Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 A 743/17
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 14.3.2017 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 3.750,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
31. Das Zulassungsvorbringen weckt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Zweifel in diesem Sinn sind anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden.
4class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 –, NVwZ 2000, 1163 = juris, Rn. 15.
5Daran fehlt es hier.
6Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 15.10.2015 über die Festsetzung des unmittelbaren Zwangs sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist der Begründung des Bescheids in Anwendung von § 117 Abs. 5 VwGO gefolgt und hat ergänzend ausgeführt, die Verfügung beruhe auf den §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 3, 62, 63, 64 sowie 69 VwVG NRW. Der ihr zugrunde liegende Verwaltungsakt sei die bestandskräftige Ordnungsverfügung der Beklagten vom 4.12.2012 über den Widerruf der Gaststättenerlaubnis und die Anordnung der Schließung der Gaststätte mit der Androhung der Schließung der Gaststätte des Klägers durch Anwendung des unmittelbaren Zwangs. Die Beklagte habe die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anwendung des Verwaltungszwangs beachtet. Die hilfsweise gestellten Anträge auf Feststellung, dass der Vollzug der angefochtenen Ordnungsverfügung vom 15.10.2015 rechtswidrig sei, seien gemäß § 43 Abs. 2 VwGO unzulässig.
7Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts wird durch das Zulassungsvorbringen nicht entkräftet. Der Kläger stellt die tatsächliche und rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage.
8Die Festsetzung des Zwangsmittels des unmittelbaren Zwangs nach § 64 Satz 1 VwVG NRW dient hier dem Vollzug der auf § 31 GastG i. V. m. § 15 Abs. 2 GewO beruhenden Schließungsanordnung in Ziffer 2. der Ordnungsverfügung der Beklagten vom 4.12.2012. Die Schließungsanordnung stützt sich darauf, dass der Kläger seine Gaststätte ohne die nach § 2 Abs. 1 GastG erforderliche Erlaubnis betreibt. Die Schließungsanordnung ist weder rechtswidrig geworden noch sind die Vollstreckungsvoraussetzungen nachträglich weggefallen. Die Gaststättenerlaubnis ist durch Ziffer 1. der Ordnungsverfügung der Beklagten vom 4.12.2012 bestandskräftig widerrufen worden. Eine neue Gaststättenerlaubnis hat der Kläger nicht beantragt. Im Rahmen ihres nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW bestehenden Ermessens kann die Beklagte darüber hinaus berücksichtigen, dass sich die für den Widerruf der Gaststättenerlaubnis maßgeblichen Zahlungsrückstände nicht reduziert haben.
9Der Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht habe seiner Entscheidung nicht die Angaben der Beklagten zu seinen Abgabenrückständen zugrunde legen dürfen, stellt die diesbezüglichen tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht in Frage. Die Beklagte hat in der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung darauf abgestellt, der Gesamtzahlungsrückstand befinde sich nahezu auf dem Niveau, der zum Erlass der Schließungsanordnung geführt habe. Im Klageverfahren teilte sie dann mit, die Zahlungsrückstände betrügen 125.276,12 €. Das pauschale Bestreiten der eigenen Zahlungsrückstände ist nicht geeignet, die im Verwaltungsvorgang der Beklagten festgehaltenen detaillierten Angaben zu den verschiedenen fälligen Steuer- und Abgabenforderungen zu entkräften. Eine weitere Sachverhaltsermittlung zu den Zahlungsrückständen des Klägers war bereits aus diesem Grund nicht erforderlich, so dass auch kein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO vorliegt. Entgegen dem Zulassungsvorbringen hat das Verwaltungsgericht dabei auch nicht die vom Kläger dargelegten Tilgungszahlungen unberücksichtigt gelassen, sondern ausdrücklich auf die ebenfalls in dem Verwaltungsvorgang der Beklagten dokumentierten Zahlungen des Klägers verwiesen.
10Soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte den Sachverhalt unvollständig und unzutreffend ermittelt habe, begründet dies ebenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger legt bereits nicht dar, dass die Beklagte in entscheidungserheblichen Punkten von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist. Er beanstandet lediglich zwei Aussagen in der Klageerwiderung, die nicht den Schluss rechtfertigen, dass die Beklagte den Sachverhalt unzutreffend erfasst hat. Mit der Formulierung, der Kläger habe bis Oktober 2015 immer wieder versucht, den Widerruf zu verzögern, sollte erkennbar ausgedrückt werden, dass der Kläger versucht habe, die Vollstreckung der aufgrund des Widerrufs der Gaststättenerlaubnis ausgesprochenen Schließungsanordnung abzuwenden. Der Aussage, ein mehrfach versprochenes Rückzahlungskonzept sei nicht vorgelegt worden, liegt die Wertung zugrunde, dass die mit Schreiben vom 5.1.2016 erklärte Zusage des Klägers, die Zahlungsrückstände kontinuierlich abzubauen und laufende Forderungen zu erfüllen, nicht als tragfähiges Rückzahlungskonzept bezeichnet werden kann, zumal der Kläger diese Zusage in der Folgezeit nicht eingehalten hat, sondern die Zahlungsrückstände weiter angestiegen sind.
11Das Vorbringen des Klägers, die Festsetzungsverfügung leide an einem Anhörungsmangel, weil die Beklagte das ihr nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW zustehende Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe, greift ebenfalls nicht durch. Die Beklagte hat ausdrücklich unter Hinweis auf diese Vorschrift von der Anhörung abgesehen und damit deutlich gemacht, dass sie zu ergänzenden Ausführungen insofern keine Veranlassung sah. Weder besteht eine Pflicht zur Begründung des Absehens von einer Anhörung noch ist die Beh6;rde daran gehindert, grundsätzlich bei Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW abzusehen, sofern sie dabei atypische Sachverhalte berücksichtigt. Für ein Absehen von der Anhörung spricht, dass Maßstab der Ermessensausübung im Vollstreckungsverfahren Zweckmäßigkeit und Effizienz zu sein haben. Andererseits wiegt das Interesse des Betroffenen daran, vor Ergehen der Vollstreckungsmaßnahmen trotz der damit verbundenen Verfahrensverlängerung gehört zu werden, im Regelfall nicht schwer.
12Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.4.1983 – 1 C 5.83 –, NVwZ 1983, 742 = juris, Rn. 18, 24; OVG NRW, Beschluss vom 10.11.2016 – 9 B 298/16 –, NVwZ-RR 2017, 170 = juris, Rn. 19.
13Der Kläger hat keine atypischen Gesichtspunkte des Einzelfalls aufgezeigt, die der Beklagten hätten Anlass geben müssen, trotz der ihr eingeräumten Möglichkeit, typischerweise von der Anhörung abzusehen, eine solche gleichwohl durchzuführen oder auch nur zu erwägen. Durch die Vollstreckungsmaßnahme wurden noch keine vollendeten Tatsachen geschaffen. Vielmehr enthielt die angegriffene Verfügung vom 15.10.2015 den ausdrücklichen Hinweis, der Kläger könne der Festsetzung noch begegnen, indem er der Ordnungsverfügung bis zum angekündigten Termin für den unmittelbaren Zwang am 10.11.2015 nachkomme und das Gewerbe einstelle.
14Ungeachtet dessen wäre eine etwa zu Unrecht unterbliebene Anhörung jedenfalls nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW nachgeholt worden. Schon am 12.11.2015 fand ein Gespräch mit dem Prozessbevollmächtigten und der Ehefrau des Klägers statt, in dem sich die Beklagte bereit erklärte, von einer Anwendung des Zwangsmittels vorerst abzusehen, wenn der Kläger einen konkreten Tilgungsplan erarbeitet. Die mit Schreiben vom 5.1.2016 erklärte Zahlungszusage hat der Kläger nicht eingehalten, die Zahlungsrückstände sind im Gegenteil sogar angestiegen. Dies hat die Beklagte vor dem Vollzug der Vollstreckung abgewartet.
15Unabhängig davon lag keine unzulässige Überraschungsentscheidung der Beklagten vor. Der Kläger musste schon auf Grund der Androhung damit rechnen, dass das Zwangsmittel festgesetzt werden würde, nachdem die Beklagte nur mit Rücksicht auf die angekündigte Schuldentilgung auf eine Vollstreckung der Schließungsanordnung verzichtet hatte und die Zahlungsrückstände wieder angewachsen waren.
16Die Ankündigung der Beklagten, sich vor der zwangsweisen Schließung der Gaststätte zum 31.8.2016 mit den Prozessbevollmächtigten des Klägers in Verbindung zu setzen, begründet kein Vollzugshindernis, sondern war lediglich eine Information über das zum damaligen Zeitpunkt beabsichtigte weitere Vorgehen. Das Verwaltungsgericht hat die diesbezüglichen hilfsweise gestellten Feststellungsanträge auch zu Recht als unzulässig eingestuft, weil ein mögliches Vollzugshindernis bereits im Rahmen der gegen die Festsetzungsverfügung erhobenen Anfechtungsklage zu berücksichtigen gewesen wäre.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.7.2019 – 18 B 842/19 –, juris, Rn. 4 ff.
18Schließlich begründet auch der Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht habe seine Darlegungen zu einem möglichen Korruptionsverdachtsfall in der zuständigen Amtsabteilung der Beklagten nicht berücksichtigt, keine Zweifel an der Würdigung des Verwaltungsgerichts, dass die diesbezüglichen Vorgänge keine Rückschlüsse auf die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Festsetzungsverfügung zuließen. Ein Zusammenhang zu dem vorliegenden Vollstreckungsverfahren und den daran beteiligten Mitarbeitern der Beklagten ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Angesichts dessen bestand auch kein Anlass, von Amts wegen weitere Ermittlungen zu den vom Kläger geschilderten Sachverhalten vorzunehmen.
192. Die Berufung ist vor diesem Hintergrund auch nicht wegen der geltend gemachten besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen lassen sich wie gezeigt ohne weiteres im Rahmen des Zulassungsverfahrens klären.
203. Es liegt auch kein Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO in Form einer Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn das Gericht dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen nicht folgt, sondern aus Gründen des materiellen Rechts oder des Prozessrechts zu einem anderen Ergebnis gelangt, als der Beteiligte es für richtig hält.
21Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.9.2018 – 4 A 3531/18 –, juris, Rn. 3 f., m. w. N.
22ss="absatzLinks">Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Ein Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.
23Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21.1.2016 ‒ 4 A 787/15.A ‒ juris, Rn. 3 f., m. w. N.
24Solche besonderen Umstände liegen hier nicht vor.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
26Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
27Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- VwGO § 86 1x
- 4 A 787/15 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 124 3x
- §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 3, 62, 63, 64 sowie 69 VwVG 5x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 830/00 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- 4 A 3531/18 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 1 GastG 1x (nicht zugeordnet)
- § 64 Satz 1 VwVG 1x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 28 Anhörung Beteiligter 1x
- § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- § 31 GastG 1x (nicht zugeordnet)
- § 55 Abs. 1 VwVG 1x (nicht zugeordnet)
- 18 B 842/19 1x (nicht zugeordnet)
- 9 B 298/16 1x (nicht zugeordnet)
- GewO § 15 Empfangsbescheinigung, Betrieb ohne Zulassung 1x
- VwGO § 152 1x
- § 52 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)