Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (10. Senat) - 10 A 10670/11
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Dezember 2010 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger ist Berufssoldat im Ruhestand und begehrt die Erstattung krankheitsbedingter Aufwendungen.
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Er leidet nach einer HDR-Brachytherapie der Prostata und perkutaner Bestrahlung an einer Strahlencystitis mit Makrohämaturie. Ihm wurde deshalb vom Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz zum vorübergehenden Ersatz der Glykosaminoglykan-Schicht das in die Blase zu instillierende rezeptpflichtige Produkt Gepan instill, Apothekenverkaufspreis 298,-- €, verordnet, das er am 13. Februar 2010 erwarb.
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Mit Beihilfebescheid vom 18. März 2010 wurde dem Kläger die zu den Aufwendungen für das Mittel begehrte Beihilfe versagt. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass es nach Maßgabe des § 22 der Bundesbeihilfeverordnung als Medizinprodukt nicht beihilfefähig sei.
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Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er geltend machte, dass eine Behandlung der Strahlencystitis nur mit diesem Medizinprodukt wirksam möglich sei.
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Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2010 aus denselben wie im Bescheid vom 18. März 2010 zurückgewiesen.
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Darauf hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben und sich ergänzend zu seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren darauf berufen, dass die Fürsorgepflicht es gebiete, dass ihm zu den Aufwendungen Beihilfe gewährt werde; er leide an starkem schwer zu unterdrückendem Harndrang und anhaltenden Schmerzen im Beckenbereich; insofern helfe allein Gepan instill, das diese Beschwerden lindere; zu diesem Produkt liege auch eine positive aktuelle Anwendungsbeobachtung vor.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung der Ablehnung einer Beihilfe mit Bescheid vom 18. März 2010 und des dazu ergangenen Widerspruchsbescheids vom 12. Mai 2010 zu verpflichten, ihm eine Beihilfe in Höhe von 201, 60 € für das Präparat Gepan instill zu gewähren.
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Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht erschienene Beklagte ist der Klage schriftsätzlich entgegengetreten und bei ihrer in den Bescheiden dargelegten Auffassung verblieben.
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Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit auf die mündliche Verhandlung vom 22. Dezember 2010 ergangenem Urteil zur Gewährung der begehrten Beihilfe verpflichtet. Zur Begründung hat es ausgeführt: Dem Kläger stehe ein Anspruch auf die begehrte Beihilfe nach Maßgabe des § 22 Abs. 1 Satz 1 Bundesbeihilfeverordnung zu, weil das Präparat Gepan instill ein Arzneimittel im Sinne dieser Vorschrift sei. Dem stehe seine Zulassung als Medizinprodukt nach dem Medizinproduktegesetz nicht entgegen. Der beihilferechtliche Arzneimittelbegriff umfasse die unmittelbar der Wiederherstellung der Gesundheit oder der Besserung und Linderung einer Krankheit dienenden Mittel; diese müssten dabei dazu bestimmt sein, ihre Wirkung im Rahmen der Krankenbehandlung durch Anwendung am oder ihm menschlichen Körper zu erzielen. Gepan instill erfülle diese Voraussetzungen. Der Wirkstoff Chondroitinsulfat wirke zwar nicht pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch, und sei damit kein Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes. Der beihilferechtliche Arzneimittelbegriff differenziere aber nicht nach der Wirkungsweise eines Mittels im Körper des Patienten. Für die beihilferechtliche Einordnung als Arzneimittel sei vielmehr die objektive Zweckbestimmung des Mittels entscheidend. Es komme allein darauf an, ob es geeignet sei, durch Einwirkung auf den menschlichen Körper der Heilung, Linderung oder Verhütung bzw. Erkennung eines Krankheitsbildes zu dienen. Dies sei bei Gepan instill der Fall. Unerheblich sei danach insbesondere, dass das Produkt nicht in dem Anhang 10 zur Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Bundesbeihilfeverordnung aufgenommen sei. Mit der Verwaltungsvorschrift habe die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Medizinprodukte nicht von der Aufnahme in diesen Anhang abhängig gemacht werden können. Eine solche Einschränkung lasse die Verordnung nicht zu.
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Auf den Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 15. Juni 2011 wegen grundsätzlicher Bedeutung die Berufung zugelassen, die die Beklagte sodann fristgemäß begründet hat.
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Hierzu beruft sich die Beklagte auf den eindeutigen Wortlaut der Verwaltungsvorschrift und den mit ihr verfolgten Zweck, eine abschließende Regelung zur Behandlung von Medizinprodukten zu treffen.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
- 15
Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält das Urteil des Verwaltungsgerichts für zutreffend und beruft sich namentlich auf dessen Feststellung, dass der Beihilfeanspruch nicht durch die Verwaltungsvorschrift habe beschränkt werden können.
- 18
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten zu den Prozessakten gereichten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, hat in der Sache keinen Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von Beihilfe zu den Aufwendungen für das ihm von einem Urologen des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz schriftlich verordnete Produkt Gepan instill.
- 22
Der Beihilfeanspruch folgt aus §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 6 Abs. 1 Satz 1 und 22 Abs. 1 Satz 1 der mit Rücksicht auf den Zeitpunkt des Erwerbs des Mittels – 13. Februar 2010 – zur Anwendung kommenden Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Bundesbeihilfeverordnung - BBhV -) vom 13. Februar 2009 (BGBl. I S. 326) i.d.F. der Verordnung vom 17. Dezember 2009 (BGBl. I S. 3922).
- 23
Der Kläger ist als Berufssoldat im Ruhestand gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 BBhV i.V.m. § 31 Abs. 2 des Soldatengesetzes - SG - beihilfeberechtigt.
- 24
Die von § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV grundsätzlich geforderte Notwendigkeit und wirtschaftliche Angemessenheit der Aufwendungen für das Präparat Gepan instill werden von der Beklagten nicht in Abrede gestellt. Insbesondere mit Rücksicht auf die Bescheinigung des Oberarztes Oberstabsarzt Dr. T... der Urologischen Abteilung des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz vom 3. März 2010 ergeben sich auch für den Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass Bedenken insoweit bestehen könnten. In dieser Bescheinigung wird ausdrücklich bestätigt, dass bei einer Strahlencystitis mit Makrohämaturie, wie im Falle des Klägers, Gepan instill das einzige Mittel ist, das gut helfen kann.
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Schließlich ist Gepan instill ein Arzneimittel im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 BBhV mit der Folge, dass die Aufwendungen für dieses Präparat – in vollem Umfang – beihilfefähig sind, da auch die weiteren in der genannten Bestimmung hierfür normierten Voraussetzungen – schriftliche Verordnung durch einen Arzt, keine Einschränkung nach Maßgabe der Absätze 2 bis 5 der Vorschrift – erfüllt sind.
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Was ein Arzneimittel ist, hat weder die bis zum Inkrafttreten der Bundesbeihilfeverordnung anzuwendende (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2008 - 2 C 24.07 -, NVwZ 2008, 1328) Allgemeine Verwaltungsvorschrift für Beihilfen in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Beihilfevorschriften - BhV -) vom 1. November 2001 (GMBl. S. 918) definiert, noch definiert die Bundesbeihilfeverordnung diesen Begriff. Auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Bundesbeihilfeverordnung vom 14. Februar 2009 (GMBl. S. 138) enthält keine dahingehende Begriffsbestimmung.
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Die Legaldefinition des Arzneimittels in § 2 Abs. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz - AMG -) kann mit Rücksicht auf den andersartigen Regelungszweck nicht ohne weiteres auf das Beihilferecht übertragen werden. Insofern hat sich durch das Inkrafttreten der Bundesbeihilfeverordnung keine Änderung gegenüber der Rechtslage nach den Beihilfevorschriften ergeben (vgl. dazu z.B. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1996 - 2 C 5.95 -, DVBl. 1996, 1149; BayVGH, Beschluss vom 12. Januar 2011 - 14 B 10.1975 -, juris; VGHBW, Urteil vom 31. August 2010 - 10 S 3384/08 -, DÖD 2010, 300). Zweck des Arzneimittelgesetzes ist es, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln zu sorgen (§ 1 AMG). Demgegenüber geht es bei der Beihilfe um die Beteiligung des Dienstherrn an den Kosten der Krankenbehandlung der Beamten/Ruhestandsbeamten und ihrer Angehörigen.
- 28
Für die Zeit bis zum Inkrafttreten der Bundesbeihilfeverordnung galt nach allgemeiner Rechtsauffassung (vgl. die oben bereits angeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg; ferner z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. Mai 2005 - 2 A 10106/05.OVG -, ZBR 2006, 203), der auch der Senat folgte (vgl. z.B. Urteil vom 20. April 2007 - 10 A 11598/06.OVG -, IÖD 2007, 162), die Begriffsbestimmung des Arzneimittels in § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG in der bis zum 22. Juli 2009 geltenden Fassung jedoch als Ausgangspunkt für die Bestimmung des beihilferechtlichen Arzneimittelbegriffs, weil es auch in diesem Rechtskreis nur darauf ankam, ob das betreffende Mittel zur unmittelbaren Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt ist und nach objektiven Maßstäben geeignet ist, durch Einwirkung auf den Körper zur Heilung oder Linderung einer Krankheit zu dienen. Danach waren Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen.
- 29
Für die besagte Rechtsprechung war es ohne rechtlichen Belang, dass nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz - MPG -) im Jahre 1994 mit Wirkung ab dem 1. Januar 1995 in § 2 Abs. 3 AMG aufgenommen worden war, dass Medizinprodukte und Zubehör für Medizinprodukte im Sinne des § 3 MPG keine Arzneimittel sind - wobei mit Wirkung ab dem 12. August 1998 insoweit ergänzt worden war, dass dies mit Ausnahme der Arzneimittel gilt, die dazu bestimmt sind, die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen. In § 3 Abs. 1 MPG war seinerzeit unter anderem festgelegt worden, dass Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten dienen sollen und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, Medizinprodukte sind. Zur Begründung für die Nichtberücksichtigung dieser Änderung des Arzneimittelgesetzes in Bezug auf die Bestimmung des beihilferechtlichen Arzneimittelbegriffs wurde von der Rechtsprechung (vgl. hierzu insbesondere BayVGH, Urteil vom 5. März 2010 – 14 BV 08.1013 und 1014 -, juris, sowie der oben bereits angeführte Beschluss vom 12. Januar 2011) hervorgehoben, dass das Medizinproduktegesetz und die mit ihm einhergehende Änderung des Arzneimittelgesetzes der Umsetzung der Richtlinie 93/42/EWG gedient habe, die wiederum der Harmonisierung der einzelstaatlichen Bestimmungen zur Wahrung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Patienten, der Anwender und gegebenenfalls Dritter im Hinblick auf die Anwendung der Medizinprodukte diene, um den freien Verkehr dieser Erzeugnisse auf dem Binnenmarkt zu gewährleisten. Dem entspricht denn auch die Bestimmung des Zweckes des Medizinproduktegesetzes in § 1 des Gesetzes. Von der angeführten Rechtsprechung wurde des Weiteren – zutreffenderweise – auf die Präambel dieser Richtlinie hingewiesen, nach der die – zu dem genannten Zweck – harmonisierten Bestimmungen allerdings von den Maßnahmen unterschieden werden müssen, die die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Finanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens und des Krankenversicherungssystems getroffen haben und die derartige Produkte direkt oder indirekt betreffen, und nach der diese Bestimmungen daher das Recht der Mitgliedstaaten auf Durchführung der genannten Maßnahmen unter Einhaltung des Gemeinschaftsrechts unberührt lassen. Vor diesem rechtlichen Hintergrund war es jedenfalls bis zum Inkrafttreten der Bundesbeihilfeverordnung mit Rücksicht auf den Sinn und Zweck der Beihilfevorschriften rechtlich begründet, dem Inkrafttreten des Medizinproduktegesetzes und der in Rede stehenden Änderung des Arzneimittelgesetzes keine Relevanz für das Beihilferecht beizumessen. Nach dem Sinn und Zweck der Beihilfevorschrift kam es ja doch für den Arzneimittelcharakter eines Präparates nicht auf die formelle Einordnung des Mittels, sondern auf die seiner objektiven Eigenart und Beschaffenheit entsprechende materielle Zweckbestimmung, d.h. darauf an, ob das Mittel geeignet ist, durch Einwirkung auf den menschlichen Körper zur Heilung oder Linderung einer Krankheit zu dienen (vgl. hierzu neben den oben bereits zitierten Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auch z.B. Urteil des VGHBW vom 31. August 2010, a.a.O.; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. Mai 2005, a.a.O.).
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An dem aufgezeigten Verständnis des beihilferechtlichen Arzneimittelbegriffs hat sich nun aber durch das Inkrafttreten der Bundesbeihilfeverordnung nichts geändert.
- 31
Eine andere rechtliche Sicht kann sich namentlich nicht daraus ergeben, dass inzwischen die als Ausgangspunkt für die Bestimmung des Arzneimittelbegriffs im Sinne der Beihilfevorschriften herangezogene Arzneimitteldefinition in § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Arzneimittelgesetzes in der bis zum Inkrafttreten der Bundesbeihilfeverordnung geltenden Fassung geändert worden ist. Sie umfasst sowohl die sogenannten Präsentationsarzneimittel – Arzneimittel aufgrund der Bezeichnung eines Produkts als Medikament – als auch die sogenannten Funktionsarzneimittel – Arzneimittel aufgrund der objektiven Bestimmung, therapeutischen Zwecken zu dienen (vgl. z.B. Rehmann, Arzneimittelgesetz, 2. Aufl., Rdnr. 2 zu § 2). Diese Definition gilt mittlerweile aber nur noch für Präsentationsarzneimittel, während die Funktionsarzneimittel heute - neben Diagnosemitteln - nach der Wirkungsweise des Produkts bestimmt sind (vgl. dazu Deutsch/Lippert, Arzneimittelgesetz, 3. Aufl., Rdnrn. 7 ff. und 17 ff. zu § 2). So sind heute Funktionsarzneimittel gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG – neben den Mitteln zur Erstellung einer medizinischen Diagnose – Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die im oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen. Diese Definition korreliert mit der Begriffsbestimmung eines Medizinprodukts gemäß § 3 Abs. 1 MPG. Die besagte Änderung des Arzneimittelgesetzes vermag jedoch schon deshalb für die Bestimmung des Arzneimittelbegriffs in § 22 Abs. 1 Satz 1 BBhV nichts herzugeben, weil die Änderung erst ab 23. Juli 2009 und damit nach dem Inkrafttreten der Bundesbeihilfeverordnung in Kraft getreten ist. Von daher kann hier auch offen bleiben, wie die unverändert weiter geltende in § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG geregelte Rückausnahme vom Ausschluss der Medizinprodukte von den Arzneimitteln zu verstehen ist. Nach dieser Bestimmung sind Medizinprodukte – die im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet sind, dass sie nicht pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch wirken -, in Übereinstimmung mit der neuen Arzneimitteldefinition in Absatz 1 Nr. 2 keine Arzneimittel; hieran schließt sich dann jedoch an, dass dies nicht gilt, wenn es sich um Arzneimittel gemäß Absatz 1 Nr. 2 der Vorschrift handelt.
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Eine Abkehr des Beihilfeverordnungsgebers vom bisherigen durch die materielle Zweckbestimmung eines Stoffes geprägten beihilferechtlichen Arzneimittelbegriff hin zur Maßgeblichkeit der Wirkungsweise des Mittels lässt sich aber auch nicht daraus herleiten, dass gemäß § 80 Abs. 4 des Bundesbeamtengesetzes – BBG – in der Bundesbeihilfeverordnung die Beihilfegewährung für Arzneimittel in Anlehnung an das Sozialgesetzbuch Fünftes – SGB V – zu regeln war und – dementsprechend – neben weiteren Anknüpfungen an dieses Gesetz in § 22 BBhV in Absatz 1 Satz 2 der Vorschrift bestimmt ist, dass § 31 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB V entsprechend gilt; dort ist bestimmt, dass der – von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen gebildete – Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien/AMR) festzulegen hat, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nr. 1 oder Nr. 2 MPG zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind, ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden. Die „Anlehnung“ der Beihilfegewährung an das Sozialgesetzbuch Fünftes Buch könnte nur dann für einen „Systemwechsel“, was die Beihilfefähigkeit von Arzneimitteln anlangt, sprechen, wenn der Arzneimittelbegriff gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V dem (Funktions-)Arzneimittelbegriff des Arzneimittelgesetzes in der ab dem 23. Juli 2009 geltenden Fassung entspräche. Dem ist jedoch nicht so. Arzneimittel im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind immer noch Substanzen, deren bestimmungsgemäße Wirkung darin liegt, Krankheitszustände, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden durch Anwendung am oder im menschlichen Körper zu heilen oder zu bessern, ohne dass es insofern auf die verwendete Methode ankäme. Daher können auch Medizinprodukte im Sinne des Medizinproduktegesetzes Arzneimittel nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V sein, wenn sie die Voraussetzungen der Begriffsbestimmung des Arzneimittels erfüllen (vgl. Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Juli 2011, Rdnrn. 6 und 24 zu § 31 SGB V). Die auf der Grundlage europäischen Rechts herbeigeführte Unterscheidung zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten ist mithin – entsprechend der in der Präambel zur Richtlinie 93/42/EWG hervorgehobenen Befugnis der Mitgliedstaaten zur eigenständigen Regelung der Finanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens und des Krankenversicherungssystems – für die gesetzliche Krankenversicherung weiterhin nicht maßgeblich. Nach alledem kann es bei der entsprechenden Anwendung des § 31 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 BBhV – ebenso wie bei der unmittelbaren Anwendung der Bestimmung nach dem Recht der Sozialversicherung – nur um die Befugnis des Gemeinsamen Bundesausschusses gehen, Medizinprodukte, die nicht bereits die Voraussetzungen des Arzneimittelbegriffs im herkömmlichen beihilferechtlichen bzw. sozialversicherungsrechtlichen Sinne erfüllen, ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einzubeziehen. Mit anderen Worten kann aus der besagten Ermächtigung des Ausschusses nicht der Rückschluss gezogen werden, dass Arzneimittel im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 BBhV bzw. des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur Präparate sind, die nicht die Voraussetzungen eines Medizinproduktes im Sinne des Medizinproduktegesetzes erfüllen.
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Da Gepan instill schon die Voraussetzungen eines Arzneimittels im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 BBhV erfüllt, ist mithin rechtlich unerheblich, dass dieses Mittel nicht in der die verordnungsfähigen Medizinprodukte aufführenden Anlage 12 zur Arzneimittelrichtlinie enthalten ist.
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Abschließend ist klarzustellen, dass mit der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Bundesbeihilfeverordnung nicht die Beihilfefähigkeit von Medizinprodukten im Sinne des Medizinproduktegesetzes bis auf abschließend aufgeführte Produkte grundsätzlich ausgeschlossen werden konnte. Hierzu fehlt es – anders als in den Fällen des § 22 Abs. 3 und 4 BBhV – an einer entsprechenden – rechtlich zulässigen – Ermächtigung des Verordnungsgebers. Von daher ist es des Weiteren unschädlich, dass Gepan instill auch nicht im Anhang 10 zu der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift aufgeführt ist.
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Ist Gepan instill nach alledem ein Arzneimittel gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 BBhV, hat die Beklagte dem Kläger zu den Aufwendungen für dieses Mittel eine Beihilfe zu gewähren.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.
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Beschluss
- 40
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 201,60 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 3, 47 des Gerichtskostengesetzes - GKG -).
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