Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 E 10186/15


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 27. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

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Die Beklagte untersagte dem Kläger am 1. Oktober 2013 aufgrund passrechtlicher Vorschriften die Ausreise nach Frankreich und in die Schweiz, um wegen des Verdachts unfriedlichen Verhaltens zu verhindern, dass der Kläger an einem am selben Tag stattfindenden Fußballspiel in Basel als Zuschauer teilnimmt. Die Ausreiseuntersagung galt bis zum 1. Oktober 2013, 24:00 Uhr. Zugleich wurde die sofortige Vollziehung angeordnet. In der Rechtsbehelfsbelehrung ist ausgeführt, dass gegen die Ausreiseuntersagung innerhalb eines Monats schriftlich oder zur Niederschrift Widerspruch bei der Bundespolizeidirektion Koblenz erhoben werden kann. Zugleich wurde darauf hingewiesen, dass der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung habe und auf Antrag das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung anordnen könne. Der Antrag sei an das Verwaltungsgericht Koblenz zu richten.

2

Dagegen legte der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, mit Schreiben vom 22. Oktober 2013 Widerspruch ein, den er mit Schriftsatz vom 18. Juli 2014 begründete. Am 29. Oktober 2014 erhob der Kläger Klage mit dem Antrag, festzustellen, dass die Untersagung seiner Ausreise durch die Beklagte mit Verfügung vom 1. Oktober 2013 rechtswidrig war. Die Beklagte stellte den Kläger klaglos und erklärte die Kostenübernahme. Das Verwaltungsgericht legte mit Beschluss vom 12. Dezember 2014 die Kosten des übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärten Rechtsstreits der Beklagten auf.

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Den Antrag des Klägers, die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. Januar 2015 abgelehnt. Es hat die Auffassung vertreten, der Widerspruch sei offensichtlich unzulässig gewesen. Die Fortsetzungsfeststellungsklage setze die vorherige Durchführung eines Widerspruchsverfahrens nicht voraus. Somit habe zum Zeitpunkt der Widerspruchserhebung kein Grund für die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bestanden, sodass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten nicht für notwendig zu erklären sei.

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Dagegen hat der Kläger Beschwerde erhoben, mit der er im Wesentlichen unter Hinweis auf den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. Mai 2005 geltend macht, nach der der Ausreiseuntersagung beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung habe er Widerspruch einlegen können.

II.

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Die Beschwerde ist unbegründet.

6

Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO sind, soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten schon im Vorverfahren ist anzuerkennen, wenn sie vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei im Zeitpunkt der Bestellung für erforderlich gehalten werden durfte und es dem Beteiligten nach seiner Vorbildung, Erfahrung und seinen sonstigen persönlichen Umständen nicht zumutbar war, das Vorverfahren selbst zu führen (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 162 Rn. 18 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Hätte sich die Ausreiseuntersagung nicht durch Zeitablauf erledigt (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG) und hätte somit vor Erhebung der Anfechtungsklage ein Vorverfahren durchgeführt werden müssen, so lägen die Voraussetzungen für die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten zweifellos vor. Vorliegend besteht aber die Besonderheit, dass die Ausreiseuntersagung mit Ablauf ihrer zeitlichen Geltungsdauer bis zum 1. Oktober 2013, 24:00 Uhr, wirkungslos geworden ist. Der Verwaltungsakt hat sich damit erledigt, sodass Rechtsschutz nur noch entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO mit der Fortsetzungsfeststellungsklage zu erreichen war. In einem solchen Fall der Erledigung eines Verwaltungsaktes vor Ablauf der Widerspruchsfrist kann ohne Vorverfahren Klage auf Feststellung erhoben werden, dass er rechtswidrig gewesen ist. Diese Auffassung hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem grundlegenden Urteil zur Fortsetzungsfeststellungsklage und ihren prozessualen Voraussetzungen vom 9. Februar 1967 – I C 49.64 – (BVerwGE 26, 161, 165 ff.) vertreten und sie ist seitdem ständige Praxis der Verwaltungsgerichte. Das Bundesverwaltungsgericht ist in der genannten Entscheidung davon ausgegangen, dass das Ergebnis im Einklang mit dem Zweck und der Bedeutung des Vorverfahrens stehe. Danach gibt das Widerspruchsverfahren dem Betroffenen die Möglichkeit, bisher nicht geprüfte Einwendungen vorzubringen, und es gibt der Verwaltung die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes nachzuprüfen, durch Aufhebung des angefochtenen bzw. durch Erlass des beantragten Verwaltungsaktes den Betroffenen klaglos zu stellen oder aber ihn durch einen Widerspruchsbescheid, der auf seine Einwendungen eingeht, von der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu überzeugen, damit den ordnungsgemäßen Gang der Verwaltung zu sichern, zum Vorteil des Betroffenen und der Verwaltung unnötige Klagen zu verhindern und dadurch schließlich auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu entlasten. Einen wesentlichen Teil dieser Aufgaben kann das Vorverfahren nicht mehr erfüllen, wenn sich der Verwaltungsakt erledigt hat und nur noch seine Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit festgestellt werden kann. Die Nachprüfung der Zweckmäßigkeit wäre für den Betroffenen ohne Interesse. Die Aufhebung des Verwaltungsaktes und damit eine Korrektur, die sich auf den Gang der Verwaltung auswirken könnte, ist nicht mehr möglich. Der für den erledigten Verwaltungsakt verantwortlichen Behörde oder nächsthöheren Behörde ist es zwar nicht verwehrt, sich zu äußern, wie sie die Rechtmäßigkeit des nicht mehr wirksamen Verwaltungsaktes beurteilt, die Abgabe einer solchen Erklärung gehört aber nicht zu den Aufgaben, die der Verwaltung durch die §§ 68 ff. VwGO übertragen sind. Die Verwaltungsbehörde hat im Vorverfahren nachzuprüfen, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Antrages auf Vornahme eines Verwaltungsaktes rechtmäßig ist. Sie muss dem Widerspruch gegebenenfalls dadurch abhelfen oder stattgeben, dass sie den rechtswidrigen Verwaltungsakt aufhebt oder den zu Unrecht verweigerten Verwaltungsakt erlässt. Dagegen ist es nicht Sache der Verwaltung, auch darüber verbindlich zu entscheiden, ob ein erledigter Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist. Eine solche Feststellung der Verwaltungsbehörde hätte zudem in einem etwaigen Amtshaftungsprozess geringeres Gewicht als eine entsprechende rechtskräftige Verwaltungsgerichtsentscheidung (zum Ganzen BVerwG, a.a.O.).

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Mithin war der Widerspruch des Klägers unzulässig und mit Blick auf Sinn und Zweck des Vorverfahrens für ihn völlig ohne Nutzen.

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Allerdings enthält der Wortlaut des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO keine Einschränkung dahingehend, dass ein nach § 68 VwGO "notwendiges" Vorverfahren geschwebt haben muss. Darauf weist unter anderem das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem vom Kläger genannten Beschluss vom 20. Mai 2005 – 8 OB 57/05 – (juris, Rn. 3) hin (ebenso VGH BW, Beschluss vom 21. August 1991 – 11 S 177/91 -, juris, Rn. 5; Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: April 2013, § 162 Rn. 80; vgl. Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Auflage 2014, § 162 Rn. 13a). Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht vertritt in seinem Beschluss vom 20. Mai 2005 (juris, Rn. 5) weiter die Auffassung, dass ein verständiger Beteiligter gegen einen ihn belastenden, für rechtswidrig erachteten Verwaltungsakt entsprechend der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung vorsorglich Widerspruch einlegen und nicht unmittelbar Klage erheben werde, wenn diese Rechtsbehelfsbelehrung für ihn nicht erkennbar unzutreffend ist. Auf die Richtigkeit einer solchen Rechtsbehelfsbelehrung dürfe er nämlich grundsätzlich vertrauen (ebenso Redeker/von Oertzen, a.a.O.).

10

Bei der Frage, welche Folgen es für die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines für das Verfahren hinzugezogenen Bevollmächtigten hat, wenn dieses Vorverfahren nicht notwendig und sinnlos war, ist jedoch auch die das Kostenrecht beherrschende Kostenminderungspflicht zu beachten. Der Grundsatz, dass jeder Verfahrensbeteiligte die Pflicht hat, die Kosten nach Möglichkeit niedrig zu halten (Kopp/Schenke, a.a.O., § 162 Rn. 1c), ist in § 162 Abs. 1 VwGO enthalten (VGH BW, Beschluss vom 22. Dezember 1983 – 2 S 2782/83 –, VBlBW 1984, 376 f.; BayVGH, Beschluss vom 23. Mai 1984 – 1 C 83 A. 2598 –, BayVBl. 1985, 28; OVG Berlin, Beschluss vom 4. Januar 2001 – 3 K 9/00 –, NVwZ-RR 2001, 614). Danach sind Kosten die Gerichtskosten und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts sind gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO stets erstattungsfähig. Allerdings steht die Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltskosten unter dem Vorbehalt, dass sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinne des § 162 Abs. 1 VwGO notwendig sind (VGH BW, a.a.O.). Auch wenn die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts "stets" erstattungsfähig sind, wird eine Prüfung der Notwendigkeit dieser Auslagen und Gebühren im Einzelfall nicht ausgeschlossen (BayVGH, a.a.O.). Ebenso wie die Kostenminimierungspflicht im Rahmen des § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu berücksichtigen ist, ist sie auch für die hier zu treffende Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO erheblich. Das bedeutet, dass die im Vorverfahren entstandenen Anwaltskosten zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen sein müssen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1981 – 4 C 75.80 –, juris, Rn. 8). Ein unzulässiges und für den Kläger in jeder Hinsicht sinnloses Vorverfahren ist keine zweckentsprechende Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung. Unter diesen Umständen kann die Zuziehung eines Bevollmächtigten für ein solches Vorverfahren nicht für notwendig erklärt werden (vgl. auch OVG MV, Beschluss vom 23. Juli 2008 – 10108/08 –, juris, Rn. 3).

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Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick auf die der Ausreiseuntersagung beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung, wonach innerhalb eines Monats schriftlich oder zur Niederschrift Widerspruch erhoben werden konnte. Diese Rechtsbehelfsbelehrung war nicht von vornherein fehlerhaft. Der Kläger hätte nämlich Widerspruch einlegen müssen, falls er einen Antrag auf Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hätte stellen wollen. Nach Ablauf der zeitlichen Geltungsdauer der Ausreiseuntersagung war jedoch – wie oben ausgeführt – ein Widerspruch unzulässig. Dies war für die Prozessbevollmächtigten des Klägers, denen er am 2. Oktober 2013 die Ausreiseuntersagung übersandt hatte, angesichts der grundlegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) auch ohne Weiteres sofort erkennbar. Zwar ist dem Kläger einzuräumen, dass er anwaltlicher Rechtsberatung bedurfte, um sich über Rechtschutzmöglichkeiten zu informieren. Der zunächst gewählte Weg der Widerspruchseinlegung durch seine Prozessbevollmächtigten war aber nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig. Vielmehr wäre es sachgerecht gewesen, sofort die Fortsetzungsfeststellungsklage zu erheben. Eine vorherige Akteneinsicht war auch ohne Einlegung des Widerspruchs möglich.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

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