Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (2. Senat) - 2 A 11424/17

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Tenor

Soweit die Klägerin ihre Berufung zurückgenommen hat, wird das Berufungsverfahren eingestellt.

Auf die Berufung des Beklagten wird das angefochtene Urteil in Bezug auf die Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen abgeändert und der erste Absatz des Tenors wie folgt gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2012 an die Klägerin 800 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Juli 2012 zu zahlen. Desweiteren wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1.100 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 100 € seit dem Ersten eines jeden Monats beginnend mit dem 1. August 2012 und ab dem 1. Juni 2013 aus der Gesamtsumme von 1.100 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin zu 65% und der Beklagte zu 35%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils ihm gegenüber vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die als Justizbeamtin tätige Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen altersdiskriminierender Besoldung.

2

Die im Jahr 1979 geborene Klägerin wurde im Jahr 2002 zur Justizinspektorin z.A. ernannt. Ihr Besoldungsdienstalter wurde damals auf die Vollendung ihres 21. Lebensjahres festgesetzt. Demgemäß wurde sie in Stufe 2 der Besoldungsgruppe A 9 Landesbesoldungsordnung – LBesO – eingestuft.

3

Mit Schreiben vom 27. Januar 2012 legte sie gegen die Besoldungshöhe Widerspruch ein und beantragte rückwirkend die Bezahlung aus der höchsten Stufe ihrer jeweiligen Besoldungsgruppe. Zur Begründung führte sie aus, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) davon auszugehen sei, dass die Besoldung nach Stufen altersdiskriminierend sei.

4

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2012 zurück. Die Besoldung sei entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen festgesetzt worden. Ein Anspruch wegen Diskriminierung liege nicht vor. Zum einen sei die Ungleichbehandlung wegen des Alters gerechtfertigt, zum anderen sei das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz erst nach der Einstellung der Klägerin in Kraft getreten. Schließlich sei weder ein Anspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, noch der unionsrechtliche Haftungsanspruch rechtzeitig geltend gemacht worden.

5

Am 6. Juli 2012 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Hierbei hat sie die Höhe der Entschädigung ins Ermessen des Gerichts gestellt, aber ausgeführt, warum diese mindestens 7.500 € zu betragen habe. Der Anspruch folge zum einen aus dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch und zum anderen aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz – AGG –. Die Antragsfristen seien eingehalten. Da es sich bei der Diskriminierung um einen Dauertatbestand handle, beginne die zweimonatige Frist des § 15 Abs. 4 AGG erst mit der Beendigung der Diskriminierung, mithin erst mit Inkrafttreten des neuen Landesbesoldungsgesetzes am 1. Juli 2013. Vorher sei jeden Monat eine diskriminierende Besoldung gezahlt worden.

6

Die Klägerin hat beantragt,

7

den Beklagten unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 11. Juni 2012 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis 30. Juni 2013 eine angemessene Entschädigung nach Ermessen des Gerichts nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

8

Der Beklagte hat beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Er hat die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs nicht gegeben seien. Es habe zu keinem Zeitpunkt ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen die unionsrechtliche Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vorgelegen. Noch im Jahr 2013 habe auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz mehrfach entschieden, dass eine altersdiskriminierende Besoldung nicht vorliege. Außerdem komme sowohl der unionsrechtliche Haftungsanspruch als auch ein Anspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz schon deshalb nicht in Betracht, weil die zweimonatige Frist des § 15 Abs. 4 AGG, die auch für den Haftungsanspruch gelte, nicht eingehalten worden sei beziehungsweise ein Anspruch auf höhere Besoldung nicht zeitnah geltend gemacht worden sei. Davon abgesehen sei auch nicht ersichtlich, worin ein materieller Schaden bestehen solle.

11

Mit Urteil vom 11. August 2016 hat das Verwaltungsgericht den Beklagten zur Zahlung von 1.900 € nebst Prozesszinsen seit Rechtshängigkeit verurteilt. Der Anspruch folge aus § 15 Abs. 2 AGG . Die Regelungen des Landesbesoldungsgesetzes alter Fassung seinen altersdiskriminierend gewesen, ein konkreter immaterieller Schaden müsse nicht nachgewiesen werden. Der Anspruch bestehe jedoch nur soweit, als die Klägerin die zweimonatige Ausschlussfrist eingehalten habe. Das Schreiben der Klägerin wahre die Frist für die ab Anfang Dezember 2011 gezahlten Bezüge. Bis zur Besoldung nach dem Landesbesoldungsgesetz sei daher eine Entschädigung für 19 Monate à 100 € pro Monat zu zahlen. Der grundsätzlich ebenfalls in Betracht kommende unionsrechtliche Anspruch bleibe betragsmäßig hinter demjenigen aus § 15 Abs. 2 AGG zurück.

12

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung wendet sich der Beklagte gegen das Urteil. Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht mittlerweile im Sinne des verwaltungsgerichtlichen Urteils entschieden (Urteile vom 6. April 2017 – 2 C 11.16 und 2 C 12.16 –⁠). Diesen Urteilen sei aber nicht zu folgen. Ihm – dem Beklagten – sei insbesondere kein Vorwurf zu machen, da die diskriminierende Besoldung zunächst durch Gesetz gerechtfertigt gewesen sei, später durch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zwar Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Besoldung angezeigt gewesen seien, er allerdings aufgrund der verwaltungs- und oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung darauf hätte vertrauen dürfen, weiterhin rechtmäßig zu handeln. Schließlich sei dem Land als Gesetzgeber noch eine Umsetzungsfrist zuzubilligen gewesen.

13

Gegen das Urteil hat zunächst auch die Klägerin Berufung erhoben, weil der erstinstanzliche Ausspruch hinter der von ihr angegebenen Mindestsumme einer angemessenen Entschädigung zurückgeblieben sei. Nach Veröffentlichung der Entscheidungsgründe der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. April 2017 (2 C 11.16 und 2 C 12.16) hat sie ihre Berufung zurückgenommen.

14

Der Beklagte, der sein Rechtsmittel weiterverfolgt, beantragt,

15

unter Abänderung des angegriffenen Urteils die Klage abzuweisen.

16

Die Klägerin beantragt,

17

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

18

Sie sieht sich durch die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt.

Entscheidungsgründe

19

Das Verfahren war einzustellen, soweit die Klägerin ihre Berufung zurückgenommen hat (§ 126 Abs. 1 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 92 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –).

20

Die Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist ganz überwiegend nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 1.900 € zusteht. Lediglich in Bezug auf die Prozesszinsen besteht kein Anspruch auf Verzinsung der Gesamtsumme ab Rechtshängigkeit, da die Zahlungen zum Teil erst nach Rechtshängigkeit fällig geworden sind.

I.

21

Der Anspruch der Klägerin in Höhe von 100 € pro Monat für den Zeitraum von Dezember 2011 bis Juni 2013 ergibt sich aus § 15 Abs. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG. § 15 Abs. 2 AGG stellt einen Anspruch für Schäden, die nicht Vermögensschäden sind, auf angemessene Entschädigung dar. Er ist zum einen verschuldensunabhängig und verlangt zum anderen nicht den Nachweis eines konkreten immateriellen Schadens. Vielmehr liegt der Schaden bereits im Falle einer ungerechtfertigten Benachteiligung aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe vor (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/1780 S. 38). Verboten ist gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG unter anderem die Benachteiligung wegen des Alters.

22

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist mittlerweile geklärt, dass die Vorschriften des §§ 27 und 28 Bundesbesoldungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. August 2002 (BGBl. I S. 3020) – BBesG a.F. –⁠, nach denen sich die Besoldung der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum richtete, altersdiskriminierende Wirkung hatten. Da die Regelungen an das Lebensalter anknüpften, unterscheidet sich das Grundgehalt, welches zwei gleichzeitig ernannte Beamte mit der gleichen oder einer vergleichbaren Berufserfahrung erhalten, allein aufgrund des Lebensalters zum Zeitpunkt der Ernennung, ohne dass diese Ungleichbehandlung zu rechtfertigen wäre (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014   – Rs. C-501/12 u.a., Specht –⁠, NVwZ 2014, 1294 Rn. 42 ff.; BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2014 – 2 C 6.13 –, BVerwGE 150, 234 Rn. 13 ff.).

23

Der entsprechende Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz liegt seit Inkrafttreten des Gesetzes vor. Fragen der Rückwirkung stellen sich entgegen der Ansicht des Beklagten insofern nicht. Auf die von dem Beklagten vor allem im Zusammenhang mit dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch aufgeworfene Frage, ob der Dienstherr die Benachteiligung erkennen konnte oder wegen insofern divergierender Rechtsprechung darauf vertrauen durfte, dass keine Benachteiligung vorliege, weshalb ein qualifizierter Verstoß gegen das Unionsrecht ausscheide, kommt es im Rahmen des verschuldungsunabhängigen Anspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG nicht an. Diese Sichtweise entspricht der Funktion, die der Norm im Sanktionssystem des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zukommt. Die Norm soll die Vorgaben des Art. 17 RL 2000/78/EG umfassend in nationales Recht umsetzen, der für jeden Verstoß gegen das unionsrechtliche Benachteiligungsverbot eine angemessene und verhältnismäßige Sanktion fordert (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2014 – 2 C 6.13 –, BVerwGE 150, 234 Rn. 45 m.w.N.). Schließlich greift der Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG auch in denjenigen Fällen, in denen der Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot auf dem korrekten Vollzug eines innerstaatlichen Gesetzes beruht (vgl. hierzu ausführlich BVerwG, Urteil vom 6. April 2017 – 2 C 11.16 –, juris Rn. 30 ff.).

24

Die Klägerin hat entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vorgeschriebene Frist nicht versäumt. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss der Anspruch innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Die Frist beginnt nach Satz 2 zu dem Zeitpunkt, in dem der Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

25

Benachteiligende Handlung ist dabei vorliegend nicht die einmalige Festsetzung des Besoldungsdienstalters der Klägerin, sondern die monatliche Berechnung und Auszahlung der Bezüge auf Basis der altersdiskriminierenden Vorschriften des Bundesbesoldungsgesetzes alter Fassung. Kenntnis von der Benachteiligung i.S.v. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG erlangt der Beamte daher mit Eingang der Zahlung. Für die Berechnung der Frist gelten die Vorschriften der §§ 187 ff. BGB (BVerwG, Urteil vom 6. April 2017 – 2 C 11.16 –⁠, juris Rn. 42 m.w.N.). Die Auszahlung der Bezüge für November 2011 erfolgte zum 31. Oktober 2011, so dass die Zwei-Monats-Frist am 31. Dezember 2011 endete. Das Schreiben der Klägerin vom 27. Januar 2012 vermochte daher die Frist nicht mehr für den Monat November 2011, sondern erst für die monatliche Zahlung Dezember 2011 zu wahren.

26

In Bezug auf die Höhe der Entschädigung erachtet das Bundesverwaltungsgericht einen Pauschalbetrag von 100 € pro Monat als angemessen i.S.v. § 15 Abs. 2 AGG (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. April 2017 – 2 C 11.16 –⁠, juris Rn. 43). Dem schließt sich der Senat an. Für die Klägerin ergibt sich damit ein Entschädigungsanspruch für den Zeitraum von Dezember 2011 bis Juni 2013 von insgesamt 1.900 €.

II.

27

Der Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich aus § 90 VwGO i.V.m. §§ 291 und 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Für die Zahlungen ab dem 1. August 2012 ist der jeweils monatlich entstandene Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG im Sinne von § 291 Satz 1 Halbs. 2 BGB erst später fällig geworden, so dass die Tenorierung des Verwaltungsgerichts insofern abzuändern war.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 VwGO. Nach dem Grundsatz der einheitlichen Kostenentscheidung war die Kostentragungspflicht der Beteiligten anhand der einzelnen Gebühren zu ermitteln und ins Verhältnis zur Gesamtkostentragungspflicht zu setzen (sog. Quotenmethode, vgl. Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 154 Rn. 65).

29

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordung – ZPO –.

30

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine in § 132 Abs. 2 VwGO oder § 127 Beamtenrechtsrahmengesetz bezeichneten Gründe vorliegen.

31

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren bis zur Berufungsrücknahme durch die Klägerin auf 7.500 €, danach auf 1.900 € festgesetzt, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 3 Gerichtskostengesetz.

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