Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 E 222/21
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 3.3.2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
Gründe:
2Die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet.
3Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Recht abgelehnt. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichenden Aussichten auf Erfolg, § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
4Die zulässige Verpflichtungsklage bleibt in der Sache voraussichtlich erfolglos. Der Kläger verfolgt nicht ausreichend aussichtsreich einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung gemäß § 8 HwO für die Bereiche "Herrenhaarschnitte" und "Bartpflege".
51. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 HwO ist in Ausnahmefällen eine Bewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle (Ausnahmebewilligung) zu erteilen, wenn die zur selbständigen Ausübung des von dem Antragsteller zu betreibenden zulassungspflichtigen Handwerks notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten nachgewiesen sind; dabei sind auch seine bisherigen beruflichen Erfahrungen und Tätigkeiten zu berücksichtigen. Nach Satz 2 der Vorschrift liegt ein Ausnahmefall vor, wenn die Ablegung einer Meisterprüfung zum Zeitpunkt der Antragstellung oder danach für ihn eine unzumutbare Belastung bedeuten würde.
6Dabei sind bei der vom Bundesverfassungsgericht unter dem Blickwinkel der Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 GG geforderten grundrechtsfreundlichen, großzügigen Auslegung und Anwendung der Ausnahmetatbestände Ausnahmefälle im Sinne von § 8 HwO mindestens dann anzunehmen, wenn es eine übermäßige, nicht zumutbare Belastung darstellen würde, einen Berufsbewerber auf den Nachweis seiner fachlichen Befähigung gerade durch Ablegung der Meisterprüfung zu verweisen. Wann das der Fall ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilen.
7Vgl. grundlegend BVerfG, Beschlüsse vom 17.7.1961 ‒ 1 BvL 44/55 ‒, BVerfGE 13, 97 = juris, Rn. 57, und vom 5.12.2005 – 1 BvR 1730/02 –, GewArch 2006, 71 = juris, Rn. 19 ff., 26; BVerwG, Urteil vom 29.8.2001 ‒ 6 C 4.01 ‒, BVerwGE 115, 70 = juris, Rn. 16.
8Die für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nachzuweisenden Kenntnisse und Fertigkeiten im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 HwO müssen in etwa der Befähigung entsprechen, wie sie in einer Meisterprüfung nachgewiesen werden muss; nach den Umständen des Einzelfalls kann dies auch unter Berücksichtigung einer mehrjährigen Berufserfahrung in herausgehobener beruflicher Verantwortung erfolgen.
9Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5.12.2005 – 1 BvR 1730/02 –, GewArch 2006, 71 = juris, Rn. 19 ff., 21; BVerwG, Beschluss vom 14.2.1994 ‒ 1 B 152.93 ‒, NVwZ 1994, 1014 = juris, Rn. 3, unter Hinweis auf Urteil vom 26.1.1962 ‒ VII C 68.59 ‒, BVerwGE 13, 317 = juris, Rn. 17; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 7.11.2003 ‒ 14 S 275/03 ‒, GewArch 2004, 21 = juris, Rn. 25.
10Neben den notwendigen handwerklichen Kenntnissen und Fertigkeiten setzt die Erteilung einer Ausnahmebewilligung deshalb auch den Nachweis des zur ordnungsgemäßen Betriebsführung in eigener Verantwortung erforderlichen fachtheoretischen, betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen und rechtlichen Grundlagenwissens voraus, § 45 Abs. 3 HwO.
11Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.11.2013 – 4 E 880/13 –, juris, Rn. 10 ff., m. w. N.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 7.11.2003 ‒ 14 S 275/03 ‒, GewArch 2004, 21 = juris, Rn. 25.
12Soweit das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2005 mit Blick auf die Veränderung der wirtschaftlichen und rechtlichen Umstände eine großzügigere Bewilligungspraxis gefordert hat als bisher, hat es bereits selbst anerkannt, dass der Gesetzgeber diesem Erfordernis schon mit der Schaffung der Altgesellenregelung in § 7b HwO neben der Möglichkeit zur Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach § 8 HwO Rechnung getragen hat. Zudem hat es hinsichtlich der qualitativen Anforderungen an die selbstständige Handwerkstätigkeit auch mit Blick auf die im Inland zulässigerweise tätige Konkurrenz aus dem EU-Ausland nicht für erforderlich gehalten, auf die Anforderung zumindest einer mehrjährige Berufserfahrung in herausgehobener beruflicher Verantwortung zu verzichten.
13Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5.12.2005 – 1 BvR 1730/02 –, GewArch 2006, 71 = juris, Rn. 19 ff., 21, 28.
14Die Auslegung des § 8 Abs. 1 Satz 2 HwO erfordert eine Gegenüberstellung der Voraussetzungen des Normalfalls der Meisterprüfung und des Sonderfalls einer durch eine solche Prüfung eintretenden unzumutbaren Belastung. Die Meisterprüfung setzt gemäß § 49 Abs. 1 HwO die Zulassung voraus, welche regelmäßig das Bestehen einer Gesellenprüfung und eine mehrjährige, in der Regel dreijährige, Tätigkeit in dem betreffenden Handwerk erfordert. Die Meisterprüfung ist durch die Zulassungsvoraussetzungen mehrjähriger Ausbildungs- und Berufsausübungszeiten sowie durch eine gewisse Förmlichkeit des Prüfungsverfahrens gekennzeichnet. Wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, beschweren der besondere Ausbildungsgang und die Prüfung, die das Gesetz als Regelfall der Erzielung der erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten vorgeschrieben hat, die Berufsbewerber im typischen Fall nicht übermäßig.
15Ausnahmefälle sind danach dadurch gekennzeichnet, dass der als Regel vorgeschriebene Weg zur Erzielung und zum Nachweis der erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten für einen Bewerber zu einer im Verhältnis zu der Vielzahl anderer Bewerber übermäßigen Belastung führt. Es kommen regelmäßig nur Fälle in Betracht, in denen die mehrjährige Ausbildung als solche und dabei namentlich die unmittelbare Vorbereitung auf die Meisterprüfung oder die Förmlichkeit der Prüfungssituation den Antragsteller mehr als die Vielzahl anderer Bewerber belastet. Dabei muss die Belastung von einigem Gewicht sein, damit nicht die Ausnahmebewilligung als gleichwertige Alternative zum Meisterbrief erscheint, was sie nicht ist.
16Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.8.2001 – 6 C 4.01 –, BVerwGE 115, 70 = juris, Rn. 20 f., m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 29.4.2013 ‒ 4 A 764/12 ‒, juris, Rn. 10 f., m. w. N.
172. Hiervon ausgehend ist bereits nicht ersichtlich, dass die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten auch nur ansatzweise nachgewiesen sind (unten a). Zudem besteht kein Anhalt dafür, dass die Ablegung der Meisterprüfung im Fall des Klägers unter Berücksichtigung aller Umstände eine übermäßige Belastung im Vergleich zu der Vielzahl anderer Bewerber darstellt (unten b).
18a) Es fehlt bereits an der Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 HwO. Der Kläger hat Kenntnisse und Fertigkeiten im Sinne dieser Vorschrift weder substantiiert vorgetragen noch nachgewiesen. Es ist nicht ersichtlich, dass er über die zur ordnungsgemäßen Betriebsführung in eigener Verantwortung erforderlichen fachtheoretischen, betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen und rechtlichen Kenntnisse in dem erforderlichen Maß oder wenigstens eine mehrjährige Berufserfahrung in herausgehobener beruflicher Verantwortung verfügt. Aus den von ihm vorgelegten Unterlagen (Bescheinigungen der Kreisdirektion C. vom 1.2.2007 und des Gouvernorats des Kreises N. vom 15.3.2010, Arbeitsbescheinigungen der angestellten Betriebsleiterinnen A. , X. -U. und M. sowie Arbeitsbescheinigung über die Tätigkeit als angestellter Friseur vom 15.7.2019) ergibt sich dafür kein Anhalt. Vielmehr beziehen sich die Arbeitsbescheinigungen ausschließlich auf die handwerklichen Kenntnisse und Fertigkeiten des Klägers. Sie belegen nicht ansatzweise mehrjährige Tätigkeit in leitender Stellung.
19Diese Einschätzung wird durch die seitens der Beklagten erfolgte Zulassung des Klägers zur Meisterprüfung nicht in Frage gestellt. Mit der Zulassung hat die Beklagte bekundet, dass sie den Kläger für fähig erachtet, die notwendigen fachtheoretischen Kenntnisse zu erwerben, jedoch nicht, dass der Kläger entsprechende Kenntnisse bereits erworben hat oder wenigstens voraussichtlich in absehbarer Zeit erlangen wird.
20Vgl. hierzu bereits etwa BVerwG, Urteil vom 26.1.1962 – VII C 68.59 –, BVerwGE 13, 317 = juris, Rn. 16.
21b) Darüber hinaus besteht kein durchgreifender Anhalt dafür, dass im Falle des Klägers ein Ausnahmefall im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 2 HwO vorliegen könnte. Ein solcher ergibt sich nicht daraus, dass es dem Kläger aus tatsächlichen Gründen nicht zumutbar sei, Deutschkenntnisse in einem Umfang zu erwerben, die ihm erlaubten, erfolgreich an den erforderlichen, im Gruppenunterricht abgehaltenen Meisterkursen teilzunehmen.
22Zum einen handelt es sich bei der Anforderung der entsprechenden Deutschkenntnisse um eine Grundvoraussetzung für die spätere Tätigkeit als Meister. Die für die Meisterprüfung erforderlichen Deutschkenntnisse sind kein Selbstzweck, sondern für die spätere selbständige Betriebsführung im Umgang mit Kunden, Lieferanten, Behörden und Mitarbeitern unerlässlich.
23Vgl. ähnlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.3.1982 ‒ 6 S 1181/81 ‒, GewArch 1982, 378.
24Zum anderen ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass der Kläger die notwendigen Sprachkenntnisse nicht in zumutbarer Weise erwerben könnte. Bei ihm geht es nicht um den vollständigen Neuerwerb, sondern um die Erweiterung seines Sprachschatzes. Dass er die deutsche Sprache zumindest hinreichend beherrscht, hat er mit seiner Einbürgerung nachgewiesen. Der 1990 geborene Kläger ist bereits 2011 mit 21 Jahren nach Deutschland gekommen, er hat seit 2013 als angestellter und von 2014 bis 2015 als selbständiger Friseur mit Betriebsleiter sowie ab 2015 wieder als angestellter Friseur gearbeitet und ist 2018 eingebürgert worden. Seine Behauptung, dass ihm die Erweiterung seines Sprachschatzes aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sei, hat er nicht weiter begründet. Auch anderweitig ergeben sich keine objektiven Anhaltspunkte für eine entsprechende Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit. Vielmehr ist der Kläger darauf zu verweisen, dass er entweder vor dem Besuch des Meisterkurses nochmals Deutschkurse zum erweiterten Spracherwerb besuchen oder aber sich auf die Meisterprüfung im Einzelstudium anhand von Fachliteratur begleitend vorbereiten kann.
25In diesem Zusammenhang führt der Verweis des Klägers auf die für vergleichbar erachtete Situation einer Person, die unter Legasthenie leide, die also trotz erheblichen Bemühens nicht in der Lage sei, Texte zu lesen und zu verstehen bzw. eigene Gedanken fehlerfrei zu Papier zu bringen, nicht weiter. Gleiches gilt für den vom Kläger bemühten Vergleich mit Personen, die Schwierigkeiten haben, dem Mathematikunterricht zu folgen. Bei den vom Kläger angesprochenen Störungen handelt es sich als Legasthenie und Dyskalkulie um anerkannte Krankheiten (ICD-10-GM Version 2021 F81.0 oder F81.1 bzw. F81.2), während der Kläger schon keine gesundheitlichen Hindernisse zur Erweiterung seiner Deutschkenntnisse anführt.
26Ein Ausnahmefall ergibt sich, auch in der Gesamtschau mit den weiteren Argumenten des Klägers, nicht aus seiner begehrten Beschränkung auf die Bereiche "Herrenhaarschnitte und Bartpflege". In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass auch die Erteilung einer eingeschränkten Bewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle gemäß § 8 Abs. 2 HwO das Vorliegen eines Ausnahmefalles voraussetzt. Ein Ausnahmefall lässt sich nicht schon daraus herleiten, dass nur die Ausübung eines Teilbereichs des Handwerks beabsichtigt sei und allein deswegen der Nachweis der Befähigung für das gesamte Handwerk durch eine Meisterprüfung eine unzumutbare Forderung bedeute. Die Handwerksordnung verlangt den durch die Meisterprüfung erlangten großen Befähigungsnachweis als Grundlage der Ausübung eines selbständigen Handwerks.
27Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.10.1992 ‒ 1 B 177.92 ‒, GewArch 1993, 121 = juris, Rn. 5, m. w. N.
28Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 127 Abs. 4 ZPO.
29Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.
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Referenzen
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- 1 BvL 44/55 1x (nicht zugeordnet)
- 6 S 1181/81 1x (nicht zugeordnet)
- HwO § 8 6x
- 1 BvR 1730/02 3x (nicht zugeordnet)
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- ZPO § 127 Entscheidungen 1x
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- 4 A 764/12 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 166 1x