Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 13 B 520/20.NE
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1I.
2Die Antragstellerin betreibt in der Rechtsform der GmbH in mehreren nordrhein-westfälischen Kommunen sog. Elektro-Muskel-Stimulation-Studios. Sie begehrt die vorläufige Außervollzugsetzung von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Var. 1 der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung - CoronaSchVO) vom 22. März 2020 (GV. NRW. S. 178a), neugefasst durch Art. 1 der am 20. April 2020 in Kraft getretenen Verordnung vom 16. April 2020 (GV. NRW. S. 222a) und bereinigt durch Art. 1 der am 18. April 2020 in Kraft getretenen Verordnung vom 17. April 2020 (GV. NRW. S. 304).
3§ 3 CoronaSchVO hat den folgenden Wortlaut:
4§ 3
5Freizeit-, Kultur-, Sport- und Vergnügungsstätten
6(1) Der Betrieb der folgenden Einrichtungen und Begegnungsstätten sowie die folgenden Angebote sind untersagt:
71. Bars, Clubs, Diskotheken, Theater, Opern- und Konzerthäuser, Kinos, Museen und ähnliche Einrichtungen unabhängig von der jeweiligen Trägerschaft und den Eigentumsverhältnissen,
82. Messen, Ausstellungen, Freizeit- und Tierparks, Angebote von Freizeitaktivitäten (drinnen und draußen), Spezialmärkte und ähnliche Einrichtungen,
93. Fitness-Studios, Sonnenstudios, Schwimmbäder, „Spaßbäder“, Saunen und ähnliche Einrichtungen,
104. Spiel- und Bolzplätze,
115. Volkshochschulen, Musikschulen, sonstige öffentliche und private außerschulische Bildungseinrichtungen,
126. Spielhallen, Spielbanken, Wettbüros und ähnliche Einrichtungen,
137. Prostitutionsstätten, Bordelle und ähnliche Einrichtungen.
14Autokinos dürfen betrieben werden, wenn sichergestellt ist, dass die Besucher bei geschlossenen Fenstern, Sonnendächern, Verdecken usw. in ihren Autos verbleiben und der Ticketerwerb und die Nutzung von Sanitärräumen den Vorgaben für den Handel nach § 5 Absatz 4 entsprechen; für die Insassen der Fahrzeuge gilt § 12 Absatz 1 Satz 1 und Satz 2 Nummer 1 bis 3.
15(2) Die nach dem Landesrecht für Schutzmaßnahmen nach § 28 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes zuständigen Behörden können Ausnahmen von Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 zulassen, wenn die Bildungsangebote der Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung dienen oder die Wahrnehmung des Bildungsangebots zwingende Voraussetzung für eine staatlich vorgeschriebene Prüfung ist und bei der Durchführung geeignete Vorkehrungen zur Hygiene, zur Gewährleistung eines Mindestabstands von 1,5 Metern zwischen Personen und zur Begrenzung des Zutritts zu Schulungsräumen auf maximal 1 Person pro zehn Quadratmeter Raumfläche sichergestellt sind. Das Erfordernis eines Mindestabstands von 1,5 Metern zwischen Personen gilt nicht für den praktischen Unterricht von Fahrschulen; es dürfen sich nur der Fahrschüler und der Fahrlehrer im Fahrzeug aufhalten sowie während der Fahrprüfung zusätzlich eine Prüfungsperson.
16(3) Untersagt sind jeglicher Sportbetrieb auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen sowie alle Zusammenkünfte in Vereinen, Sportvereinen, sonstigen Sport- und Freizeiteinrichtungen. Die nach dem Landesrecht für Schutzmaßnahmen nach § 28 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes zuständigen Behö;rden können Ausnahmen für das Training an den nordrhein-westfälischen Bundesstützpunkten zulassen. Das Training von Berufssportlern auf dem von ihrem Arbeitgeber bereitgestellten Trainingsgelände ist kein Sportbetrieb im Sinne von Satz 1.
atzRechts">17Die Antragstellerin hat am 21. April 2020 einen Normenkontrollantrag gestellt (13 D 49/20.NE) und zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.
18Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend: Die Verordnung werde von der Ermächtigungsgrundlage der §§ 28, 32 IfSG nicht gedeckt, stattdessen sei § 16 IfSG einschlägig. Zudem verstoße die Verordnungsermächtigung gegen den Vorbehalt des Gesetzes und das Bestimmtheitserfordernis. Die Maßnahme selbst sei unverhältnismäßig. Es sei zu berücksichtigen, dass während ihres gewöhnlichen Geschäftsbetriebs lediglich zwei Mitglieder von einem Trainer betreut würden. Anlässlich der Coronapandemie habe sie zum Schutz vor Tröpfcheninfektionen zwischen Trainer und Kunde Plexiglastrennungen im Studio anbringen lassen. Es stünde Desinfektionsmittel für die Hände, Trainingswesten und andere Flächen bereit. Die Duschen würden geschlossen, der Kunde ziehe seine Weste eigenständig an, und es komme zu keinerlei Körperkontakt zwischen den Beteiligten. Der Trainer trage einen Mundschutz und Handschuhe. Der nachfolgende Kunde müsse bis zum Trainingsbeginn vor der Studiotür warten.
19Die Antragstellerin beantragt wörtlich,
20durch Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO die CoronaSchVO bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag außer Vollzug zu setzen, soweit ihr das Anbieten von EMS-Personaltraining untersagt wird.
21Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt,
22den Antrag abzulehnen
23II.
24Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Der gemäß § 47 Abs. 6, Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 109a JustG NRW statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag ist unbegründet. Die von der Antragstellerin begehrte einstweilige Anordnung ist nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten (§ 47 Abs. 6 VwGO). Der in der Hauptsache anhängige Normenkontrollantrag bleibt bei einer wegen der Eilbed52;rftigkeit der Entscheidung nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich ohne Erfolg, weil sich der von der Antragstellerin allein angegriffene § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Var. 1 CoronaSchVO danach als rechtmäßig erweist (1.). Unabhängig davon würde jedenfalls eine von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache losgelöste Folgenabwägung zu Lasten der Antragstellerin ausgehen (2.).
25Vgl. zu den Entscheidungsmaßstäben BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 2015 ‑ 4 VR 5.14 ‑, juris, Rn. 12; OVG NRW, Beschlüsse vom 6. April 2019 ‑ 13 B 398/20.NE ‑, juris, Rn. 32, und vom 26. August 2019 - 4 B 1019/19.NE ‑, juris, Rn. 12; Nds. OVG, Beschluss vom 17. Februar 2020 ‑ 2 MN 379/19 ‑, juris, Rn. 24, m. w. N.; Ziekow, in: Sodan/ Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395.
261. Rechtsgrundlage für § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Var. 1 CoronaSchVO ist § 32 Satz 1 und 2 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG in der Fassung vom 27. März 2020 (BGBl. I 587). Nach § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen können gemäß § 32 Satz 2 IfSG die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach Satz 1 der Vorschrift durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.
satzRechts">27a. Es bestehen zunächst keine Zweifel daran, dass §§ 28 Abs. 1, 32 IfSG die zutreffende Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der mit der Coronaschutzverordnung normierten Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie darstellen. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in dem den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin bekannten Senatsbeschluss vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE - verwiesen.
28Zur Anwendbarkeit von § 28 Abs. 1 IfSG siehe mit eingehender Begründung auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 9. April 2020 ‑ 1 S 925/20 ‑, juris, Rn. 17 ff.
29Ebenso wenig bestehen Bedenken gegen das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Verordnungsermächtigung. Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE -, juris,
30vgl. ferner Senatsbeschlüsse vom 15. April 2020 ‑ 13 B 440/20.NE -, sowie vom 16. April 2020 - 13 B 452/20.NE - und - 13 B 471/20.NE -,
31auf den er ebenfalls zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, ausgeführt, dass § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG hinsichtlich der Regelungen für Betriebsuntersagungen voraussichtlich den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen genügt (juris, Rn. 37 ff.), etwaige verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf den Vorbehalt des Gesetzes jedenfalls im vorliegenden Pandemiefall nicht durchschlagen (juris, Rn. 50 ff.) und ein Verstoß gegen das Zitiergebot voraussichtlich nicht vorliegt (juris, Rn. 62 ff.). Dies wird mit dem Antragsvorbringen auch nicht durchgreifend in Abrede gestellt. Insbesondere wird diese Einschätzung nicht durch den Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 (BT-Drs. 17/12051) in Zweifel gezogen. Anders als die Antragstellerin meint, ergibt sich aus der Risikoanalyse nicht, dass die aktuelle Pandemie vorhersehbar war. Die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines „außergewöhnlichen Seuchengeschehens“ wird in dem Bericht als bedingt wahrscheinlich eingestuft, d. h. es handelt sich um ein Ereignis, das statistisch in der Regel einmal in einem Zeitraum von 100 bis 1.000 Jahren eintritt.
32b. Die von der Antragstellerin erhobenen materiell-rechtlichen Einwände gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Var. 1 CoronaSchVO, an dessen formeller Rechtmäßigkeit keine Bedenken bestehen, greifen voraussichtlich nicht.
33Die Regelung genügt den aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG folgenden Voraussetzungen. Dass es sich bei der Coronavirus-Krankheit COVID-19 um eine übertragbare Krankheit im Sinne des §0;2 Nr. 3 IfSG handelt, unterliegt keinem Zweifel und wird auch von der Antragstellerin nicht in Frage gestellt.
34Vgl. hierzu Robert Koch-Institut, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/ InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html, Stand: 17. April 2020.
ss="absatzRechts">35Es ist auch nicht fraglich, dass Betriebsuntersagungen eine Schutzmaßnahme i. S. v. § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG darstellen können.
36Vgl. dazu auch den Senatsbeschluss vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE -, juris, Rn. 64 ff., 74.
37Anerkannt ist zudem, dass § 28 Abs. 1 IfSG nicht voraussetzt, dass die Krankheit, deren Ausbreitung verhindert werden soll, gerade an Personen festgestellt worden ist, die sich in den von der Untersagung betroffenen Einrichtungen aufhalten oder aufgehalten haben.
38Vgl. zu Maßnahmen gegenüber Nichtstörern BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 ‑ 3 C 16.11 ‑, juris, Rn. 26, unter Hinweis auf BT-Drs. 8/2468, S. 27; Hess. VGH, Beschluss vom 7. April 2020 - 8 B 892/20.N -, juris, Rn. 44; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 23. März 2020 - OVG 11 S 12/20 -, juris, Rn. 8; vgl. zur Feststellung der Krankheit schon den Senatsbeschluss vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -, Abdruck, S. 17; sowie Nds. OVG, Urteil vom 3. Februar 2011 - 13 LC 198/08 -, juris, Rn. 40; Thür. OVG, Beschluss vom 8. April 2020 - 3 EN 245/20 -, juris, Rn. 35; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 9. April 2020 ‑ 1 S 925/20 ‑, juris, Rn. 33.
39Es spricht weiter Überwiegendes dafür, dass § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Var. 1 CoronaSchVO dem in § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG zum Ausdruck kommenden Gebot strikter Verhältnismäßigkeit genügt.
40Die Corona-Pandemie begründet eine ernstzunehmende Gefahrensituation, die staatliches Einschreiten nicht nur rechtfertigt, sondern mit Blick auf die Schutzpflicht des Staates weiterhin gebietet.
41Vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 1992 ‑ 1 BvR 1025/82 u. a. - , juris, Rn. 69, m. w. N.
42Auch wenn sich der Reproduktionsfaktor mittlerweile reduziert hat, ist ohne wirksame Gegenmaßnahmen eine Überlastung des Gesundheitswesens immer noch konkret zu befürchten mit der Folge, dass aus Kapazitätsgründen nicht mehr alle Patienten, die einer intensivmedizinischen Behandlung bedürfen (insbesondere auch die zahlreichen Patienten, die eine Behandlung nicht wegen einer schweren Erkrankung an COVID-19 dringend benötigen), ausreichend versorgt werden können.
43Vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Aktualisierter Stand für Deutschland, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html, Stand: 23. April 2020, und Epidemiologisches Bulletin 12/2020, COVID-19: Jetzt handeln, vorausschauend planen, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/12_20.html, Stand: 19. März 2020.
44Eine Überforderung des Gesundheitssystems durch vorschnelle Lockerungen der Schutzmaßnahmen mit nicht absehbaren Folgen gilt es deshalb zu vermeiden. Nach sachverständiger Bewertung ist die Lage trotz der erkennbar positiven Entwicklung äußerst fragil. Sie kann durch zu weitgehende Lockerungen auch mit nicht absehbaren immensen wirtschaftlichen Folgen schnell wieder verspielt werden.
45Siehe dazu Prof. Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité, zitiert nach Deutschlandfunk.de, Covid-19, Virologe Drosten: Deutschland verspielt vielleicht Corona-Vorsprung, 22. April 2020, abrufbar unter: https://kurzlink.de/BonpfllCY, und Welt.de, Dann, warnt Drosten, verspielt Deutschland seinen „Vorsprung komplett220;, 22. April 2020, abrufbar unter: https://kurzlink.de/1uZryDb6G; Prof. Dr. Melanie Brinkmann, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, zitiert nach Spiegel.de, Zweite Covid-19-Welle „Regierung hat mit Lockerungen ein falsches Signal gesetzt“, 22. April 2020, abrufbar unter: https://kurzlink.de/T8LhRPpHA.
46Hinzu kommt, dass die Aussagen über das aktuelle Infektionsgeschehen auf Schätzungen beruhen, da die tagesaktuellen Daten vor allem aufgrund der langen Inkubationszeit jeweils nur den Stand von vor etwa 10 Tagen abbilden, so dass ein Wiederansteigen der Infektionszahlen erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung zu bemerken wäre.
47Vgl. erneut Prof. Dr. Melanie Brinkmann, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, zitiert nach Spiegel.de, Zweite Covid-19-Welle „Regierung hat mit Lockerungen ein falsches Signal gesetzt“, 22. April 2020, abrufbar unter: https://kurzlink.de/T8LhRPpHA; siehe in diesem Zusammenhang auch Prof. Dr. Michael Meyer-Hermann, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, zitiert nach zeit.de, Coronavirus, Droht eine zweite Welle?, 22. April 2020, abrufbar unter: https://kurzlink.de/30hdbxeny.
48Angesichts der hohen Fragilität der Lage und der fortbestehenden gravierenden Unsicherheiten bei der prognostischen Bewertung des weiteren Ausbruchsverlaufs kommt dem Verordnungsgeber nach wie vor ein Einschätzungsspielraum im Hinblick auf die zu ergreifenden Maßnahmen zu.
49Vgl. Senatsbeschluss vom 6. April 2020 ‑ 13 B 398/20.NE ‑, juris, Rn. 90 f., m w. N.
50Diese Situation kann es zudem weiterhin rechtfertigen, vorübergehend eine stärker typisierende Betrachtung (verbleibender) Risikotatbestände anzulegen und stärker generalisierende Regelungen zu treffen, während umgekehrt die Differenzierungsnotwendigkeit (erst) mit einer Verdichtung der Erkenntnislage und/oder mit der Dauer der bestehenden Einschränkungen steigen würde.
51Ausgehend hiervon bestehen an der Verhältnismäßigkeit des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Var. 1 CoronaSchVO gegenwärtig keine durchgreifenden Bedenken. Die Regelung ist Teil eines Gesamtkonzepts des Verordnungsgebers zur fortwährenden Reduzierung infektionsbegünstigender sozialer und persönlicher Kontakte. Dieses umfasst die aus seiner - nicht zu beanstandenden Sicht - grundsätzlich weiterhin notwendige Untersagung von Freizeitaktivitäten in Stätten mit Publikumsverkehr, die unter den gegenw8;rtigen Umständen am ehesten verzichtbar erscheinen. Wie bereits in dem Senatsbeschluss vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE - ausgeführt, entstehen infektionsbegünstigende Kontakte nicht nur bei (sportlichen) Gruppenaktivitäten, sondern z. B. auch während des individuellen Trainings im Fitnessstudio, bei der Geräteeinweisung oder korrigierenden Eingriffen durch das Fachpersonal. Darüber hinaus kommt es im Übungsbereich, in den Umkleidekabinen und Duschen zu häufig wechselnden Begegnungen zwischen den Sporttreibenden, aber auch mit den Betreuern. Hinzu kommt, dass aktive sportliche Betätigungen grundsätzlich mit einer intensiveren Atmung einhergehen und deshalb vermehrt potentiell virushaltige Tröpfchen in die Luft abgegeben werden können. Neben diesen physischen Nahkontakten können gegebenenfalls auch indirekte Kontakte über die Berührung derselben Oberflächen, z. B. bei der Benutzung von Sportgeräten durch verschiedene Nutzer, zu neuen Infektionsketten führen, da Schmierinfektionen nicht ausgeschlossen sind.
52Vgl. auch Thür. OVG, Beschluss vom 8. April 2020 ‑ 3 EN 245/20 -, juris, Rn. 48; zu den Übertragungswegen und zur Tenazität Robert Koch-Institut, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/ InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html, Stand: 17. April 2020.
53Ebenso wie von anderen Betrieben mit Publikumsverkehr auch, geht ‑ unabhängig von der konkreten Ausgestaltung ‑ von den in § 3 CoronaSchVO benannten Sport- und Freizeiteinrichtungen typischerweise eine gewisse Sogwirkung aus, die aus den beschriebenen Gründen möglichst vermieden werden soll.
54Vgl. so schon die Senatsbeschlüsse vom 16. April 2020 - 13 B 452/20.NE - und - 13 B 471/20.NE -.
55Die Einschätzung des Verordnungsgebers wird auch nicht durchgreifend mit der Erwägung in Zweifel gezogen, dass sich im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb kleiner Fitnessstudios oder besonderer Betriebssparten, wie den EMS-Studios, nur wenige Mitglieder gleichzeitig in dem Studio aufhalten. Bei generalisierender Betrachtung kommt es auch bei diesen Betrieben in den Umkleidekabinen oder bei der individuellen Betreuung der Sporttreiben z. B. beim Anlegen der Trainingsweste oder bei trainingsbegleitenden Hilfestellungen während der Übungen zu wechselnden unmittelbaren und mittelbaren Kontakten.
56Der Verordnungsgeber ist auch nicht gehalten, unter den von der Antragstellerin benannten Voraussetzungen Ausnahmen vom Verbot des Betriebs eines Fitnessstudios vorzusehen. Derartige Ausnahmeregelungen wären mit einem nicht unerheblichen Kontrollaufwand verbunden, was dem Anliegen einer umgehend sicherzustellenden effektiven Gefahrenabwehr widerspräche. Im Übrigen ist auch zweifelhaft, ob das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung während des Trainings und des weiteren Aufenthalts im Fitnessstudio sowie das Anbringen von Schutzwänden zwischen Trainer und Kunde überhaupt hinreichend praktikabel sind.
57Die Eignung und Erforderlichkeit der Regelung, Fitnessstudios zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung generell weiterhin geschlossen zu halten, wird weiter nicht dadurch in Frage gestellt, dass nunmehr nach Maßgabe des § 5 CoronaSchVO ein Großteil der Einzelhandelsbetriebe unter Beachtung von Vorkehrungen zur Hygiene, zur Steuerung des Zutritts, zur Vermeidung von Warteschlagen und zur Gewährleistung eines Mindestabstands öffnen darf. Auch ist in diesem Vorgehen des Verordnungsgebers kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu erblicken, da sich die Abläufe, insbesondere die Möglichkeiten zur Vermeidung persönlicher Kontakte, im Einzelhandel und in Sporteinrichtungen maßgeblich voneinander unterscheiden.
58Schließlich ist § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Var. 1 CoronaSchVO unter Abwägung der gegenläufigen verfassungsrechtlichen Positionen auch angemessen. Der beabsichtigte Verordnungszweck steht nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs. Die Maßnahme führt zwar unverkennbar zu Grundrechtseinschränkungen von erheblicher Intensität, wobei in erster Linie das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und gegebenenfalls auch das von der Eigentumsgarantie erfasste Recht des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs (Art. 14 Abs. 1 GG) betroffen sind. Diese Rechte gelten jedoch nicht unbeschränkt, sondern unterliegen einem Gesetzesvorbehalt und treten hier im Ergebnis angesichts der drohenden Überforderung des Gesundheitswesens gegenüber dem mit der Verordnung bezweckten Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zurück. In dem Zusammenhang ist zunächst zu berücksichtigen, dass negative finanzielle Folgen zumindest teilweise durch Hilfen des Antragsgegners und des Bundes aufgefangen werden. Namentlich unterstützt der Antragsgegner betroffene Unternehmen, Freiberufler und Solo-Selbstständige mit Soforthilfen. Abhängig von der Zahl der Beschäftigten kann danach eine Soforthilfe von bis zu 25.000 Euro gewährt werden. Antragstellungen sind seit dem 17. April 2020 wieder möglich (https://kurzlink.de/BknGKZixs). Abgeschwächt wird die Eingriffsintensität der Maßnahme zudem durch die Bereitstellung von weiteren finanziellen und steuerlichen Liquiditätshilfen auf Bundes- und Landesebene sowie das Kurzarbeitergeld des Bundes (vgl. dazu im Einzelnen z. B. https://kurzlink.de/j5SiiyUiz sowie https://kurzlink.de/nAZ3dIMPu). Darüber hinaus ist mit Art. 5 des Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 (BGBl. I 2020, S. 569) ein zeitlich befristeter Kündigungsschutz bei Mietrückständen erlassen worden, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Hinzu kommt, dass die Verordnung in ihrer zeitlichen Geltung befristet ist (vgl. § 17 CoronaSchVO) und den Verordnungsgeber ohnehin eine fortwährende Beobachtungs- und Überprüfungspflicht tritt, die sich mit zunehmender Dauer der ergriffenen Maßnahmen entsprechend verdichtet.
592. Selbst wenn man von allenfalls offenen Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens ausgehen wollte, führte die dann vorzunehmende Folgenabwägung nicht dazu, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung dringend geboten erscheint. Würde der Vollzug des angegriffenen § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Var. 1 CoronaSchVO ausgesetzt, erwiese sich diese Regelung aber im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig, so könnten in der Zwischenzeit infolge einer Überlastung insbesondere intensivmedizinischer Einrichtungen schwerwiegende Schädigungen eines überragenden Schutzguts - der menschlichen Gesundheit und des Lebens - eintreten. Bleiben die Betriebsuntersagungen dagegen vollziehbar, erweisen sie sich aber in der Hauptsache als rechtswidrig, entstehen den betroffenen Unternehmen zwar möglicherweise erhebliche wirtschaftliche Einbußen. Das Schutzgut der menschlichen Gesundheit und des Lebens ist demgegenüber aber nach wie vor als höherrangig einzustufen. Dies gilt nicht zuletzt wegen der Möglichkeit der betroffenen Unternehmer, Wirtschaftshilfen des Landes und vom Bund in Anspruch zu nehmen.
60Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Da die angegriffene Regelung bereits mit Ablauf des 3. Mai 2020 außer Kraft tritt, zielt der Antrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, so dass eine Reduzierung des Auffangstreitwerts für das Eilverfahren nicht veranlasst ist.
61Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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