Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 1352/19.A
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe:
1Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
21. Die Berufung ist nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 i. V. m. § 138 Nr. 3 AsylVfG zuzulassen.
3Das in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht diesen Anforderungen genügt. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen in den Gründen ausdrücklich zu bescheiden. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.
bsatzRechts">4Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. August 2017 ‒ 4 A 1904/17.A –, juris, Rn. 2 ff., m. w. N.
5Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt ferner, dass die Verwaltungsgerichte das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen dürfen, die von den Verfahrensbeteiligten oder dem Gericht im Einzelnen bezeichnet zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden und zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.> 6
Vgl. z. B. OVG NRW, Beschluss vom 10. Juli 2018 ‑ 13 A 1529/18.A -, juris, Rn. 13 f., sowie OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21. Mai 2019 ‑ 2 L 356/16 -, juris Rn. 7, beide m. w. N..
7Im Falle der nicht ordnungsgemäßen Einführung eines (die Entscheidung tragenden) Erkenntnismittels ist substantiiert darzulegen, was bei dessen ordnungsgemäßer Einführung vorgetragen worden wäre. Denn nur auf der Grundlage eines solchen Vortrags kann geprüft und entschieden werden, ob auszuschließen ist, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer anderen, dem Kläger günstigeren Entscheidung geführt hätte.
8Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 1993 – 2 BvR 1988/92 -, juris Rn. 34; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 25. März 2020 - 2 BvR 113/20 -, juris Rn. 43 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 10. Juli 2018 - 13 A 1529/18.A -, juris Rn. 15 f., und Nds. OVG, Beschluss vom 10. Juli 2019 - 10 LA 35/19 -, juris Rn. 7 f., beide m. w. N.; teilweise a. A. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18. August 2017 - A 11 S 1740/17 -, juris Rn. 7.
9Ausgehend hiervon legt der Zulassungsantrag eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht dar.
10a) Der Kläger trägt vor, die im Internet verfügbare Liste, auf die mit der Ladung vom 4. Februar 2019 (zum Erörterungstermin am 6. März 2019) hingewiesen worden sei, lasse die genauen Daten der Erkenntnismittel nicht erkennen. Dies trifft hinsichtlich der Erkenntnismittel, auf die das Urteil Bezug nimmt, bereits in tatsächlicher Hinsicht in (weiten) Teilen nicht zu: So ist z. B. der Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen (Stand: November 2018) in der Erkenntnismittelliste konkret bezeichnet; dass das Datum, unter dem er erschienen ist (12. Januar 2019), nicht genannt ist, ist in diesem Zusammenhang irrelevant. Die weiteren in dem Urteil genannten Erkenntnismittel sind nach dem Jahr ihres Erscheinens schlagwortartig gekennzeichnet bzw. im Internet verfügbar; dies gilt insbesondere für den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 31. Oktober 2017 "Libyen: Palästinensische Flüchtlinge", das Papier des UNHCR "Position on Returns to Libya [Update II]" von September 2018 und das Dokument des Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD) vom 19. Januar 2017 (Anfragebeantwortung zu Libyen: Palästinenser: Anzahl und Verteilung …"). Sind die Erkenntnismittel damit nicht – jedenfalls nicht in rechtserheblicher Weise – mängelbehaftet, geht die Annahme des Klägers, ihre mangelhafte Bezeichnung stehe ihrem vollständigen Fehlen gleich, ins Leere. Schon deshalb kann sich der Kläger hier auch nicht mit Erfolg auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 982/00 -, juris, berufen. Auch sonst liegt der zuletzt genannten Entscheidung ein wesentlich anderer Sachverhalt zugrunde: Denn dort war das Urteil (u. a. wegen des Verzichts des Klägers) ohne mündliche Verhandlung aufgrund einer Auskunft des Auswärtigen Amtes (betreffend die medizinische Versorgung in Togo) ergangen, welche jedenfalls in Teilen der allgemeinen ‑ nicht in das Verfahren eingeführten - Auskunftslage, auf die das Verwaltungsgericht abgestellt hatte, nicht entsprach. Hier hingegen ist der Kläger mit der Ladung zum Erörterungstermin auf die Erkenntnismittelliste Libyen hingewiesen worden, in der die Erkenntnismittel entweder hinreichend bezeichnet oder mindestens bestimmbar sind. Dies gilt umso mehr, als im Eingangstext der Erkenntnismittelliste darauf hingewiesen wird, dass die genannten Erkenntnisse auf der Serviceeinheit der zuständigen Kammer eingesehen werden können. In diese Lageberichte, Auskünfte usw. hätte der anwaltlich vertretene Kläger damit problemlos vor, während oder zeitnah nach dem Erörterungstermin Einsicht nehmen und dabei etwa vorhandene Unklarheiten benennen oder selbst klären können. Dies gilt hier umso mehr, als er hier in dem eineinhalbstündigen Erörterungstermin am 6. März 2019 im Beisein seines Prozessbevollmächtigten Gelegenheit zur Darstellung seiner Verfolgungsgründe hatte, hierbei auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 29. März 2018 - AN 10.K 16. 32482 - hinweisen konnte und (erst) im Anschluss daran sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärte. Dies dürfte im Übrigen auch zu einem Rügeverlust geführt haben.
11Vgl. hierzu auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21. Mai 2019 - 2 L 356/16 -, juris Rn. 7
12Unabhängig von Vorstehendem ist nicht im Sinne der oben genannten Grundsätze vorgetragen oder sonst ersichtlich, was der Kläger bei - aus seiner Sicht ordnungsgemäßer - Einführung der Erkenntnismittel weiter vorgetragen hätte.
13Soweit der Kläger vorträgt, "die gesamte Sachverhaltsfeststellung des Gerichts zur Gefährdungslage des palästinensischen Klägers in Libyen" verstoße gegen das rechtliche Gehör, ist diese Frage der Beweiswürdigung bzw. der Bewertung der Erkenntnismittel regelmäßig dem sachlichen Recht zuzurechnen. Mit Angriffen gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann deshalb der Verfahrensmangel eines Gehörsverstoßes regelmäßig - und so auch hier - nicht begründet werden.
14Vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 2. November 1995 - 9 B 710.94 -, juris Rn. 5, und vom 8. Februar 2011 - 10 B 1.11 -, juris Rn. 3.
15Unbeschadet dessen trifft dieser Vorwurf auch in der Sache nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr anhand der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse eine Gesamtwürdigung der Glaubhaftigkeit des vorgebrachten Verfolgungsschicksals angestellt (UA S. 14 ff.). Dass mit Blick auf die aufgeworfene Frage ein Verfahrensverstoß ausnahmsweise in Betracht käme, weil die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts objektiv willkürlich ist, gegen Denkgesetze verstößt oder die allgemeinen Erfahrungsgesetze missachtet,
16vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 12. März 2014 - 5 B 48.13 -, NVwZ – RR 2014, 660 = juris Rn. 22, m. w. N.,
17etwa weil es zu sinnwidrigen Anforderungen an die Schilderung des Klägers gelangt wäre, behauptet auch der Kläger nicht.
18Auch im Übrigen erschließt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht in dem etwa eineinhalbstündigen Erörterungstermin den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt hätte bzw. hier eine Überraschungsentscheidung vorliegen könnte. Das Recht auf rechtliches Gehör begründet keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf sei-ne Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung bzw. – wie hier – im Zeitpunkt der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im zeitnahen Anschluss an der Erörterungstermin ergibt. Eine gerichtliche Hinweispflicht ‒ zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung ‒ besteht nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht,
19vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18.Dezember 2017 ‑ 6 B 52.17 - , juris Rn. 6, und vom 29. Januar 2010 - 5 B 21.09 - u. a. , juris Rn. 18, m. w. N.,
20wofür hier nichts ersichtlich ist.
21b) Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich auch nicht, dass das Verwaltungsgericht die zur Begründung des Asylbegehrens vorgetragenen Gründe nicht erwogen und unter diesen Aspekt dem Kläger das rechtliche Gehör versagt hätte. Die in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung des Klägers, das Verwaltungsgericht habe die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 29. März 2018 – AN 10 K 16.32482 – (juris) "in den Entscheidungsgründen weder erwähnt noch sonst berücksichtigt oder gar sich damit auseinandergesetzt", ist bereits in tatsä;chlicher Hinsicht unzutreffend. Vielmehr ist dieses Urteil – neben anderen – mehrfach (z.B. auf S. 16 sowie 25/26 UA) erwähnt. Dass sich das Verwaltungsgericht nicht im Einzelnen mit diesem Urteil auseinandergesetzt hat, war nach den oben genannten Grundsätzen nicht erforderlich. Dass der Kläger im Erörterungstermin auf die genannte Entscheidung hingewiesen hatte, ändert hieran nichts. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht Ansbach tragend darauf abgestellt, dass es sich bei den dortigen Klägern um eine Familie mit (kleinen) Kindern und es sich bei dem dortigen Kläger zu 1. um einen deutlich hellhäutigen Palästinenser mit blonder Haarfarbe handelte, der in Libyen ohne weiteres als Fremder erkennbar wäre (dort Rn. 37). Warum der Kläger in einer vergleichbare Lage sein sollte, erläutert die Zulassungsbegründung nicht weiter.
22c) Die Berufung ist auch nicht gemäß § 78 Abs.3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers, mangels wirksamer Bekanntgabe des Einzelrichterübertragungsbeschlusses an ihn sei das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, lässt das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht hervortreten. Denn mit Beschluss vom 17. Oktober 2018 hatte die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Aachen dem Kläger nicht nur Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt M. 60; bewilligt, sondern im zweiten Absatz des Beschlusstenors auch die Entscheidung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter übertragen. Dass der Kläger den Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht erhalten hätte, obwohl der ihm beigeordnete Rechtsanwalt den Erörterungstermin am 6. März 2019 wahrgenommen hat, behauptet er nicht und dies ist auch sonst nicht ersichtlich. Der Beschluss wurde nach Aktenlage seinem Prozessbevollmächtigten am 19. Oktober 2018 übermittelt. Dann muss ihm aber auch die Übertragung auf den Einzelrichter bekannt gegeben worden sein. Die von dem Kläger in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 11. April 2016 – 11 S 393/16 –, juris) ist schon deswegen nicht einschlägig.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 83 b AsylG.
24Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
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