Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 A 10060/14, 7 D 11313/13

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Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 11. Dezember 2013 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren wird abgelehnt.

7 A 10060/14.OVG –

II. Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 26. November 2013 wird zurückgewiesen.

7 D 11313/13.OVG –

Gründe

I.

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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.

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Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) greift nicht durch.

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Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Ausbildungsförderung unter Zugrundelegung des erhöhten Bedarfs für nicht bei den Eltern wohnende Schüler nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz – BAföG – verneint, weil dem die Bestimmung des § 12 Abs. 3a BAföG entgegenstehe. Danach wohnt ein Auszubildender auch dann bei seinen Eltern, wenn der von ihm bewohnte Raum im Eigentum der Eltern steht. Diese Vorschrift ist hier einschlägig, da die Klägerin ausweislich der von ihr vorgelegten Mietbescheinigung und des Mietvertrages seit Juni 2006 in einer ihren Eltern gehörenden Wohnung lebt, was von ihr auch nicht in Frage gestellt wird.

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Das Verwaltungsgericht ist sodann davon ausgegangen, es bestehe keine Veranlassung, die Bestimmung des § 12 Abs. 3a BAföG verfassungskonform einschränkend auszulegen, so dass sie im Fall der Klägerin keine Anwendung finde. Hiergegen wendet sich die Klägerin ohne Erfolg.

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Das Bundesverfassungsgericht hat in dem von der Klägerin ebenso wie bereits vom Verwaltungsgericht angeführten Beschluss vom 14. Juli 1997 – 1 BvL 60/87 – zur Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des mit § 12 Abs. 3a BAföG wortgleichen § 13 Abs. 3a BAföG ausgeführt, Sinn und Zweck der Regelung sei es, einen Vermietergewinn der Eltern des Auszubildenden oder Vorteile, die diesem durch das Bewohnen einer den Eltern gehörenden Wohnung erwüchsen, von der Förderung auszunehmen. Eine daran orientierte einschränkende Auslegung der Regelung sei durch deren Wortlaut jedenfalls für den besonderen Fall nicht ausgeschlossen, in dem die Eltern seit vielen Jahren einer Auszubildenden und deren Kind eine in ihrem Eigentum stehende Wohnung zu den gleichen Bedingungen zur Verfügung stellten wie Personen, die nicht in gerader Linie mit ihnen verwandt seien. In einem solchen Sonderfall schieden Vorteile, die dem Auszubildenden durch die Ersparnis von Aufwendungen für die Unterkunft entstünden, ebenso wie besondere Vermietergewinne von vorneherein aus, so dass die Inanspruchnahme eines höheren Unterkunftsbetrages nicht missbräuchlich sei.

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Es kann dahinstehen, ob in einem solchen Sonderfall eine einschränkende verfassungskonforme Regelung möglich ist, ohne dass die gesetzgeberischen Grundentscheidungen, Wertungen und die darin angelegten Zwecke der Regelung angetastet werden (vgl. zu diesen verfassungsrechtlichen Grenzen der Möglichkeit einer Auslegung BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 1997 – 1 BvL 60/87 –, juris, Rn. 11 und BVerfGE 54, 277 [299] m.w.N.). Denn eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung des § 12 Abs. 3a BAföG kommt nur in einem solchen Sonderfall in Betracht. § 12 Abs. 3a BAföG bedarf hingegen jedenfalls dann keiner einschränkenden Auslegung, wenn die Eltern dem Auszubildenden die Wohnung nicht zu den gleichen Bedingungen zur Verfügung stellen wie einer Person, die nicht in gerader Linie mit ihnen verwandt ist, wenn die Überlassung der Wohnung mithin einem sogenannten Fremdvergleich nicht standhält (vgl. BayVGH, Urteil vom 17. Dezember 2008 – 12 BV 07.2244 –, juris, Rn. 20; OVG NRW, Beschluss vom 1. Dezember 2011 – 12 A 366/11 –, juris, Rn. 9).

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In Einklang hiermit hat das Verwaltungsgericht eine einschränkende Auslegung des § 12 Abs. 3a BAföG nicht für geboten erachtet, weil die von der Klägerin an ihre Eltern gezahlte Miete erheblich von dem am Markt Üblichen abweiche und daher einem Fremdvergleich nicht standhalte. Die von der Klägerin an ihre Eltern gezahlte Kaltmiete von 300,00 € für ihre 114 qm große Wohnung entspreche einem Mietzins von 2,63 €/m² und liege damit deutlich unter dem in B. üblichen Mietzins. Zu dessen Ermittlung greife es mangels Mietspiegels auf die Berechnung der angemessenen Kosten der Unterkunft im Gebiet des Beklagten zurück, wonach in Gemeinden über 5.000 Einwohner – wie hier – Mieten von 4,30 €/m² als angemessen angesehen würden. Bei einer derart gravierenden Unterschreitung dieses Wertes stehe fest, dass die Eltern der Klägerin die Wohnung nicht zu einer marktüblichen Miete überlassen hätten.

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Hiergegen macht die Klägerin geltend, das Verwaltungsgericht stütze sich auf Werte, die als Höchstsätze für die angemessenen Kosten der Unterkunft in B. anerkannt würden. Das schließe nicht aus, dass auch unter diesen liegende Quadratmeterpreise dort üblich seien.

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Mit diesem Vorbringen wird die Geeignetheit der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Sätze für die Angemessenheit von Unterkunftskosten im Gebiet des Beklagten zur Ermittlung des am Wohnort der Klägerin üblichen Mietzinses nicht in Frage gestellt. Denn die Angemessenheit der Unterkunftskosten im Sinne des Sozialgesetzbuchs II richtet sich nach der Größe der Unterkunft und dem Wohnstandard, wobei den Hilfebedürftigen lediglich ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7 b AS 10/06 R –, juris, Rn. 24 = BSGE 97, 231). Werden bei der Berechnung der sozialrechtlichen Angemessenheit der Unterkunftskosten danach nur Wohnungen mit einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattung berücksichtigt, wird folglich der durchschnittliche Quadratmeterpreis aller Wohnungen im selben Gebiet, d. h. einschließlich derjenigen mit mittlerer und gehobener Ausstattung, nicht unter, sondern im Gegenteil über den sozialrechtlichen Höchstsätzen für angemessene Unterkunftskosten liegen.

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Unerheblich für den Fremdvergleich ist, inwieweit sich die Wohnung der Klägerin – etwa wegen Schimmelbefalls, wie im angegriffenen Urteil erwähnt – in einem schlechten Zustand befindet oder aufgrund von Abnutzungserscheinungen renovierungsbedürftig ist. Dabei kann dahinstehen, ob der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu folgen ist, dass die Wohnung bei einem erheblichen Sanierungsrückstau ohne durchgreifende Sanierungsmaßnahmen an Fremde nicht zu vermieten wäre. Denn unabhängig davon können bei der Prüfung, ob die Eltern die Wohnung an die Klägerin als Auszubildende zu marktüblichen Bedingungen vermietet haben, nur abstrakt feststellbare, dem Mietvertrag zu entnehmende Bewertungskriterien wie Größe, Lage und Ausstattung der Wohnung berücksichtigt werden, nicht jedoch konkrete, erst durch eine Wohnungsbesichtigung feststellbare Kriterien wie etwa Abnutzungsspuren, Beschädigungen oder Schimmelbefall. Anderenfalls wäre die Bestimmung des § 12 Abs. 3a BAföG in der Praxis nicht mehr handhabbar. Sofern § 12 Abs. 3a BAföG überhaupt einschränkend ausgelegt und dadurch dem Auszubildenden die Möglichkeit eröffnet wird, den Nachweis der Zahlung einer marktüblichen Miete an die Eltern zu führen, würden den Ämtern für Ausbildungsförderung aller Voraussicht nach in einer Vielzahl von Fällen derartige Mietverträge vorgelegt. Schon dies würde die Ämter im Massengeschäft der Ausbildungsförderung vor große praktische Schwierigkeiten stellen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. August 1994 – 16 A 3171/91 –, juris, Rn. 6). Wären nun nicht nur die abstrakt feststellbaren, aus dem Mietvertrag zu entnehmende Bewertungskriterien bei der Ermittlung des marktüblichen Mietzinses zu berücksichtigen, sondern auch konkrete, erst durch eine Wohnungsbesichtigung feststellbare Kriterien, so ließen sich Fälle einer marktüblichen Vermietung von Vermietungen zu besonders günstigen Bedingungen nicht mehr ohne unvertretbar großen Überprüfungsaufwand trennen. Letztlich wäre die gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 3a BAföG bei einer solchen Auslegung im Massengeschäft der Ausbildungsförderung nicht mehr praktikabel anwendbar.

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Nach alledem kommt es auf den von der Klägerin geltend gemachten schlechten Zustand ihrer Wohnung – etwa durch Schimmelbefall – nicht entscheidungserheblich an.

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Im Übrigen hat die Klägerin, selbst wenn der schlechte Zustand der Wohnung zu berücksichtigen wäre, nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass an ihrem Wohnort Wohnungen in vergleichbarem Zustand zu einem Quadratmeterpreis wie ihre Wohnung vermietet würden. Die Klägerin beschränkt sich vielmehr – wie schon in erster Instanz – auf die bloße Behauptung, ihre Miete entspreche marktüblichen Bedingungen. Sie nennt jedoch nicht eine einzige Wohnung, die an ihrem Wohnort zu gleichen Bedingungen wie ihre Wohnung vermietet oder zur Miete angeboten würde.

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Vermag die Klägerin demnach die selbständig tragende Begründung des Verwaltungsgerichts – für eine einschränkende Auslegung des § 12 Abs. 3a BAföG bestehe keine Veranlassung, weil die Eltern ihr die Wohnung nicht zu marktüblichen Bedingungen überlassen haben – nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen, so kann dahinstehen, ob der weiteren Begründung des Verwaltungsgerichts zu folgen ist, wonach die Anwendung von § 12 Abs. 3a BAföG gerade im Fall der Klägerin notwendig sei, weil bei einer erhöhten Förderung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG Bedarfspositionen abgedeckt würden, die nicht zur Ausbildungsförderung gehörten, nämlich ein Teil der auf die Kinder der Klägerin fallenden Unterkunftskosten.

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Vor diesem Hintergrund liegt auch der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt unvollständig aufgeklärt, nicht vor.

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Die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, ist vom materiell–rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz aus zu beurteilen, selbst wenn dieser verfehlt sein sollte (vgl. BVerwG, NVwZ–RR 1996, 369 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht ist dem hilfsweise gestellten Antrag der Klägerin, durch Sachverständigengutachten und Ortsbesichtigung Beweis dazu zu erheben, dass die an sie vermietete Wohnung zu einem Mietpreis vermietet wird, welcher den marktüblichen Bedingungen Rechnung trägt, mit der Begründung nicht gefolgt, dass es auf das unter Beweis gestellte Thema nicht ankomme. Dies trifft vom materiell–rechtlichen Standpunkt des Verwaltungsgerichts aus insofern zu, als es – wie oben ausgeführt – eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des § 12 Abs. 3a BAföG mit zwei selbständig tragenden Begründungen abgelehnt hat. Zum einen mangels einer Vermietung zu marktüblichen Bedingungen, zum anderen mit der Erwägung, im Fall der Klägerin würden ansonsten Bedarfspositionen abgedeckt, die nicht zur Ausbildungsförderung gehörten. Für die zweite selbständig tragende Begründung seiner Entscheidung bedurfte es der angeregten Beweiserhebung zur Vermietung zu marktüblichen Bedingungen nicht. Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht den hilfsweise gestellten Beweisantrag zur Vermietung zu marktüblichen Bedingungen durch Sachverständigengutachten und Ortsbesichtigung jedenfalls im Ergebnis auch deswegen zu Recht mangels Entscheidungserheblichkeit abgelehnt, weil aus den oben dargelegten Gründen konkrete, erst durch eine Wohnungsbesichtigung feststellbare Bewertungskriterien einer Wohnung bei der Ermittlung des marktüblichen Mietzinses nicht zu berücksichtigen sind. Im Übrigen hat die Klägerin – wie oben ebenfalls bereits dargelegt – nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass an ihrem Wohnort Wohnungen in vergleichbarem Zustand zu einem Quadratmeterpreis wie ihre Wohnung vermietet würden, insbesondere nicht eine einzige Vergleichswohnung benannt, so dass der hilfsweise gestellte Beweisantrag auf eine unzulässige Beweisausforschung gerichtet sein dürfte.

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Der Rechtssache kommt schließlich auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Die von der Klägerin der Sache nach aufgeworfene Frage, ob § 12 Abs. 3a BAföG zwingend dann einschränkend auszulegen sei, wenn die Eltern seit vielen Jahren einer Auszubildenden und deren Kind eine in ihrem Eigentum stehende Wohnung zu ortsüblichen Bedingungen zur Verfügung stellten, ist im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich. Denn nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, welche die Klägerin – wie oben dargelegt – nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen vermochte, haben die Eltern ihr die Wohnung nicht zu ortsüblichen Bedingungen, sondern zu günstigeren Konditionen überlassen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren ist ebenfalls abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den oben genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).

II.

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Die Beschwerde ist unbegründet.

20

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abgelehnt, wie sich aus den oben dargelegten Gründen ergibt (vgl. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).

21

Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich, da Gerichtskosten gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben und außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden (§ 127 Abs. 4 ZPO).

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