Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (1. Senat) - 1 A 10294/14

Die Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 23. Januar 2014 – 1 K 961/13.KO – und unter Aufhebung des Bescheides vom 15. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2013 verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis zum Aufstellen eines sogenannten „Hörtestohrs“ unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin, die in der L… Straße in K… ein Optiker- und Akustikgeschäft betreibt, begehrt die Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis.

2

Am 26. November 2012 beantragte sie bei der Beklagten, ihr die Aufstellung eines „Hörtestohrs“ sowie – im Sommer – eines Sonnenbrillenständers zu genehmigen. Nach den dem Antrag beigefügten Lichtbildern handelt es sich bei dem „Hörtestohr“ um eine ca. 80 cm hohe gelbe Plastik in Form zweier menschlicher Ohren, welche – einander mit der Rückseite zugewandt – von einem ebenfalls gelben fahrbaren Gestell getragen werden. Über den Ohren ist jeweils ein dem Verkehrszeichen 220 (Einbahnstraße) nachempfundenes blaues Schild angebracht; die auf das Ladenlokal der Klägerin zeigenden Pfeile tragen die Inschrift „Hörtest“.

3

Die Beklagte lehnte die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis zur Aufstellung des Hörtestohrs durch Bescheid vom 15. April 2014 mit der Begründung ab, dass der Werbeträger nicht mit den gestalterischen Vorgaben im Stadtgebiet von Koblenz vereinbar sei. Hierzu habe der Stadtrat am 14. Dezember 2012 eine Gestaltungsrichtlinie beschlossen, der zufolge die Häufigkeit, Vielgestaltigkeit und die oft anzutreffende örtliche Beliebigkeit von Werbeständern störend wirkten und deshalb entweder nur 1 Werbeträger oder Warenauslagen aufgestellt werden dürften. Hinsichtlich der Vielgestaltigkeit seien nach Nr. 4.4 der Richtlinie in Verbindung mit den Grundsätzen nach Nr. 4.3 Sonderformen wie Riesentelefone, Riesenohren, und Eistüten ausgeschlossen. In Bezug auf den Sonnenbrillenständer teilte die Beklagte der Klägerin mit weiterem Schreiben vom 6. Mai 2013 mit, dass das Aufstellen von Warenauslagen in einem Bereich von 80 cm vor der Hauswand nicht erlaubnispflichtig sei.

4

Am 17. April 2013 legte die Klägerin Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid vom 15. April 2013 ein, mit dem sie sich gegen die Zulässigkeit einer generellen Begrenzung auf einen Werbeträger oder Warenauslagen wandte. Es stelle eine willkürliche Ungleichbehandlung dar, wenn Dienstleistungen, welche wie z. B. ein Seh- oder Hörtest nicht Gegenstand einer Warenauslage sein könnten, nicht beworben werden dürften. Zudem handele es sich vorliegend zwar um ein großes, nicht jedoch um ein Riesenohr. Überdies enthalte der Ablehnungsbescheid keine Ermessenserwägungen.

5

Der Stadtrechtsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch mit Bescheid vom 15. August 2013 zurück. Die Ablehnung sei ermessensfehlerfrei erfolgt. Nach der Richtlinie vom 14. Dezember 2012, deren Zustandekommen selbst keine Ermessensfehler und insbesondere keine Verstöße gegen das Willkürverbot erkennen lasse, seien besonders aufdringliche Werbeständer, zu denen Sonderformen wie u. a. Riesenohren gehörten, nicht zu verwenden. Das Hörtestohr, dessen Aufstellung die Klägerin beabsichtige, sei im Verhältnis zum menschlichen Ohr ein solches Riesenohr, welches zudem in seiner farblichen Gestaltung besonders aufdringlich wirke, weil es jedem Betrachter sofort ins Auge springe. Ein atypischer, möglicherweise eine andere Entscheidung rechtfertigender Sonderfall liege nicht vor.

6

Hiergegen hat die Klägerin am 11. September 2013 beim Verwaltungsgericht Koblenz Klage erhoben, mit der sie ihre bisherigen Ausführungen vertieft und ergänzend insbesondere geltend gemacht hat, dass die Beklagte in mehreren näher bezeichneten Einzelfällen Sondernutzungen entgegen der Richtlinie erlaube, die Richtlinie unbestimmt sei und das Hörtestohr auch nicht als besonders aufdringlicher Werbeständer eingestuft werden könne.

7

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. Januar 2014 – 1 K 961/13.KO –, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 12. Februar 2014, abgewiesen und die Berufung zugelassen. Nr. V 4 der Richtlinie stelle eine taugliche Grundlage für die Ermessensbetätigung der Beklagten dar. Insbesondere sei die Richtlinie, da sie sich an die Verwaltung richte, auch nicht zu unbestimmt. Die Beklagte habe diese Verwaltungsvorschriften fehlerfrei angewendet. Insbesondere sei es ihr, da es sich bei dem in gelber Farbe gehaltenen „Hörtestohr“ um eine Sonderform handele, welche im Vergleich zum natürlichen Ohr eines Menschen sprachlich als Riesenohr bezeichnet werden könne, nicht verwehrt gewesen, dieses als besonders aufdringlichen Werbeständer zu qualifizieren und darauf gestützt die beantragte Erlaubnis zu versagen. Auch sonstige Ermessensfehler seien nicht ersichtlich; insbesondere fehle es an ausreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Beklagte noch nach Inkrafttreten der Richtlinie Werbeständer in einer vergleichbaren Sonderform zugelassen habe.

8

Am 6. März 2014 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen. Ergänzend legt sie insbesondere nochmals näher dar, dass die Richtlinie vom 14. Dezember 2012 zu unbestimmt sei und rügt des Weiteren das Fehlen eines ausreichenden straßenrechtlichen Bezuges der ihr zugrunde gelegten Gestaltungsvorstellungen. Auch sei nicht hinreichend aufgeklärt worden, ob und inwieweit die Beklagte Werbeanlagen entgegen der Richtlinie zugelassen habe. Überdies sei die Aufstellung des Hörtestohrs aber auch nach der Richtlinie zulässig, da dieses im Lichtraumprofil kleiner als ein DIN-A 1–Klapp-ständer und nicht beweglich sei sowie nicht mehr als 1 Meter von der Gebäudefassade abrücke. Die individuelle Form allein lasse das Ohr, welches im Verhältnis zum Menschen zwar groß, aber nicht riesig sei, noch nicht als besonders aufdringlich im Sinne der Richtlinie erscheinen. Nach alledem verbleibe mangels Beeinträchtigung schützenswerter gestalterischer Belange als ermessensfehlerfreie Entscheidung alleine die Erteilung der beantragten Erlaubnis.

9

Die Klägerin beantragt,

10

das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 23. Januar 2014 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. April 2013 und des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2013 zu verpflichten, die am 26. November 2012 beantragte Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen eines Hörtestohrs zu erteilen,

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hilfsweise,

12

das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 23. Januar 2014 teilweise abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. April 2013 und des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2013 zu verpflichten, ihren Antrag vom 26. November 2012 auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen eines Hörtestohrs unter Beachtung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts neu zu bescheiden.

13

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

15

Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf das Urteil des Verwaltungsgerichts und die angefochtenen Bescheide.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie die Verwaltungs- und Widerspruchsakten der Beklagten (4 Hefte) Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

17

Die Klage ist zulässig, jedoch nur zum Teil begründet.

18

Die Klägerin hat lediglich einen Anspruch auf die hilfsweise geltend gemachte Neubescheidung ihres Antrages durch die Beklagte.

19

Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 Landesstraßengesetz (LStrG) bedarf der Gebrauch der Straße über den Gemeingebrauch hinaus als Sondernutzung der behördlichen Erlaubnis. Dass die Aufstellung des streitgegenständlichen Werbeständers in Form eines „Hörtestohrs“ eine Nutzung der L… Straße über den Gemeingebrauch im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 LStrG hinaus darstellt, ergibt sich bereits daraus, dass es sich hierbei um eine Benutzung der Straße zu anderen als Verkehrszwecken handelt (vgl. § 34 Abs. 3 LStrG). Dies wird im Übrigen auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt.

20

Die sonach erforderliche Entscheidung über die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Da das Gesetz selbst – abgesehen von § 41 Abs. 2 Satz 3 LStrG – die Maßstäbe, nach denen sich die Ermessensausübung zu richten hat, nicht bestimmt, sind diese aus dem Zweck des Gesetzes unter Beachtung insbesondere der Verteilungs- und Ausgleichsfunktion der Sondernutzungserlaubnis abzuleiten (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 9. November 1989 – 7 C 81/88 –, juris).

21

Hierbei darf nach der Rechtsprechung des Senats (Beschlüsse vom 15. August 2013 – 1 B 10669/13.OVG – und vom 13. Juli 1995 – 1 B 12046/95.OVG –, Urteil vom 29. Juni 2000 – 1 A 12464/99.OVG –) in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 17. Juli 2014 – 11 A 2250/12 –, VGH BW, Urteil vom 18. März 2014 – 5 S 348/13 –, BayVGH, Urteil vom 28. November 2013 – 2 B 13.1587 –, alle in juris, sowie Bogner/Bitterwolf-de Boer, LStrG RP, 2.5 zu § 41, und Zeitler, BayStrWG, Art. 18 Rn. 26, jeweils m. w. N.) neben wegerechtlichen Belangen im engeren Sinne auch auf andere Gesichtspunkte abgestellt werden, sofern sie mit der Straße und ihrem Widmungszweck (noch) in einem hinreichend engen sachlichen Zusammenhang stehen.

22

Dies gilt namentlich auch für Belange der Straße, ihres Umfeldes und ihrer Funktion städtebaulicher oder baugestalterischer Art. Ein entsprechend enger sachlicher Bezug zur Straße liegt vor, soweit es um den Schutz eines bestimmten Straßen- oder Platzbildes geht. Belange, die – wie etwa der Schutz des Ortsbilds als Ganzem – unmittelbar keine sachliche Beziehung zu dem jeweiligen „Straßengrund“ haben, können demgegenüber die Ablehnung einer Sondernutzungserlaubnis grundsätzlich nicht rechtfertigen. Etwas anderes kommt insoweit nur in Betracht, soweit diese Belange im konkreten „Straßenbild“ der Straße, in der die Sondernutzung ausgeübt werden soll, einen fassbaren Niederschlag gefunden haben (VGH BW, Urteil vom 9. Dezember 1999 – 5 S 2051/98 –, juris). Des Weiteren setzt die Berücksichtigung entsprechender Belange voraus, dass ihnen ein konkretes, vom Gemeinderat beschlossenes Gestaltungskonzept der Gemeinde zugrunde liegt, welches dem in den Blick genommenen Bereich – so etwa einer Fußgängerzone – eine bestimmte Ausstrahlungswirkung, ein spezifisches „Flair“ verleihen soll. Einer Festlegung in Satzungsform bedarf es hierzu indessen nicht; ausreichend sind verwaltungsinterne Richtlinien (VGH BW, a. a. O., und Urteil vom 1. August 1996 – 5 S 3300/95 –, juris).

23

Vorliegend hat der Stadtrat der Beklagten am 14. Dezember 2012 die Richtlinie „Gestaltung von Sondernutzungen im öffentlichen Raum – Bereich Innenstadt“ beschlossen. Diese hat ausdrücklich die Regelung der „gestalterischen Belange von Sondernutzungen in den öffentlichen Räumen der Innenstadt“ zum Gegenstand. Ihr Ziel ist es (vgl. dort Nr. I - Vorbemerkung), die Attraktivität der Innenstadt und die Aufenthaltsqualität der Koblenzer Straßen und Plätze zu erhöhen. Durch mobile Elemente (Sondernutzungen) der gewerbetreibenden Anlieger werde der Stadtraum wesentlich geprägt. Die zunehmende Überfrachtung des öffentlichen Raumes mit privaten Waren-, Werbe- und Fahrradständern, Sonnenschirmen etc. entwerte bzw. gefährde das Stadtbild und die hierfür erforderliche Stadtbildpflege. Ein ungehindertes Flanieren sei kaum noch möglich. Zum städtebaulichen Erfordernis wird unter Nr. II der Richtlinie u. a. ausgeführt, dass die dort behandelten Sondernutzungen durch ihre Gestaltung und Häufigkeit unmittelbar Einfluss auf das Ambiente und der Flair der Innenstadt nähmen. In der Innenstadt finde man alle Anlagen und Einrichtungen, welche das städtische Leben entsprechend der Funktion der Stadt als Oberzentrum ausmachten. Dadurch bestehe auf den dortigen Straßen ein hoher Fußgängerverkehr. Zugleich seien die Straßen als Teil der Innenstadt Visitenkarte und Schaufenster der Stadt. Unter Nr. III der Richtlinie wird deren Geltungsbereich zunächst auf die dort näher umschriebene Innenstadt festgesetzt. Darüber hinaus werden indessen noch drei Sonderbereiche festgelegt, für die aus städteräumlichen und funktionalen Überlegungen besondere Festsetzungen getroffen werden, u. a. der Bereich „westliche bzw. zentrale Innenstadt mit der Einkaufs- und Fußgängerzone ‚Löhr-, Markt- und Schloßstraße‘ mit Löhr-Center, Zentralplatz und Bahnhofsplatz“. Dieser umfasse den zentralen Einkaufsbereich der Stadt. Im Zuge der Umsetzung des EU-Projektes „Ein Netzwerk, um die Stadt zu Fuß zu erkunden“ habe die Beklagte die bauliche Erneuerung des Löhr-Rondells und der Fußgängerzone Löhrstraße im Abschnitt zwischen Friedrich-Ebert-Ring und Münzplatz vorgenommen, um so die Einkaufszone neu und attraktiv zu gestalten bzw. optisch aufzuwerten. Ein speziell gestalteter Bodenbelag als so genannter Teppich, der sich von der Umgebung abhebe, verdeutliche den Verlauf dieses Abschnitts der Innenstadt. Sondernutzungen sollen die Gestaltungsabsicht in quantitativer und qualitativer Hinsicht unterstützen. Ziel sei es insoweit in Bezug auf die Einkaufs- und Fußgängerzone Löhr-, Markt- und Schloßstraße, ein ungehindertes Flanieren zu gewährleisten.

24

Nach alledem spricht vieles dafür, dass bereits die vom Stadtrat der Beklagten allgemein in Bezug auf die Innenstadt verfolgten gestalterischen Belange einen fassbaren Niederschlag im konkreten Straßenbild der Löhrstraße gefunden haben. Letztlich bedarf dies hier jedoch keiner abschließenden Bewertung, da die Richtlinie darüber hinausgehend auch aus den allgemeinen Zielen abgeleitete ganz konkrete gestalterische Vorgaben für die Löhrstraße formuliert, indem sie festlegt, dass für die durch eine bauliche Erneuerung aufgewertete Einkaufszone eine die zugrunde liegende Gestaltungsabsicht unterstützende hohe Qualität sowie eine quantitative Beschränkung von Sondernutzungen erreicht werden solle.

25

An die Konkretisierung der sonach im Rahmen der Entscheidung über die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Gestaltungsvorstellungen dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Ausreichend ist, wenn sie sich aus dem Inhalt der vom Rat beschlossenen Regelungen ohne weiteres ablesen lassen. Dabei genügt es, dass das Konzept nur die für die Einzelfallentscheidung wesentlichen Grundsätze bestimmt. Abgrenzungsprobleme im Einzelfall sind sodann bei der Umsetzung des Konzepts im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Zulassung einer Sondernutzung anhand der vom Rat festgelegten Grundsätze unter Beachtung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens, insbesondere des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 Abs. 1 GG, zu lösen (VGH BW, Urteil vom 9. Dezember 1999, a. a. O., m. w. N.).

26

Die vom Stadtrat der Beklagten am 14. Dezember 2012 beschlossene Richtlinie genügt im Hinblick auf die hier streitgegenständliche Sondernutzung in Form der Aufstellung eines Werbeständers diesen Anforderungen. Unter Nr. V. 4. werden die in Bezug auf Qualität und Quantität derartiger Werbeständer zu beachtenden wesentlichen Grundsätze hinreichend deutlich festgelegt. So begründet zunächst Nr. V. 4.2 ein entsprechendes Regelungsbedürfnis dahingehend, dass Werbeständer zunehmend mehr Raum einnähmen. Zudem werde ihre Hinweisfunktion häufig durch Aufdringlichkeit – das „Stoppen“ der Fußgänger – überlagert, so dass ein ungehindertes Flanieren kaum noch möglich sei. Störend wirkten auch die Häufigkeit, Vielgestaltigkeit und die oft anzutreffende örtliche Beliebigkeit, so dass entweder nur 1 Werbeträger oder Warenauslagen aufgestellt werden dürften. Hieraus werden sodann unter Nr. V. 4.3 der Richtlinie bei der Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen zu beachtende Grundsätze abgeleitet. So soll etwa, um eine Überfrachtung des Straßenraumes durch Werbeständer zu verhindern, deren Anzahl auf ein Minimum beschränkt werden (4.3.1). Ihre Größe soll generell auf ein das Straßenbild und die Funktion der Straße nicht störendes Maß reduziert (4.3.2) und besonders aufdringliche Werbeständer (z. B. sich bewegende) sollen ganz vermieden werden (4.3.3). Zudem soll der Standort in direktem Zusammenhang mit dem werbenden Betrieb stehen (4.3.4). Überdies enthält Nr. V. 4.4 einige Beispiele geeigneter Maßnahmen, die nach den Anwendungshinweisen in Nr. IV der Richtlinie dazu dienen sollen, der Verwaltung und den Bürgern eine Orientierung zu geben, wie im Einzelfall die zu beachtenden Grundsätze umgesetzt werden können. Da es sich um Beispiele handele, seien im Einzelfall andere geeignete, den Zielen der Gestaltungsgrundsätze in gleicher Weise gerecht werdende Maßnahmen nicht ausgeschlossen.

27

Danach liegt der angefochtenen Ablehnung zwar ein hinreichendes Gestaltungskonzept zugrunde. Jedoch hält die auf dessen Grundlage vorliegend getroffene Einzelfallentscheidung der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

28

Der ablehnende Bescheid vom 15. April 2013 verweist im Rahmen seiner Begründung zum einen darauf, dass nach der Gestaltungsrichtlinie angesichts der störenden Wirkung von Häufigkeit, Vielgestaltigkeit und der oft anzutreffenden örtliche Beliebigkeit von Werbeständern entweder nur 1 Werbeträger oder Warenauslagen aufgestellt werden dürften. Selbst wenn – was angesichts des Fehlens jeglicher Aussagen zu der ebenfalls beantragten Aufstellung eines Sonnenbrillenständers im Sommer unklar erscheint – damit überhaupt gemeint gewesen sein sollte, dass das Kontingent der Klägerin an zulässigen Sondernutzungen bereits durch die Warenauslage erschöpft sei, wäre diese Bewertung bereits von daher fehlerhaft, dass die Richtlinie lediglich die Aufstellung mehr als nur eines Werbeträgers oder von Warenauslagen verhindern will. Dazu wäre es indessen nicht erforderlich gewesen, den Antrag auf Aufstellung eines Werbeträgers vollumfänglich abzulehnen. Zum einen war die Sondernutzungserlaubnis zur Aufstellung eines Sonnenbrillenständers ohnehin nur mit der Einschränkung „im Sommer“ beantragt, so dass sie der Zulassung eines Werbeständers für die übrige Zeit bereits von daher nicht entgegenstand. Zum anderen hätte dem verfolgten Zweck auch in einer die Klägerin weniger belastenden Art und Weise durch eine lediglich die gleichzeitige Aufstellung des Werbeständers und der nach Auffassung der Beklagten genehmigungsfreien Warenauslage untersagenden Nebenbestimmung genügt werden können.

29

Darüber hinaus ist der ablehnende Bescheid damit begründet, dass „hinsichtlich der Vielgestaltigkeit ... nach Ziffer 4.4 der Richtlinie in Verbindung mit den Grundsätzen nach Ziffer 4.3 Sonderformen wie Riesentelefone, Riesenohren, Eistüten u. a. ausgeschlossen“ seien. Insoweit bedarf es vorliegend keiner näheren Betrachtung, ob es sich – was unter den Beteiligten mit jeweils durchaus erwägenswerten Argumenten umstritten ist – bei dem streitgegenständlichen Hörtestohr überhaupt um ein „Riesenohr“ im Sinne der Gestaltungsrichtlinie handelt. Selbst wenn man hiervon ausgehen wollte, enthielte die Richtlinie unter Nr. V. 4.4 hierzu lediglich die Aussage, dass die gemäß Nr. 4.3 zu beachtenden Grundsätze insbesondere erfüllt sind, wenn derartige Sonderformen nicht verwendet werden. Formuliert wird mithin insoweit lediglich eine Fallgestaltung, in der die verfolgten gestalterischen Zwecke in Bezug auf die Formgebung der Werbeanlage (jedenfalls) nicht tangiert werden. Damit steht jedoch nicht zugleich auch schon fest, dass – gleichsam im Umkehrschluss – die Verwendung entsprechender Formen automatisch eine Nichtbeachtung der nach Nr. V. 4.3 zu beachtenden Grundsätze darstellt. Hinzu kommt, dass das Gestaltungskonzept die aufgezeigten Beispiele geeigneter Maßnahmen – wie bereits eingangs erwähnt – im Rahmen der Anwendungshinweise (Nr. IV) selbst als (nur) der Orientierung von Verwaltung und Bürgern dienend qualifiziert und ausdrücklich klarstellt, dass im Einzelfall andere, den Zielen der Gestaltungsgrundsätze in gleicher Weise gerecht werdende geeignete Maßnahmen nicht ausgeschlossen seien. Für die nach alledem vorliegend zwingend erforderliche Ermessensausübung auf der Ebene der zu treffenden konkreten Einzelfallentscheidung lässt sich dem Bescheid vom 15. April 2013 indessen nichts entnehmen.

30

Der sonach festzustellende Ermessensfehler ist auch nicht im Widerspruchsverfahren geheilt worden. Zwar hatte der Stadtrechtsausschuss vorliegend gemäß § 68 VwGO die Recht- und Zweckmäßigkeit des ablehnenden Verwaltungsaktes zu prüfen, so dass er in vollem Umfang an die Stelle der Ausgangsbehörde getreten ist und deren volle Entscheidungskompetenz auszuüben hatte mit der Folge, dass er die fehlende Ermessensausübung im Rahmen des dem Ausgangsbescheid insoweit Gestalt gebenden Widerspruchsbescheides hätte nachholen können. Dies hat der Stadtrechtsausschuss jedoch nicht getan. Der Widerspruchsbescheid stellt insoweit lediglich fest, dass die angefochtene ablehnende Entscheidung „nicht zu beanstanden“ sei und begründet dies sodann im Folgenden näher anhand der Gestaltungsrichtlinie. Für eine Ausübung eigenen Ermessens durch den Stadtrechtsausschuss enthält der Widerspruchsbescheid demgegenüber keine greifbaren Anhaltspunkte. Ein solcher ergibt sich insbesondere auch nicht aus der abschließenden Feststellung, dass ein atypischer, vorliegend eine andere Entscheidung rechtfertigender Sonderfall nicht vorliege. Insoweit wird nämlich bereits nicht hinreichend klar, dass diese Aussage inhaltlich über eine bloße Begründung der zwei Sätze zuvor im gleichen Textabsatz getroffenen Feststellung, die Ablehnung einer Sondernutzungserlaubnis sei nicht zu beanstanden, hinausgehen soll. Im Übrigen wäre, selbst wenn man – anders als der Senat – insoweit von einer Betätigung eigenen Ermessens durch den Stadtrechtsausschuss ausgehen wollte, diese jedenfalls fehlerhaft. Der Stadtrechtsausschuss geht nämlich im Widerspruchsbescheid davon aus, dass „nach Nr. V. 4.4 i. V. m. 4.3 der Richtlinie ... besonders aufdringliche Werbeständer, zu denen Sonderformen, wie Riesentelefone, Riesenohren, Eistüten und ähnliches gehören, ... zu den nicht zu verwendenden Sonderformen“ zählen. Dies ist jedoch nicht ohne weiteres der Fall. Selbst wenn man das Hörtestohr einmal als „Riesenohr“ im Sinne der Richtlinie ansehen wollte, stünde dadurch, wie bereits näher ausgeführt, nicht zugleich auch bereits fest, dass es nicht gleichwohl – beispielsweise aufgrund seiner die in Nr. V. 4.4 genannten Maximalwerte deutlich unterschreitenden Abmessungen und des Umstandes, dass nach Nr. 4.3.3 lediglich besonders aufdringliche Werbeständer vermieden werden sollen – im Rahmen einer wertenden Einzelfallbetrachtung als noch mit den Zielen der Gestaltungsgrundsätze konform angesehen werden kann. Hierzu fehlt es im Widerspruchsbescheid indessen an jeglichen Erwägungen.

31

Danach war der ablehnende Bescheid vom 15. April 2013 aufzuheben und die Beklagte in Ermangelung vorgetragener oder sonst erkennbarer zureichender Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung in Richtung auf die Erteilung der streitgegenständlichen Sondernutzungserlaubnis – vgl. hierzu bereits die vorstehenden Ausführungen – zur ermessensfehlerfreien Neubescheidung zu verpflichten; die weitergehende Klage war abzuweisen.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

33

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

34

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

35

Beschluss

36

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 5.000,-- € festgesetzt (§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).

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