Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 1479/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 10.000,- Euro festgesetzt.
Gründe:
1Der auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 4 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
21. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht.
3Zur Darlegung des Zulassungsgrunds der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bedarf es einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist in substantiierter Weise an der Gedankenführung des Verwaltungsgerichts orientiert aufzuzeigen, dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis ernstlich zweifelhaft sein soll. In der Sache liegen ernstliche Zweifel vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.
4Derartige Zweifel weckt das Antragsvorbringen nicht.
5Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag,
6die der Beigeladenen von der Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 25. Februar 2019 zur Errichtung eines Seniorenzentrums in der Gestalt der Nachtragsbaugenehmigung vom 7. Oktober 2019 aufzuheben,
7im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, das genehmigte Vorhaben der Beigeladenen verstoße nicht gegen den Kläger als Nachbarn schützende Vorschriften des Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts. Ernsthaft in Betracht komme hier nur eine Verletzung des Bauplanungsrechts. Eine solche liege hier indes nicht vor. Dabei sei es von vornherein unerheblich, ob das Vorhaben der Beigeladenen, wie der Kläger vorbringe, im Außenbereich verwirklicht werden solle oder - wie die Beklagte und die Beigeladene meinten - im unbeplanten Innenbereich. Denn das Vorhaben verstoße nicht zu Lasten des Klägers gegen das Gebot der Rücksichtnahme und ihm stehe auch kein nachbarliches Abwehrrecht unter dem Aspekt eines Gebietserhaltungsanspruches zu. Mit Blick auf diesen Gebietserhaltungsanspruch könne wiederum offenbleiben, ob sich die Eigenart der näheren Umgebung als reines oder als allgemeines Wohngebiet darstelle. Das Vorhaben sei insgesamt in beiden Baugebieten jedenfalls ausnahmsweise zulässig. In Bezug auf die Wohngruppen und die Seniorenwohnungen sei der Wohnbegriff des § 3 Abs. 1 bzw. des § 4 Abs. 1 BauNVO i. V. m. § 3 Abs. 4 BauNVO wohl erfüllt, die Tages- und Kurzzeitpflege stelle sich jedenfalls als Anlage für soziale Zwecke im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 bzw. § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO dar. Dass Träger der Einrichtung ein Privatunternehmen sei, sei insoweit unerheblich. Ein Abwehrrecht des Klägers in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden solle, vermittele der Gebietsgewährleistungsanspruch regelmäßig – und so auch hier – nicht. Abweichungen in Bezug auf diese Parameter ließen in aller Regel – und so auch hier – den Gebietscharakter unberührt und hätte nur Auswirkungen auf das Baugrundstück und die unmittelbar anschließenden Nachbargrundstücke. Zum Schutz der Nachbarn reiche daher das drittschützende Rücksichtnahmegebot aus, das ihn hinlänglich vor unzumutbaren Beeinträchtigungen schütze. Einen Gebietsprägungserhaltungsanspruch, den der Kläger für sich in Anspruch nehme und der in Literatur und Rechtsprechung vereinzelt angenommen werde, sei hier nicht relevant. Dieser solle einschlägig sein, wenn ein Vorhaben, das nach Maßgabe der Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung an sich allgemein zulässig sei, sich im Einzelfall aber wegen Gebietsunverträglichkeit der Nutzung trotzdem als unzulässig erweise. Einer solchen Rechtsfigur bedürfe es zum Ausgleich der Nachbarinteressen nicht. Das Rücksichtnahmegebot sei zum Schutz des Nachbarn ausreichend. Hier komme hinzu, dass der Kläger sich im Wesentlichen auf die Einhaltung von Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung und die Bauweise sowie die überbaubare Grundstücksfläche berufe, für die schon ein Gebietsgewährleistungsanspruch regelmäßig ausscheide. Unabhängig davon liege hier ein Widerspruch zur Zweckbestimmung eines reinen oder allgemeinen Wohngebietes nicht vor. Das Vorhaben sei mit seinem Schwerpunkt in gleicher Weise wie die gebietsprägende Bebauung auf eine Wohnnutzung ausgerichtet. Zugleich werde durch die Dimensionierung des Seniorenzentrums keine neue Art der Nutzung im Sinne eines Umschlags von Quantität in Qualität in das Wohngebiet hineingetragen. In der Umgebung fänden sich nicht nur Einfamilienhäuser, sondern gerade auch Mehrfamilienhäuser. Vor diesem Hintergrund sei auch ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme zu Lasten des Klägers nicht zu erkennen. Eine erdrückende Wirkung oder eine für den Kläger unzumutbare Verschattung könne hier schon mit Blick auf die Einhaltung der Abstandsflächen nicht angenommen werden. Hinzu komme, dass durch die H-Form des Gebäudes eine Riegelwirkung gerade vermieden werde. Das Gebäude wirke dadurch nicht, wie der Kläger meine, wie ein Quader mit 40 bis 50 m Kantenlänge, sondern vielmehr wie eine Reihenbebauung mit mehreren Gebäuden. Auch mit Blick auf die durch den Betrieb des Seniorenwohnheims verursachten zusätzlichen Verkehrsimmissionen lasse sich eine Rücksichtlosigkeit nicht feststellen. Zwar könne hier die TA-Lärm nicht herangezogen werden, weil ihr Anwendungsbereich nicht eröffnet sei. Die deshalb erforderliche situationsbezogene Abwägung der Umstände des Einzelfalles führe jedoch dazu, dass die zusätzlichen Lärmbelastungen, die insbesondere durch den An- und Abfahrtsverkehr mit Kraftfahrzeugen des Bewohner-, Besucher- und Anlieferverkehrs verbunden seien, dem Kläger zumutbar seien. Maßgeblich sei hierfür insbesondere die Tatsache, dass die B. Straße, die zwischen dem Wohnhaus des Klägers und dem Vorhabengrundstück verlaufe, eine stark befahrene Durchgangsstraße mit einer durchschnittlichen täglichen Verkehrsbelastung von 4.500 Kraftfahrzeugen sei. Vor diesem Hintergrund bestehe eine erhebliche Vorbelastung des klägerischen Grundstücks, die durch den überschaubaren zusätzlichen Verkehr nicht nennenswert erhöht werde. Dabei sei einzustellen, dass ausweislich der Betriebsbeschreibung Mitarbeiter- und Besuchsverkehr der Tages- und Kurzzeitpflege nur zwischen 7 und 18 Uhr stattfinde und damit nicht in die besonders schutzbedürftige Nachtzeit falle. Zudem sei die Mehrzahl der Stellplätze, die den Bedarf des Vorhabens ausgehend von der Betriebsbeschreibung deckten, nicht von der B. Straße aus erschlossen und liege auf der vom Grundstück des Klägers abgewandten Seite des Vorhabens. Soweit der Kläger wiederholt auf die Belastung der Nachbarn durch auf der B. Straße parkende Fahrzeuge verweise, sei festzustellen, dass auch insoweit das Grundstück, wie sich im Rahmen des durchgeführten Ortstermins gezeigt habe, bereits durch solches den Verkehrsfluss hemmendes Parken und die damit einhergehenden zusätzlichen Lärm- und Abgasimmissionen erheblich vorbelastet sei. Offenbar parkten die Anwohner der B. Straße mangels ausreichender Stellplätze auf den eigenen Grundstücken bereits heute am Straßenrand. Daher erscheine zumindest zweifelhaft, ob sich die Parksituation auf der B. Straße durch das Vorhaben noch signifikant verschlechtern könne. Im Gegenteil sei naheliegend, dass sich diese Immissionen am Wohngebäude des Klägers mit Blick auf die Bordsteinabsenkungen und das damit einhergehende Verbot nach § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO sogar verbessern könnten. In jedem Fall werde die vom Kläger geschilderte angespannte Parksituation, die sich im Ortstermin bestätigt habe, entgegen der Befürchtung des Klägers dazu führen, dass die auf dem Vorhabengrundstück angelegten Stellplätze tatsächlich genutzt würden, auch wenn sie rückwärtig gelegen seien und in diesem Bereich keine Zugänge zu dem Gebäude vorhanden seien. Soweit der Kläger schließlich darauf verweise, die Belieferung des Seniorenzentrums erfolge auch durch 26 t Lkw, widerspreche dies der zum Gegenstand der Baugenehmigung gemachten Betriebsbeschreibung und sei unzulässig, führe jedoch gerade deswegen nicht zur Rechtswidrigkeit der tatsächlich erteilten Baugenehmigung. Gleiches gelte in Bezug auf die offenbar aufgenommene Nutzung durch einen ambulanten Pflegedienst. Auch dieser werde von der erteilten Baugenehmigung nicht gedeckt, dürfte indes als Anlage für soziale Zwecke auch in einem reinen Wohngebiet genehmigungsfähig sein.
8Diesen im Einzelnen noch weiter begründeten und nachvollziehbaren Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt das Zulassungsvorbringen nichts Erhebliches entgegen, das im oben genannte Sinne zu ernstlichen Zweifeln an der (Ergebnis-)Richtigkeit der Entscheidung führen könnte.
9Entgegen der Auffassung des Klägers kann insbesondere nicht davon gesprochen werden, dass das Verwaltungsgericht die Zusatzbelastung durch den vorhabenbezogenen Verkehr unzutreffend eingeschätzt haben könnte, weil es den zu erwartenden Parkdruck auf der B. Straße nicht hinreichend gewürdigt hätte. In diesem Zusammenhang wiederholt der Kläger im Wesentlichen seine bereits erstinstanzlich geäußerten Befürchtungen, ohne diese indes hinreichend zu plausibilisieren. So bleiben insbesondere seine Erwägungen hinsichtlich der nicht zu erwartenden Nutzung der an der Rückseite des Gebäudes errichteten Stellplatzanlage, die gemeinsam mit den weiteren, zur B. Straße hin gelegenen Stellplätzen grundsätzlich ausreichend dimensioniert ist, spekulativ und in Teilen lebensfremd. Dass gerade die Bewohner eines Seniorenzentrums es bevorzugen könnten, an einer vielbefahrenen Straße am rechten Straßenrand ihr Fahrzeug abzustellen, statt auf den ihnen zur Verfügung stehenden sichereren und ruhigeren Stellplätzen, dürfte tatsächlich kaum zu erwarten sein, zumal sie in diesem Fall auf der verkehrszugewandten Seite ein- und aussteigen müssten. Demgegenüber ist von vornherein unerheblich, ob durch den offenbar etablierten ambulanten Pflegedienst eine zusätzliche Nutzung der B. Straße zum Parken erfolgt, was allerdings jedenfalls nicht von vornherein unplausibel erscheint und anhand der Fotodokumentation des Klägers, auf der mehrere offenbar zum Pflegedienst gehörenden Fahrzeuge zu sehen sind, auch erkennbar ist. Denn ein solcher Pflegedienst ist, was bereits das Verwaltungsgericht betont hat, mit der hier allein angegriffenen Baugenehmigung nicht zugelassen.
10Dies kann hier indes dahinstehen, zum einen weil das Verwaltungsgericht nach Aktenlage insbesondere unter Zugrundelegung der eigenen Eindrücke aus dem durchgeführten Ortstermin und dem Vortrag des Klägers selbst zu Recht davon ausgegangen ist, dass die vom Kläger befürchtete Verschlechterung der Verkehrsverhältnisse schon deshalb ausscheidet, weil bereits jetzt an der B. Straße großflächig geparkt wird. Dies zeigt bereits ein Vergleich der vom Kläger eingereichten Fotos mit denen des gerichtlichen Ortstermins. Eine relevante zusätzliche Beparkung ergibt sich hieraus nicht. Dies gilt im Übrigen auch für den Vortrag des Klägers, durch die Parksituation während des Ortstermins sei es nicht zu Beeinträchtigungen gekommen, weil nur ein geringer Durchfahrtverkehr stattgefunden habe. Auf den von ihm eingereichten Fotos lässt sich indes eine solche Verkehrsbehinderung ebenfalls nicht einmal ansatzweise erkennen. Im Übrigen befürchtet der Kläger im Wesentlichen eine Parknutzung durch Besucher in den Abendstunden und am Wochenende. Abgesehen davon, dass dann der sonstige Fahrzeugverkehr deutlich geringer sein dürfte als werktags tagsüber, vermag dies die Auffassung des Verwaltungsgerichts schon deshalb nicht zu erschüttern, weil der Kläger selbst im Ortstermin vorgetragen hat, an der B. Straße werde durch Anwohner und Besucher (nur) abends und an den Wochenenden geparkt.
11Zum anderen hat indes bereits die Beigeladene zutreffend darauf hingewiesen, dass die zuständige Straßenverkehrsbehörde es in der Hand hat, auf die Parksituation regelnd einzuwirken, sollten sich die vom Kläger befürchteten Behinderungen des fließenden Verkehrs auf der Kreisstraße mit überörtlicher Bedeutung tatsächlich einstellen. In diesem Fall könnten Park- bzw. Halteverbote ohne Weiteres verfügt werden und müssten dies ggf. auch. Bezeichnenderweise hat indes selbst der Kläger nicht von solchen tatsächlich eingetretenen Stauereignissen berichtet oder diese ggf. dokumentiert. Sein Vortrag beschränkt sich vielmehr auf die Befürchtung, dass solches eintreten könnte. Lediglich angemerkt sei, dass bei einer durchgängigen Beparkung der B. Straße im Bereich des Vorhabens jedenfalls der Kläger nicht von den zusätzlichen Immissionen betroffen sein dürfte, da sich die Staus gerade deshalb nicht unmittelbar vor seinem Haus abspielen könnten.
12Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes auf Grund der abweichenden Bauweise des Vorhabens lässt das Zulassungsvorbringen ebenfalls nicht hervortreten. Insoweit fehlt letztlich jede Auseinandersetzung mit den einschlägigen und überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass der entlang der B. Straße etwa 52 m lange Baukörper – die Seitenlängen des Gebäudes liegen mit 40 m nach den genehmigten Bauvorlagen entgegen der nicht weiter ausgeführten Behauptung des Klägers deutlich unter dem Maß von 50 m – wegen der Aufteilung in zwei Seitengebäude, die durch einen gut 15 m zurückspringenden Mittelbau verbunden werden, aus der Perspektive des klägerischen Grundstücks nicht wie ein „Block“ wirke, sondern die aufgelockerte Form einer Reihenbebauung vermittele. Dies lässt sich anhand der beim Ortstermin gefertigten Fotos ohne Weiteres nachvollziehen. Angesichts dessen liegt eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes zu Lasten des Klägers mindestens fern. Eine solche ergibt sich auch nicht aus der von ihm in den Raum gestellten Vorbildwirkung für eine ohnehin eher fernliegende Bebauung der Schützenfestwiese. Im Übrigen müsste eine solche Bebauung selbstverständlich die gebotene Rücksichtnahme walten lassen.
13Soweit der Kläger letztlich ohne normative Herleitung meint, allein der Umstand, dass das Vorhaben seiner Ansicht nach aus dem aus der Umgebung abzuleitenden Rahmen falle, führe zu einer Verletzung des Rücksichtnahmegebotes, lässt sich dies aus der gefestigten Rechtsprechung, die bereits das Verwaltungsgericht zutreffend herangezogen hat, nicht ableiten. Danach führen Überschreitungen des Rahmens im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche regelmäßig gerade nicht zu einem nachbarrechtsrelevanten Baurechtsverstoß.
14Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 – IV C 9.77 -, BVerwGE 55, 369; OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2022 – 10 B 1764/21 -, juris; Rubel, Nachbarschutz im Bauplanungsrecht, DVBl. 2020, 533, 534; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB – Kommentar, Stand Okt. 2021, § 34 Rn. 140 f., m. w. N.
15Ebenfalls ohne nachvollziehbare Begründung bleibt die knappe Feststellung, hier schlage Quantität in Qualität um. Dies hätte angesichts der an dieser Stelle auch vom Kläger eingeräumten bereits zahlreich vorhandenen Mehrfamilienhäuser in der näheren Umgebung zumindest einer näheren Begründung bedurft, die vollständig fehlt. Dass in dem genehmigten Gebäude möglicherweise mehr Menschen wohnen als in den benachbarten Mehrfamilienhäusern, führt jedenfalls nicht ohne Weiteres, geschweige denn automatisch, dazu, dass eine wohngebietsunverträgliche Wohnnutzung angenommen werden könnte.
16Schon aus den vorgenannten Gründen kommt auch der mit Schriftsatz vom 22. Februar 2022 geltend gemachte nachbarrechtsrelevante Verstoß gegen das „Verunstaltungsverbot“ – noch unbeschadet des Umstandes, dass dieser Einwand weit jenseits der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO eingegangen und deshalb schon prozessual unbeachtlich ist – offensichtlich nicht in Betracht. Schon eine objektive Verletzung des § 9 BauO NRW liegt hier mindestens fern, geht aus den Auslassungen im Schriftsatz vom 22. Februar 2022 jedenfalls nicht ansatzweise hervor.
172. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger ferner auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Eine Abweichung im Sinne dieser Norm liegt vor, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift von einem in der Rechtsprechung der in Nr. 4 genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht.
18Vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - 6 B 35.95 -, NVwZ-RR 1996, 712; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO - Kommentar, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 158 m. w. N.
19Eine solche Abweichung ist weder dargelegt noch liegt sie vor. Es ist bereits nicht ersichtlich, mit welchem Obersatz das Verwaltungsgericht von einem der in den vom Kläger angeführten Entscheidungen aufgestellten Obersatz abgewichen sein sollte. Dabei mag dahinstehen, ob mit dem vom Bundesverwaltungsgericht verwandten Terminus des „Schutzes der Wohnruhe“ im hiesigen Zusammenhang etwas anderes gemeint sein könnte als mit dem vom Verwaltungsgericht verwandten Begriff der „Zumutbarkeit“. Denn die vom Bundesverwaltungsgericht in den genannten Entscheidungen zugrunde Fallkonstellation liegt hier gerade nicht vor, wie das Verwaltungsgericht auf Seite 16 zutreffend herausgearbeitet hat. Da das Vorhabengrundstück ganz überwiegend auf Wohnnutzung ausgerichtet ist, kann es sich nicht um eine atypische Nutzung handeln, die ihrer Art nach generell geeignet ist, die Zweckbestimmung „Wohnen“ eines allgemeinen oder reinen Wohngebietes zu stören. Um eine wohnfremde Nutzung wie ein Dialysezentrum, auf das sich der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2008 – 4 B 60.07 – bezieht, handelt es sich ebenso wenig wie um eine nur ausnahmsweise zulässige Nutzung, wie sie Gegenstand des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2002 – 4 C 1.02 – war.
203. Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich auch nicht, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hätte. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.
21Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
22Der Kläger meint, es stelle „sich die nach der „Wannsee-Entscheidung“ aufgeworfene und bisher nicht beantwortete Frage, ob und unter welchen Bedingungen das nachbarliche Austauschverhältnis im unbeplanten Innenbereich dem Nachbarn ein subjektives Recht gibt, sich gegen ein nach Maß der Bebauung oder Bauweise nicht in das Gebiet passendes Bauvorhaben zu wehren.“
23Dies trifft indes nicht zu. Wie auch der Kläger nicht verkennt, ging es in der angeführten Entscheidung um die Frage, ob die Festsetzungen eines Bebauungsplans bei objektiver Würdigung des planerischen Regelungsgefüges einen subjektiven Anspruch auf Einhaltung der Maßfestsetzungen begründen können. Dies ist indes im unbeplanten Innenbereich im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 BauGB schon deshalb ausgeschlossen, weil es weder Festsetzungen noch einen planerischen Gestaltungswillen gibt, der „subjektiv aufgeladen“ werden könne. Daher bleibt es auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dabei, dass Drittschutz im Bereich des § 34 Abs. 1 BauGB allein über das im Gebot des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme gewährleistet wird.
24Vgl. zu Einzelheiten nur Rubel, Nachbarschutz im Bauplanungsrecht, DVBl. 2020, 533 – 535; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB – Kommentar, Stand Oktober 2020, § 34 Rn. 141 m. w. N.
25Die weiter zumindest sinngemäß aufgeworfene Frage, ob es im unbeplanten Innenbereich ein drittschützendes ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Planbedürftigkeit eines Vorhabens gibt, ist in der Rechtsprechung ebenfalls – verneinend – geklärt.
26Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 16. Januar 2017 – 7 B 1.16 -, juris Rn. 13, und vom 3. August 1982 – 4 B 145.82 -, BRS 39 Nr. 193 = juris Rn. 7; OVG NRW, Urteil vom 19. Juni 2020 – 2 A 211/17 -, juris Rn. 88 ff., m. w. N.; Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB – Kommentar, 14. Aufl. 2019, § 34 Rn. 35 m. w. N.; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB – Kommentar, Stand Oktober 2020, § 34 Rn. 72.
27Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Antrag gestellt und sich verfahrensförderlich zur Sache eingelassen hat.
28Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 7 a) des Streitwertkatalogs der Bausenate des OVG NRW vom 22. Januar 2019 (BauR 2019, 610 f.).
29Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das angegriffene Urteil rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.
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Referenzen
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- § 34 Abs. 1 BauGB 2x (nicht zugeordnet)
- §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- 2 A 211/17 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 3 1x
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