Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (1. Senat) - 1 A 10341/15

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 7. August 2014 wird festgestellt, dass die Ablehnung des Antrags des Klägers vom 15. April 2013 auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für die Aufstellung eines Informations- und Verkaufsstandes in der Zeit von Mai bis Dezember 2013 rechtswidrig war.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der festzusetzenden Kosten abzuwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Versagung einer Sondernutzungserlaubnis durch die Beklagte rechtswidrig war.

2

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 15. April 2013 die Erteilung einer Erlaubnis für eine Sondernutzung im Bereich der Unterführung unter der L … in der Gemarkung G., Flur …, Flurstück … . Auf dem genannten Grundstück befindet sich ein Brückenbauwerk, das es Fußgängern ermöglicht, von dem westlich der L … gelegenen (Groß-)Parkplatz (Grundstück Gemarkung G., Flur …, Parzelle …) unter der L … zu dem im Eigentum der Beigeladenen stehenden Privatweg und von dort zur Abtei X zu gelangen. Der Kläger beabsichtigte, in der Zeit von Mai bis Dezember 2013 maximal einmal pro Monat einen „… kleinen mobilen Informations- u. Verkaufsstand in Form einer Staffelei und eines kleinen Tisches auf einer Gesamtfläche von ca. 2 m x 1 m …“ im Ausweitungsbereich der Unterführung zum Parkplatz hin aufzustellen. Weiter führte der Kläger aus, er sei als Privatperson missionarisch tätig, ohne Angehöriger einer Organisation zu sein und verfolge die Absicht mit einem „…kleinen Katechismus für Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts…“, den er kostenlos verteile, mit christlichen Symbol-Anhängern und einem erläuternden Flyer für eine zeitgemäße christliche Glaubenslehre zu werben.

3

Die Fußgängerunterführung war im Jahre 1982 anstelle des bis dahin höhengleichen Fußgängerübergangs ohne vorherige Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens errichtet worden. Dem war ein Vertrag zwischen dem beklagten Land und der Beigeladenen vorausgegangen in dem u.A. Folgendes ausgeführt ist:

Vorbemerkungen

4

Zur sicheren Führung des Fußgängerverkehrs von A und dem Großparkplatz zur Abtei X wird eine Fußgängerunterführung gebaut.

Die Fußgängerunterführung wird durch neue Gehweganlagen mit dem bestehenden Wegenetz und dem Großparkplatz verbunden….

….

§ 6

5

Ein Planfeststellungsverfahren ist für die vorgesehenen Baumaßnahmen nicht erforderlich, wenn die Klosterverwaltung den erforderlichen Grund und Boden kostenlos übereignet…

6

Unter dem 30. Juli 2010 hatten der Beklagte und die Beigeladene einen Pachtvertrag geschlossen, wonach die Straßenverwaltung der Beigeladenen das bereits genannte Grundstück Gemarkung G., Flur …, Flurstück …, gegen einen Pachtzins von 50,00 € jährlich überlässt. Die Beigeladene verpflichtet sich danach, u.a. die Unterhaltung und Reinigung der verpachteten Fläche sicherzustellen und im Winter die Streupflicht zu übernehmen.

7

Mit Bescheid vom 3. Juni 2013 lehnte die Beklagte die beantragte Sondernutzungserlaubnis ab. Zur Begründung hieß es im Wesentlichen, aufgrund des engen Durchgangs von nur ca. 3,50 m könne “… aus Gründen der Sicherheit (Fluchtweg) die Aufstellung des Verkaufsstandes auch in den Aufweitungsflächen des Durchgangs …“ nicht zugelassen werden. Dem dagegen eingelegten Widerspruch wurde durch Bescheid vom 9. September 2013 insoweit stattgegeben, als der Bescheid vom 3. Juni 2013 aufgehoben wurde. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine rechtliche Überprüfung habe ergeben, dass es sich bei der beantragten Nutzung nicht um eine Sondernutzung im Sinne des § 41 LStrG handele, sondern um eine sonstige Benutzung nach § 45 LStrG. Darüber hinaus wurde darauf hingewiesen, dass eine Gestattung für das Flurstück … nach § 45 LStrG grundsätzlich nicht in Betracht komme, da ein Pachtvertrag mit dem Land Rheinland-Pfalz und der Beigeladenen bestehe. Dies habe zur Folge, dass dem Land Rheinland-Pfalz hinsichtlich der Nutzung dieses Flurstückes die tatsächliche Sachherrschaft faktisch entzogen sei.

8

Den gegen diesen Abhilfebescheid rechtzeitig eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2014 zurück. Zur Begründung hieß es im Wesentlichen, bei der seitens des Kläger beantragten Nutzung des Flurstücks … handele es sich nicht um eine Sondernutzung, sondern um eine sonstige Benutzung, die nur mittels eines Nutzungsvertrages nach bürgerlichem Recht eingeräumt werden könne. Die Fußgängerunterführung sei nicht als „sonstige Straße“ nach § 3 Nr. 3b, aa LStrG gewidmet worden. Das Grundstück sei zwar mit seiner Nutzung als Fußgängerunterführung Bestandteil der L …, erfülle aber nicht die Verkehrsbedeutung einer Landesstraße im Sinne des § 3 Nr. 1 LStrG.

9

Die dagegen erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage wies das Verwaltungsgericht Koblenz durch Urteil vom August 2014 ab. In den Entscheidungsgründen heißt es im Wesentlichen, wenn die Benutzung einer Straße keine negative Auswirkungen auf den Gemeingebrauch der Straße haben könne, folge aus § 41 LStrG, dass sich die Einräumung an Rechten zur Straße nach dem Privatrecht richte. Die beantragte Benutzung der Fußgängerunterführung könne den Gemeingebrauch nicht behindern. Der Fußgängerverkehr gehöre nicht zu dem Verkehr auf der L … . Hier bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das bürgerliche Recht dem Kläger im Jahre 2013 ein Anspruch auf die Benutzung der Unterführung ermittelt habe.

10

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht gehe fehlerhaft von der Anwendbarkeit des § 45 LStrG aus. Zu einer öffentlichen Straße gehörten nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 LStrG neben dem Straßenkörper selbst auch Brücken, Tunnel und Durchlässe. Die Widmung einer Landesstraße beziehe sich damit nicht nur auf den Kraftfahrzeugverkehr auf der Fahrbahn, sondern auch auf dem bestimmungsgemäßen (Neben-) Gebrauch durch Fußgänger, Fahrradfahrer etc.. Der Gemeingebrauch an der Landesstraße erfasse entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht nur den Kraftfahrzeugverkehr auf der L …, sondern darüber hinaus auch jeglichen bestimmungsgemäßen Verkehr auf den unmittelbar zur Straße gehörenden Einrichtungen. Nach § 45 Abs. 1 LStrG sollten nur solche Nutzungen nach bürgerlichem Recht beurteilt werden, die mit dem bestimmungsgemäßen Gemeingebrauch im Rahmen der Widmung nicht kollidieren könnten.

11

Er habe auch einen Anspruch auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis nach § 41 LStrG, da er im Rahmen seiner Religionsausübungsfreiheit handele. Das Forum in der Nähe zum Kloster benötige er, um mit christlichen Mitmenschen in Kontakt zu kommen. Wenn ihm die Religionsausübungsfreiheit vorbehaltlos gewährt werde, habe er dann, wenn die beabsichtigte Straßenbenutzung weder die durch Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG im Kern geschützten Rechte der Verkehrsteilnehmer noch das Recht auf Anliegergebrauch (Art. 14 Abs. 1 GG) noch andere Grundrechte ernstlich beeinträchtige Anspruch auf Erlaubniserteilung. Der privatrechtlich abgeschlossene Pachtvertrag mit der Beigeladenen sei nicht geeignet, die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis auszuschließen, da das aus dem Eigentum abgeleitete obligatorische Nutzungsrecht hier hinter die fortbestehende öffentliche Widmung zurücktrete.

12

Der Kläger beantragt,

13

das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 7. August 2014 abzuändern und festzustellen, dass die Ablehnung des Antrages des Klägers vom 15. April 2013 auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis durch Bescheid vom 9. September 2013 und den Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2014 rechtswidrig gewesen ist.

14

Die Beklagte beantragt,

15

die Berufung zurückzuweisen.

16

Das Verwaltungsgericht gehe zwar zu Recht davon aus, dass gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 LStrG Straßendurchlässe zur Straße gehörten. Da sich hier die im Jahre 1983 gebaute Fußgängerunterführung ausschließlich als Fortführung des auf dem Grundstück … angelegten Fußweges zur Verbindung der privaten Klosteranlage mit dem gegenüber der L … liegenden Hofladen, dem Besucherparkplatz und den Wanderwegen erweise, handele es sich aber bei der Nutzung des straßeneigenen Flurstückes … durch die Fußgängerunterführung um eine sonstige Benutzung im Sinne des § 45 LStrG.

17

Der Beigeladene hat sich zur Sache nicht geäußert und stellt keinen Antrag.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten der Beklagten (1 Hefter). Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers stattgeben müssen.

20

1. Das Begehren des Klägers ist als Antrag auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis zu verstehen, da der Kläger den Gebrauch eines Teils der öffentlichen Straße L … erstrebt (a), der dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist (b) und der Gebrauch der Straße keine sonstige Nutzung im Sinne des § 45 des Landesstraßengesetzes in der Fassung vom 1. August 1977 (GVBl. S. 349), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Oktober 2013 (GVBl. S. 349) – LStrG – darstellt (c).

21

a. Bei dem Grundstück Gemarkung G., Flur …, Parzelle Nr. …, das Gegenstand des klägerischen Begehrens auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis ist, handelt es sich um einen Teil der öffentlichen Straße L … . Dies ergibt sich zunächst aus § 1 Abs. 3 Nr. 1 LStrG, wonach zu den öffentlichen Straßen unter anderem auch Brücken und Tunnel gehören. Als Brücken sind künstliche Bauwerke zu verstehen, die die Straße über künstliche oder natürliche Hindernisse (Täler, Schluchten, Gewässer, andere Verkehrswege usw.) hinweg führen (vgl. Bogner/Bitterwolf-de Boer/Probstfeld/Kaminski/Schwarz/Witte, Praxis der Kommunalverwaltung Rheinland-Pfalz, § 1 LStrG Nr. 3.3.1). Da hier das auf dem Grundstück Gemarkung G., Flur …, Flurstück …, errichtete Bauwerk die L … über den Fußgängerweg führt, handelt es somit um eine Brücke.

22

Soweit das Verwaltungsgericht und der Beklagte dieses Ergebnis vermeiden wollen, indem sie darauf abstellen, „…dass der Fußgängerverkehr durch diese Unterführung in keinem Zusammenhang mit dem Verkehr auf der L … …“ stehe, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Brücke, die die L … über den Fußgängerweg führt, aus der Sicht des Fußgängerverkehrs zugleich einen Tunnel darstellt. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass dieser Fußgängerverkehr in keinem Zusammenhang mit der L … stehe. Insoweit muss vielmehr darauf abgestellt werden, dass früher, bis zur Errichtung des Bauwerks, die Fußgänger, um zur Klosteranlage zu gelangen vom Parkplatz aus das Niveau der L … mittels zweier Treppen (vgl. den bei den Akten befindlichen Lageplan aus dem Dezember 1980) erreichen und die L … dann überqueren mussten. Insoweit handelte es sich um einen Zugang zur L … der nach § 43 Abs. 1 Satz 1 LStrG als Sondernutzung gilt. Wenn nunmehr der zuvor die L … querende Fußgängerverkehr kreuzungsfrei unter die L … geführt wird, liegt seine Verkehrsbedeutung darin, den Fußgängern eine (Unter-)Querung der L … zu ermöglichen.

23

Zu dem gleichen Ergebnis – dass das Bauwerk auf der Parzelle Nr. … Teil der L … ist – gelangt man auch unter Heranziehung des § 1 Abs. 3 Nr. 4 LStrG. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung gehören – soweit vorliegend von Interesse – zu den öffentlichen Straßen auch das Zubehör, insbesondere Verkehrslagen aller Art, die der Sicherheit oder Leichtigkeit des Straßenverkehrs dienen. Damit erweitert das Gesetz die Liste in der Nr. 1 des § 1 Abs. 3 LStrG genannten technisch-baulichen Bestandteile einer öffentlichen Straße um alle Anlagen, die der Gewährleistung eines verkehrssicheren, reibungslosen Ablaufs des Verkehrs dienen. Da der Verkehrszweck des Brückenbauwerks darin besteht, Gefahren für und durch die Fußgänger zu vermeiden, die als Besucher vom Parkplatz zur Abtei und in umgekehrter Richtung die L … passieren müssen, ist dieses Bauwerk Bestandteil der L … .

24

b. Die Fußgängerunterführung, die somit zur L … gehört, ist auch dem öffentlichen Verkehr gewidmet. Zwar ist eine förmliche Widmung im Sinne des § 36 Absätze 1 bis 4 LStrG nicht verfügt worden, jedoch greift hier die Widmungsfiktion des § 36 Abs. 5 LStrG ein. Nach dieser Vorschrift gilt, wenn eine Straße unerheblich ergänzt wird, der neue Straßenteil durch die Verkehrsübergabe als gewidmet, sofern die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Die Voraussetzungen einer solchen Widmungsfiktion sind vorliegend erfüllt.

25

In der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts ist bereits geklärt, dass das Tatbestandsmerkmal „…unerheblich ergänzt…“ dann bejaht werden kann, wenn die fragliche Baumaßnahme die Straße in ihrer verkehrlichen Bedeutung nicht entscheidend verändert (Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. Oktober 1987, AS 22, 8 <13>). Das ist hier der Fall. Die dem öffentlichen Verkehr gewidmete L … wurde um eine Fußgängerunterführung ergänzt, ohne dass Veränderungen an den bisher gewidmeten Flächen erforderlich geworden wären. Da auch die Verkehrsfunktion der L … dabei unverändert blieb, handelt es sich somit um eine unerhebliche Ergänzung.

26

Auch die weitere tatbestandliche Voraussetzung des § 36 Abs. 5 LStrG, wonach „…die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen…“ müssen, ist erfüllt, da das Grundstück, auf dem die Unterführung errichtet worden ist, im Eigentum des beklagten Landes steht.

27

Schließlich ist die Unterführung unter der L … auch dem öffentlichen (Fußgänger-) Verkehr übergeben worden. Die Verkehrsübergabe ist ein Realakt, mit dem eine Fläche der Allgemeinheit zu Verkehrszwecken zur Verfügung gestellt wird, der etwa in der schlichten Entfernung eines Bauzaunes nach Abschluss der Bauarbeiten bestehen kann (Häußler in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegerecht, Art 6 Rn. 81; Sauthoff, Öffentliche Straßen, 2. Aufl. Rn. 90). Hier hat das beklagte Land im Zusammenhang mit weiteren Baumaßnahmen an der Straße die Unterführung selbst errichtet und diese nach Abschluss der Baumaßnahmen dem Fußgängerverkehr vom Großparkplatz zur Abtei bzw. in umgekehrter Richtung zur Verfügung gestellt. Die Verkehrsübergabe ist daher zweifellos erfolgt. Auf die vom Verwaltungsgericht und dem Beklagten angestellten Überlegungen, etwa, dass der Fußgängerverkehr hier nicht straßenbegleitend sei oder, dass die Unterführung „nur“ der Verbindung von Grundstücken diene, die im Eigentum der Beigeladenen stehen, kommt es danach nicht an. Maßgeblich ist allein die Verkehrsübergabe, die die gesetzliche Fiktion der Widmung für den Gemeingebrauch an der Unterführung zur Folge hat. Auch die Überlegung des Beklagten, wonach es denkbar sei, dass eine Unterführung allein privaten Zwecken dienen könne – etwa für eine Golfanlage mit Flächen beiderseits einer öffentlichen Straße – führt zu keinem anderen Ergebnis. Dem braucht nämlich nicht näher nachgegangen zu werden, weil hier keine Beschränkung der Nutzung für einen beschränkten Personenkreis, sondern eine Indienststellung für die Öffentlichkeit erfolgt ist.

28

c. Die vom Kläger beabsichtigte Benutzung des Fußgängerweges, soweit er Teil der L … ist, stellt auch keine sonstige Benutzung im Sinne des § 45 Abs. 1 LStrG dar. Diese Bestimmung ist ihrem Wortlaut nach anwendbar, wenn die Benutzung der Straße den Gemeingebrauch nicht oder für Zwecke der öffentlichen Versorgung nur kurzfristig beeinträchtigt. Wenn danach der Gebrauch der Straße den Gemeingebrauch beeinträchtigt, handelt es sich um eine "Sondernutzung" im Sinne des § 41 Abs. 1 LStrG, im umgekehrten Falle, wenn der Gebrauch der Straße den Gemeingebrauch nicht beeinträchtigt, liegt eine sonstige Benutzung vor. Mit den Nutzungen, die den Gemeingebrauch nicht beeinträchtigen, ist zunächst, was sich aus den Absätzen 2 und 3 des § 45 LStrG ergibt, die Verlegung von Versorgungs- und Abwasserleitungen im Straßenkörper gemeint. Darüber hinaus können auch andere Formen der Benutzung unter § 45 Abs. 1 LStrG fallen, etwa Benutzungen von Flächen außerhalb des Verkehrsraums der Straße und solche, die – wie etwa Freileitungen – den Luftraum über der Straße in Anspruch nehmen (BGH, Urteil vom 28. September 1982 – KZR 17/81 –, NVwZ 1983, 499 f).

29

Da hier der Kläger eine Nutzung beabsichtigt, die auf der für den Fußgängerverkehr gewidmeten Fläche stattfinden soll, kann der Gemeingebrauch durch die Fußgänger beeinträchtigt werden. § 45 LStrG greift daher nicht ein.

30

2. Es kann auch nicht feststellt werden, dass der Antrag des Kläger auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgelehnt worden wäre. Zwar ist die Erteilung einer Sondernutzugserlaubnis nach dem Wortlaut des § 41 LStrG in das Ermessen der Beklagten gestellt. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass die vom Kläger beabsichtigte Straßennutzung – die Abgabe eines religiösen Traktats und von Flyern an Passanten sowie der Verkauf von Devotionalien zum Selbstkostenpreis – als Ausübung des vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) zu werten ist. Die Entscheidungsmaßstäbe für die Ermessensausübung bei der Entscheidung über die Sondernutzugserlaubnis ergeben sich daher unmittelbar aus dem verfassungsrechtlichen Gebot, gegenläufige, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützte Interessen mit dem Ziel ihrer Optimierung im Wege fallbezogener Abwägung auszugleichen. Ergibt die Einzelfallprüfung, dass durch die beabsichtigte Straßenbenutzung weder andere Grundrechte, etwa die durch Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG im Kern geschützten Rechte der Verkehrsteilnehmer oder das Recht auf Anliegergebrauch (Art. 14 Abs. 1 GG), noch sonstige Güter von Verfassungsrang, insbesondere die Verhinderung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, ernstlich beeinträchtigt sind, so besteht in aller Regel ein Anspruch auf Erlaubniserteilung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 1996 – 11 B 23/96 – NJW 1997,406).

31

Dass hier eine Beeinträchtigung kollidierender Grundrechte oder von Werten mit Verfassungsrang in Betracht zu ziehen wäre, wird von der Beklagten nicht geltend gemacht, ist aber auch für den Senat nicht erkennbar. Möglich erscheint allerdings, dass sich durch die vom Kläger gewünschte Aufstellung des mobilen Informations- u. Verkaufsstandes je nach Verkehrssituation eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ergeben kann. Es ist, worauf in der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden ist, gerichtsbekannt, dass vor und nach gut besuchten Gottesdiensten oder Konzerten mit einem derart großen Besucherandrang zu rechnen ist, dass die volle Breite der Fußgängerunterführung zur Verkehrsabwicklung erforderlich ist. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Informations- und Verkaufsstand des Klägers im Einzelfall zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Fußgängerverkehrs führen kann. Ob dies in einem Umfang zu befürchten steht, durch den die erforderliche Erheblichkeitsschwelle einer Gefahr erreicht wird, kann hier dahinstehen. Selbst wenn man dies nämlich zugunsten der Beklagten unterstellt, hätte sich dieser Konflikt zwischen dem Recht des Klägers auf Religionsausübung und der gebotenen Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit hier dadurch lösen lassen, dass dem Kläger die Aufstellung seines Standes etwa nur im nördlichen Aufweitungsbereich der Unterführung und damit außerhalb des Bereichs mit einem hohen (Fußgänger-) Verkehrsaufkommens oder nur zu bestimmten Zeiten gestattet worden wäre.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene keine Anträge gestellt hat, erscheint es nicht als angemessen, der Beklagten auch deren außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

33

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

34

Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO bezeichneten Art nicht vorliegen.

Beschluss

35

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt (vgl. § 52 Abs. 1 GKG).

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