Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 B 542/22
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen – als Gesamtschuldner – die Kosten des Beschwerdeverfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
1Die zulässige Beschwerde der Antragssteller hat keinen Erfolg.
2Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht auf eine Änderung der angefochtenen Entscheidung.
3Das Verwaltungsgericht hat den mit der Beschwerde weiterverfolgten Antrag,
4die aufschiebende Wirkung der Klage vom 15. Juli 2021 – 9 K 3630/21 – gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 17. Juni 2021 anzuordnen,
5im Wesentlichen mit der Begründung ablehnt, überwiegende Gesichtspunkte sprächen dafür, dass die Klage keinen Erfolg haben werde, weil die streitige Baugenehmigung nicht zum Nachteil der Antragsteller gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts verstoße. Die Baugenehmigung sei nicht zu ihren Lasten unbestimmt. Zwar lasse das zur Genehmigung gehörende Nutzungskonzept einige Fragen offen, wie etwa zu den Details der Aufnahme in die Wohngruppe oder die Überlassung der einzelnen Appartements. Unabhängig von der Ausgestaltung im Einzelnen, sei die Nutzung indes als eine in dem Gebiet zulässige Wohnnutzung anzusehen, so dass letztlich hinreichend vorhersehbar sei, was der Bauherr dürfe und was die Nachbarn zu dulden hätten. Das Vorhaben verstoße auch nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts. Zwar lägen das Grundstück der Antragsteller und der westliche Teil des Vorhabengrundstücks jeweils im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. I/T0 "Im U. " vom 26. Mai 1965. Das Vorhaben entspreche aber (im Wesentlichen) den Festsetzungen des Bebauungsplans zur Art der Nutzung, der ein "reines Wohngebiet" festsetze. Letztlich müsse bei der Frage, ob der Wohnbegriff des § 3 BauNVO 1962 auch Wohngebäude umfasse, die der Betreuung und Pflege der Bewohner dienten, danach differenziert werden, inwieweit – trotz erfolgender Betreuung und Pflege – noch die für das "Wohnen" konstituierenden Merkmale erfüllt seien. Dies sei nach den Umständen des Einzelfalls zu beantworten. Gemessen an diesen Anforderungen betreffe das zugelassene Vorhaben ein zulässiges Wohngebäude. Das Nutzungskonzept und die weiteren zur Baugenehmigung gehörenden Unterlagen belegten, dass es sich bei der genehmigten Nutzung trotz gewisser Unklarheiten und offener Fragen um eine Wohnnutzung handele. Von den Merkmalen, welche den Begriff des Wohnens konstitutiv ausmachten, sei zunächst die selbstbestimmte Häuslichkeit gegeben. Jedem Bewohner stehe ein eigener Wohnraum mit eigenem Bad und jedenfalls mit Anschlüssen für eine eigene kleine Küche zur Verfügung. Die Inanspruchnahme des Angebots einer ambulanten Betreuung "rund um die Uhr" solle nur nach Bedarf erfolgen. Ein durch betriebliche Arbeitsabläufe und Organisation "fremdbestimmter" Tagesablauf sei ebenfalls nicht vorgesehen. Die Häuslichkeit sei zudem auf Dauer angelegt und das Merkmal der Freiwilligkeit des Aufenthaltes gegeben. Ein Gebietsgewährleistungsanspruch sei auch nicht gegeben, soweit der Bebauungsplan Nr. I/T0 nach § 2 Abs. 1 lit. k. der textlichen Festsetzungen den Bau von Familienheimen vorsehe, weil die Antragsgegnerin eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt habe. Denn das Bestehen eines Gebietsgewährleistungsanspruchs sei schon dann zu verneinen, wenn – was hier der Fall sei – die Erteilung einer planungsrechtlichen Ausnahme zulässig sei, wobei unerheblich sei, ob die Erteilung im Einzelfall bereits erfolgt bzw. fehlerfrei sei. Ungeachtet dessen sei bezüglich der Befreiung nicht zu erkennen, dass diese die nachbarlichen Interessen der Antragsteller nicht hinreichend berücksichtigt habe. Das Vorhaben verstoße auch nicht zulasten der Antragsteller gegen sonstige nicht die Art der Nutzung betreffende nachbarschützende Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. I/T0. Nach dem Gesamteindruck der Festsetzungen des Bebauungsplans sei die Ausweisung der Flächen für Stellplätze und Garagen, über die die genehmigte Stellplatzanlage hinausgehe, nur aus städtebaulichen Gründen erfolgt und ihr auch sonst keine nachbarschützende Wirkung beizumessen. Darüber hinaus habe die Antragsgegnerin von dieser Festsetzung ohne Verstoß gegen Nachbarrechte eine Befreiung erteilt. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme aufgrund der Lage und Anordnung der Stellplätze liege nicht vor. Die Vorlage eines schalltechnischen Gutachtens sei nicht erforderlich gewesen. Angesichts der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Vorhabengrundstück gingen von den in drei Reihen angeordneten insgesamt 16 Stellplätzen keine unzumutbaren Beeinträchtigungen aus. Zwar befände sich die von der Straße aus gesehen letzte Reihe der Stellplätze schon auf der Höhe des Grundstücks der Antragsteller, das in diesem Bereich den nach Süden ausgehenden nicht besonders großen Garten habe. Der nächstgelegene Stellplatz weise jedoch einen Abstand von mehr als 6 m zur Grundstücksgrenze auf. Des Weiteren sei die Umgebung des Vorhabengrundstücks und des Grundstücks der Antragsteller deutlich durch straßennah errichtete Stellplatzanlagen vorgeprägt. Zudem sei der betroffene Grundstückteil schon bisher nicht völlig frei von Fahrzeugbewegungen und kraftfahrzeugbedingten Immissionen gewesen. Denn auf dem Vorhabengrundstück habe eine 45 m lange Zufahrt zu einer Garage bestanden. Hinweise auf ungewöhnlich häufige Fahrzeugbewegungen fehlten. Das zugelassene Vorhaben erweise sich auch nicht wegen seiner Größe und seiner Nähe zum Grundstück der Antragsteller sowie des Umstands, dass das Vorhabengrundstück bislang deutlich weniger intensiv bebaut gewesen sei, als rücksichtslos.
6Diesen im Einzelnen weitergehend begründeten Ausführungen setzt die Beschwerde nichts Durchgreifendes entgegen, was im Ergebnis eine andere Bewertung der Interessenlage im Eilverfahren begründet.
7Zwar greifen die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zum fehlenden Gebietsgewährleistungsanspruch bei summarischer Prüfung möglicherweise zu kurz. Dies trifft insbesondere die Annahme, ein Gebietserhaltungsanspruch komme auch nicht aufgrund des Umstands in Betracht, dass § 2 Abs. 1 lit. k. der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. I/T0 für den westlichen Teil des Vorhabengrundstücks den Bau von Familienheimen vorsehe. Daraus resultiert indes im Ergebnis keine andere Interessenabwägung. Denn die Erfolgsaussichten der Klage erweisen sich dessen unbeschadet allenfalls als offen (1.) und die offene Abwägung der Interessen unter Berücksichtigung namentlich der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 212a Abs. 1 BauGB fällt zu Lasten der Antragsteller aus (2.).
81. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens spricht jedenfalls nichts Überwiegendes für einen Erfolg der Klage im Hauptsacheverfahren.
9a) Dies gilt zunächst für den geltend gemachten Gebietserhaltungsanspruch.
10aa) Der Annahme des Verwaltungsgerichts, bei dem streitgegenständlichen Vorhaben handele es sich bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung im Schwerpunkt noch um eine in einem reinen Wohngebiet nach der Baunutzungsverordnung 1962 zulässige Wohnnutzung und nicht um eine soziale Einrichtung, die dort weder allgemein noch ausnahmsweise genehmigungsfähig ist, überzeugt bei summarischer Prüfung.
11Abzustellen ist zur Abgrenzung dieser Nutzungsarten darauf, welches Nutzungskonzept grundsätzlich verwirklicht werden soll und ggf. welche der unterschiedlichen Nutzungsunterformen dem Vorhaben sein bodenrechtliches Gepräge gibt.
12Vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 25. März 1996 - 4 B 302.95 -, BRS 58 Nr. 56 = juris Rn. 12, vom 26. Juli 2005 - 4 B 33.05 -, BauR 2005, 1754 = juris Rn. 5, und vom 20. Dezember 2016 – 4 B 49.16 -, BRS 84 Nr. 58 = juris Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 4. Juni 2020 – 2 B 417/20 –, juris Rn. 5; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 8 A 11049/18 -, BauR 2019, 628 = juris Rn. 13; zusammenfassend Külpmann, DVBl. 2020, 657; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Kommentar, Stand Februar 2017, § 3 BauNVO Rn. 36 ff.
13Diesen schon vom Verwaltungsgericht zutreffend gewählten Ansatz stellt die Beschwerde nicht durchgreifend in Frage.
14Aus dem Umstand, dass in der Baunutzungsverordnung 1990 unter § 3 Abs. 4 die Bestimmung aufgenommen wurde, dass zu den zulässigen Wohngebäuden im reinen Wohngebiet auch solche gehören, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen, lassen sich andere Abgrenzungskriterien nicht ableiten. Insbesondere lässt sich daraus – anders als die Beschwerde meint - nicht etwa folgern, der Verordnungsgeber sei davon ausgegangen, dass unter der Geltung vorangegangener Fassungen der Baunutzungsverordnung in reinen Wohngebieten ein Gebäude schon in dem vom Verwaltungsgericht vorgestellten Fall unzulässig sei, dass eine Betreuung und Pflege der Bewohner in einem Gesamtzusammenhang angeboten wird, in dem die konstitutiven Merkmale eines Wohnens überwiegen.
15Zutreffend hat das Verwaltungsgericht herausgestellt, dass die bundesrechtliche Vorschrift des § 3 Abs. 4 BauNVO 1990 durchaus als Auslegungshilfe für den Begriff des Wohngebäudes im Sinn von § 3 BauNVO 1962 Bedeutung erlangen kann und nach der übereinstimmenden allgemeinen Rechtsauffassung Wohngebäude im Sinne dieser Vorschrift auch solche sein können, die der Betreuung und Pflege der Bewohner dienen. Entscheidend ist, ob trotz der Betreuung und Pflege noch die Merkmale erfüllt sind, die das "Wohnen" konstituieren. Unter dieser Voraussetzung gehört zum Wohnen auch das Wohnen mit Betreuung und Pflege.
16Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 25. März 1996 - 4 B 302.95 -, ZfBR 1996, 228 = juris Rn. 11, und vom 20. Dezember 2016 – 4 B 49.16 -, BRS 84 Nr. 58 = juris Rn. 9; OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 1998 – 10 B 1319/98 –, juris Rn. 14.
17Letztlich muss also danach differenziert werden, inwieweit - trotz erfolgender Betreuung und Pflege - noch die für das "Wohnen" konstituierenden Merkmale erfüllt sind, was sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beantwortet. Entscheidend ist das genehmigte Nutzungskonzept und seine grundsätzliche Verwirklichung und nicht etwa das individuelle und mehr oder weniger spontane Verhalten einzelner Bewohner. Kein Wohnen liegt vor, wenn nach dem konkreten Betriebskonzept der Betreuungsaspekt das Vorhaben bauplanungsrechtlich prägt, die bloße Unterbringung und fremdbestimmte Verwahrung und Behandlung überwiegen, namentlich, wenn der betreute Bewohner seine nähere Umgebung nicht wenigstens in einem Mindestmaß wohnartig selbst gestalten kann.
18Auch die Beschwerde stellt das der Sache nach nicht ernsthaft in Abrede. Sie kritisiert vielmehr im Kern die getroffene Bewertung im Einzelfall und befürchtet, dass in der Wohngruppe Pflege- und Betreuungsleistungen den wesentlichen Inhalt der Nutzung ausmachten und verweist auf die von der Beigeladenen erstinstanzlich vorgelegten nachgereichten "konzeptionellen Eckpunkte" vom 3. August 2020.
19Diese Befürchtung ist jedenfalls bei summarischer Prüfung unbegründet. Danach spricht hier jedenfalls nichts Überwiegendes dafür, dass das Verwaltungsgericht fehlerhaft davon ausgegangen wäre, die in dem Vorhabengebäude nach der streitigen Baugenehmigung vorgestellte Nutzungseinheit "Wohngruppe mit 12 Appartements" sei in der genehmigten Ausgestaltung durch die Merkmale einer Wohnnutzung geprägt. Die bloße Unterbringung und fremdbestimmte Verwahrung und Behandlung stünden nicht im Vordergrund. Auch insoweit folgt der Senat den gut nachvollziehbaren Erwägungen des Verwaltungsgerichts nach Auswertung des Beschwerdevorbringens, das im Grundsatz nicht über die bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragenen Einwände hinausgeht, mit denen sich das Verwaltungsgericht eingehend befasst hat. Tragfähige Anknüpfungspunkte für die Befürchtung der Beschwerde, auf der Grundlage der Genehmigung werde sich eine reine krankenhausähnliche Pflegeeinrichtung entwickeln, ergeben sich nach Aktenlage nicht. Den sich in diesem Zusammenhang ggf. stellenden Fragen mag im Hauptsacheverfahren weiter nachgegangen werden.
20Jedenfalls für die Bewertung im Eilverfahren bleibt entscheidend, dass die Appartements zur Einzelnutzung vorgesehen sind und Bad sowie Küchenanschlüsse aufweisen; jedes Ein-Raum-Appartement dient danach zur uneingeschränkten Nutzung der Bewohner/innen und soll von diesen selbst gestaltet werden; das schließt die Entscheidung ein, ob von den Küchenanschlüssen Gebrauch gemacht wird. Auch wird in der zum Gegenstand der Genehmigung gewordenen ergänzenden Baubeschreibung eine gemeinschaftliche (aber in gewissem Ausmaß individuelle) Wohnform hervorgehoben, die mit einer überwiegend fremdbestimmten Pflegeform nicht in Einklang gebracht werden könnte. Von einem einer Wohnnutzung entgegenstehenden fremdbestimmten Tagesablauf kann erst dann gesprochen werden, wenn die Einrichtung mit ihren durch die Funktionsfähigkeit bedingten Ansprüchen die Lebensführung der (Mit-)Bewohner bestimmt.
21Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 1998 - 10 B 1319/98 -, juris Rn. 20.
22Eine Betreuung ist hier konzeptionell indes - wie auch das Verwaltungsgericht hervorgehoben hat - nur nach Bedarf und Anforderung vorgesehen. Eine zwangsweise Unterbringung ist nicht vorgestellt und es spricht auch sonst nichts gegen eine Freiwilligkeit der Nutzung. In der zur Genehmigung gewordenen ergänzenden Betriebsbeschreibung ist herausgestellt, Mieter/innen würden je nach Bedarf von der Pflege- und Betreuungsdienst C. GmbH betreut. Sie nutzen die Gemeinschaftsküche, Ess- und Wohnzimmerbereich gemeinsam privat. Letztlich unterscheidet sich der Aufenthalt in der genehmigten Wohngruppe trotz des Umstands, dass die Bewohner regelmäßig pflegebedürftig sein sollen, nicht von dem Aufenthalt eines pflegebedürftig gewordenen Menschen in seiner bisherigen, angestammten Wohnung und fehlen auch sonst Anhaltspunkte dafür, dass nicht individuelle gesundheitliche Beeinträchtigungen der Bewohner, sondern die Einrichtung mit ihren durch die Funktionsfähigkeit bedingten Ansprüchen die Lebensführung der Bewohner bestimmen soll. Die "konzeptionellen Eckpunkte" vom 3. August 2020 führen auf keine andere Bewertung. Auch dort ist u. a. herausgestellt: "Das Leben in der Wohngruppe soll durch eine möglichst individuelle Gestaltung des Wohnumfeldes, der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises geprägt sein." (3. Gliederungspunkt, 2. Satz) Außerdem erfolgt die pflegerische Versorgung auch nur "ambulant". Darüber hinaus datiert die zum Bestandteil der Baugenehmigung gewordene Betriebsbeschreibung vom 21. April 2021, während die "Konzeptionellen Eckpunkte" zeitlich älter (3. August 2020) sind; überdies handelt es sich hierbei auch nur um einen "Entwurf", der nicht zum Gegenstand der Genehmigung geworden ist. Eine abschließende Klärung auch der Frage, ob es zur Absicherung des in der Baubeschreibung zum Ausdruck gebrachten Wohnschwerpunktes der vorgestellten Pflege-Wohn-Gemeinschaft aus Gründen der Bestimmtheit einer weitergehenden konzeptionellen Absicherung in der Genehmigung bedürfte, kann aus Sicht des Senates dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
23bb) Soweit der Bebauungsplan Nr. I/S4 nach § 2 Abs. 1 lit. k. der textlichen Festsetzungen für den westlichen Teil des Vorhabengrundstücks den Bau von Familienheimen vorsieht, spricht ebenfalls nach derzeitigem Erkenntnisstand nichts Überwiegendes für einen das Klageergebnis zugunsten der Antragsteller vorzeichnenden Nachbarrechtsverstoß. Die Klärung der in diesem Zusammenhang auftretenden Fragen sind dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten.
24Das betrifft zunächst die Frage des Regelungsgehalts der Festsetzung, insbesondere ihrer drittschützenden Ausrichtung, von deren fortdauernden Wirksamkeit jedenfalls im Eilverfahren auszugehen ist (1). Ginge es um eine nachbarschützende Festsetzung, wäre die Befreiung im Klageverfahren einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle zu unterziehen, was zu der Frage führte, ob die Befreiung, die in dem Genehmigungsbescheid ausgesprochen worden ist, trotz Fehlens einer ausdrücklichen Begründung in jeglicher Hinsicht rechtmäßig erfolgt ist (2), was hier indes zumal mit Blick darauf dahinstehen mag, dass Überwiegendes dafür spricht, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung vorliegen (3) und im Rahmen der Interessenabwägung auch mögliche und erwartbare inhaltliche Änderungen der Genehmigungs- und Befreiungsentscheidung während des Klageverfahrens berücksichtigt werden können.
25(1) Die Familienheimklausel des Bebauungsplans Nr. I/T0 kann ihre gesetzliche Grundlage allein in § 9 Abs. 1 Nr. 1g) BBauG finden, wonach der Bauungsplan für das Bauland, also die nach § 1 Abs. 2 BauNVO gegliederten Baugebiete, die überwiegend für die Bebauung mit Familienheimen vorgesehenen Flächen festsetzt. Die gesetzliche Regelung nahm damit - wie die Nachfolgeregelung in § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB 1976 – auf die Begrifflichkeit des Familienheims in § 7 II. WoBauG vom 27. Juni 1956 (BGBl. 1956, 523 ff.) Bezug. Die Definition der darunter fallenden Eigenheime, Kaufeigenheime und Kleinsiedlungen findet sich in §§ 9 und 10 II. WoBauG 1956. Allen Definitionen gemein ist die Begrenzung auf höchstens zwei Wohnungen.
26Vgl. dazu auch: BVerwG, Urteil vom 8. Oktober 1998 – 4 C 1.97 – BVerwGE 107, 256 ff. = juris Rn. 24 f.
27Die Baunutzungsverordnung 1962 enthielt in § 3 Abs. 4 darüber hinaus die Möglichkeit, für reine Wohngebiete festzusetzen, dass nur Wohngebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen zulässig sind. Die Festsetzungsermächtigung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 g) BBauG knüpfte demgegenüber an die in § 89 Abs. 3 II. WoBauG begründete Verpflichtung der Gemeinden an und verdeutlichte damit, dass im Rahmen der Bauleitplanung zu der Eigentumsbildung und Schaffung von Familienheimen beigetragen werden sollte. Darin dürfte sich der Regelungsgehalt der Vorschrift allerdings erschöpft und die Ermächtigung somit in erster Linie wohnungsbaurechtliche Gründe und nicht den Ausgleich möglicher Bodennutzungskonflikte verfolgt haben.
28Vgl. zu den Hintergründen und der praktischen Bedeutung der gesetzlichen Regelung: Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, § 9 BauGB, Rn. 74; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB 2. Auflage 1987, Rn. 29 sowie 1. Auflage 1985 Rn. 29; OVG Berlin, Beschluss vom 25 Februar 1988 – 2 S 1.88 -, BRS 48 Nr. 167 (= juris nur Leitsatz).
29Entsprechend dürfte eine auf diese Norm gestützte Festsetzung im Bebauungsplan – anders als die Baugebietsfestsetzung selbst – nicht schon kraft Bundesrechts Drittschutz entfalten.
30Vgl. zur Baugebietsfestsetzung grundlegend: BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 – 4 C 28.91 –, BVerwGE 94, 151 ff. = juris Rn. 12.
31Vor diesem Hintergrund sowie im Hinblick darauf, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes regelmäßig – und, wie gesagt, so auch hier – von der Wirksamkeit der Festsetzungen des genannten Bebauungsplans auszugehen ist, bedarf es vorliegend keines weiteren Eingehens darauf, ob die textliche Festsetzung, die u.a. in den mit WRIIg gekennzeichneten Gebieten im vorliegenden Baugebiet ausschließlich ("nur") Familienwohnheime zulässt, sich im Rahmen einer Rechtsgrundlage hält, die die Festsetzung von Flächen, die überwiegend für die Bebauung mit Familienheimen vorgesehen sind, erlaubt, zumal die entsprechenden (zeitgenössischen) Kommentierungen davon ausgingen, dass jedenfalls in gewissem Umfang auch durchaus andere Bauten (als Familienheime) zulässig waren.
32Vgl. z. B. Schütz/Fürstenberg, Kommentar zum Bundesbaugesetz, 3. Auflage 1970, S. 82 und Knaup/Ingenstau, Bundesbaugesetz mit Kommentar, 4. Auflage 1970, § 9 Rn. 14 i. V. m. § 1 Rn. 12.
33Ob eine solche Regelung – ihre Wirksamkeit unterstellt - insbesondere mit Blick auf eine ggfs. implizierte Zwei-Wohnungs-Klausel gemäß § 3 Abs. 4 BauNVO 1962 über ihren objektiv-rechtlichen Kerngehalt hinaus auch Nachbarschutz vermittelt, ist jedenfalls im Einzelfall durch Auslegung des jeweiligen Bebauungsplans zu klären.
34Vgl. zur Zwei-Wohnungs-Klausel: BVerwG Urteile vom 16. September 1993 – 4 C 28.91 –, BVerwGE 94, 151-163, juris Rn. 11, und vom 26. September 1991 – 4 C 5.87 –, BVerwGE 89, 69 -, juris Rn. 27; Beschlüsse vom 9. März 1993 – 4 B 38.93 –, juris Rn. 3, und vom 9. Oktober 1991 - 4 B 137.91 -, juris Rn. 5, OVG NRW, Urteil vom 18. April 1991 – 11 A 696/87 -, juris Rn. Rn. 52; vgl. zur Auslegung einer Familienheimklausel auch: Saarl. OVG, Beschlüsse vom 13. März 2006 – 2 W 37/05 –, juris Rn. 23, vom 20. Dezember 2005 – 2 W 33/05 –, juris Rn. 11 und vom 22. August 1994 – 2 W 30/94 –, juris Rn. 7; Urteil vom 3. Juni 1980 – II R 110/79-, BRS 36, Nr. 198; Thür. OVG, Beschluss vom 26. Juli 1996 – 1 EO 662/95 -. juris Rn. 58.
35Hierfür spricht jedenfalls aufgrund der dem Senat vorliegenden Unterlagen derzeit nichts Greifbares. Der vorliegende Erläuterungsbericht verhält sich zur aufgeworfenen Frage nicht konkret und es fällt zugleich auf, dass der Plangeber bei Satzungsbeschluss zum Änderungsplan Mitte Juli 1986 keinen Anlass gesehen hat, für den überplanten Teilbereich des hier in Rede stehenden Baufensters ebenso wenig wie für die südlicher gelegenen mit WR IIg überplanten Bereiche gestützt auf § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB 1976 an der Familienheimkausel festzuhalten oder gestützt auf § 3 Abs. 4 BauNVO 1977 die zugelassenen Wohnungen auf zwei zu begrenzen. Die ggf. weitere diesbezügliche Aufklärung mag dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, in dessen Rahmen zur Ermittlung etwaiger drittschützender Rechtspositionen, die derzeit weder festgestellt, ebenso wenig allerdings auch ausgeschlossen werden können, auch die Beiziehung weiterer Aufstellungsvorgänge ggfs. auch des Änderungsplans Nr. I/T 0-4 hilfreich sein könnte.
36(2) (Nur) Wenn der Familienheimklausel drittschützende Wirkung beizumessen sein sollte, mögen allerdings die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu kurz greifen, dass ein Bestehen eines Gebietsgewährleistungsanspruchs in diesem Zusammenhang schon dann zu verneinen sei, wenn - was hier der Fall sei - die Erteilung einer planungsrechtlichen Ausnahme zulässig sei, wobei unerheblich sei, ob die Erteilung im Einzelfall bereits erfolgt bzw. fehlerfrei sei. Insbesondere bliebe unklar, worauf sich eine Ausnahme stützen sollte. Denn der Bebauungsplan selbst sieht andere Wohngebäude als die, die in seinem Verständnis "Familienheime" sind, für das einschlägige WR-Gebiet gerade nicht ausdrücklich als Ausnahme vor. Eine Ermächtigung zur Erteilung einer Ausnahme ließe sich allenfalls aus der Überschrift der – hier unterstellt als wirksam angesehenen - Festsetzung ableiten, die "nur" von "überwiegend" für die Bebauung mit Familienheimen vorgesehenen Flächen spricht. Dies liegt allerdings dann, wenn man aus der Klausel zugleich den Willen des Plangebers für eine Zwei-Wohnungs-Klausel nach Maßgabe des § 3 Abs. 4 BauNVO 1962 ableiten könnte, auf erste Sicht jedenfalls nicht nahe.
37Im Weiteren wäre dann einzustellen, dass eine Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans auf den Rechtsbehelf des Nachbarn hin in vollem Umfang nachzuprüfen ist, d. h. jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung führt. Insbesondere hat der Nachbar – anders als bei einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB – einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Befreiung. Es kommt nicht nur darauf an, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen und die Abweichung objektiv unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Denn bei der Befreiung wird an die Stelle der festgesetzten eine konkrete andere baurechtliche Ordnung gesetzt und damit im Rahmen der Ermessensentscheidung ein anderer Interessenausgleich vorgenommen.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2022 – 4 C 6.20 –, juris Rn. 21, Beschluss vom 27. August 2013 – 4 B 39.13, juris Rn. 3, jeweils m. w. N.
39Insoweit griffe die Hilfserwägung des Verwaltungsgerichts, dass ungeachtet dessen bezüglich der Befreiung auch nicht zu erkennen sei, dass sie nachbarliche Interessen der Antragsteller nicht hinreichend berücksichtige, möglicherweise ebenfalls zu kurz.
40Zugleich genügte auch die von der Antragsgegnerin im Genehmigungsbescheid ausgesprochenen Befreiung von der Festsetzung "nur Familienheime" davon ausgehend möglicherweis nicht den Anforderungen, was für sich schon - eine nachbarschützende Wirkung der Familienheimklausel und deren Fortwirkung unterstellt bzw. vorausgesetzt – die Nachbarrechtswidrigkeit der angegriffenen Genehmigung begründen dürfte. Denn es findet sich in der Befreiungsentscheidung kein Hinweis darauf, welcher Befreiungstatbestand vorliegen soll, welche Erwägungen angestellt und ob nachbarliche Belange gewürdigt worden sind.
41(3) Allerdings unterliegt es nach Aktenlage keinen Zweifeln, dass die Entscheidung die vorbereitende planungsrechtliche Stellungnahme vom 7. Juni 2021 nachzeichnet, die dezidierte Erwägungen zu den Befreiungsvoraussetzungen auch hinsichtlich der Befreiung von der Festsetzung "Familienheime" enthält und bei summarischer Prüfung eine Befreiungsentscheidung jedenfalls bei entsprechender Vertiefung/Verdeutlichung der Ermessenserwägungen voraussichtlich tragen dürfte, was im Rahmen der im Eilverfahren geforderten Interessenabwägung Berücksichtigung finden kann, zumal diese ggf. auch noch nachträglich zum Bestandteil der Befreiung gemacht werden kann.
42Die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB dürften vorgelegen haben. Nach dieser Vorschrift kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, die Abweichung städtebaulich vertretbar ist und auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
43Ob die Grundzüge der Planung durch die Abweichung eines Bauvorhabens von einer hiernach maßgeblichen Festsetzung berührt werden, lässt sich nicht allgemeingültig festlegen. Entscheidend ist die jeweilige Planungssituation und damit der jeweilige Bebauungsplan, aus der bzw. dem sich ergibt, ob die Abweichung dem konkreten planerischen Grundkonzept zuwiderläuft oder nicht. Die Grundzüge der Planung werden dabei nicht erst dann berührt, wenn das konkrete Vorhaben städtebauliche Spannungen auslöst. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist. Läuft eine Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwider, kann eine Befreiung nicht als "Vehikel" dafür herhalten, die von der Gemeinde seinerzeit getroffene planerische Regelung beiseite zu schieben. Eine Befreiung darf - jedenfalls von Festsetzungen, die für die Planung tragend sind - nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen. Zu den Grundzügen der Planung zählen also (nur) die tragenden Bestandteile der Planungskonzeption, die nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass das Planungskonzept in Frage gestellt wird. Dabei mag es zwar sein, dass in der Regel bei einer Änderung der Nutzungsart die Grundzüge der Planung berührt werden. Ohne Bedenken kann jedoch eine Ausnahme von dieser Regel angenommen werden, wenn lediglich eine qualitativ und quantitativ geringfügige Änderung erfolgt, ohne den Bebauungsplan im Übrigen in Frage zu stellen, d. h. wenn es sich lediglich um eine Randkorrektur handelt, die das ursprüngliche Planungskonzept nicht berührt.
44Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 2012 - 4 C 14.10 -, BVerwGE 142, 1 = BauR 2012, 900 = juris Rn. 22, Beschlüsse vom 15. März 2000 – 4 B 18.00 –, juris Rn. 5, vom 29. Juli 2008 – 4 B 11.08 –, juris Rn. 4 und vom 15. März 2000 – 4 B 18/00 –, juris Rn. 6; OVG NRW, Beschluss vom 19. Januar 2021 – 2 A 2911/20 –, juris Rn. 10, m. w. N; Nds. OVG, Beschluss vom 11. März 2022 – 1 LA 95/21 –, juris Rn. 11.
45Davon dürfte hier auszugehen sei. In Rede steht eine Randkorrektur im Übergangsbereich zu dem im Juli 1986 vom Rat beschlossenen Bebauungsplan Nr. I/T0-4, der eine entsprechende Familienklausel oder Zwei-Wohnungs-Klausel – wie bereits erwähnt - gerade nicht (mehr) vorsieht. Hieraus dürfte zugleich die Besonderheit des Vorhabengrundstücks resultieren, so dass sich die für die Befreiung maßgeblichen Gründe nicht Gleichermaßen in einer solchen Vielzahl gleichgelagerter Fälle anführen ließen, dass die Regelung – so sie denn noch wirksam sein sollte – ihre Steuerungsfunktion für den Planbereich – etwa die Baureihe der Antragsteller - im Übrigen verlöre.
46Vgl. zu diesem Aspekt insbesondere OVG Hamburg, Beschluss vom 5. Juni 2009 – 2 Bs 26/09 -, juris Rn. 6; Nds. OVG, Beschluss vom 11. März 2022 – 1 LA 95/21 –, juris Rn. 11.
47cc) Ohne Erfolg macht die Beschwerde weiter einen Verstoß der Stellplatzanlage gegen die Vorgaben des Bebauungsplans Nr. I/T0 und die Rechtswidrigkeit der insoweit mit der Baugenehmigung erteilten Befreiung geltend. Wie bereits das Verwaltungsgericht im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, ist schon nicht ersichtlich, dass die Vorgaben des Bebauungsplans Nr. I/T0, der im hier streitigen Bereich straßennah eine kleinere Fläche für Gemeinschaftsstellplätze und für Gemeinschaftsgaragen vorsieht, in Verbindung mit den Regelungen in § 2 Abs. 1 lit. i., wonach Flächen für Stellplätze und Garagen im Bebauungsplan besonders dargestellt sind, oder/und § 2 Abs. 1 lit. e. der textlichen Festsetzungen, Drittschutz zugunsten der Antragsteller entfalten sollten, wonach nicht überbaubare Grundstücksflächen unter Berücksichtigung des zu erhaltenden Strauch- und Baumbestandes gärtnerisch anzulegen und zu unterhalten sind sowie auf ihnen Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO sowie bauliche Anlagen unzulässig sind, soweit sie nach Landesrecht im Bauwich oder in den Abstandsflächen zulässig sind.
48Die Beschränkung des Umfangs der Stellplatz- und Garagenfläche hinsichtlich der Tiefe von der Straßen aus gesehen resultierte hier in erster Linie aus der Lage der festgesetzten Baufenster, in denen nach der Vorstellung des Plangebers Wohngebäude in geschlossener Bauweise entstehen sollten. Andere als allgemeine städtebaulichen Gestaltungsinteressen sind aus den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich. Nichts anderes folgt daraus, dass auf der Fläche weiter in das Baufenster hineinragend (nur) Gemeinschaftsgaragen vorgestellt sind. Ein Schutzwille, den Grundstückseigentümern des festgesetzten reinen Wohngebiets einen über die rechtlichen Vorgaben des Rücksichtnahmegebots hinausgehenden Schutzanspruch einzuräumen, lässt sich daraus nicht ableiten. Dies gilt in Sonderheit für Grundstücke – wie das der Antragssteller - jenseits der geschlossenen Baureihe, dem die Stellplatz- und Garagenflächen nach der Vorstellung des Plangebers zugeordnet sind. Entsprechend geht auch der Hinweis der Beschwerde ins Leere, dass der historische Satzungsgeber durch die Festsetzungen reiner Wohngebiete zum Ausdruck gebracht habe, dass er besonderes ruhige Wohnlagen haben schaffen wollen. Dies allein begründet noch keinen weitergehenden, von der konkreten Betroffenheit unabhängigen Drittschutz hinsichtlich der Lage von – wie hier - wohnzugehörigen Gemeinschaftsstellplätzen und –garagen. In der Begründung zum Bebauungsplan Nr. I/T 0-4 findet sich zudem unter A.2 (Seite 12) der Hinweis, nach den bisherigen Planfestsetzungen sei die Errichtung von Garagen und Stellplätzen nur innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen oder auf dafür besonders ausgewiesenen Grundstücksflächen zulässig, um den im Plangebiet vorhandenen Baumbestand weitestgehend erhalten zu können. Das deckt sich mit der in § 2 Abs. 1 lit. e. Satz 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. I/S4 herausgestellten Pflicht, die nicht überbaubaren Flächen unter Berücksichtigung des zu erhaltenden Strauch- und Baumbestandes gärtnerisch anzulegen und zu unterhalten. Fehlt es am Drittschutz haben die Antragsteller nur einen Anspruch darauf, dass die erteilte Befreiung nachbarliche Belange hinreichend berücksichtigt, d. h. die Grenzen der baurechtlichen Rücksichtnahme gewahrt sind, wovon das Verwaltungsgericht hier mit überzeugenden Ausführungen ausgegangen ist.
49b) Dafür, dass die Baugenehmigung hinsichtlich der Auswirkungen der Stellplatzanlage wegen Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot nachbarrechtswidrig wäre, spricht nach Aktenlage nichts Überwiegendes. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu überzeugen bei summarischer Prüfung, und es ist den Antragstellern zuzumuten, die endgütige Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten.
50Das Verwaltungsgericht hat - wie auch die Beschwerde nicht substantiiert in Abrede stellt - die einschlägigen Rechtsgrundsätze zutreffend angeführt und seiner Bewertung zugrunde gelegt, nach denen sich die Frage beantworten lässt, ob die Nutzung von Stellplätzen oder Garagen in ihrer Nachbarschaft unzumutbare Belästigungen durch Lärm oder Gerüche hervorruft. Die Bewertung hat anhand aller für den Einzelfall bedeutsamen Umstände und nicht abstrakt und generell nach festen Merkmalen zu erfolgen. Dabei kommt es entscheidend auf die konkrete Situation an, in der sich die Belästigungen auswirken können. Vor allem der Standort der Stellplätze oder Garagen im Hinblick auf ihre Lage und Nähe zu den Nachbargrundstücken, die Art und die Empfindlichkeit der dort stattfindenden Nutzungen sowie etwaige Vorbelastungen sind zu berücksichtigen. Neben der Frage nach möglichen Vorbelastungen und nach der Empfindlichkeit sowie Schutzwürdigkeit betroffener Grundstücksbereiche ist schließlich für die Bewertung der Zumutbarkeit auch der Umfang der zu erwartenden Belästigungen von Bedeutung.
51Vgl. zu den Einzelheiten etwa: OVG NRW, Beschluss vom 26. August 2020 - 10 B 1010/20 -, juris Rn. 5.
52Die daran orientierte Einzelfallbewertung des Verwaltungsgerichts ist nachvollziehbar begründet und verdeutlicht jedenfalls, dass in den gegebenen Grundstücksverhältnissen kein Anlass besteht, von dem gesetzlich in § 212a Abs. 1 BauGB bei einer Nachbarklage regelmäßig vorgesehenen Vorrang der Vollzugsinteressen des Bauherren zu Lasten der Beigeladenen abzuweichen.
53Das Verwaltungsgericht hat sich bei seiner Bewertung nicht allein auf die "apodiktische Aussage" beschränkt, technisch-rechnerische ermittelte Immissionswerte seien für die Beurteilung nicht ausschlaggebend. Vielmehr hat es überzeugend aus den Gesamtumständen abgeleitet, dass die Lärmbelastungen für die Antragsteller in den gegebenen Grundstücksverhältnissen zumutbar sind. Neben der straßennahen Lage der Anlage hat es insbesondere eingestellt, dass nur mit einem Teil der Anlage die Höhe des Grundstücks erreicht und insbesondere nicht ersichtlich ist, weshalb die Lärmauswirkungen der Stellplatznutzung entscheidend über das hinausgehen sollten, was bei einer reinen Wohnnutzung üblich und hinzunehmen wäre. Entsprechend war auch eine weitere schalltechnische Untersuchung zur Abklärung, ob das hier ggf. in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte Rücksichtnahmegebot gewahrt bleibt, nach Aktenlage nicht erforderlich.
54Ein anderer Maßstab folgt auch nicht aus § 12 Abs. 2 BauNVO 1962, wonach in reinen Wohngebieten Stellplätze nur für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig sind. Denn die von der angegriffenen Baugenehmigung erfasste Stellplatzanlage ist dem Wohngebäude zugeordnet und ausgehend von 18 Wohnungen sowie einer Wohn(gemeinschafts)einheit mit 12 Appartements sicherlich nicht auf eine über die zugelassene Nutzung hinausgehenden Bedarf angelegt. Sie stellt sich nach Aktenlage, auch soweit sie den Stellplatzbedarf der Wohngruppe abdeckt, gerade bei summarischer Prüfung nicht als einer gewerblichen Einheit zugeordnet dar. Auch sonst spricht nichts dafür, dass es zu ungewöhnlich häufigen Fahrzeugbewegungen kommen wird.
55Anhand der vorliegenden Pläne und der im Internet frei zugänglichen Satellitenbilder (etwa über www.xyz -online.de) erscheinen auch die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu bestehenden Vorbildern straßennaher Stellplatz- / Garagenanlagen in der näheren Umgebung nachvollziehbar und der Hinweis auf eine ehemals vorhandene Zufahrt zu einer Garage jedenfalls vertretbar. Die alte Zufahrt führte anders als die zur geplanten Stellplatzanlage am Garten der Antragsteller in voller Länge vorbei, bediente allerdings nur eine Garage, wie auch das Verwaltungsgericht nicht etwa verkannt hat. Die Garagenzufahrt war ersichtlich nur ein weiterer Aspekt für die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass sich die zu erwartenden Auswirkungen der Stellplatzanlage auf das Grundstück der Antragsteller voraussichtlich im Rahmen dessen halten werden, was die Antragsteller in den gegebenen Grundstücksverhältnissen hinzunehmen haben. Davon, dass das Verwaltungsgericht trotz erfolgter Inaugenscheinnahme die relevante Grundstückssituation fehlgewichtet hat, ist hier nicht auszugehen. Insbesondere wird nicht der komplette Zu- und Abgangsverkehr zur Stellplatzanlage an der Grundstücksgrenze der Antragsteller vorbeigeführt. Die erste Reihe der Stellplätze wird von der C1. Straße aus erreicht und allein die letzte Reihe befindet sich schon auf der Höhe des Gartenbereichs.
562. Die mit Blick auf den herausgestellten Klärungsbedarf im Hauptsacheverfahren vorzunehmende allgemeine Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragsteller aus. Anhaltspunkte, dass sich in den gegebenen Grundstücksverhältnissen eine Verfestigung gebietsfremder Nutzung während des Hauptsacheverfahrens weitergehend realisieren wird, fehlen. Auch benennt die Beschwerde keine konkreten unzumutbaren Beeinträchtigungen bei Realisierung des Vorhabens, die zu tragen den Antragstellern bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar wären. Vor diesem Hintergrund sowie unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 212a Abs. 1 BauGB und der nicht auszuschließenden Möglichkeit der Nachsteuerung der Genehmigung bzw. der Befreiungsentscheidung während des Hauptsacheverfahrens überwiegt das Suspensivinteresse der Antragsteller nicht das Interesse der Antragsgegnerin sowie das der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung der Baugenehmigung, wobei allerdings klarzustellen ist, dass letztere vor Bestandskraft der angegriffenen Baugenehmigung auf eigenes Risiko baut.
57Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 3, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, den Antragstellern auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Antrag gestellt und sich damit auch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
58Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
59Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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