Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 B 458/22
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird unter Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Instanzen auf die Wertstufe bis 10.000 Euro festgesetzt.
1
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses. Die Antragstellerin verfolgt mit der Beschwerde lediglich das Begehren weiter,
2den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr bis zum Abschluss des beim Verwaltungsgericht Arnsberg unter dem Aktenzeichen 2 K 634/22 geführten Hauptsacheverfahrens (unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf) die Fortsetzung der Laufbahnausbildung vorläufig zu gestatten,
3wobei sie auf gerichtliche Nachfrage erklärt hat, dass der Antrag mit der Fortsetzung der Laufbahnausbildung auch darauf gerichtet sein soll, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig die Möglichkeit zu geben, die Klausur im Modul GS 2 (Eingriffsrecht/Staatsrecht) sowie die Klausur im Modul GS 6 (Verkehrssicherheitsarbeit) zu wiederholen.
4Die tatsächlichen Voraussetzungen eines dieses Begehren stützenden Anordnungsanspruchs hat die Antragstellerin jedoch nicht glaubhaft gemacht.
51. Dabei steht in der auch im Streitfall gegebenen Situation einer Kommissaranwärterin oder eines Kommissaranwärters,
6- im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Sprachform verzichtet und gilt die männliche Sprachform für alle Geschlechter -
7der nach Bekanntgabe des endgültiges Nichtbestehens einer Prüfung deren Wiederholung bzw. Neubewertung und daneben die Fortsetzung der Laufbahnausbildung begehrt, nicht bereits die Regelung des § 22 Abs. 4 BeamtStG i. V. m. § 16 Abs. 2 Satz 1 LVO Pol bzw. § 12 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung über die Ausbildung und die II. Fachprüfung für den Laufbahnabschnitt II der Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten des Landes Nordrhein-Westfalen
8- vom 29.9.2008, GV.NRW S. 554, zuletzt geändert durch Verordnung vom 26.2.2021, GV NRW. S. 206, im Folgenden: VAPPol II Bachelor; ebenso § 8 Abs. 3 Satz 1 VAPPol II Bachelor vom 30.5.2022, GV. NRW. S. 736, im Folgenden: VAPPol II Bachelor 2022 -
9der Gewährung einstweiligen Rechtschutzes gemäß § 123 VwGO entgegen. In der Vergangenheit hat der Senat angenommen, die begehrte (vorläufige) Fortsetzung der Laufbahnausbildung sei schon deshalb ausgeschlossen, weil der Beamte mit dem endgültigen Nichtbestehen der für die Laufbahn vorgeschriebenen Prüfung gemäß § 22 Abs. 4 BeamtStG kraft Gesetzes aus dem Beamtenverhältnis entlassen sei und eine Fortsetzung der Ausbildung außerhalb des Beamtenverhältnisses nicht in Betracht komme, bzw. die Studierenden gemäß § 22 Abs. 1 und 2 FHGöD, § 4 Abs. 3 VAPPol II Bachelor durch die Ausbildungsbehörde zugewiesen würden und eine solche Zuweisung mit der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis nicht mehr vorliege. Auf die Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung und deren Bestandskraft komme es dabei nicht an.
10Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 21.2.2018 ‑ 6 B 53/18 -, juris Rn. 5 ff. m. w. N.
11Dieser Rechtsstandpunkt kann im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9.6.2020 - 2 BvR 469/20 - nicht aufrechterhalten werden. Danach wird die pauschale Versagung einstweiligen Rechtsschutzes auf vorläufige Fortsetzung einer polizeilichen Ausbildung innerhalb oder außerhalb eines Beamtenverhältnisses gestützt auf den Eintritt der Beendigungswirkung des § 22 Abs. 4 BeamtStG dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerecht. Es bestünden - so das Bundesverfassungsgericht - besondere Erfordernisse an die Effektivität des Rechtsschutzes, wenn die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu einer erheblichen Ausbildungsverzögerung führt. Die dadurch verlorenen Studienjahre stellten für sich genommen schon einen gravierenden Nachteil dar, abgesehen davon, dass bereits in der Ausbildung befindliche Betroffene darüber hinaus gehalten seien, prüfungsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem aktuellen Stand zu halten, obwohl ihre Situation durch die Ungewissheit über den weiteren Werdegang gekennzeichnet sei. Mit Rücksicht darauf könne die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht pauschal gestützt auf die Sperrwirkung des § 22 Abs. 4 BeamtStG ausgeschlossen werden. Wenn dem Entlassenen vorläufiger Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung - etwa in Gestalt der vorläufigen Fortsetzung der Ausbildung durch Neubegründung eines Beamtenverhältnisses oder außerhalb eines solchen, der vorläufigen Zulassung zur Wiederholungsprüfung oder der vorläufigen Neubewertung - gewährt werde, bleibe die Beendigungswirkung § 22 Abs. 4 BeamtStG mit Blick auf das bisherige Beamtenverhältnis an sich unangetastet. Zwar komme es für den Erlass einer derartigen einstweiligen Anordnung aufgrund der gestuft prüfungs- und beamtenrechtlichen Hauptsache (zunächst Beseitigung der belastenden Prüfungsentscheidung gegebenenfalls in Kombination mit einer Neubewertung oder Wiederholung der Prüfung und sodann Neubegründung eines Widerrufsbeamtenverhältnisses wohl im Rahmen eines Folgenbeseitigungsanspruchs) auf die prüfungsrechtlichen Einwendungen an. Bei Gewährung des skizzierten einstweiligen Rechtsschutzes werde die Beendigungswirkung jedoch gerade respektiert. Der einstweilige Rechtsschutz setze zeitlich später an als die Beendigungswirkung und operiere mit dieser, ohne sie aus regelungssystematischer Sicht zu suspendieren.
12Vgl. zum Ganzen BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 9.6.2020 - 2 BvR 469/20 -, NVwZ 2020, 1187 = juris Rn. 25 ff..
13Dies zugrunde gelegt ist in einer Konstellation, wie sie im Streitfall vorliegt, im Rahmen der einstweiligen Anordnung vorläufiger Rechtsschutz in geeigneter Form zu gewähren, sofern die prüfungsrechtlichen Einwendungen hierzu Anlass geben.
14Ebenso im Anschluss an das BVerfG Sächs. OVG, Beschluss vom 4.9.2020 - 2 B 333/19 -, juris Rn. 5; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 6.5.2021 ‑ 2 MB 29/20 -, NVwZ-RR 2021, 987 = juris Rn. 14 ff; VG Düsseldorf, Beschluss vom 28.2.2022 - 26 L 2647/21 -, juris Rn. 37.
15Zumindest im Regelfall und jedenfalls bei Kommissaranwärtern dürfte dies die erneute Berufung in das Beamtenverhältnis umfassen, da die Studierenden gemäß § 15 Abs. 2 LVO Pol, § 5 VAPPol II Bachelor bzw. § 5 VAPPol II Bachelor 2022 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zu Kommissaranwärtern ernannt werden.
16Die Erwägung des Verwaltungsgerichts, die wiedergegebene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei für den Streitfall irrelevant, weil es dem Beschwerdeführer in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgerichts auf die (vorläufige) erneute Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf angekommen sei, wohingegen die Antragstellerin im Streitfall die (vorläufige) Fortsetzung ihres Studiums begehre, überzeugt den Senat nicht. Abgesehen davon, dass davon auszugehen gewesen sein dürfte bzw. jedenfalls nachzufragen gewesen wäre, ob der gestellte Antrag die Berufung ins Beamtenverhältnis umfassen sollte, haben sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Sächsische Oberverwaltungsgericht im vorausgegangenen Verfahren das Begehren auf Fortsetzung des Studiums sowohl innerhalb als auch außerhalb eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf in den Blick genommen. Dabei handelt es sich bei ersterer Möglichkeit um die weitergehende, so dass die Erwägungen - wäre das Begehren der Antragstellerin tatsächlich nur auf Fortsetzung des Studiums außerhalb eines Beamtenverhältnisses gerichtet - erst recht Geltung beanspruchen dürften.
172. Dem Erfolg des Antrags steht jedoch entgegen, dass nach derzeitiger Erkenntnislage keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung vom 26.1.2022 bestehen, mit der der Antragsgegner den Rücktritt der Antragstellerin von der Prüfung am 14.12.2021 (im Modul GS 2) sowie am 21.12.2021 (im Modul GS 6) jeweils nicht genehmigt, die Prüfung jeweils mit der Note "nicht ausreichend" bewertet, das Modul GS 2 und GS 6 jeweils als endgültig nicht bestanden erklärt und die Fortsetzung des Studiums ausgeschlossen hat. Die Antragstellerin hat den Rücktritt von den Prüfungen jeweils nicht unverzüglich erklärt.
18Nach § 12 Abs. 2 VAPPol II Bachelor (ebenso: 8 Abs. 2 Satz 1 VAPPol II Bachelor 2022) sowie § 13 Abs. 2 Satz 3 Teil A der Studienordnung der Bachelorstudiengänge an der HSPV NRW (StudO BA) ist eine Studienleistung und damit die Bachelorprüfung endgültig nicht bestanden, wenn Studierende auch in einer Wiederholung nicht eine Bewertung von mindestens "ausreichend" (4,0) oder "bestanden" erreichen. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Teil A StudO BA wird eine Studienleistung mit "nicht ausreichend" (5,0) bewertet, wenn die Kandidatin oder der Kandidat ohne triftige Gründe von der Prüfung zurücktritt. Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 Teil A StudO BA müssen die für einen Prüfungsrücktritt geltend gemachten Gründe dem Prüfungsamt unverzüglich schriftlich angezeigt und glaubhaft gemacht werden.
19Der das gesamte Prüfungsrecht beherrschende, verfassungsrechtlich gewährleistete Grundsatz der Chancengleichheit gebietet es, an die Unverzüglichkeit der Geltendmachung einen strengen Maßstab anzulegen. Diese Mitwirkungsobliegenheit, die ihren Rechtsgrund in dem auch im Prüfungsrechtsverhältnis geltenden Grundsatz von Treu und Glauben hat, findet ihre Begrenzung im Rahmen des Zumutbaren. Eine Rücktrittserklärung ist hiernach nicht mehr unverzüglich, wenn sie nicht zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgt, zu dem sie vom Prüfling in zumutbarer Weise hätte erwartet werden können. Spätestens dann, wenn sich der Prüfling der (krankheitsbedingten) Verminderung seiner Leistungsfähigkeit bewusst geworden ist, muss er den Rücktritt erklären. Die genaue krankheitsbedingte Ursache muss ihm nicht bekannt sein. Maßgeblich sind dabei die Umstände des Einzelfalls.
20BVerwG, etwa Urteil vom 24.2.2003 - 6 C 22.02 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 403 = juris Rn. 22, und Beschluss vom 3.1.1994 - 6 B 5.93 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 327 = juris Rn. 4; OVG NRW, Beschlüsse vom 8.1.2020 - 14 B 1680/19 -, juris Rn. 5 f. und vom 18.8.2017 - 6 B 918/17 -, juris Rn. 8, jeweils m. w. N.; Fischer/ Jeremias/Dietrich, Prüfungsrecht, 8. Auflage 2022, Rn. 282 ff.
21Gemessen an diesen Anforderungen hat die Antragstellerin ihren Rücktritt von der Prüfung jeweils nicht unverzüglich erklärt. Dabei kann wiederum auf sich beruhen, ob sie den Rücktritt von der Prüfung am 14.12.2021 bereits am 13.12.2021 schriftlich hätte erklären müssen, nachdem sie schon an jenem Tag dem Prüfungsamt gegenüber telefonisch ihre Prüfungsunfähigkeit geltend gemacht hat. Jedenfalls hätte sie jeweils spätestens am Prüfungstag, als sie sich aufgrund der entsprechenden ärztlichen Diagnose der krankheitsbedingten Verminderung ihrer Leistungsfähigkeit zweifellos bewusst war, dem Antragsgegner eine Rücktrittserklärung schriftlich übermitteln und die Gründe für den Rücktritt glaubhaft machen müssen. Eine solche schriftliche Erklärung hat sie nicht unverzüglich abgegeben, und zwar weder in Schriftform noch - worauf noch einzugehen ist - in elektronischer Form.
22Das Erfordernis einer unverzüglichen schriftlichen Rücktrittserklärung hätte der Antragstellerin jedenfalls bekannt sein müssen, da es - wie erwähnt - in der Studienordnung normiert ist. Sie ist überdies - ohne dass es darauf entscheidend ankommt - zu Beginn des Studiums ausdrücklich darauf hingewiesen und im Übrigen in dem am 13.12.2021 mit Herrn N. geführten Telefonat hierauf nochmals eigens aufmerksam gemacht worden.
23Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragstellerin eine schriftliche Erklärung spätestens am jeweiligen Prüfungstag nicht zumutbar gewesen wäre. Die Antragstellerin hat bereits am 13.12.2021 aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit dem Prüfungsamt zum Prüfungsrücktritt telefoniert und war darüber hinaus in der Lage, an eine Mitarbeiterin beim Studienort E. eine E-Mail zu schicken. Ferner hat sie jeweils am Vormittag des Prüfungstags ihren Hausarzt aufgesucht. Es ist vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen, dass sie zu einer schriftlichen Erklärung und deren Übermittlung am 13.12.2021 bzw. jedenfalls am Prüfungstag außerstande gewesen wäre. Dem Vortrag, ein Besuch beim Hausarzt sei in erkranktem Zustand so anstrengend, dass es (stets) unzumutbar sei, unmittelbar nach Wiederkehr eine Mitteilung an das Prüfungsamt zu verfassen, kann in dieser Pauschalität nicht gefolgt werden; abgesehen davon lässt er hinsichtlich der Prüfung am 14.12.2021 die Möglichkeit der Abgabe einer schriftlichen Rücktrittserklärung schon am 13.12.2021 außer Betracht. Näheres zu ihrem Zustand an den betroffenen Tagen hat die Antragstellerin - erst recht mit der Beschwerde - nicht angegeben, geschweige denn glaubhaft gemacht.
24Die Glaubhaftigkeit der Behauptung, sie sei am 13.12.2021 sowie jeweils am Prüfungstag krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, eine schriftliche Erklärung abzugeben, wäre im Übrigen durchgreifenden Zweifel ausgesetzt, weil sie mit der Stellungnahme der Antragstellerin selbst vom 5.1.2021 nicht in Einklang stünde. In dieser Stellungnahme hat die Antragstellerin sich bezeichnenderweise nicht auf die Unzumutbarkeit der Abgabe der schriftlichen Rücktrittserklärung am 13.12.2021 bzw. jeweils am Prüfungstag infolge ihrer Erkrankung, sondern in erster Linie darauf berufen, da sie sich im Telefonat am 13.12.2021 bereits geäußert bzw. sich "abgemeldet" habe, sei sie im Glauben gewesen, dass diese Vorgehensweise ausreichend gewesen sei und sie sich "nicht explizit nochmal schriftlich" habe "abmelden" müssen. Im Weiteren hat sie zwar zunächst angegeben, sie habe sich nicht gut genug gefühlt, das Haus zu verlassen, dann aber wiederum angefügt, wenn ihr bewusst gewesen wäre, welche "Auswirkungen/Konsequenzen dies" habe, dann wäre ihr "eine solche Fahrlässigkeit sicher nicht passiert und schon gar nicht zweimal hintereinander", was auch gleichzeitig noch mal ihre Unwissenheit bestätige. Hieraus kann nur entnommen werden, dass die Antragstellerin zur Abgabe der Erklärung imstande gewesen wäre, sich aber über das Erfordernis einer unverzüglichen schriftlichen Erklärung nicht im Klaren gewesen sein will.
25Die Antragstellerin macht auch vergeblich geltend, an die Unverzüglichkeit der Rücktrittserklärung seien niedrigere Anforderungen zu stellen, weil es sich jeweils um ihren dritten und damit letzten Prüfungsversuch gehandelt habe, bzw., die Versagung der Genehmigung des Rücktritts sei vor diesem Hintergrund unverhältnismäßig. Der Antragsgegner weist zutreffend darauf hin, dass eine Absenkung der Anforderungen an die Unverzüglichkeit in Abhängigkeit vom jeweiligen Prüfungsversuch bzw. der Bedeutung der Entscheidung für den Prüfling zu Friktionen im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie zu unzuträglichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen würde.
26Ohne dass es für den Streitfall darauf ankommt, sei darüber hinaus angemerkt, dass die Antragstellerin auch mit ihren E-Mails vom 15. bzw. vom 22.12.2021 die in § 19 Abs. 2 Satz 1 Teil A StudO BA angeordnete Schriftform nicht gewahrt haben dürfte. Nach der gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW anwendbaren Bestimmung des § 3a Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW kann eine - wie danach hier - durch Rechtsvorschrift angeordnete Schriftform, soweit nicht durch Rechtsvorschrift etwas anderes bestimmt ist, durch die elektronische Form ersetzt werden. Eine abweichende Bestimmung zur Schriftform enthält jedenfalls die Studienordnung nicht. Der elektronischen Form genügt nach § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG NRW ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist. Eine qualifizierte elektronische Signatur weist soweit ersichtlich keine der beiden E-Mails auf. Es liegt auch kein Fall des § 3a Abs. 2 Satz 4 VwVfG NRW vor. Insbesondere handelt es sich bei der Abgabe der Rücktrittserklärung unter Nutzung des (lediglich) herunterzuladenden "Formulars für den Nachweis der Prüfungsfähigkeit" nicht um die unmittelbare Abgabe der Erklärung in einem elektronischen, von der Behörde zur Verfügung gestellten Formular im Sinne des § 3a Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 VwVfG NRW,
27vgl. zu diesem Erfordernis Schulz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Auflage 2019, § 3a Rn. 127,
28zumal das herunterzuladende Formular lediglich eine Erklärung des Arztes vorsieht.
29Vgl. zur fehlenden Schriftform des Prüfungsrücktritts per E-Mail auch VG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 14.8.2007 - 1 K 1091/07 -, juris Rn. 10 m. w. N.
30Der Antragsgegner hält gleichwohl die elektronische Übermittlung einer Rücktrittserklärung ohne Beachtung der Erfordernisse des § 3a Abs. 2 VwVfG NRW offenbar generell für zulässig, wie sein Vortrag im Streitfall belegt, die Antragstellerin hätte "ihre Rücktrittserklärungen mit einem Satz per E-Mail über ihr Smartphone an das Prüfungsamt versenden" können. Insoweit kann der Senat offen lassen, ob der Antragsgegner sich jedenfalls aufgrund der auf seiner Homepage veröffentlichen "Hinweise zum Rücktritt von Prüfungsleistungen" unter 2. an der darin als zulässig dargestellten Möglichkeit der elektronischen Übermittlung einer Rücktrittserklärung - offenbar ohne Wahrung der Anforderungen des § 3a Abs. 2 VwVfG NRW - festhalten lassen müsste. Dort heißt es: "Die für den Rücktritt geltend gemachten Gründe müssen dem Prüfungsamt unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern nach Kenntnis der Erkrankung oder des Hinderungsgrundes, entweder postalisch an HSPV NRW Zentralverwaltung, (…), oder elektronisch an (pruefungsunfaehigkeit@HSPV NRW.de) angezeigt und glaubhaft gemacht werden. Hierzu ist das entsprechende und auf der Homepage der HSPV NRW unter (…) bereitgestellte Formular 'Prüfungsunfähigkeitsbescheinigung' zu nutzen." Dieses Formular kann, wie erwähnt, dort lediglich heruntergeladen, nicht aber elektronisch ausgefüllt werden. Die demnach offenbar beim Antragsgegner gängige Handhabung des § 19 Abs. 2 Teil A
31StudO-BA mag zwar praktischen Bedürfnissen entsprechen und im Sinne der zurücktretenden Studierenden liegen, erscheint jedoch nach dem vorstehend Ausgeführten und vor dem Hintergrund der Wahrung der Chancengleichheit, der das Erfordernis der unverzüglichen Rücktrittserklärung auch dient,
32vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 3.1.1994 - 6 B 5.93 -, a. a. O. Rn. 4,
33rechtlich problematisch.
34Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
35Die Streitwertfestsetzung bzw. die Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung beruhen auf §§ 39 Abs. 1, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Sätze 2 und 3, 63 Abs. 3 GKG. Die Antragstellerin hat auf Nachfrage bestätigt, das ihr Antrag auch darauf gerichtet sein soll(te), den Antragsgegner zu verpflichten, ihr vorläufig die Möglichkeit zu geben, die Klausur im Modul GS 2 (Eingriffsrecht/Staatsrecht) sowie die Klausur im Modul GS 6 (Verkehrssicherheitsarbeit) zu wiederholen. Der Senat bemisst den Streitwert insoweit gestützt auf § 52 Abs. 2 GKG auf 2.500 Euro je Prüfung. Er nimmt eine Halbierung des in Anlehnung an Nr. 36.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit anzusetzenden Auffangwerts von 5.000 Euro vor, weil jedenfalls eine vollständige bzw. endgültige Vorwegnahme der Hauptsache nicht vorliegt, da die Prüfung nur unter dem Vorbehalt des Erfolgs in der Hauptsache abgelegt wird. Der Streitwert wird für jede der hier betroffenen Prüfungen gesondert angesetzt, weil es sich nicht um Teilstudienleistungen, sondern jeweils um eine ein Modul abschließende Prüfung im Sinne des § 10 Abs. 2 Satz 1 VAPPol II Bachelor bzw. § 6 Abs. 2 VAPPol II Bachelor 2022 handelt, bei der das Nichtbestehen im - wie hier - Wiederholungsfall gemäß § 12 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 VAPPol II Bachelor bzw. § 8 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 VAPPol II Bachelor 2022 jeweils eigenständig zum endgültigen Nichtbestehen der Bachelorprüfung und zur Beendigung der Ausbildung führt. Der Streitwert für den daneben gestellten und selbstständig zu bewertenden Antrag, der Antragstellerin unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf die Fortsetzung der Laufbahnausbildung vorläufig zu gestatten, wird gemäß § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Sätze 2 und 3 GKG auf 6 x 1.355,68 = 8.134,08 : 2 Euro festgesetzt. Dabei war auch schon für das erstinstanzliche Verfahren davon auszugehen, dass der Antrag auf Fortsetzung der Ausbildung die erneute Berufung ins Beamtenverhältnis auf Widerruf umfasste, weil diese gemäß § 15 Abs. 2 LVO Pol, § 5 VAPPol II Bachelor bzw. § 5 VAPPol II Bachelor 2022 stets im Beamtenverhältnis auf Widerruf erfolgt. Der Senat hat insoweit ferner im Blick, dass dieses Begehren regelmäßig zu dem weiteren Streitgegenstand - Fortsetzung der Ausbildung - hinzutritt. Auch insoweit bleibt der Senat mangels vollständiger Vorwegnahme der Hauptsache bei der Halbierung des Betrags. Die sich ergebenden Streitwerte sind gemäß § 39 Abs. 1 GKG zu addieren (2 x 2.500 + 4.067,04). Für die Einzelheiten wird auf den Beschluss vom heutigen Tag im Verfahren 6 E 288/22 verwiesen.
36Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- 6 E 288/22 1x (nicht zugeordnet)
- § 16 Abs. 2 Satz 1 LVO 1x (nicht zugeordnet)
- BeamtStG § 22 Entlassung kraft Gesetzes 5x
- VwVfG § 2 Ausnahmen vom Anwendungsbereich 1x
- § 15 Abs. 2 LVO 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 123 1x
- VwGO § 146 1x
- 6 B 53/18 1x (nicht zugeordnet)
- 26 L 2647/21 1x (nicht zugeordnet)
- 2 MB 29/20 1x (nicht zugeordnet)
- § 39 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 3a Elektronische Kommunikation 6x
- § 15 Abs. 2 LVO 1x (nicht zugeordnet)
- 6 B 918/17 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- 2 K 634/22 1x (nicht zugeordnet)
- 14 B 1680/19 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - 1 K 1091/07 1x
- 2 B 333/19 1x (nicht zugeordnet)
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 152 1x
- 2 BvR 469/20 2x (nicht zugeordnet)