Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 13 B 468/20
Tenor
Die Anhörungsrüge der Antragstellerin gegen den Beschluss des Senats vom 30. März 2020 – 13 B 1696/19 – wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.
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G r ü n d e :
21. Die Anhörungsrüge der Antragstellerin gegen die vorläufigen Rechtsschutz versagende Beschwerdeentscheidung vom 30. März 2020 – 13 B 1696/19 – hat keinen Erfolg. Die Antragstellerin zeigt nicht auf, dass der Senat mit dem beanstandeten Beschluss ihren Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
3Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Grundsätzlich ist dabei allerdings davon auszugehen, dass die Gerichte dieser Pflicht nachgekommen sind. Die Gerichte sind auch nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Es ist daher verfehlt, aus der Nichterwähnung einzelner Begründungsteile des Vorbringens in den gerichtlichen Entscheidungsgründen zu schließen, ein Gericht habe sich nicht mit den darin enthaltenen Argumenten befasst. Vielmehr sind in der Entscheidung nur diejenigen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Die Gerichte können sich auf die Darstellung und Würdigung derjenigen rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach ihrem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt. Geht ein Gericht auf einzelne Teile des Vorbringens nicht ein, dokumentiert es damit in der Regel zugleich, dass es sie für rechtlich irrelevant hält. Der Anspruch auf rechtliches Gehör vermittelt auch keinen Schutz davor, dass ein Gericht den Vortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte insbesondere nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen.
4Vgl. zuletzt etwa BVerwG, Beschluss vom 16. April 2020 – 5 B 15.20 D –, juris, Rn. 6, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
5Von diesen Grundsätzen ausgehend ist ein entscheidungserheblicher Anhörungsmangel nicht aufgezeigt.
6a) Soweit die Antragstellerin vorträgt, der Senat habe ihr nicht die Möglichkeit einer abschließenden Stellungnahme eingeräumt, weshalb sie nicht habe vortragen können, dass es am 12. März 2020 zu einer Einigung der Bundesländer auf den Entwurf eines Staatsvertrags zur Neuregelung des Glücksspielwesens gekommen sei, der eine Legalisierung der Internet Casino- und Pokerspiele vorsehe, legt sie damit keinen Gehörsverstoß dar. Der Senat ist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen des Beschwerdeverfahrens auf die Prüfung der vom Beschwerdeführer innerhalb der Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe beschränkt. Sofern ein Umstand – wie hier die Einigung der Ministerpräsidenten auf den Entwurf eines Staatsvertrags zur Neuregelung des Glücksspielwesens – nicht innerhalb der Begründungsfrist zum Beschwerdevorbringen gemacht wird, bleibt er grundsätzlich außer Betracht. Selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin davon ausginge, dass sie – weil es sich um einen erst nach Ablauf der Begründungsfrist eingetretenen neuen Umstand handelte – diesen auch noch nachträglich mit Aussicht auf Erfolg hätte vortragen können,
7vgl. hierzu etwa OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Oktober 2015 – 2 M 13/15 –, juris, Rn. 6 m. w. N., VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Januar 2006 – 6 S 1860/05 –, juris, Rn. 3; a. A. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Mai 2016 – OVG 2 S 8.16 –, juris, Rn. 14 f.; Bader, VBlBW 2002, 471, 474: nur Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO statthaft; zum Streitstand siehe auch Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 81 ff.,
8folgte hieraus schon deshalb kein Gehörsverstoß, weil eine Nichtberücksichtigung dieses Umstandes nicht auf der Verfahrensführung des Senats, sondern allein auf einer Verletzung der der Antragstellerin bzw. ihren Prozessbevollmächtigten obliegenden Sorgfaltspflichten beruhte. Die Antragstellerin wäre nämlich in diesem Fall aufgrund ihrer aus § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO folgenden – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sogar noch gesteigerten – prozessualen Mitwirkungspflichten,
9vgl. zur Mitwirkungspflicht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO Rixen, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 86 Rn. 58; Breunig, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 54. Aufl. 2020, § 86 Rn. 11; allgemein zur prozessualen Mitwirkungspflicht BVerwG, Urteil vom 27. September 2006 – 3 C 34.05 –, juris, Rn. 25,
10gehalten gewesen, einen ihrer Ansicht nach entscheidungserheblichen neuen Umstand unverzüglich vorzutragen, weil sie aus der Sicht eines kundigen und gewissenhaften Prozessbeteiligten in Ermangelung anderslautender ausdrücklicher Erklärungen des Senats nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist jederzeit mit einer Entscheidung in der Sache hätte rechnen müssen. Soweit das Anhörungsrügevorbringen der Antragstellerin in diesem Zusammenhang dahingehend zu verstehen sein sollte, dass sie auf die Zustellung einer Beschwerdeerwiderung vertraut und erst in einer sodann beabsichtigten Replik auf den neuen Umstand habe hinweisen wollen, wäre ein derartiges Vertrauen nicht schutzwürdig. Der anwaltlich vertretenen Antragstellerin hätten Inhalt und Umfang der ihr obliegenden prozessualen Mitwirkungspflichten bekannt sein müssen.
11Im Übrigen hat der Senat ausweislich der Begründung des beanstandeten Beschlusses die im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt bestehenden Bemühungen und Diskussionen um eine etwaige künftige Neuregelung zu Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt. Hierzu hat der Senat im Einzelnen festgehalten, dass aus seiner Sicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht feststehe, dass es künftig eine Lockerung für Online-Casinospiele geben könnte. Allerdings belegten die Diskussionen über den richtigen Umgang mit dieser Glücksspielsparte und die daran anknüpfenden Studienaufträge, dass der Gesetzgeber der vom Europäischen Gerichtshof postulierten dynamischen Nachweispflicht gerecht werde (BA, S. 14). Mit ihrem Hinweis auf die am 12. März 2020 erzielte Einigung der Ministerpräsidenten stellt die Antragstellerin diesen Befund nicht in Frage. Es handelt sich insoweit allein um eine vorläufige Einigung auf politischer Ebene. Der Entwurf muss zunächst noch das Notifizierungsverfahren bei der Europäischen Kommission durchlaufen und durch die Landesparlamente ratifiziert werden. Dass und in welcher Form der Staatsvertrag tatsächlich – wie von den Ministerpräsidenten ins Auge gefasst – zum 1. Juli 2021 in Kraft treten wird, steht daher auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt keineswegs fest.
12b) Auch soweit die Antragstellerin behauptet, der Senat habe hinsichtlich der von ihr geforderten Vorlage der Vollzugsleitlinien, hinsichtlich des Sachstands der Verhandlungen über den Staatsvertrag zur Neuregelung des Glücksspielwesens, der Verlängerung der Online-Casino-Lizenzen in Schleswig-Holstein sowie durch das Unterlassen der Anforderung von Beweisen zum Vorgehen des Antragsgegners gegen andere Anbieter von Online-Casinos gegen seine Pflicht zur Amtsermittlung verstoßen, legt sie keinen Gehörsverstoß dar. Ein (etwaiger) Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht stellt keinen – im Rahmen des § 152a VwGO allein berücksichtigungsfähigen – Gehörsverstoß dar.
13Vgl. zu § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Dezember 2017 – 13 A 753/17.A –, juris, Rn. 5, vom 28. Juni 2017 – 13 A 1182/17.A –, juris, Rn. 4 und vom 25. März 2013 – 13 A 493/15.A –, juris Rn. 8.
14Vielmehr hat der Senat das Begehren der Antragstellerin nach weiterer Sachverhaltsaufklärung erwogen, aber aus den aus dem beanstandeten Beschluss ersichtlichen Gründen nicht für geboten erachtet.
15c) Der Senat hat der Antragstellerin ferner nicht unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Überraschungsentscheidung das rechtliche Gehör versagt. Aus dem Prozessgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG folgt keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts. Insbesondere muss ein Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt. Ein Hinweis ist zwar erforderlich, wenn ein Beteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu erkennen vermag, auf welchen Vortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Das ist aber nicht der Fall, wenn ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens damit rechnen musste, dass ein rechtlicher Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich sein könnte.
16Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 2016 – 5 P 4.16 –, juris, Rn. 3, m. w. N.
17Verfahrensbeteiligte müssen, auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen.
18Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27. September 2018 – 1 BvR 426/13 –, juris, Rn. 2.
19Gemessen daran liegt eine unzulässige Überraschungsentscheidung nicht vor. Insbesondere war der Senat nicht gehalten, die Antragstellerin vorab auf die beabsichtigte Zurückweisung der Beschwerde hinzuweisen. Es liegt auf der Hand, dass ein kundiger und gewissenhafter Prozessbeteiligter mit dieser Möglichkeit rechnen musste. Anders als die Antragstellerin meint, war sie auch weder vorab zur beabsichtigten Würdigung der Studie von Lischer durch den Senat anzuhören, noch bedurfte es eines vorherigen Hinweises auf die vom Senat vertretene Auffassung zur Ermessensbetätigung des Antragsgegners hinsichtlich der Störerauswahl. Der Senat hat insoweit nicht auf Gesichtspunkte abgestellt, mit deren Entscheidungserheblichkeit die Antragstellerin nicht rechnen musste. Im Hinblick auf die Ermessensbetätigung des Antragsgegners hat der Senat lediglich die tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen der Beteiligten unter Berücksichtigung der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gewürdigt (BA, S. 15-17). Dass es hiernach auf die tatsächliche Verwaltungspraxis des Antragsgegners ankam und insoweit von der Antragstellerin zur Begründung der Beschwerde darzulegen gewesen wäre, dass diese nicht mit der vom Antragsgegner erklärten konsequenten Vorgehensweise gegen Angebote illegalen Glücksspiels im Internet, von denen er Kenntnis erlange, übereinstimmt, musste die Antragstellerin angesichts der oben dargelegten Grundsätze von sich aus in Betracht ziehen.
20d) Soweit die Antragstellerin ihre Anhörungsrüge mit einer angeblichen Verletzung in ihrer durch Art. 12 GG gewährleisteten Berufsfreiheit, einer Verletzung ihrer Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV, einer Missachtung des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts sowie einer Verletzung der gerichtlichen Amtsaufklärungspflicht begründet, kann sie auch damit nicht durchdringen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Anhörungsrüge nur auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, nicht aber auf die Verletzung anderer Verfassungs- und Verfahrensgarantien gestützt werden.
21Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. Oktober 2015 – 9 B 31.15 –, juris, Rn. 15, und vom 20. März 2013 – 7 C 3.13 –, juris, Rn. 4, m. w. N.
22e) Schließlich zeigt die Antragstellerin auch mit ihrem sonstigen Vorbringen keinen Gehörsverstoß auf. Die Antragstellerin behauptet insoweit zwar, dass der Senat entscheidungserheblichen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen und nicht in seine Erwägungen einbezogen habe. In der Sache ist der Anhörungsrüge jedoch mit Blick auf die darin im Wesentlichen enthaltene Wiederholung bzw. nähere Erläuterung des erstinstanzlichen Vortrags sowie des Beschwerdevorbringens lediglich zu entnehmen, dass die Antragstellerin die Rechtsauffassung des Senats weder im Ergebnis noch in der Begründung teilt. Damit macht sie aber keinen Anhörungsmangel geltend, sondern behauptet eine vermeintlich unrichtige rechtliche Bewertung ihres Beschwerdevorbringens durch den Senat, deren Überprüfung jedoch nicht Gegenstand einer Anhörungsrüge sein kann. Die Anhörungsrüge ist kein Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung.
23Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Januar 2019 – 4 B 53.18 –, juris, Rn. 8.
242. Nach alledem kam auch die von der Antragstellerin beantragte Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses gem. § 152a Abs. 6 i. V. m. § 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht in Betracht.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
26Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der vorgesehenen Festgebühr nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG nicht.
27Der Beschluss ist gemäß § 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO unanfechtbar.
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Referenzen
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- VwGO § 146 2x
- VwGO § 80 2x
- § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 138 1x
- VwGO § 149 1x
- VwGO § 154 1x
- § 3 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 13 B 1696/19 2x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 M 13/15 1x
- 6 S 1860/05 1x (nicht zugeordnet)
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- 1 BvR 426/13 1x (nicht zugeordnet)