Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 13 B 1313/19
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 17. September 2019 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 17.900,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.
3Das Verwaltungsgericht hat auf den Antrag des Antragstellers die aufschiebende Wirkung der Klage 5 K 2192/19 gegen Nr. 3 bis 9 der Tierseuchenverfügungen des Antragsgegners vom 19. August 2019 betreffend die Bienenstandorte M. I (J. , J1. Straße), C. I (U. , X.-----weg) und C. II (U. , X.-----weg), Nr. 2 bis 8 der Tierseuchenverfügung vom 19. August 2019 betreffend den Standort E. (J. , L. an der S. Straße), Nr. 2 bis 8 der Tierseuchenverfügungen vom 30. August 2019 betreffend die Standorte J. (S1. Straße) und M1. (G. ) sowie gegen Nr. 1 und 2 der Ordnungsverfügungen vom 2. September 2019 über die Festsetzung von Zwangsmitteln betreffend die Standorte M. I und C. I und II angeordnet und im Übrigen die Anträge abgelehnt. Zur Begründung hat es im Kern ausgeführt, dass die Erfolgs-aussichten einer gegen Nr. 2 bzw. Nr. 3 der jeweiligen Tierseuchenverfügungen gerichteten Klage, mit der jeweils die Tötung sämtlicher Bienenvölker an den benannten Standorten angeordnet worden sei, zumindest offen seien. Zwar seien die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des § 6 Abs. 1 Nr. 20 lit. a des Gesetzes zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen (Tiergesundheitsgesetz - TierGesG) i.V.m. § 9 Abs. 1 Bienenseuchen-Verordnung (BienSeuchV) erfüllt, weil die Bienenvölker des Antragstellers auf den Bienenständen M. I, C. I und II, E. , J. und M1. als seuchenkrank anzusehen seien. Die Entscheidungen zum Erlass der Tötungsanordnungen seien allerdings nicht ermessensfehlerfrei ergangen, da sie auf einer bislang nicht ausreichend ermittelten Tatsachengrundlage beruhten. Die Feststellung des Ausbruchs der Amerikanischen Faulbrut begründe sich auf die Probeentnahmen bei lediglich einem Teil der auf den jeweiligen Bienenständen vorhandenen Bienenvölker. Hinzu komme, dass zum Teil Sammelproben von jeweils sechs Bienenvölkern genommen worden seien, nicht in allen Proben der Erreger nachgewiesen worden sei und die Proben teilweise wegen hoher Begleitflora nicht auswertbar gewesen seien. Das bedeute, es stehe nicht fest, dass alle Bienenvölker auf den Bienenständen infiziert seien. Die noch ausstehenden Ermessenserwägungen seien bislang nicht nachgeholt worden. Am Vollzug der Tötungsanordnungen bestehe auch kein besonderes Vollzugsinteresse. Die gesetzliche Entscheidung zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs (§ 37 Satz 1 Nr. 5 TierGesG) begründe kein Interesse am Vollzug einer rechtswidrigen Verfügung. Das gelte in besonderem Maße, weil nicht feststehe, von welchen Bienenvölkern diejenige Gefahr ausgehe, welcher der Gesetzgeber vorbeugen wolle. Mangels vollziehbarer Grundverfügung bestehe auch kein besonderes Interesse am Vollzug der weiteren Anordnungen in den Tierseuchenverfügungen vom 19. und 30. August 2019 sowie den Ordnungsverfügungen vom 2. September 2019.
4Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO prüft der Senat in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bei Beschwerden nur die rechtzeitig (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) und in der gebotenen Weise (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) dargelegten Gründe. Bei der Prüfung ist außerdem zu berücksichtigen, dass eine Stattgabe durch das Beschwerdegericht voraussetzt, dass sich die angefochtene Entscheidung nicht aus anderen Gründen als richtig erweist.
5Vgl. Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 146 Rn. 115 m.w.N.
6Nach dieser Maßgabe kommt die vom Antragsgegner erstrebte Änderung der angegriffenen Entscheidung nicht in Betracht. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung im Ergebnis zu Recht im benannten Umfang angeordnet. Die gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 HS 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem Interesse des Antragstellers, bis zu einer endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren von einer Vollziehung verschont zu bleiben, fällt zu Gunsten des Antragstellers aus. Zwar erscheinen mit dem Beschwerdevorbringen die Tötungsanordnungen unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts im Übrigen nicht ermessensfehlerhaft. Anders als nach der übereinstimmenden Annahme von Verwaltungsgericht und Antragsgegner spricht nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung allerdings Überwiegendes dafür, dass bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für die angeordnete Tötung sämtlicher Bienenvölker der betroffenen Bienenstände nicht vorliegen und damit kein Interesse am Sofortvollzug der mit Rechtsmängeln behafteten Verwaltungsakte besteht.
ass="absatzRechts">7ss="absatzLinks">Ermächtigungsgrundlage für die in den Tierseuchenverfügungen vom 19. und 30. August 2019 ausgesprochenen Tötungsanordnungen des Antragsgegners ist § 6 Abs. 1 Nr. 20 lit. a TierGesG i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 1 BienSeuchV.
81. Nach § 6 Abs. 1 TierGesG können, soweit es zur Erfüllung der Zwecke des § 1 Satz 1 TierGesG erforderlich ist, durch Rechtsverordnung Vorschriften erlassen werden, darunter nach § 6 Abs. 1 Nr. 20 lit. a. TierGesG solche über das Töten seuchenkranker oder verdächtiger Tiere. Zweck des Tiergesundheitsgesetzes ist nach dessen § 1 Satz 1 die Vorbeugung von Tierseuchen und deren Bekämpfung. Tierseuchen im Sinne dieses Gesetzes sind nach § 2 Nr. 1 und 2 TierGesG Infektionen oder Krankheiten, die von einem Krankheitserreger oder Teil eines Krankheitserregers unmittelbar oder mittelbar verursacht werden, bei Tieren auftreten und auf Tiere oder Menschen übertragen werden können. Unter „verdächtig“ versteht der Gesetzgeber sowohl seuchenverdächtige als auch ansteckungsverdächtige Tiere (§ 2 Nr. 6 TierGesG). Seuchenverdächtig sind diejenigen, an denen sich Erscheinungen zeigen, die den Ausbruch einer Seuche befürchten lassen (§ 2 Nr. 7 TierGesG), ansteckungsverdächtig diejenigen, die zwar nicht seuchenverdächtig sind, bei denen aber nicht auszuschließen ist, dass sie den Tierseuchenerreger aufgenommen haben (§ 2 Nr. 8 TierGesG). Nach § 2 Nr. 3 lit. a TierGesG sind Haustiere vom Menschen gehaltene Tiere einschließlich der Bienen und Hummeln.
9Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 BienSeuchV ordnet die zuständige Behörde die Tötung der seuchenkranken Bienenvölker an.
10a. Ein Bienenvolk im Sinne der Verordnung sind nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 BienSeuchV die in einer Bienenwohnung lebenden Bienen mit ihrer Brut und ihren Waben. Bienenstand im Sinne der Verordnung sind demgegenüber die Räume oder Einrichtungen, in denen Bienenvölker gehalten werden oder gehalten worden sind, § 1 Abs. 2 BienSeuchV.
11b. Der Begriff „seuchenkrank“ wird weder im Tiergesundheitsgesetz noch in der Bienenseuchenverordnung definiert. Er ist daher in Abgrenzung zu den bloß „verdächtigen“ Bienenvölkern und unter Berücksichtigung der Begriffsdefinitionen in § 2 Nr. 6 bis 8 TierGesG dahingehend zu bestimmen, dass „seuchenkranke“ Bienenvölker solche sind, bei denen die Seuche, also der Ausbruch, festgestellt worden ist.
12Bei der sog. Amerikanische Faulbrut (AFB) handelt es sich um eine Seuche im Sinne der Verordnung, wie §§ 3, 6 ff. BienSeuchV und § 1 Nr. 2a der Verordnung über anzeigepflichtige Tierseuchen belegen.
">13Vgl. auch: Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), Amtliche Methodensammlung, Amerikanische Faulbrut, Stand: 10. Oktober 2018, Ziffer 1; Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMEL), Leitlinie zur Bekämpfung der Amerikanischen Faulbrut der Bienen in Deutschland, Stand: Januar 2013, Ziffer 4; Rolle/Mayr, Medizinische Mikrobiologie, Infektions- und Seuchenlehre, 8. Auflage 2006, Ziffer 5.10.3.2.
14Ausgebrochen ist die Seuche in einem Bienenvolk nach wohl einhelliger wissenschaftlicher Meinung dann, wenn neben klinischen Symptomen der Nachweis des Erregers in Futterkranzproben oder in faulbrutverdächtigen Waben erbracht worden ist.
15Vgl. z.B. Bätza/Jentsch, Tierseuchenrecht in Deutschland und Europa, Stand: 1. Juli 2019, Bienenseuchen-VO, B-15.1 Fn. 14 zu § 8 und B-15.2 zu § 8; FLI, Amtliche Methodensammlung, Amerikanische Faulbrut, Stand: 10. Oktober 2018, Ziffer 3; BMEL, Leitlinie zur Bekämpfung der Amerikanischen Faulbrut der Bienen in Deutschland, Stand: Januar 2013, Ziffer 6.2; Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKULNV NRW), Verwaltungsvorschriften zur Bienenseuchen-Verordnung (BienSeuchV-VwV) vom 25. Oktober 2016, Ziffer 2.11.1 und arg.e. Ziffer 2.8.1; Nds. Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung (Nds. MELVL), Durchführung der Bienenseuchen-Verordnung und Richtlinie für die Ermittlung des gemeinen Wertes von Bienenvölkern, 17. Dezember 2009, Ziffer 2 zu § 1: Nr. 3 ff.
16Demgegenüber sind die Bienenvölker nur „verdächtig“ im Sinne von §§ 2 Nr. 6, 6 Abs. 1 Nr. 20 lit. a Var. 2 TierGesG und § 9 Abs. 1a BienSeuchV, wenn sie bei klinischen Untersuchungen AFB-verdächtige Erscheinungen zeigen oder klinisch unverdächtig sind, aber wegen des labortechnischen Nachweises eines hohen AFB-Erregergehalts Erscheinungen zeigen, die den Ausbruch der Tierseuche befürchten lassen (§ 2 Nr. 7 TierGesG) oder sie als ansteckungsverdächtig gelten, da sie klinisch unauffällig sind, aber wegen eines nicht nachweisbaren oder nur geringen AFB-Erregergehalts nicht auszuschließen ist, dass sie den Tierseuchenerreger aufgenommen haben (§ 2 Nr. 8 TierGesG).> 17
Vgl. dazu auch: Nds. MELVL, Durchführung der Bienenseuchen-Verordnung und Richtlinie für die Ermittlung des gemeinen Wertes von Bienenvölkern, 17. Dezember 2009, Ziffer 2 zu § 1: Nr. 3 ff. und zu § 9: Nr. 2.
18Die Gleichsetzung der Begrifflichkeiten „seuchenkrank“ und „Seuchenausbruch“ rechtfertigt sich vor diesem Hintergrund daraus, dass die gesetzlichen Grundlagen und wissenschaftlichen Erkenntnisse kein Zwischenstadium zwischen den beiden Kategorien „seuchenkrank“ und „verdächtig“ vorsehen.
19Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass der Verordnungsgeber in § 9 Abs. 1 Satz 1 BienSeuchV nicht den Ausdruck „Ausbruch“ verwendet. Der Gebrauch dieser unterschiedlichen Begrifflichkeiten ist lediglich dem Umstand geschuldet, dass der Verordnungsgeber den Begriff des „Ausbruchs“ - nach Feststellung der Seuche in einem Bienenvolk - im Zusammenhang mit den umfassenden Maßnahmen verwendet, die an dem betroffenen Bienenstand erfolgen müssen, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern, wie z.B. die Regelungen über die Sperre (vgl. §§ 7 und 8 BienSeuchV) und den Sperrbezirk (§;§ 10 f.). Den Begriff „seuchenkrank“ benutzt er dagegen im Zusammenhang mit den einzelnen Bienenvölkern (vgl. z.B. § 8 Abs. 1 Nr. 7, § 12 Abs. 2 Nr. 2 BienSeuchV).
20c. Die Ermächtigung zum Erlass einer Tötungsanordnung für „seuchenkranke Bienenvölker“ erlaubt danach nicht die Tötung des gesamten Bienenstandes - sofern nicht für jedes der in dem Stand untergebrachten Völker eine entsprechende Feststellung getroffen worden ist. Neben dem eindeutigen Wortlaut (vgl. dazu schon § 1 Abs. 1 und Abs. 2 BienSeuchV) spricht für dieses Verständnis auch eine systematische Auslegung der Bienenseuchenverordnung. Der Verordnungsgeber differenziert in § 12 BienSeuchV über die Aufhebung von Schutzmaßnahmen gegen die Amerikanische Faulbrut zwischen „allen Bienenvö;lkern des verseuchten Bienenstandes“ (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 BienSeuchV) und den „an der Seuche erkrankten Bienenvölkern des verseuchten Bienenstandes“ (§ 12 Abs. 2 Nr. 2 BienSeuchV). Damit wird verdeutlich, dass in einem verseuchten Bienenstand, in dem der Ausbruch der Seuche festgestellt worden ist, sowohl seuchenkranke als auch nicht-seuchenkranke Bienenvölker untergebracht sein können. Dass die Ermächtigungsgrundlage in § 9 Abs. 1 Satz 1 BienSeuchV keiner Auslegung über den Wortlaut hinaus zugänglich ist, wird überdies durch den Vergleich mit den Regelungen belegt, die der Verordnungsgeber im Zusammenhang mit den weiteren Bienenseuchen erlassen hat. So haben die Besitzer nach § 14 Abs. 1 und § 15 Abs. 1 BienSeuchV vorbehaltlich des jeweiligen Absatzes 2 alle Bienenvölker des Bienenstandes zu behandeln, wenn ein Bienenstand von der Milbenseuche bzw. mit Varroamilben befallen ist. Weil der Verordnungsgeber bei bestimmten Seuchen Maßnahmen für alle Bienenvölker - gleich ob seuchenkrank oder nicht - eines Bienenstandes vorschreibt, ist es ausgeschlossen, die nach dem Wortlaut wesentlich enger gefasste Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 1 BienSeuchV derart auszulegen.
21Gestützt wird diese Auslegung auch durch den Regelungszusammenhang mit § 9 Abs. 1a BienSeuchV. Diese Befugnisnorm sieht in Abgrenzung zu Absatz 1 die Behandlung von verdächtigen Bienenvölkern mittels Kunstschwarmmethode vor. Hätte der Verordnungsgeber die Tötung oder Behandlung auf den gesamten Stand beziehen wollen, so hätte er eine solche Differenzierung nach Bienenvölkern nicht treffen müssen. In diesem Falle wäre die Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 2 BienSeuchV ausreichend gewesen.
22In diesem Sinne differenziert der Verordnungsgeber ebenfalls in § 9 Abs. 2 Satz 1 HS 1 BienSeuchV zwischen den an der Seuche erkrankten Bienenvölkern, die zu töten oder behandeln sind, und allen Völkern des betroffenen Bienenstandes, die frühestens zwei, spätestens neun Monate nach der Maßnahme der Nachuntersuchung unterliegen.
23d. Die Argumente, die der Antragsgegner zum Beleg seiner Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 1 BienSeuchV vorträgt, wonach bei der Feststellung der Amerikanischen Faulbrut auf einem Bienenstand, alle Bienenvölker dieses Standes als seuchenkrank gelten, greifen nicht durch.
24Sein Verweis auf Ziffer 2.12.1 BienSeuchV-VwV verhilft ihm nicht zum Erfolg. Nach Absatz 1 der Verwaltungsvorschrift sind aufgrund der Biologie der Bienen und der imkerlichen Praxis mindestens alle Völker eines Standes als epidemiologische Einheit anzusehen. Unter dem Begriff der epidemiologischen Einheit versteht man Teilpopulationen, die in enger und stabiler Gemeinschaft leben, und von denen angenommen wird, dass sie nach Infektionen wahrscheinlich gemeinsam erkranken werden und dass sie auch insgesamt selbst ein Infektionsrisiko darstellen.
25Vgl. Rolle/Mayr, Medizinische Mikrobiologie, Infektions- und Seuchenlehre, 8. Auflage 2006, Ziffer 1.2.2.
lass="absatzRechts">26Nach Absatz 2 der Verwaltungsvorschrift gelten alle Völker des Bienenstandes im Hinblick auf die Bekämpfungsmaßnahmen als seuchenkrank, wenn die Amerikanische Faulbrut in einem Volk amtlich festgestellt ist. Maßnahmen zur Bekämpfung der Amerikanischen Faulbrut müssen sowohl die ganzen Völker als auch den damit im Zusammenhang stehenden Bienenstand umfassen.
27Auch wenn die Verwaltungsvorschriften zur Bienenseuchen-Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen - wie das Verwaltungsgericht ausführt (Beschlussabdruck, S. 12) - als sachverständige Äußerungen anzusehen sind, können diese nicht die bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage quasi im Fiktionswege („gelten alle Völker des Bienenstandes […] als seuchenkrank“) über ihren Wortlaut hinaus ausdehnen.
28Die gesetzgeberische Entscheidung, seuchenverdächtige Völker trotz der vorgesehenen Ermächtigung in § 6 Abs. 1 Nr. 20 lit. a) TierGesG nicht mit in die Befugnisnorm des § 9 Abs. 1 Satz 1 BienSeuchV aufzunehmen, kann auch nicht durch die ‑ durchaus zutreffenden - Hinweise, auf die Verbreitungswege und Widerstandsfähigkeit der Seuche sowie den Zeitaufwand der Untersuchung bei einer Vielzahl von Völkern unterlaufen werden.
29Soweit der Antragsgegner in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin
30- Beschluss vom 29. November 2018 - VG 24 L 466.18 -
31verweist, ergibt sich daraus nichts anderes. In dem Beschluss wird die Auslegung des Begriffs „seuchenkrank“ ebenfalls tragend darauf gestützt, dass die Völker eines Bienenstandes eine epidemiologische Einheit bilden.
32>Die Einschätzung des Antragsgegners, gegen die beschriebene Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 1 BienSeuchV sprächen die Regelungssystematik in §§ 8 bis 10 BienSeuchV sowie der Schutzzweck des § 1 Satz 1 TierGesG, trifft nicht zu. Ein schnelles Einschreiten zur Vorbeugung und Bekämpfung der Tierseuche ist weiterhin möglich. Die Schutzmaßregeln sehen vor, dass nach der Feststellung des Ausbruchs in einem Bienenstand, durch den Nachweis der Seuche in einem Bienenvolk, der gesamte Bienenstand der Sperre unterliegt (§ 8 BienSeuchV) und die zuständige Behörde darüber hinaus einen Sperrbezirk festlegt (§ 10 BienSeuchV), für den die Regelungen des § 11 BienSeuchV gelten. Für seuchenkranke Bienenvölker eines Bienenstandes ordnet die Behörde die Tötung an. Im Übrigen werden die Bienenvölker im Sperrbezirk untersucht und je nach Befund entsprechende Bekämpfungsmaßnahmen eingeleitet.
33Vgl. dazu auch: Bätza/Jentsch, Tierseuchenrecht in Deutschland und Europa, Stand: 1. Juli 2019, Bienenseuchen-VO, B-15.2 zu § 8: Vor Einleitung der vorgeschriebenen Bekämpfungsmaßnahmen sind alle Bienenvölker des Bienenstandes sowie alle Bienenvölker und Bienenstände im Sperrbezirk auf Faulbrut zu untersuchen; BMEL, Leitlinie zur Bekämpfung der Amerikanischen Faulbrut der Bienen in Deutschland, Stand: Januar 2013, Ziffer 6.2.1: Befallene Bienenstände sind durch die zuständige Behörde mittels Bescheid gemäß § 8 BienSeuchV zu sperren. Sofern nicht bereits erfolgt, wird der gesamte Bienenstand klinisch untersucht und Proben gezogen. Besitzt der Imker mehrere Stände, die im laufendem Jahr keiner amtlichen Untersuchung zur Ausstellung eines Gesundheitszeugnisses unterzogen worden sind oder zwischen denen und dem Ausbruchsstand ein Austausch von u.a. Waben und Gerätschaften stattgefunden hat, sollten diese durch die zuständige Behörde in Zusammenarbeit mit den beauftragten Bienensachverständigen untersucht werden. In Abhängigkeit vom Ergebnis der Untersuchungen wird ein Bekämpfungskonzept festgelegt. Die zuständige Behörde überwacht die Maßnahmen zur Sanierung. Sie kann einem Imker, dem zum Beispiel aufgrund seiner Berufsausbildung der Sachverstand anerkannt wurde, die Sanierung des eigenen Bestandes zumindest teilweise überlassen. Sie ordnet für die seuchenkranken Völker entweder die Behandlung durch ein Kunstschwarmverfahren oder die Tötung an.
342. Diese Auslegung der Ermächtigungsnorm zu Grunde gelegt, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass von Tötungsanordnungen gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 20 lit. a TierGesG i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 1 BienSeuchV, die sich auf Bienenstände an den Standorten M. I, C. 60; I und II, E. , J. und M1. beziehen, nicht vor.
35Zwar steht aufgrund der Untersuchungsergebnisse fest, dass einige Bienenvölker seuchenkrank sind. Anhand der vorliegenden Unterlagen lässt sich aber nicht ermitteln, welche Bienenvölker im Einzelnen betroffen sind. Unstreitig wurden nicht bei allen Bienenvölkern Proben entnommen und labortechnisch untersucht. Überdies wurden ausweislich der vorliegenden Untersuchungsaufträge und Befundberichte die Futterkranzproben an den Standorten M. I (Bl. 589, 592 f. BA 1) und C. I und II (Bl. 764 f., 766 BA 1) sowie jedenfalls teilweise an den Standorten E. (Bl. 836 f., 838 f., 845 f., 849 f. BA 1) und M1. (Bl. 936 ff., 949 ff., 957 ff., 961 f. BA 1) als Sammelproben zur Untersuchung gegeben. Das bedeutet, es wurde das Probenmaterial von je sechs Völkern zu einer Probe vereinigt, so dass sich das Untersuchungsergebnis keinem konkreten Volk zuordnen lässt. Hinzu kommt, dass die Untersuchungsergebnisse einiger Proben aufgrund der hohen Begleitflora nicht auswertbar waren und daher die Beprobung von Einzelvölkern empfohlen wurde. Auf den Formularen der Untersuchungsaufträge ist zudem die Frage „voll klinisch erkrankt“ jeweils mit „nein“ angekreuzt. Ferner konnte der Erreger in den Proben der Standorte E. und M1. teilweise nicht nachgewiesen werden. Eine Zuordnung der Befundergebnisse von Bienenvolk und Probennummer ist anhand der vorliegenden Unterlagen nicht möglich. Das gilt auch, soweit die darüber hinaus beprobten Brutwaben an allen Standorten als „klinisch voll erkrankt“ eingestuft und der Erreger labortechnisch nachgewiesen wurde (Bl. 581 ff., 583, 764 f., 766, 832, 993 f., 997, 1041 f. BA 1). Da in den Untersuchungsaufträgen bzw. Befundberichten nur eine Standortangabe gemacht worden ist, sie aber keinen Hinweis darauf enthalten, welchen Bienenvölkern die Waben entnommen worden sind, dürfte auch eine nachträgliche Identifizierung der danach seuchenkranken Bienenvölker ausscheiden. Insoweit verhelfen auch die Fotodokumentationen (Bl. 197 ff., 548 ff., 678 ff., 853 ff. BA 1) nicht weiter.
36Dass die Sammelbeprobung grundsätzlich keine geeignete Methode ist, um die an der Seuche erkrankten Bienenvölker zu identifizieren, hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt, so dass darauf zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden kann (Beschlussabdruck, S. 23). Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Ausführungen in Ziffer 2.12.3 BienSeuch-VwV, die sich mit der Nachuntersuchung befassen und damit ebenfalls nur der Feststellung dienen, dass ein Bienenstand erregerfrei ist.
37Der Senat war nicht gehalten, den Beteiligten vor Erlass der Entscheidung einen Hinweis auf seine Rechtsauffassung zu geben, da die Beteiligten bereits in erster Instanz kontrovers die Auslegung von § 9 Abs. 1 BienSeuchV erörtert haben.
38Vgl. Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 146 Rn. 115; Bayerischer VGH, Beschluss vom 17. November 2014 - 22 CS 14.1933 -, juris, Rn. 6.
393. Da sich im vorliegenden Verfahren nicht feststellen lässt, hinsichtlich welcher Bienenvölker der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage erfüllt ist, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der Frage der Sanierungsfähigkeit etwaig seuchenkranker Bienenvölker und den an § 9 Abs. 1 Satz 2 BienSeuchV anknüpfenden Ermessenserwägungen.
404. Bei der Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem persönlichen Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die in den angegriffenen Tierseuchenverfügungen ausgesprochenen Tötungsanordnungen überwiegt das Aussetzungsinteresse. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend ausgeführt, dass die gesetzgeberische Entscheidung zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs (§ 37 Satz 1 Nr. 5 TierGesG) bei unklarer Gefahrenlage kein Interesse am Vollzug einer rechtswidrigen Verfügung begründe, da die Maßnahmen einen irreparablen Zustand zur Folge hätten, die seuchenrechtlichen Belange durch die Regelungen in §§ 7 f. BienSeuchV hinreichend geschützt würden und etwaigen Verstößen durch den Erlass konkreter Verfügung entgegengewirkt werden könne (Beschlussabdruck, S. 25 f.). Diese Ausführungen gelten unabhängig davon, ob Überwiegendes dafür spricht, dass der Tatbestand der Befugnisnorm nicht erfüllt ist, oder auf Rechtsfolgenseite ein Ermessensfehler gesehen wird. Etwas anders lässt sich nicht aus den weiteren Entwicklungen der betroffenen Bienenvölker herleiten, da die eingereichten Stellungnahmen jedenfalls nicht belegen, welche Bienenvölker seuchenkrank sind.
415. Wegen der weiteren Anordnungen in den Tierseuchenverfügungen vom 19. und 30. August 2019 sowie den Ordnungsverfügungen vom 2. September 2019 wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen (Beschlussabdruck, S. 26 f., 28), gegen die der Antragsgegner auch keine Einwände erhoben hat.
42Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
43Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5, 1.7.2 und 1.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
44Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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