beschwerde aus nicht dargelegten Gründen zu entsprechen, nicht aber die Möglichkeit, die Gründe zu prüfen, aus denen sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts (ggf. über die von diesem angeführten und mit der Beschwerde gerügten Gründe hinaus) im Ergebnis als richtig erweist. Insoweit ist nach allgemeinen Maßstäben zu prüfen, ob einem Antragsbegehren entsprochen werden kann bzw. es abzulehnen ist. Dabei ist der Senat nicht an Gesichtspunkte gebunden, die das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt bzw. dort nicht behandelt oder abschließend entschieden hat.
12Vgl. Senatsbeschlüsse vom 24. März 2016 – 1 B 1110/15 –, juris Rn. 7; 9. Oktober 2014 – 1 B 1027/14 – , juris, Rn. 29, und vom 8. Mai 2002 – 1 B 241/02 –, juris, Rn. 3 ff., jeweils m. w. N.
13Der Antragsteller hat auch ungeachtet der erstinstanzlich angeführten Gründe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Ein auf die Verletzung eines Bewerbungsverfahrensanspruchs gestützter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann auch bei Feststellung einer solchen Verletzung im Ergebnis nur unter der weiteren Voraussetzung Erfolg haben, dass die Aussichten des Antragstellers bei einer erneuten, den aufgezeigten Rechtsfehler vermeidenden Auswahlentscheidung ausgewählt zu werden, „offen“ sind. Seine Auswahl muss also (zumindest) möglich sein.
14Vgl. zu diesem Erfordernis BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 24. September 2002 – 2 BvR 857/02 –, juris, Rn. 13 f., und vom 25. November 2015 – 2 BvR 1461/15 –, juris, Rn. 19 f.; ferner etwa OVG NRW, Beschluss vom 23. Mai 2017 – 1 B 99/17 – juris, Rn. 9 bis 13.
15Daran fehlt es hier.
16Die Beurteilung, ob die Auswahl eines erfolglosen Bewerbers bei erneuter, rechtsrichtiger Auswahlentscheidung möglich erscheint oder aber vollkommen ausgeschlossen ist, setzt eine wertende Betrachtung der Umstände des Einzelfalles voraus. Sie kann einerseits nicht schon im Falle einer – grundsätzlich immer gegebenen – theoretischen Chance des erfolglosen Bewerbers, ausgewählt zu werden, in dessen Sinne ausfallen. Andererseits haben die Gerichte bei dieser Beurteilung zu beachten, dass es im Hinblick auf den dem Dienstherrn bei der Auswahlentscheidung zustehenden Ermessens- und Beurteilungsspielraum grundsätzlich nicht ihre Aufgabe ist, den besser geeigneten Bewerber zu bestimmen und eine eigene Prognose der Erfolgsaussichten der Bewerbung vorzunehmen.
17Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2018 – 1 B 1046/18 –, juris, Rn. 34.
18Davon ausgehend ist es nicht als „offen“ einzuschätzen, ob der Antragsteller bei einer den rechtlichen Anforderungen genügenden Neubeurteilung sowie Neudurchführung des Auswahlverfahrens Chancen hat, ausgewählt zu werden. Dass der Antragsteller den Beigeladenen bei der Erstellung neuer Beurteilungen im Leistungsvergleich überholen oder auch nur gleichziehen könnte, ist vielmehr allenfalls theoretisch denkbar. Die bisherigen Gesamtergebnisse der Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen sind so weit voneinander entfernt, dass es auch unter Berücksichtigung der konkret gerügten Beurteilungsfehler bei realistischer und lebensnaher Betrachtung ausgeschlossen ist, dass der Antragsteller den Beigeladenen im Fall einer Neubeurteilung noch überholen könnte. Die Ergebnisse unterscheiden sich um zwei Notenstufen („Stets erwartungsgemäß“ gegenüber „Herausragend“). Selbst bei Anhebung aller von dem Antragsteller gerügten Einzelnoten von „C“ auf die von ihm für angemessen erachtete Note „B“ wäre der Antragsteller mit 15 x „B“ und 1 x „C“ – unabhängig von jedweder Gewichtung – in keiner Einzelnote besser als der Beigeladene. Vielmehr läge dieser mit 8 x „A“ und 8 x „B“ immer noch in acht Einzelnoten mit der Bewertung „A“ vor dem Antragsteller. Des Weiteren ist der Beigeladene während des gesamten Beurteilungszeitraums höherwertig als Leiter des Hauptzollamtes H. (nach Neubewertung nunmehr A 16) eingesetzt worden, während der Antragsteller amtsangemessen verwendet worden ist.
19Soweit der Antragsteller im Schriftsatz vom 8. Oktober 2019 auf den Hinweis des Senats vom 13. September 2019 vorträgt, dass bei einer (rechtmäßigen) Neubeurteilung eine wesentlich bessere, an den Beigeladenen heranreichende Beurteilung deshalb nicht ausgeschlossen sei, weil die streitgegenständliche Beurteilung den Antragsteller aufgrund seines Alters diskriminiere, ist dieses Vorbringen nicht berücksichtigungsfähig. Es handelt sich insoweit nicht nur um Vorbringen, das die im Hinweis des Senats niedergelegen (neuen) Rechtsgründe ergänzt, sondern in der Sache um neues Beschwerdevorbringen zu der in der erstinstanzlichen Entscheidung geprüften Frage der Rechtmäßigkeit der Beurteilung des Antragstellers. Das neue Vorbringen ist erst erfolgt, nachdem die durch die Zustellung des erstinstanzlichen Beschlusses am 24. August 2018 in Gang gesetzte einmonatige Beschwerdebegründungsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) abgelaufen war.
20Der neue Vortrag ist im Übrigen auch nicht geeignet, dem Begehren des Antragstellers zum Erfolg zu verhelfen. Selbst wenn tatsächlich kein Beamter der Besoldungsgruppe A 15, der das 60. Lebensjahr vollendet hat, mit einer höheren Gesamtnote als „9 Punkten“ bewertet worden sein sollte, es sei denn, er habe diese oder eine höhere Note schon zuvor erhalten, wäre dies zunächst ein zufälliger Befund. Dieser ist für sich nicht geeignet zu belegen, dass diese Beamtengruppe und gerade auch der Antragsteller allein aufgrund des Lebensalters von vorneherein nicht mehr als „9 Punkte“ erlangen konnte, oder dass das Alter überhaupt bei der Beurteilung (negativ) berücksichtigt worden ist.
21Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die etwaigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil dieser im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt hat und damit kein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
22Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 i. V. m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 GKG. Anzusetzen ist demnach im Ergebnis ein Viertel (Reduzierung des Jahresbetrages i. S. v. § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG wegen § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG und wegen der im Eilverfahren nur begehrten vorläufigen Sicherung) derjenigen Bezüge (ohne die von § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 ausgenommenen Besoldungsbestandteile), die dem Antragsteller nach Maßgabe des bei Beschwerdeeinlegung (24. Oktober 2018) fiktiv für das angestrebte Amt der Besoldungsgruppe A 16 BBesO bei Zugrundelegung der hier anzunehmenden Erfahrungsstufe 8 im Kalenderjahr 2018 zu zahlen waren. Daraus ergibt sich ein Wert (3 x 7.307,95 Euro = 21.923,85 Euro), der innerhalb der im Tenor festgesetzten Streitwertstufe liegt. Bei der Berechnung der Jahresbezüge kann noch nicht auf das Monatsgehalt abgestellt werden, das nach dem Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 2018/2019/2020 vom 8. November 2018 rückwirkend ab dem 1. März 2018 gilt. Denn dieses Gesetz war zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung am 24. Oktober 2018 noch nicht im Bundesgesetzblatt veröffentlicht; dies ist erst am 13. November 2018 geschehen (BGBl. I S. 1810).
23Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach den §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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Referenzen
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 162 1x
- VwGO § 146 1x
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