Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 A 11652/17


Tenor

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 10. August 2017 wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 923,32 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

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Zwar kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Zulassungsantrag verspätet gestellt worden ist. Zufolge der vom Kammervorsitzenden unterschriebenen Abschlussverfügung vom 22. August 2017 sollte beiden Beteiligten je eine Ausfertigung des Urteils des Verwaltungsgerichts gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden (vgl. S. 72 GA). Ausweislich des Datumstempels, der Paraphe der tätig gewordenen Justizbeschäftigten und des handschriftlichen Vermerks "2 x EB" auf der Abschlussverfügung wurden die Urteilsausfertigungen nebst Empfangsbekenntnis-Vordrucken noch am 22. August 2017 zur Post gegeben. Zufolge einer ergänzenden Verfügung des Berichterstatters ebenfalls vom 22. August 2017 sollte eine Ausfertigung des Urteils beiden Beteiligten "vorab per Fax ... jeweils gegen EB" zugestellt werden (vgl. S. 76 GA). Ausweislich des Datumstempels, der Paraphe der Justizbeschäftigten und des handschriftlichen Vermerks "2 x EB" auf der ergänzenden Verfügung wurde diese noch am 22. August ausgeführt; dem Übertragungsprotokoll vom 22. August 2017 ist zu entnehmen, dass dem Beklagten 21 Seiten per Fax übermittelt wurden. Zufolge des (1-seitigen) Anschreibens wurden zusammen mit diesem jedoch nur eine beglaubigte Abschrift des (15-seitigen) Urteils und der (4-seitigen) Sitzungsniederschrift übermittelt. Angesichts dessen ist es zwar möglich, dass dem Beklagten per Fax auch ein Empfangsbekenntnis-Vordruck übermittelt wurde. Jedoch lässt sich die Behauptung des Beklagten, er habe den Empfangsbekenntnis-Vordruck erst am 28. August 2017 auf dem Postweg erhalten, aufgrund des Akteninhalts nicht widerlegen, sodass sein am 28. September 2017 eingegangener Berufungszulassungsantrag nicht als verspätet verworfen werden kann.

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Jedoch ist der Zulassungsantrag des Beklagten zumindest unbegründet.

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Gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO ist die Berufung zuzulassen, wenn einer der in § 124 Abs. 2 VwGO abschließend genannten Gründe dargelegt ist und vorliegt. Gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind zur Begründung des Zulassungsantrags die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Eine Darlegung in diesem Sinne erfordert neben der Bezeichnung mindestens eines Zulassungsgrundes substantiierte Ausführungen dazu, warum der geltend gemachte Zulassungsgrund oder die geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegen. Mithin ist zu verlangen, dass sich der Antragsteller mit der Begründung des angefochtenen Urteils auseinandersetzt, Tatsachen- und/oder Rechtsfragen aufbereitet und so die Begründung der angegriffenen Entscheidung substantiiert in Frage stellt (vgl. nur Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Loseblatt, § 124a Rn. 91 [Stand: Oktober 2015] m.w.N.).

5

Zur Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die der Beklagte zunächst geltend gemacht hat, muss deshalb unter substantiierter Auseinandersetzung mit der Begründung des angefochtenen Urteils dargelegt werden, dass und weshalb die Argumentation des Verwaltungsgerichts unzutreffend ist oder das gefundene Ergebnis gleichwohl nicht trägt. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Die Ausführungen im Zulassungsantragbegründungsvorbringen des Beklagten gehen vielmehr fast zur Gänze am Urteil des Verwaltungsgerichts vorbei und sind im Übrigen zumindest so nicht zutreffend und stellen mithin die Argumentation des Verwaltungsgerichts nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage. Im Einzelnen:

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Nach einer Sachverhaltsschilderung bis Mitte der dritten Seite des Schreibens des Beklagten vom 26. Oktober 2017 finden sich sodann folgende Ausführungen:

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"Kosten der Vormundschaftstätigkeit sind nicht erstattungsfähig, da sie weder unmittelbare Aufwendungen für Jugendhilfemaßnahmen noch Annexleistungen i.S. des § 39 SGB VIII sind.

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Die Vergütung von Vormündern, die durch die Amtsgerichte Familiengericht – bestellt werden, erfolgt nach dem Gesetz über die Vergütung von Vormündern und Betreuern (Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz – VBVG –). § 7 regelt dabei die Vergütung von Vereinsvormündern. Es besteht somit eine eigengesetzliche Regelung für die Vergütung aus der Staatskasse (Justizbudget).

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Die Erstattung der Kosten der Wahrnehmung der Vormundschaft durch einen Verein nach der Erstattungsregelung des § 89d Abs. 3 SGB VIII entspricht ... damit nicht der Rechtslage."

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Dies alles trifft so nicht zu.

11

Gemäß § 89d Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind Kosten, die ein örtlicher Träger aufwendet, vom Land zu erstatten, wenn innerhalb eines Monats nach der Einreise eines jungen Menschen oder nach § 19 SGB VIII Leistungsberechtigten "Jugendhilfe gewährt wird" und sich die örtliche Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt dieser Person oder nach einer Zuweisungsentscheidung richtet. Die Gewährung von Jugendhilfe in diesem Sinne umfasst das gesamte Spektrum der in § 2 SGB VIII genannten Aufgaben der Jugendhilfe, also sowohl Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB VIII als auch andere Aufgaben im Sinne von § 2 Abs. 3 SGB VIII (vgl. nur Streichsbier in jurisPK-SGB VIII, § 89d Rn. 6). Dazu zählen gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 11 SGB VIII auch die Amtsvormundschaft und die Gegenvormundschaft des Jugendamtes. Kosten, die ein örtlicher Träger hierfür aufwendet, sind daher nach § 89d Abs. 1 SGB VIII erstattungsfähig, sofern auch die weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Zu einer solchen Erstattung kommt es in der Praxis in aller Regel nur deshalb nicht, weil Verwaltungskosten nach § 109 Satz 1 SGB X nicht und Auslagen nach Satz 2 dieser Bestimmung nur dann erstattet werden, wenn sie im Einzelfall 200 € übersteigen.

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Ferner erhalten gemäß § 1835a Abs. 5 und § 1836 Abs. 3 BGB weder ein Jugendamt noch ein rechtsfähiger Verein, das bzw. der vom Familiengericht zum Vormund bestellt wurde, eine Aufwandentschädigung oder eine Vergütung. Es besteht somit in diesen Fällen keine "eigengesetzliche Regelung für die Vergütung aus der Staatskasse (Justizbudget)". Der vom Beklagten erwähnte § 7 VBVG regelt unmittelbar nur "Vergütung und Aufwendungsersatz für Betreuungsvereine", falls ein Vereinsbetreuer, d.h. ein Mitarbeiter eines anerkannten Betreuungsvereins (vgl. § 1908f BGB), also eine natürliche Person, zum Betreuer im Sinne der §§ 1896 ff. BGB bestellt worden ist. Zwar ist diese Bestimmung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs analog auch auf Vormundschaftsvereine im Sinne von § 1791a BGB i.V.m. § 54 Abs. 1 SGB VIII anwendbar, wenn ein Vereinsvormund, d.h. ein Mitarbeiter eines solchen Vormundschaftsvereins, also eine natürliche Person, zum Vormund bestellt wurde (vgl. dessen Urteil vom 25. Mai 2011 – XII ZB 625/10 – NJW 2011, 2727 [2728 f. Rnrn. 26 bis 36]). Auf dies alles hat bereits das Verwaltungsgericht ebenso zutreffend hingewiesen wie auf den Umstand, dass im vorliegenden Fall vom Familiengericht der Vormundschaftsverein selbst und nicht ein Vereinsvormund zum Vormund bestellt worden ist, der Vormundschaftsverein also weder Vergütung noch Aufwendungsersatz "aus der Staatskasse" erhält.

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Schließlich ist der vom Beklagten erwähnte § 89d Abs. 3 SGB VIII bereits seit dem 1. Juli 2017 aufgehoben, enthielt aber auch zuvor keine Erstattungsregelung, sondern eine Regelung zur Bestimmung des erstattungspflichtigen Landes bei im Ausland geborenen Personen im Sinne von § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII.

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Das gesamte weitere Vorbringen des Beklagten zur Begründung seines Berufungszulassungsantrages sowohl in seinem Schreiben vom 26. Oktober 2017 als auch in dem erst nach Ablauf der Antragsbegründungsfrist am 30. Oktober 2017 verfassten und übermittelten Schreiben vom 15. November 2017 fußt auf der Annahme, "die von der Klägerin vorgenommene Übertragung der Aufgabe Amtsvormundschaft auf einen freien Träger der Jugendhilfe" sei "nach dem SGB VIII nicht statthaft", weil eine "Übertragung von Aufgaben der Jugendämter auf einen freien Träger der Jugendhilfe ... nur in den in § 76 Abs. 1 SGB VIII genannten Fällen zulässig" sei und auch "§ 54 SGB VIII ... hierfür keine Grundlage" bilde, sodass "die Übertragung der Vormundschaft durch die Klägerin auf den Sozialdienst katholischer Frauen e.V. ... somit ohne rechtliche Grundlage" erfolgt sei. Diese Prämisse ist aber unzutreffend: Weder ist die Klägerin im vorliegenden Fall zum Vormund bestellt worden noch hat sie eine Vormundschaft auf den Sozialdienst katholischer Frauen e.V. übertragen. Hiervon ist auch nicht etwa das Verwaltungsgericht ausgegangen, es hat derartiges auch nicht etwa zu Unrecht als rechtmäßig angesehen. Im Einzelnen:

15

Wie sich aus dem Sachverhalt des Urteils des Verwaltungsgerichts eindeutig ergibt, hat im vorliegenden Fall das Familiengericht Würzburg mit Beschluss vom 1. Oktober 2014 zwar zunächst das Jugendamt der Klägerin zum Vormund bestellt, durch Beschluss vom 14. November 2014 aber als Vormund entlassen und den Sozialdienst katholischer Frauen e.V. zum neuen Vormund bestellt (UA S. 2 unten = juris Rn. 3). Mithin erfolgte keine Übertragung der Amtsvormundschaft der Klägerin durch diese auf den Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht im Folgenden ausgegangen. Zwar hat es zur Begründung seiner Annahme, bei den Zahlungen der Klägerin an den Sozialdienst katholischer Frauen e.V. handele es sich nicht um nach § 109 Satz 1 SGB X nicht erstattungsfähige Verwaltungskosten, auch auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Oktober 2010 – 5 C 16.08 – NVwZ-RR 2010, 148 (149 ff. Rnrn. 16 bis 26) hingewiesen, wonach Zahlungen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe an einen Träger der freien Jugendhilfe für die Erledigung von Sach- und Dienstleistungen, mit denen letzterer (nicht nur gemäß § 56 SGB VIII, sondern mit Blick auf § 4 Abs. 2 SGB VIII befugterweise auch sonst) beauftragt worden war, eindeutig abgrenzbare Kosten zur Deckung von außerhalb des Verwaltungsapparates des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe entstehender Personal- und Sachkosten und damit keine Verwaltungskosten im Sinne von § 109 Satz 1 SGB X darstellen (UA S. 7 und 8 oben = juris Rnrn. 22 bis 24). Das Verwaltungsgericht ist im Folgenden aber ausdrücklich davon ausgegangen, dass "die Bestellung des Vereins als Vormund ... im Einzelfall auf Grundlage von § 1791a Abs. 2 ... BGB ... durch Beschluss des Familiengerichts" erfolgt und dass das Sozialgesetzbuch Achtes Buch "hinsichtlich der Bestellung eines Vereins zum Vormund des Hilfeempfängers ... gerade keine eigenständige Aufgabenübertragung durch das Jugendamt selbst" vorsieht (UA S. 8 unten = juris Rn. 25; vgl. auch UA S. 12 Mitte = juris Rn. 32). Ferner hat das Verwaltungsgericht ausdrücklich angemerkt, damit sei "die Übernahme der Vereinsvormundschaft ... unabhängig von einer Aufgabenübertragung im Sinne des § 76 SGB VIII zulässig" und es habe "einer Erwähnung in § 76 SGB VIII ... damit schon aus systematischen Gründen nicht" bedurft (UA S. 8 unten = juris Rn. 25).

16

Vorsorglich merkt der Senat insoweit an, dass er nur die Entscheidungsgründe des Urteils selbst berücksichtigen kann und nicht etwa den zu diesem Urteil in juris veröffentlichten Leitsatz 2, der die Entscheidungsgründe unzutreffend widerspiegelt und auch mit der dort in Bezug genommenen Rn. 26 nicht zu vereinbaren ist. Darin und in den folgenden Randnummern meint das Verwaltungsgericht, dass die Bereitschaft eines für seine Tätigkeit als Vormund keine Aufwandsentschädigung oder Vergütung erhaltenden Vormundschaftsvereins, die gemäß § 1791a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB für seine Bestellung zum Vormund erforderliche Einwilligung zu erklären, durch eine in § 74 SGB VIII vorgesehene finanzielle Förderung der freien Jugendhilfe bewirkt werden könne, und geht davon aus, weil durch die mittels finanzieller Förderung bewirkte Einwilligung des Vormundschaftsvereins in seine Bestellung zum Vormund das Jugendamt von seiner Verpflichtung zur Übernahme einer Amtsvormundschaft freigestellt und der Vormundschaftsverein mithin im Sinne von § 77 Satz 1 SGB VIII "in Anspruch genommen" werde, sei diesbezüglich der Abschluss von Vereinbarungen in unmittelbarer, hilfsweise analoger Anwendung von § 77 SGB VIII rechtens. Von einer "Aufgabenübertragung", zumal "gemäß § 76 SGB VIII", ist in diesem Zusammenhang im Urteil des Verwaltungsgerichts – anders als im in juris veröffentlichten Leitsatz 2 – keine Rede.

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Auf diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts, der Träger der öffentlichen Jugendhilfe könne durch eine finanzielle Förderung der freien Jugendhilfe nach § 74 SGB VIII die Einwilligung eines Vormundschaftsvereins in dessen Bestellung zum Vormund bewirken und darüber mit dem Vormundschaftsverein eine Vereinbarung in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 77 SGB VIII über die Höhe der Kosten treffen, und auf die sich daran anschließende Frage, ob auch durch eine – in § 2 Abs. 2 und 3 SGB VIII nicht als Aufgabe der Jugendhilfe genannte – finanzielle Förderung der freien Jugendhilfe im Sinne von § 89d Abs. 1 Satz 1 SGB VIII "Jugendhilfe gewährt wird", geht das Vorbringen des Beklagten zur Begründung seines Zulassungsantrages mit keinem Wort ein. Damit sind insoweit Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts nicht dargelegt.

18

Zugleich ist damit nicht dargelegt, dass die Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzliche Bedeutung hat, weil der Beklagte eine entscheidungserhebliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung nicht einmal auch nur aufgeworfen hat.

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Nach alledem kann aufgrund der eingangs erörterten, so nicht zutreffenden Ausführungen des Beklagten wie aufgrund seiner irrigen Annahme, die Klägerin habe eine Vormundschaft, mit der sie betraut gewesen sei, ohne dafür existierende Rechtsgrundlage auf einen Vormundschaftsverein übertragen bzw. das Verwaltungsgericht sei hiervon ausgegangen und habe eine solche Übertragung als rechtens angesehen, kann die Berufung des Beklagten nicht zugelassen werden.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren aus § 47 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.

21

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

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