Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 B 581/20.NE
Tenor
Die Satzung über die Anordnung einer Veränderungssperre für den Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplanes Nr. 6/11 „Naherholungsgebiet G. I. “ der Stadt I1. vom 8. April 2020 wird bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag im Verfahren 2 D 50/20.NE außer Vollzug gesetzt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 20.000,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der Antrag der Antragstellerin,
3die Veränderungssperre der Antragsgegnerin für die Grundstücke im Plangebiet des Bebauungsplanes Nr. 6/11 „Naherholungsgebiet G. I. “ vom 1. April 2020, amtliche Bekanntmachung vom 8. April 2020, durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über ihren Normenkontrollantrag außer Vollzug zu setzen,
4hat Erfolg.
5Die Antragstellerin ist nach eigenen, unwidersprochen gebliebenen Angaben Eigentümerin von Grundflächen im Geltungsbereich der Veränderungssperre und betreibt dort einen Windpark. Zudem hat sie verschiedene Anträge auf Errichtung von Windenergieanlagen gestellt, die sich zum Teil bereits im Klageverfahren (etwa OVG NRW - 8 A 765/18 - und VG Minden - 11 K 647/20, 11 K 652 – 655/20 -) oder noch im Genehmigungsverfahren beim Kreis I1. befinden. Zweifel an ihrer Antragsbefugnis bestehen damit nicht, zumal vorgenannte Genehmigungsverfahren ausweislich der einschlägigen Sitzungsvorlagen zumindest Anlass für die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 6/11 und den Erlass der Veränderungssperre waren (vgl. etwa Beiakte 1 S. 51 f. und S. 107 f.).
6Der Antrag ist auch begründet.
7Das Normenkontrollgericht kann gemäß § 47 Abs. 6 VwGO eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
8Der Begriff „schwerer Nachteil“ stellt an die Aussetzung des Vollzugs einer (untergesetzlichen) Norm erheblich strengere Anforderungen als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einstweiliger Anordnungen stellt. Eine Außervollzugsetzung ist nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen gerechtfertigt, die durch Umstände gekennzeichnet sind, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabweisbar erscheinen lassen.
9Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 1998 - 4 VR 2.98 -, NVwZ 1998, S. 1065 = juris Rn. 3; OVG NRW, Beschlüsse vom 14. Juni 2012 - 2 B 379/12.NE -, juris Rn. 8 und vom 10. April 2015- 2 B 177/15.NE -, beide m. w. N.
10Der bloße Vollzug eines Bebauungsplans stellt noch keinen schweren Nachteil in diesem Sinne dar. Ein schwerer Nachteil, der die Außervollzugsetzung eines Bebauungsplans nach § 47 Abs. 6 VwGO rechtfertigt, ist - regelmäßig, so auch hier - nur dann zu bejahen, wenn die Verwirklichung des angegriffenen Bebauungsplans in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht eine schwerwiegende Beeinträchtigung rechtlich geschützter Positionen des jeweiligen Antragstellers konkret erwarten lässt.
11Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Juni 2012
12- 2 B 379/12.NE -, juris Rn. 10 m. w. N. zur Rechtsprechung der weiteren Bausenate des OVG NRW.
13Für die Außervollzugsetzung einer Veränderungssperre gilt dieser strenge Maßstab gleichermaßen. Dass die Veränderungssperre die Baugenehmigungsbehörde daran hindert, eine beantragte Baugenehmigung bzw. einen Bauvorbescheid zu erteilen, ist die regelmäßige gesetzliche Folge dieses Instruments der Planungssicherung.
14Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Februar 2017 ‑ 2 B 994/16.NE -, NVwZ-RR 2017, 757 = juris, vom 18. Mai 2016 – 2 B 282/16.NE -, juris, und vom 23. Juni 2014 - 2 B 418/14.NE -, juris; OVG Saarl., Beschluss vom 25. Oktober 2012 - 2 B 217/12 -, juris Rn. 22.
15„Aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten“ sein kann die Außervollzugsetzung einer Veränderungssperre, wenn diese sich bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als bereits im jetzigen Verfahrensstadium offensichtlich rechtsfehlerhaft erweist und demgemäß von einem Erfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren auszugehen ist. Da § 47 Abs. 6 VwGO einstweiligen Rechtsschutz jedoch grundsätzlich nur im individuellen Interesse des jeweiligen Antragstellers gewährt, setzt die Außervollzugsetzung eines offensichtlich unwirksamen Bebauungsplans bzw. einer offensichtlich rechtswidrigen Veränderungssperre weiter voraus, dass die Umsetzung den jeweiligen Antragsteller - unterhalb der Schwelle des schweren Nachteils - konkret so beeinträchtigt, dass die einstweilige Anordnung jedenfalls dringend geboten ist.
16Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Juli 2015
17‑ 10 B 530/15.NE -, vom 10. Februar 2015 - 2 B 1323/14.NE -, juris Rn. 42 und vom 1. Juli 2013
18- 2 B 599/13.NE -, juris Rn. 39, beide m. w. N.
19Gemessen an diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Außervollzugsetzung der angegriffenen Veränderungssperre vor; sie ist jedenfalls „aus anderen Gründen dringend geboten“.
20Die Veränderungssperre zum Bebauungsplan Nr. 6/11 der Antragsgegnerin erweist sich bereits bei der hier nur möglichen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig. Sie leidet an offensichtlichen und durchgreifenden formellen Mängeln, insbesondere lagen und liegen aber die materiellen Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre nach § 14 BauGB offensichtlich nicht vor.
211. Die angegriffene Veränderungssperre ist bereits aus formellen Gründen unwirksam. Es fehlt jedenfalls an einer ordnungsgemäßen Ausfertigung des Satzungsbeschlusses im Wege der Dringlichkeitsentscheidung vom 1. April 2020. In den übersandten Aufstellungsvorgängen findet sich lediglich eine Bekanntmachungsordnung, in der bestätigt wird, dass „der Inhalt der Bekanntmachung mit der dringlichen Entscheidung vom 26. März 2020 übereinstimmt“. Eine solche Dringlichkeitsentscheidung wiederum findet sich in den vorliegenden Akten nicht. Eine Bestätigung, dass die Satzung dem Dringlichkeitsbeschluss vom 1. April 2020 entspricht, fehlt demgegenüber.
22Unabhängig davon bezieht sich die genannte Bekanntmachungsanordnung vom 8. April 2020 lediglich auf den eigentlichen Satzungstext (S. 111 f. der Aufstellungsvorgänge bzw. hinterste, nicht paginierte Heftung). Nicht ausgefertigt sind hingegen die Anlagen 1 und 2 (Blatt 114 bis 140 der Aufstellungsvorgänge), aus denen sich der räumliche Geltungsbereich der Satzung allein ergibt. Der erforderliche Zugehörigkeits- und Ausfertigungsvermerk findet sich weder auf dem Auszug aus der Deutschen Grundkarte (Anlage 1) noch auf der Tabelle der mehr als 1.500 Grundstücke, für die die Veränderungssperre zum Bebauungsplan Nr. 6/11 gelten soll (Anlage 2, Umfang 26 Seiten), obwohl diese nach § 1 Abs. 3 der Satzung zu ihrem Bestandteil erklärt worden sind. Einer entsprechenden eindeutigen Zuordnung hätte es jedoch schon deshalb bedurft, weil zumindest die Anlage 2 im Laufe des Aufstellungsverfahrens offenbar Änderungen erfahren hat. In der Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Planung und Umweltschutz vom 26. Februar 2020 (S. 99 der Beiakte 1) findet sich der ausdrückliche Hinweis darauf, dass die Liste der Flurstücke, die zum Geltungsbereich der Satzung gehören, überarbeitet und als Tischvorlage verteilt wurde. Vor diesem Hintergrund hätte die Ausfertigung und Bekanntmachungsanordnung zumindest auch die „korrekte“ Tabelle der mehr als 1.500 von der Veränderungssperre und vom Bebauungsplan erfassten Flur- bzw. Grundstücke umfassen müssen.
23Angesichts dessen kann dahinstehen, ob die Veränderungssperre auch deshalb unwirksam sein könnte, weil sich den Aufstellungsvorgängen nicht entnehmen lässt, dass die Dringlichkeitsentscheidung über ihren Erlass tatsächlich erst nach dem (Dringlichkeits-)Beschluss über die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 6/11 getroffen wurde.
24Zur notwendigen zeitlichen Reihenfolge vgl. nur OVG NRW, Urteil vom 8. Mai 2018 - 2 D 44/17.NE -, BauR 2019, 210 = juris Rn. 27 ff., m. w. N.
25Den übersandten Aufstellungsvorgängen lässt sich nur entnehmen, dass beide Beschlüsse am 1. April 2020 gefasst worden sein sollen, nicht jedoch die zeitliche Abfolge der Beschlussfassung. Eine „Tagesordnung“, wie sie für Ratssitzungen vorgesehen ist, hat es für die vom Bürgermeister und einem Ratsmitglied bzw. dem Ausschussvorsitzenden oder einem Ausschussmitglied getroffenen Dringlichkeitsentscheidungen nach § 61 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GO NRW offenbar nicht gegeben. Zumindest Zweifel weckt insoweit der Umstand, dass nach Ausfertigung und Bekanntmachungsanordnung die Satzung über die Veränderungssperre bereits am 26. März 2020 beschlossen worden sein soll.
262. Unabhängig davon ist die Veränderungssperre auch materiell rechtswidrig. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre nach § 14 BauGB lagen zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses (wohl) am 1. April 2020 nicht vor.
27Nach § 14 BauGB kann die Gemeinde, wenn ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans (wirksam) gefasst ist, zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre mit dem Inhalt beschließen, dass Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB nicht durchgeführt oder bauliche Anlagen nicht beseitigt werden dürfen.
28Eine Veränderungssperre kann nur verhängt werden, wenn die Planung einen Stand erreicht hat, der ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll. Hierzu gehören regelmäßig insbesondere konkretisierte Vorstellungen zur angestrebten Art der zulässigen baulichen Nutzungen. Nur dann kann die Veränderungssperre ihren Sinn erfüllen, vorhandene planerische Ziele zu sichern und deren weitere Entwicklung zu ermöglichen. Unzulässig ist eine Veränderungssperre hingegen, wenn zur Zeit ihres Erlasses der Inhalt der beabsichtigten Planung noch in keiner Weise abzusehen ist. Demgemäß muss im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre über den bloßen Aufstellungsbeschluss hinaus auch eine hinreichende Konkretisierung der Planungsabsichten vorliegen, die insbesondere eine Entscheidung über Ausnahmen nach § 14 Abs. 2 BauGB rechtssicher und vorhersehbar ermöglicht. Der der Veränderungssperre zugrunde liegende Beschluss, einen Bebauungsplan aufzustellen, muss über den Inhalt der angestrebten Planung aber keinen abschließenden Aufschluss geben. Eine strikte Akzessorietät zwischen konkreten Planungsabsichten der Gemeinde und der Rechtmäßigkeit der Veränderungssperre besteht nicht. Es ist gerade deren Sinn, vorhandene planerische Ziele zu sichern und deren weitere Entwicklung zu ermöglichen. Wesentlich ist aber, dass die Gemeinde bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hat. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht grundsätzlich nicht aus.
29Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Oktober 2010 - 4 BN 26.10 -, BRS 76 Nr. 108 = juris Rn. 6, und vom 1. Oktober 2009 - 4 BN 34.09 -, NVwZ 2010, 42 = juris Rn. 9, Urteil vom 19. Februar 2004 ‑ BVerwG 4 CN 16.03 - BVerwGE 120, 138 = juris Rn. 28, Beschlüsse vom 30. September 1992 ‑ 4 NB 35.92 -, BRS 54 Nr. 72 = juris Rn. 6, und vom 9. August 1991 - 4 B 135.91 -, juris Rn. 3; OVG NRW, Urteile vom 11. April 2016 ‑ 2 D 30/15.NE - juris, und vom 26. Februar 2009 ‑ 10 D 40/07.NE -, juris Rn. 44 ff., sowie Beschluss vom 16. März 2012 - 2 B 202/12 -, BRS 79 Nr. 119 = juris Rn. 14.
30Dabei gilt der Grundsatz, dass eine eine Veränderungssperre hinreichend tragende Planung regelmäßig erst dann den erforderlichen Konkretisierungsgehalt hat, wenn der Plangeber sie auf einen bestimmten Gebietstyp ausgerichtet hat.
31Vgl. OVG NRW, Urteil vom 8. Mai 2018 - 2 D 44/17.NE -, BRS 86 Nr. 48 = juris Rn. 44; Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB-Kommentar, 13. Auflage 2016, § 14 Rn. 9.
32Zielt der Bebauungsplan nicht auf die Festsetzung eines bestimmten Gebietstyps nach der Baunutzungsverordnung, sondern soll er sich auf sonstige Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB beschränken, ist ein hinreichender Konkretisierungsgrad mit Blick auf § 14 Abs. 2 BauGB erst dann erreicht, wenn sich den Planungsvorstellungen ein hinreichend konkreter Gebietsbezug dergestalt entnehmen lässt, für welche Teile des Plangebietes welche dieser Festsetzungen in Betracht gezogen wird. Nimmt der Plangeber im Wesentlichen Festsetzungen in den Blick, die eine bauliche Nutzung weitgehend ausschließen (etwa nach § 9 Abs. 1 Nr. 10, 15, 18, 20, 24 und 25 BauGB), bedarf es zudem der Feststellung, dass solche Festsetzungen, die für eine – wie hier ausgedehnte – Außenbereichsfläche von vornherein fast ohne positive Bedeutung sind, im konkreten Fall gleichwohl städtebaulich erforderlich sind und das mit ihnen verbundene weitgehende Verbot einer nicht in dem zugleich festgesetzten bzw. hier noch geplanten Sinne qualifizierten Bebauung (nur) eine legitime Nebenwirkung ist, die voraussetzt, dass die Festsetzung auch in ihrer eigentlichen und gleichsam positiven Zielsetzung – hier und heute – gewollt und erforderlich ist. Wo die Nebenwirkung indes zum eigentlichen Zweck wird und allenfalls sie es ist, die gewünscht wird und „erforderlich“ sein könnte, scheiden etwa § 9 Abs. 1 Nr. 10, 18 BauGB als geeignete Grundlagen aus.
33Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2019 - 2 D 39/18.NE -, BauR 2020, 80 = juris Rn. 35 f.
34Gemessen an diesen Maßstäben fehlt es vorliegend offensichtlich an einer durch eine Veränderungssperre sicherungsfähigen legitimen bauleitplanerischen Vorstellung der Antragsgegnerin. Ausweislich der Sitzungsvorlage Nr. 2020/51/0031 dient das Bebauungsplanaufstellungsverfahren dem Ziel, eine Schwerpunktzone für Naherholung, Freizeitnutzung und Fremdenverkehr zu entwickeln. Mit der Erholungsnutzung konkurrierten insbesondere die Siedlungsentwicklung (Ausweisung von Wohn- und Gewerbeflächen) und die Verkehrsentwicklung (Schaffung neuer Verkehrstrassen). Darüber hinaus werde die freie Landschaft von Vorhaben beansprucht, die aufgrund ihrer Eigenschaften auf den Außenbereich angewiesen seien. Dazu gehörten in erster Linie landwirtschaftliche Anlagen und Einrichtungen zur Energiegewinnung (Solaranlagen, Biogasanlagen, Windenergieanlagen). Die freie Landschaft werde durch diese Ansprüche weiter beschnitten und ihre Erholungsnutzung gemindert. Die Antragsgegnerin halte es angesichts dessen für geboten, bestimmte Bereiche des Stadtgebietes für die Erholung zu sichern und zu entwickeln. Das Gebiet um die Ortschaften C. und G1. sei für eine Erholungsnutzung grundsätzlich gut geeignet und solle daher entsprechend überplant werden. Mit der Aufstellung eines Bebauungsplanes sollten auch Regelungen getroffen werden, um das Nebeneinander von Erholungsnutzungen und anderen Raumansprüchen verträglich zu regeln. Ohne planerische Steuerung sei nicht auszuschließen, dass bauplanungsrechtlich privilegierte Nutzungen die vorhandene offene Landschaft überprägten und für eine Erholungsnutzung wertlos machten. Im Bebauungsplan sollten daher auch Nutzungsregelungen für künftige Vorhaben und bestehende bauliche Nutzungen festgelegt werden. In diesem Zuge könnte differenziert auch auf die Entwicklungspotenziale bislang privilegierter baulicher Nutzungen eingegangen werden. In bestehende Nutzungen solle grundsätzlich nicht eingegriffen werden. Die Möglichkeiten einer erweiterten Bestandsabsicherung seien im Planverfahren zu prüfen. Zugleich sollten geeignete Flächen für notwendige bauliche Nutzungen identifiziert und planerisch gesichert werden, um unter anderem Investitionssicherheit zu erreichen. Ansätze für eine Erholungsnutzung seien im Plangebiet bereits vorhanden. Zum weiteren Ausbau der Erholungsnutzung sei vorgesehen, landschaftsgebundene und landschaftsangepasste Erholungs- und Freizeiteinrichtungen zu entwickeln. Dazu gehörten insbesondere die Optimierung des Wander- und Spazierwegenetzes, die Einrichtung barrierefreier Wanderwege, Themenwege zum Naturschutz, die Schaffung von Infrastrukturen für den Reitsport, die Einrichtung von Angeboten für den Radsport und andere Trendsportarten sowie Joggingstrecken. Als „differenzierte Festsetzungen“ nach § 9 BauGB seien insbesondere geplant:
35- „Sondergebiete, die der Erholung dienen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, § 10 BauNVO mit differenzierten Zweckbestimmungen
36- Maß der baulichen Nutzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB
37- Bauweise und überbaubare Grundstücksflächen nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB
38- Die Flächen, die von der Bebauung frei zu halten sind, und ihre Nutzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 10 BauGB
39- Verkehrsflächen nach § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB
40- Flächen für die Landwirtschaft nach § 9 Abs. 1 Nr. 18a BauGB
41- Wald nach § 9 Abs. 1 Nr. 18b BauGB
42- Grünflächen nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB
43- Flächen zu Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft nach § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB
44- Flächen zum Erhalt von Bäumen, Sträuchern und sonstigen Bepflanzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 25b BauGB
45- Flächen zur Anpflanzung von Bäumen, Sträuchern und sonstigen Bepflanzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 25a BauGB
46- von Bebauung frei zu haltende Flächen nach § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB
47Darüber hinaus soll das Gebiet großflächig hinsichtlich der Ausstattung mit Elementen, die den Schutz der Natur und das Landschaftsbild begünstigen aufgewertet werden.“ Im Weiteren werden dann verschiedene Bereiche identifiziert, die sich grundsätzlich für Erholungsmöglichkeiten im beschriebenen Sinne eigneten.
48Aus diesen Vorgaben lassen sich nicht ansatzweise konkrete und gebietsbezogene planerische Festsetzungen bzw. Inhalte eines künftigen Bebauungsplanes ableiten. Es bleibt völlig offen, welche Bereiche des mehr als 1.500 Grundstücke umfassenden Plangebietes mit welchen Festsetzungen überplant werden sollen. Selbst die Art möglicher Sondergebiete nach § 10 BauNVO wird in der genannten Vorlage ausdrücklich offengelassen. Der Plangeber geht vielmehr von „differenzierten Zweckbestimmungen“ aus, ohne diese weiter zu spezifizieren. Auch die übrigen ins Auge gefassten Festsetzungen lassen einen sicherungsfähigen Inhalt der Bauleitplanung nicht in Ansätzen erkennen. Letztlich handelt es sich etwa bei der Vorgabe, man wolle das Maß der baulichen Nutzung und die Bauweise festlegen, um Allgemeinplätze, die sich indes mit den weiteren Überlegungen, nicht überbaubare Flächen in weitem Umfang festzusetzen, kaum vereinbaren lassen. Eine rechtssichere Handhabung von Ausnahmemöglichkeiten ist damit gleichfalls nicht zu erkennen. Insoweit genügt schon die Feststellung, dass die Errichtung von Windenergieanlagen, wie sie die Antragstellerin plant, mit einer Vielzahl der angedachten Nutzungen – namentlich etwa der Optimierung von Wanderwegen, der Schaffung von Joggingstrecken o. ä. nicht kollidieren würde.
49Vgl. in diesem Zusammenhang OVG NRW, Beschluss vom 9. Juni 2017 - 8 B 1264/16 -, NWVBl. 2017, 473 = juris Rn. 34 ff.
50Im Übrigen hält sich der Plangeber sogar offen, im Plangebiet auch „geeignete Flächen für notwendige bauliche Nutzungen zu identifizieren und zu sichern“. Dies zeigt zum einen, dass auch die Ausweisung von Baugebieten jenseits von Erholungsnutzungen vom Plangeber beabsichtigt ist, zum anderen aber insbesondere, dass eine Bewertung des Plangebietes noch nicht einmal in Ansätzen erfolgt ist – also hinsichtlich der festzusetzenden Nutzungen tatsächlich noch alles offen ist.
51Hinzu kommt, dass die allgemeinen Vorstellungen zur Entwicklung des Plangebietes (insbesondere die Optimierung von Wanderwegen und die Schaffung von Infrastruktur für diverse Freizeitnutzungen wie Reiten, Radfahren u. ä.) entweder einer Regelung durch Bebauungsplan kaum zugänglich oder jedenfalls hierauf nicht angewiesen sind. Solches wäre auch im Außenbereich – wie bisher - ohne Weiteres möglich. Gleiches gilt für die angesprochenen Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 10, 18, 15, 20, 24 und 25 BauGB. Welche positive Planüberlegungen sich hierhinter verbergen könnten, erschließt sich – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des jedenfalls für weite Teile des Plangebietes nach Aktenlage bestehenden Landschaftsschutzes - nicht und wird vom Plangeber auch nicht weiter ausgeführt.
52Vgl. in diesem Zusammenhang auch OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2019 - 2 D 39/18.NE -, BauR 2020, 80 = juris Rn. 35 f.
53Die zur Begründung der Bebauungsplanaufstellung entwickelten Gedanken sind damit bestenfalls taugliche Grundlage für die Entwicklung eines städtebaulichen Konzeptes, auf dessen Grundlage dann ggf. Bebauungspläne entwickelt werden könnten, nicht aber für eine hinreichend konkrete und damit durch Veränderungssperre sicherungsfähige Bauleitplanung. Bezeichnenderweise wurde seitens der Antragsgegnerin in der Beratung des Ausschusses für Planung und Umwelt vom 26. Februar 2020 auf Nachfrage ausdrücklich mitgeteilt, „dass der vorgelegte Vorentwurf nur einen Geltungsbereich mit allgemeinen Zielvorstellungen enthält, konkrete Planinhalte mit einer Zuordnung zu einzelnen Flurstücken existieren zu diesem frühen Zeitpunkt des Verfahrens noch nicht. Daher kann auch derzeit noch keine Befangenheit festgestellt werden.“ Dem ist letztlich nichts hinzuzufügen.
54Vor diesem Hintergrund mag dahinstehen, ob es sich ‑ wie die Antragstellerin meint ‑ vorliegend um eine reine Verhinderungsplanung handelt, die auch bzw. schon deswegen nicht städtebaulich erforderlich und damit auch nicht sicherungsfähig ist. Eine endgültige Beurteilung ist insoweit allerdings gerade kaum möglich, weil sich ‑ wie gesagt - konkretisierte bauleitplanerische Vorstellungen zur Nutzung des (über-) großen Plangebietes sich nicht feststellen lassen. Allerdings sprechen die Genese des Planungsverfahrens und die von der Antragsgegnerin selbst gezogene Verbindung zur ruhend gestellten Konzentrationszonenplanung sowie die Größe des Plangebietes und der Umstand, dass eine einheitliche Nutzung dieses Gebietes selbst nach den Vorstellungen der Antragsgegnerin nicht in Rede steht, für die Richtigkeit dieser Annahme der Antragstellerin. Dabei verkennt der Senat nicht, dass eine Gemeinde mit den Mitteln, die insbesondere das Baugesetzbuch und die Baunutzungsverordnung zur Verfügung stellen ‑ und unter Beachtung ihrer Grenzen - grundsätzlich auch städtebauliche Ziele verfolgen darf, die mehr auf Bewahrung als auf Veränderung der vorhandenen Situation zielen. Insofern kommt es indes darauf an, ob eine bestimmte Planung - auch wenn sie durch den Wunsch, ein konkretes Vorhaben zu verhindern, ausgelöst worden ist - für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB ist.
55Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2019 - 2 D 39/18.NE -, BauR 2020, 80 = juris Rn. 31 ff.
56Gerade bei Festsetzungen von Nutzungen, die im ohne den Bebauungsplan anzunehmenden Außenbereich ohnehin möglich wäre, stellt sich die Frage der Erforderlichkeit planerischer Festsetzungen mit besonderer Dringlichkeit.
57Vgl. wiederum OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2019 ‑ 2 D 39/18.NE -, BauR 2020, 80 = juris Rn. 35 f.
58Im vorliegenden Zusammenhang kommt zudem dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass der Gesetzgeber für das Anliegen der Steuerung im Außenbereich privilegierter Nutzungen das Instrument der Konzentrationszonenplanung vorsieht, das jedenfalls nicht durch eine von dessen Anforderungen losgelöste weiträumige formale Überplanung des Außenbereichs durch Bebauungspläne konterkariert werden darf. Dass die Antragsgegnerin hier auf diese Weise vorgegangen ist, liegt indes zumindest nahe.
59Angesichts der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Veränderungssperre ist die begehrte Aussetzung zur Vermeidung von Beeinträchtigungen der Antragstellerin unterhalb der Schwelle des schweren Nachteils dringend geboten. Die Antragstellerin hat nach eigenen Angaben mindestens fünf immissionsschutzrechtliche Genehmigungsanträge beim zuständigen Kreis I1. gestellt, die bei Vollziehbarkeit der Veränderungssperre voraussichtlich abzulehnen sein werden. Zudem laufen noch mindestens sechs gerichtliche Verfahren. Ohne die begehrte Außervollzugsetzung der ohne zeitliche Beschränkung beschlossenen Veränderungssperre verlöre sie so die nach Lage der Dinge ohne die Veränderungssperre offenbar selbst nach Einschätzung der Antragsgegnerin bestehende Möglichkeit, eine positive Entscheidung über ihre immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsanträge zu erwirken, mithin insgesamt über einen Zeitraum von deutlich mehr als drei Monaten, der nach § 42a VwVfG grundsätzlich als ausreichend für eine ordnungsgemäße Sachbearbeitung durch eine Verwaltungsbehörde angesehen wird bzw. nach deren Ablauf eine Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig ist. Diese im konkreten Fall auch eigentumsrechtlich verfestigte (Verfahrens-)Position würde die Antragstellerin ohne den Erlass der begehrten Anordnung unwiderruflich verlieren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich die von ihr betriebenen Genehmigungsverfahren teilweise seit dem Jahre 2012 hinziehen.
60Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
61Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 8b und 14a des Streitwertkatalogs der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Januar 2019 (Baurecht 2019, 610 f.).
62Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.
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