Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 A 11935/17

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 23. November 2017 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, mit dem er die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 VwGO) geltend macht, ist unbegründet.

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1. Die Richtigkeit des angefochtenen Urteils begegnet keinen ernstlichen Zweifeln.

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Die tragende Begründung für das klageabweisende Urteil der Vorinstanz wird durch den Zulassungsantrag nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Die vom Kläger gegen das Urteil vorgebrachten Einwendungen, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO), lassen seine Abänderung in einem späteren Berufungsverfahren nicht erwarten.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Dem Kläger fehlt die nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis. Er verfolgt mit der Klage unter Berufung auf seine italienische Staatsangehörigkeit das Ziel, ausgewiesen zu werden, um der Strafvollstreckungsbehörde das Absehen von der Vollstreckung der Freiheitsstrafe und ihm die Ausreise nach Italien zu ermöglichen.

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a) Die Klagebefugnis für diese Verpflichtungsklage setzt voraus, dass der Kläger geltend macht, durch die Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts in seinen Rechten verletzt zu sein. Eine Rechtsverletzung ist auszuschließen, wenn keine subjektiven Rechte verletzt sein können (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 2007 – 6 C 42/06 –, BVerwGE 130, 39 = juris, Rn. 11), ein Anspruch auf Erlass des Verwaltungsaktes also offensichtlich und eindeutig nicht bestehen kann (vgl. BayVGH, Beschluss vom 11. Mai 2017 – 14 ZB 16.1775 –, juris, Rn. 7). Entgegen der Meinung des Klägers räumt ihm keine Rechtsvorschrift den geltend gemachten Anspruch ein.

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b) § 53 Abs. 1 AufenthG kommt insoweit nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann ein Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen ausgewiesen werden. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass es offensichtlich und eindeutig keine subjektiv-öffentlichen Rechte des Klägers verletzt, wenn gegen ihn keine Ausweisungsentscheidung ergeht. Ein Anspruch auf eine solche Entscheidung besteht nicht, da die Vorschrift keinen individuellen Interessen dient.

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Schon ihr Wortlaut spricht gegen die Annahme, die Vorschrift diene zumindest auch derartigen Interessen. § 53 Abs. 1 AufenthG enthält lediglich einen Handlungsbefehl für die zuständige Behörde („wird ausgewiesen“), aber keine Formulierung, aus der sich ein Anspruch auf die Geltendmachung subjektiver Rechte oder auf Ausweisung ableiten ließe. Sinn und Zweck der Vorschrift lassen ebenfalls eine Interpretation des Inhalts nicht zu, sie diene auch individuellen Interessen. Die Ausweisung soll als ordnungsrechtliche Maßnahme künftige Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Beeinträchtigungen sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland auf Grund des Aufenthalts von Ausländern im Inland verhindern bzw. ihnen vorbeugen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. August 2007 – 2 BvR 535/06 –, juris, Rn. 23). Zudem ist für die Geltendmachung etwaiger subjektiver Interessen an einer Ausweisung kein Raum. In § 54 AufenthG finden sich ausschließlich öffentliche Interessen. In § 55 AufenthG sind hingegen nur Bleibeinteressen, also Gesichtspunkte zu finden, die aus Sicht des betroffenen Ausländers gegen seine Ausweisung sprechen könnten.

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c) Der Kläger hat auch ersichtlich keinen Anspruch auf die behördliche Feststellung des Verlustes seines Freizügigkeitsrechts nach § 6 FreizügkG/EU. Aus dieser Norm können ebenfalls keine subjektiven Rechte abgeleitet werden. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zur Ausweisung verwiesen.

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d) Aus § 456a Abs. 1 StPO lässt sich eine Klagebefugnis des Klägers ebenso wenig ableiten. Danach kann die Vollstreckungsbehörde von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen, wenn der Verurteilte aus dem Geltungsbereich der Strafprozessordnung abgeschoben wird. Die Anwendung dieser Regelung setzt eine vollziehbare Ausweisung voraus.

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Das Verwaltungsgericht hat es abgelehnt, eine subjektiv-öffentliche Rechtsposition des Klägers aus der Möglichkeit des Absehens von der Vollstreckung der Freiheitsstrafe abzuleiten. Es hat dies damit begründet, die Ausweisung sei zwar eine Tatbestandsvoraussetzung von § 456a Abs. 1 StPO, aber für die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde nicht ausreichend. Damit stellt das Verwaltungsgericht im Ergebnis darauf ab, dass die hier relevanten Verfahren separat zu betrachten sind. Das aufenthaltsrechtliche Verfahren mit dem Ziel der Ausweisung und das zur möglichen Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe sind voneinander unabhängig. Der Betroffene kann aus dem einen Verfahren keine Rechte in Bezug auf das andere gewinnen. Das verhindern zunächst formelle Aspekte. So unterscheiden sich die zuständigen Behörden und der Verfahrensgang. Zudem handelt es sich bei der Ausweisung um eine gebundene Entscheidung nach Abwägung bestimmter Interessen, während die Entscheidung nach § 456a Abs. 1 StPO im Ermessen der Behörde steht. Die Entscheidung der Ausländerbehörde bindet die Vollstreckungsbehörde also in Bezug auf das Absehen von der Vollstreckung nicht. Gegen eine inhaltliche Verknüpfung der Verfahren sprechen vor allem materielle Gründe. Beide verfolgen unterschiedliche Zwecke. Die Ausweisung dient der Gefahrenabwehr. Sie soll die bereits genannten Beeinträchtigungen und Störungen verhindern, die auf Grund des Aufenthalts von Ausländern im Inland entstehen können. § 456a Abs. 1 StPO hingegen dient dem ordnungsgemäßen Vollzug von Freiheitsstrafen. Das Absehen von der Strafvollstreckung bezweckt die Entlastung des Vollzugs bei Straftätern, denen gegenüber die (weitere) Vollstreckung weder unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung noch unter dem der Prävention sinnvoll wäre (vgl. Coen, in: BeckOK StPO, 29. Ed. 01.01.2018, § 456a Rn. 1, m.w.N.). Auch die Regelungssystematik spricht für die Trennung der Verfahren. Die §§ 53 ff. AufenthG enthalten ein geschlossenes Abwägungssystem. Nur die in den §§ 54 und 55 AufenthG genannten Interessen sind für die Ausweisung von Bedeutung, nicht jedoch etwaige subjektive Interessen aus dem Bereich der Strafvollstreckung.

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Nach den vorstehenden Erwägungen bedarf es keiner Klärung, ob die weitere Begründung des Verwaltungsgerichts zur Verneinung einer auf § 456a Abs. 1 StPO gestützten Klagebefugnis zutreffend ist und die Norm allein staatlichen Interessen dient. Selbst wenn bei der Aussetzung der Strafvollstreckung die Entlastung des Strafvollzugs im Vordergrund steht, schließt dies die Berücksichtigung persönlicher Belange eines Verurteilten aber nicht generell aus (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18. Juni 2013 – III-1 VAs 32/13 –, juris, Rn. 10; Pollähne in: Gercke/Julius/Temming u.a., Strafprozessordnung, 5. Aufl. 2012, § 456a Rn. 1).

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Die weiteren Einwände des Klägers gegen die Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts überzeugen nicht. Es kommt nicht darauf an, ob im Rahmen von § 456a Abs. 1 StPO individuelle Ansprüche zu berücksichtigen sind oder ob das Aufenthaltsgesetz solche begründet. Denn individuelle Gründe für eine Ausweisung sind jedenfalls nicht in die Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG einzustellen. Entgegen der Auffassung des Klägers verletzt es auch nicht die Einheit der Rechtsordnung, wenn Interessen, die aus § 456a StPO abgeleitet werden könnten, bei der Entscheidung über eine Ausweisung nicht berücksichtigt werden. Eine solche Verletzung ist nur anzunehmen, wenn ein Sachverhalt sich in einem Regelungssystem positiv und in einem anderen negativ auswirkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 2016 – 2 BvR 1943/16 –, juris, Rn. 22). Der Kläger hat indes keinen Umstand benannt, der im Strafvollstreckungsrecht anders bewertet würde als im Aufenthaltsrecht.

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e) Da die Klage wegen fehlender Klagebefugnis bereits unzulässig ist, kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte für eine Ausweisung des Klägers örtlich zuständig ist und ob das Aufenthaltsgesetz anwendbar ist, obschon der Beklagte inzwischen davon ausgeht, dass der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

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2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

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Eine solche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn der Streitfall die Entscheidung einer klärungsbedürftigen und -fähigen Rechts- oder Tatsachenfrage erfordert, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. November 2008 – 1 BvR 2587/06 –, DVBl. 2009, 41). Eine solche Frage hat der Kläger nicht aufgeworfen. Das Zusammenspiel zwischen § 53 AufenthG und § 456a StPO ist nicht klärungsbedürftig, da sich die daraus ergebenden Fragen auf der Grundlage der Gesetze ohne weiteres beantworten lassen (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 13. Dezember 2004 – VGH B 7/04 –, AS 35, 184, 190). Nach der Systematik der §§ 53 ff. AufenthG ist deren Verhältnis zu § 456a StPO geklärt, soweit es für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist (s.o.).

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

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Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.

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