Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 B 581/21
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen – als Gesamtschuldner – die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe:
1Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Antragstellern zur Begründung der Beschwerde angeführten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung der angegriffenen Entscheidung.
2Das Verwaltungsgericht hat den mit der Beschwerde weiter verfolgten Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 9 K 536/21 gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 14. Januar 2021 zur Aufstockung des bestehenden Einfamilienwohnhauses auf dem Grundstück P.---------straße 9 in H. (Az.: 00740-21-10) anzuordnen,
4mit der Begründung abgelehnt, den Antragstellern stehe gegen das Vorhaben des Beigeladenen ein nachbarlicher Abwehranspruch nicht zu. Ein Verstoß gegen nachbarschützende bauordnungsrechtliche Vorschriften sei nicht ersichtlich, insbesondere seien die Abstandsflächenvorschriften nicht verletzt. Der einschlägige Bebauungsplan Nr. G 49 "O. O1. " vom 15. Oktober 1968 setze für diesen Bereich geschlossene Bauweise fest; dementsprechend müsse an die Grenze gebaut werden. Nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts seien ebenfalls nicht verletzt. Die Baugenehmigung entspreche den Vorgaben des Bebauungsplans Nr. G 49. Ein nachbarlicher Abwehranspruch gegen eine mit den Planfestsetzungen übereinstimmende Baugenehmigung unter Berufung auf das Gebot der Rücksichtnahme bestehe im Allgemeinen nicht, weil dieses bereits in den einem rechtsgültigen Bebauungsplan vorausgehenden Abwägungsvorgang eingeflossen sein müsse, wodurch es gleichsam "aufgezehrt" werde. Festsetzungen eines Bebauungsplans könnten durch das Gebot der Rücksichtnahme nur ergänzt, nicht aber korrigiert werden, und § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sei im Hinblick auf das Maß der im Bebauungsplan festgesetzten baulichen Nutzung grundsätzlich nicht anwendbar. Lediglich im Einzelfall könnten bauliche Anlagen trotz Übereinstimmung mit den Planfestsetzungen unzulässig sein, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprächen oder wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen könnten, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar seien. Nach diesen Grundsätzen bestehe hier kein nachbarliches Abwehrrecht der Antragsteller gegen das Bauvorhaben des Beigeladenen, weil die Baugenehmigung vom 14. Januar 2021 hinreichend bestimmt sei, sie den Festsetzungen des Bebauungsplans entspreche und ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nicht ersichtlich sei. Ein etwaiger Bestimmtheitsmangel hinsichtlich der Frage, ob die geplante Aufstockung ein weiteres Vollgeschoss darstelle, sei schon unerheblich, da Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung regelmäßig – und so auch hier – nicht nachbarschützend seien. Im Übrigen ergebe sich wohl schon aus den in den Bauvorlagen enthaltenen Berechnungen, dass es sich bei der geplanten Aufstockung nicht um ein Vollgeschoss handele und die Festsetzungen des Bebauungsplans zur Geschosszahl damit eingehalten würden. Zudem habe der Architekt des Beigeladenen den Bauantrag um eine weitere Skizze ergänzt, aus der eindeutig zu entnehmen sei, dass es sich bei dem geplanten 2. OG nicht um ein Vollgeschoss handele. Das Bauvorhaben verstoße auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Dem von den Antragstellern herangezogenen Urteil des OVG NRW vom 27. August 2015 - 2 A 1094/14 - liege eine andere Fallgestaltung zugrunde. Im Gegensatz zu dem dort gegebenen Fall würden durch das Bauvorhaben des Beigeladenen keine städtebaulichen Spannungen hervorgerufen, die in qualifizierter und individualisierter Weise auch Rechte der benachbarten Grundstückseigentümer beeinträchtigten. Abgesehen davon, dass dort das Bauvorhaben – aufgrund der Nichtigkeit des dortigen Bebauungsplanes – nach Maßgabe des § 34 BauGB zu prüfen gewesen sei, könne hier von einer nachteiligen Veränderung der „durch die Reihenhausbebauung in der Art einer bodenrechtlichen Lebens- und Schicksalsgemeinschaft verbundenen Grundstücke“ nicht ausgegangen werden. Mit der Aufstockung des Nachbargebäudes um ein Satteldach werde das durch die nachbarliche Schicksalsgemeinschaft vorgegebene Mindestmaß an qualitativer Übereinstimmung nicht in Frage gestellt. Die Reihen- und Doppelhäuser entlang des hier maßgeblichen Straßengevierts Alte Zollstraße/P.---------straße /Am b. I. /Q.------straße seien nach Angaben der Antragsgegnerin in den 1960er Jahren durch einen Bauträger in einheitlicher Bauweise mit Flachdächern errichtet worden, ohne dass diese Dachform zu dieser Zeit planungsrechtlich vorgegeben gewesen wäre. Auch der Bebauungsplan Nr. G 49 aus dem Jahre 1968 enthalte weder Festsetzungen zur Dachform noch zu sonstigen Gestaltungsmerkmalen. In der Vergangenheit seien ausweislich der vorliegenden Lagepläne und Fotos im Bereich der P.---------straße /Q.------straße bereits mehrere Doppelhäuser baurechtlich genehmigt mit einem Satteldach aufgestockt worden, aktuell sei ein weiterer Bauantrag betreffend eine Aufstockung bei der Antragsgegnerin für das Reihenhaus auf dem Grundstück P.---------straße 11 anhängig. Durch die erteilten Aufstockungsgenehmigungen habe sich der das Vorhabengrundstück umgebende Bereich schon seit Jahren einer Wandlung unterzogen. Die Antragsteller hätten aufgrund der damit sichtbar eingeleiteten Entwicklung damit rechnen müssen, dass auch in die Reihenhauszeile entlang der P.---------straße Bewegung kommt und dort ebenfalls die Häuser aufgestockt würden. Eine bestehende nachbarliche Lebens- und Schicksalsgemeinschaft bedeute nicht, dass keinerlei nach außen hin sichtbare Veränderungen möglich sein sollen. Dies gelte insbesondere für solche Veränderungen, mit denen die vorhandenen Wohnhäuser an gesellschaftspolitisch wünschenswerte und durch den Gesetzgeber gebilligte Zielsetzungen angepasst würden. Eine erdrückende Wirkung des Vorhabens auf das Grundstück der Antragsteller sei ebenfalls nicht erkennbar, weil die Aufstockung mit einer Dachneigung von 40° und einem Drempel von 1 m maßvoll erscheine und Einsichtnahmemöglichkeiten, hier aufgrund der geplanten Gauben, in einem innerörtlichen Bereich regelmäßig hinzunehmen seien. Soweit die Antragsteller eine Rücksichtlosigkeit der Aufstockung wegen der Beeinträchtigung des Abzugs ihrer Kaminanlage geltend machten, hätten sie hierfür keinerlei Nachweis erbracht. Da nach dem unwidersprochen gebliebenen Einwand der Antragsgegnerin auch bei Aufstockung drei Seiten des Kaminabzugs freilägen, seien auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung ersichtlich.
5Das dagegen gerichtete Beschwerdevorbringen greift nicht durch.
6Die Beschwerdebegründung, die sich allein zu einem von den Antragstellern angenommenen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme verhält, setzt sich schon nicht mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander, warum der vorliegende Sachverhalt anders zu beurteilen ist als der, der dem - im Ergebnis mit Urteil des Senats vom 27. August 2015 (2 A 1975/14) bestätigten - Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 27. März 2014 (9 K 1855/11) zugrunde gelegen hat. Vielmehr wiederholt sie der Sache nach – und ohne auf den angefochtenen Beschluss auch nur ansatzweise einzugehen - lediglich das erstinstanzliche Vorbringen dazu, warum aus der genannten Entscheidung folge, dass das Vorhaben rücksichtslos sei. Damit genügt sie bereits nicht dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO.
7Unabhängig davon ergibt sich bei der hier allein möglichen summarischen Prüfung unter Berücksichtigung der dem Senat vorliegenden Unterlagen auch nicht, dass die genannte Senatsentscheidung auf den hier gegebenen Sachverhalt übertragbar wäre. Ein grundlegender Unterschied ergibt sich bereits daraus, dass in dem Fall, den das Verwaltungsgericht Düsseldorf in dem genannten Urteil vom 27. März 2014 (9 K 1855/11) und der Senat in dem genannten Urteil vom 27. August 2015 (2 A 1975/14) zu entscheiden hatten, der Bebauungsplan nicht (lediglich) nur eine geschlossene Bauweise bei gleichzeitig zwingender Zweigeschossigkeit festsetzte und die dementsprechende Baugenehmigung für die Errichtung einer Reihenhauszeile erteilt worden war, sondern es dort um eine planerisch vorgesehene und mit der dort angegriffenen Baugenehmigung zur Aufstockung eines Hauses der Reihenhauszeile "faktisch umgesetzte Kombination von geschlossener Bauweise und einheitlicher Flachdachfestsetzung" ging, so dass auch innerhalb der Reihenhauszeile planerisch eine "zweigeschossige Bebauung mit Flachdachhäusern" vorgesehen war; außerdem waren die (vier) Häuser der betroffenen Reihenhauszeile auf einer Höhe und nicht - wie hier – versetzt errichtet worden (vgl. S. 13 und 14 des Urteilsabdrucks, Hervorhebungen jeweils nicht im Original). Das Fehlen planerischer Flachdachvorgaben in dem Bebauungsplan Nr. 49 ist – was die Frage der Aufstockung angeht - ein wesentlicher Unterschied, der für sich schon einer Übertragbarkeit des genannten Senatsurteils auf den vorliegenden Fall entgegensteht. Unabhängig davon hatte der Senat, worauf bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, in dem Urteil vom 27. August 2015 (2 A 1975/14) seinerseits eine planungsrechtliche Beurteilung anhand des § 34 BauGB vorzunehmen, da der dortige Bebauungsplan unwirksam war, während im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber einer Baugenehmigung grundsätzlich – und so auch hier - von der Wirksamkeit eines Bebauungsplans ausgegangen werden darf, vorbehaltlich offensichtlicher, durchgreifender Fehler,
8vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. September 2020 - 2 B 826/20 -, juris Rn. 3,
9und zwar auch, soweit der Bebauungsplan mit der bauplanungsrechtlichen Ermöglichung eines Vorhabens das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme vorsteuert.
10Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. August 2021 – 2 B 1893/20 -,juris Rn. 38 ff.
11Ausgehend hiervon ist der Bebauungsplan Nr. G 49 hier der bauplanungsrechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen.
12Festsetzungen zur Dachform enthält dieser Bebauungsplan – wie gesagt – nicht.. Hinsichtlich der Bauweise oder der Geschossigkeit gibt es auch keine Anhaltspunkte, dass der Plangeber den entsprechenden Festsetzungen (ausnahmsweise) drittschützende Wirkung beimessen wollte. In der Planbegründung ist unter 2.1. davon die Rede, dass (u. a.) "Reihenhäuser in Eigentumsmaßnahmen … eigene Hausgruppen" ergeben, damit erhalte "die städtebauliche Gestaltung eine besondere Note". Unter 2.2 heißt es, Baulinien– und -grenzen seien "der vorhandenen Bebauung entsprechend" festgelegt worden und dies gelte auch "für die Zahl der Vollgeschosse". Die versetzte Reihenhauszeile, zu der auch die Grundstücke der Antragsteller und des Beigeladenen gehören, war bei Inkrafttreten des Bebauungsplans Nr. 49 am 15. Oktober 1968 offenbar bereits im Bestand vorhanden, wie zwischen den Beteiligten als solches auch nicht umstritten ist. Die Festsetzung von Hausgruppen erfolgte damit – wie auch die Festlegung der Zahl der Vollgeschosse – am Bestand orientiert allein aus städtebaulichen Gründen. Die – ursprünglich so bezeichneten – "äußeren Gestaltungsmerkmale", die der Plangeber gesondert regeln wollte, verhalten sich – abgesehen von hier erkennbar nicht relevanten Bestimmungen (Einfriedungen, Sockelhöhe) - allein zur "Stellung der Gebäude", die sich nach den "verbindlichen Eintragungen" [gemeint sind damit erkennbar die Baulinien/Baugrenzen] richten soll, die durch das streitbefangene Vorhaben aber nicht berührt werden. Ansätze für Vorgaben zur (Flach-)Dachform sind auch der Begründung nicht ansatzweise zu entnehmen.
13Ob der Planung eine umfassende und das Rücksichtnahmegebot aufzehrende Abwägung zugrunde liegt, kann schließlich offenbleiben, da die Beschwerdebegründung sich hierzu – abgesehen von der Berufung auf das genannte Urteil vom 27. März 2014 - nicht weiter verhält. Unabhängig davon ist auch nicht ersichtlich, dass bzw. warum das Vorhaben zu Lasten des südlich angrenzenden Grundstücks der Antragsteller rücksichtslos sein sollte.
14Hinsichtlich der pauschal und das erstinstanzliche Vorbringen nur wiederholend in den Raum gestellten Annahme, es bestehe die Gefahr, dass durch die Errichtung der genehmigten Aufstockung die Kaminanlage den notwendigen Abzug verliere, fehlt es an jeglicher Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts und auch sonst an jeglicher Substantiierung, so dass auch insoweit dem Darlegungserfordernis nicht genügt ist.
15Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 3, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO.
16Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs.1, 52 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.
17Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.
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Referenzen
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- BauNVO § 15 Allgemeine Voraussetzungen für die Zulässigkeit baulicher und sonstiger Anlagen 1x
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- VwGO § 162 1x
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