Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 A 10866/18

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 18. Juni 2018 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

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Das vom Kläger innerhalb der Begründungsfrist Dargelegte, auf dessen Prüfung der Senat nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen – soweit sie überhaupt den Voraussetzungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend vorgebracht wurden – nicht vor.

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1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel.

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a) Solche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nur anzunehmen, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts durch schlüssige Gegenargumente in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 2017 – 2 BvR 2615/14 –, juris, Rn. 19). Dazu müssen substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist. Zweifel an der Richtigkeit einzelner Urteilselemente greifen nicht durch, wenn sich das Urteil aus anderen Gründen als richtig darstellt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 – 7 AV 4.03 –, juris, Rn. 9; BayVGH, Beschluss vom 31. August 2017 – 8 ZB 16.1357 –, juris, Rn. 11).

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Aus der Begründung des Zulassungsantrags ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils. Das Verwaltungsgericht hat die gegen die am 2. Juni 2017 verfügte Ausweisung des Klägers und auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Insbesondere hat es zutreffend wegen der vom Kläger am 15. Februar 2012 verübten Straftat (schwerer sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person in Tateinheit mit Aussetzung) ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse angenommen, dem kein gleichwertiges Bleibeinteresse gegenüberstehe. Das Verwaltungsgericht hat ferner nachvollziehbar dargelegt, dass unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände das Interesse an der Ausweisung des Klägers aus generalpräventiven Gesichtspunkten überwiege, die durch spezialpräventive Gründe gestützt würden. Die Richtigkeit dieser Erwägungen stellen die Einwände des Klägers nicht in Frage.

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b) Soweit er sich gegen die Feststellung eines generalpräventiv begründeten Ausweisungsinteresses wendet, genügen seine Ausführungen teilweise den Darlegungserfordernissen nicht und sind insgesamt nicht geeignet, Zweifel am Vorliegen eines solchen Ausweisungsinteresses zu begründen.

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Die vom Kläger aufgestellten Behauptungen, das Verwaltungsgericht habe sein Alter zur Tatzeit, das Fehlen einer „kriminellen Karriere“ und seinen Verzicht auf vorzeitige Haftentlassung zur Durchführung einer Sozialtherapie nicht ausreichend gewürdigt, erfüllen die Anforderungen an die Darlegung eines Grundes für die Zulassung der Berufung nicht. Gleiches gilt, soweit er anführt, der Dauer seines Aufenthalts in Deutschland, den hiesigen Bindungen und denen zur Türkei sei nicht das erforderliche Gewicht beigemessen worden.

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Für die Begründung ernstlicher Zweifel muss sich der Rechtsmittelführer mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts substantiell auseinandersetzen und dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen sie ernstlich zweifelhaft sind (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 24. Auflage 2018, § 124a, Rn. 52). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers nicht.

9

Das Verwaltungsgericht hat alle vom Kläger genannten Kriterien berücksichtigt. Es spricht mehrfach von Jugendstrafe und hatte damit das Alter des Klägers im Blick. Ferner wird mehrfach auf das Urteil des Landgerichts Mainz vom 16. Dezember 2013 (3111 Js 4733/12.jug – 1 KLs –) Bezug genommen, für das etwaige Vorstrafen von Bedeutung waren. Das Verwaltungsgericht setzt sich zudem mit dem Verhalten des Klägers während der Haftzeit und mit seiner Therapie auseinander (UA, S. 11). Mit dem im Tatbestand vermerkten Datum der Einreise des Klägers findet die Dauer seines Aufenthaltes in Deutschland Berücksichtigung. Schließlich erörtert das Verwaltungsgericht die Bindungen des Klägers in Deutschland und in der Türkei (UA, S. 12). Da das Verwaltungsgericht die genannten Kriterien berücksichtigt hat, hätte der Kläger darlegen müssen, weshalb deren Bewertung fehlerhaft war. Die bloße Behauptung, den Gesichtspunkten sei nicht das erforderliche Gewicht beigemessen worden, genügt nicht. Zudem fehlt eine Erläuterung dazu, warum diese Kriterien bei der Feststellung eines generalpräventiv begründeten Ausweisungsinteresses von Bedeutung sein könnten.

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Generalpräventive Gesichtspunkte können auch nach dem seit dem 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ein Ausweisungsinteresse begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 – 1 C 16/17 –, juris, LS 1; Urteil des Senats vom 5. April 2018 – 7 A 11529/17.OVG, juris, LS 1). Dabei kommt es bei der Prüfung, ob der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, darauf an, dass die Ausweisung eine angemessene generalpräventive Wirkung erwarten lässt. Dies ist der Fall, wenn damit gerechnet werden kann, dass sich andere Ausländer mit Rücksicht auf eine kontinuierliche Ausweisungspraxis ordnungsgemäß verhalten. Behörden und Gerichte dürfen davon ausgehen, dass eine aus Anlass einer strafgerichtlichen Verurteilung verfügte Ausweisung zur Verwirklichung dieses Zwecks geeignet ist. Erforderlich ist, dass es Ausländer gibt, die sich in einer mit dem Betroffenen vergleichbaren Situation befinden und sich durch dessen Ausweisung von gleichen oder ähnlichen strafbaren Handlungen abhalten lassen (vgl. Urteil des Senats vom 5. April 2018 – 7 A 11529/17.OVG –, juris, Rn. 44, m.w.N.). Selbst wenn bei einem straffälligen Ausländer keine (Wiederholungs-)Gefahr besteht, kann von seinem Aufenthalt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer nicht davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 – 1 C 16/17 –, juris, Rn. 16).

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Im Fall des Klägers hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass dessen Ausweisung geeignet ist, Ausländer, die aus einem nicht der Gleichberechtigung von Mann und Frau verpflichteten Kulturkreis stammen, von der Begehung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung abzuschrecken. Die Schwere der vom Kläger begangenen Tat und vor allem die Motivation für diese lassen die Ausweisung des Klägers als erforderlich erscheinen, um andere Ausländer in vergleichbarer Situation von ähnlichen Delikten abzuhalten.

12

Die besondere Brutalität der Tat ergibt sich aus den Feststellungen im bereits zitierten rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Mainz vom 16. Dezember 2013. Danach setzten der Kläger und zwei weitere junge Männer am 15. Februar 2012 eine 16jährige Bekannte unter Alkohol und verbrachten sie in ein Parkhaus. Dort entkleideten sie die inzwischen Willenlose und setzten sie auf den Kläger. Dieser drang in deren Scheide ein, während ein Mittäter mindestens zweimal mit der geballten Faust in den Anus des Opfers stieß, dies mit den Fingern beider Hände wiederholte und die Hände unter massiver Kraftanwendung auseinanderriss. Dabei riss im Unterleib des Opfers das gesamte Haut-, Binde- und Muskelgewebe unter Einschluss des Schließmuskels zwischen Vagina und Rektum. Nach Worten des rechtsmedizinischen Sachverständigen entstand eine riesige Wundhöhle. Die Täter ließen das Opfer zurück. Die Verletzungen der jungen Frau mussten operiert werden. Ein künstlicher Darmausgang konnte erst 18 Monate nach der Tat zurückverlegt werden. Sie leidet bis heute unter körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen.

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Unter generalpräventiven Gesichtspunkten von besonderer Bedeutung ist das sich aus dem vorgenannten Strafurteil ergebende Geschehen im Vorfeld der Tat und insbesondere die sich daraus ergebende Einstellung der Täter. Sie kannten das Opfer, das wie sie einen türkischen bzw. kurdischen Migrationshintergrund aufweist. Die 16jährige nahm allerdings westliche Wertvorstellungen an. Sie kleidete und schminkte sich nach westlicher Mode und ging ohne Begleitung aus. Allein dies qualifizierte sie nach dem Welt- und Frauenbild der Täter bereits als zu verachtende „Schlampe, die es mit jedem und gerne auch mit mehreren Männern gleichzeitig treibe“. Aus diesem Grund wählten die Täter die Jugendliche als Opfer mit der Absicht aus, mit ihr gleichzeitig Sexualverkehr zu haben.

14

Die dieser Auswahl zu Grunde liegende Schlussfolgerung, junge Frauen, die allein ausgehen und sich nach westlicher Mode kleiden und schminken, seien „leicht zu haben“, zeugt von einem archaischen Frauenbild, welches mit dem im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Verständnis von der Rolle der Geschlechter nicht in Einklang zu bringen ist. Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar, gleich ob es sich um Männer oder Frauen handelt. Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Diese Rechte bilden den Rahmen, den das deutsche Recht für den selbstbewussten und selbstbestimmten Umgang der Geschlechter miteinander vorsieht. Damit ist die Vorstellung, Frauen mit westlich geprägtem Auftreten stünden ohne weiteres für sexuelle Handlungen zur Verfügung, nicht vereinbar. Es ist Aufgabe des Rechts der Gefahrenabwehr – und damit des Ausweisungsrechts nach dem Aufenthaltsgesetz – zu verhindern, dass eine solche, nicht an der Gleichberechtigung von Mann und Frau ausgerichtete Vorstellung Ausländer, die sich nicht an den Wertvorstellungen des Grundgesetzes orientieren, zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung verleitet.

15

Vor diesem Hintergrund ist die Ausweisung des Klägers zur Verhinderung schwerer Straftaten erforderlich, indem einer Vielzahl von jungen Männern verdeutlicht wird, dass der deutsche Staat nicht nur Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung bestraft, sondern auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergreift. Adressaten sind Männer, die dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen nicht die Bedeutung beimessen, die ihm nach dem Grundrechtsverständnis des Grundgesetzes zukommt. Gerade im früheren Umfeld des Klägers dürften solche junge Männer anzutreffen sein. Nach der Stellungnahme zur Sozial- und Kriminalprognose der JVA D. vom 10. Januar 2017 war der Kläger früher Mitglied einer üblen und sich ins Dissoziale hinein entwickelnden Clique. In deren Verhalten sei auch die Verachtung gegenüber Frauen zum Ausdruck gekommen. Den ausländischen Mitgliedern dieser Gruppe wird durch die Ausweisung des Klägers verdeutlicht, dass der deutsche Staat präventive Maßnahmen zum Schutz der Frauen ergreift. Personen aus diesem Kreis, die eine frauenverachtende Einstellung haben, wird so aufgezeigt, dass Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nicht nur straf- sondern auch aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben. Umgekehrt würde das Anliegen des Staates, das sexuelle Selbstbestimmungsrecht zu schützen, beeinträchtigt, wenn der Kläger trotz der schwer- und langwierigen Folgen seiner Tat für das Opfer weiter in Deutschland bleiben dürfte. Der Umstand, dass er seine Strafe vollständig verbüßt hat, steht dem nicht entgegen. Mit der Freiheitsstrafe wird das begangene Unrecht geahndet, während die Ausweisung der Gefahrenabwehr dient.

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Das Ziel der Gefahrenabwehr wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass seit der Tat mehr als sechs Jahre vergangen sind. Diese Zeitspanne genügt nicht, um der Ausweisung des Klägers die generalpräventive Bedeutung zu nehmen. Zur Beurteilung der Frage, ab wann staatliche Maßnahmen wegen des zeitlichen Abstandes zu ihrem Anlass an Bedeutung verlieren, kann auf die Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung zurückgegriffen werden. Diese geben dem mit zunehmendem Zeitabstand eintretenden Bedeutungsverlust staatlicher Reaktionen einen zeitlichen Rahmen, der auch bei der Bewertung des generalpräventiven Ausweisungsinteresses herangezogen werden kann. Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist vom Fortbestand des generalpräventiven Ausweisungsinteresses auszugehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 – 1 C 16/17 –, juris, Rn. 23). Dieser Zeitrahmen ist hier eingehalten. Schon für die Straftat der Aussetzung, wegen der der Kläger nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB verurteilt wurde, beträgt die einfache Verjährungsfrist fünf Jahre, da sie mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft wird (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Die absolute Verjährung tritt demnach nach zehn Jahren ein. Diese Zeit ist seit der Tat vom 15. Februar 2012 noch nicht vergangen.

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c) Das Verwaltungsgericht hat zudem zu Recht bei der Abwägung zwischen den Ausweisungs- und den Bleibeinteressen spezialpräventive Gründe berücksichtigt.

18

Beim Kläger liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1, 1a AufenthG vor, da er wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu einer Freiheitsstrafe von sechs, also mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist. Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen nach § 53 Abs. 2 AufenthG und Art. 8 EMRK ist dann von Bedeutung, inwieweit eine Wiederholungsgefahr für diese Straftaten angenommen werden kann.

19

Angesichts des hohen Rangs der durch die Tat am 15. Februar 2012 verletzten Rechtsgüter – Leib, Leben und sexuelle Selbstbestimmung – und mit Rücksicht auf das Ausmaß und die Folgen der Rechtsgutverletzungen – lebenslange seelische und körperliche Beeinträchtigung des Opfers – sind an die Annahme einer Wiederholungsgefahr keine hohen Anforderungen zu stellen. Allerdings kann allein die entfernte Möglichkeit einer erneuten Rechtsgutverletzung keine Wiederholungsgefahr begründen; vielmehr muss auch dann, wenn hochrangige Rechtsgüter verletzt wurden, eine Wiederholungsgefahr ernsthaft zu besorgen sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 – 1 C 13.11 –, juris, Rn. 18; Beschluss des Senats vom 14. März 2017 – 7 B 11061/16.OVG – ESOVGRP, Rn. 11). Im Fall des Klägers sprechen maßgebliche Gesichtspunkte für eine Wiederholungsgefahr.

20

Gedanklicher Ausgangspunkt der Tat am 15. Februar 2012 und insbesondere der Auswahl des Opfers war das Frauenbild des Klägers. Dieses hat sich nach den zur Verfügung stehenden sachverständigen Einschätzungen nicht geändert. Deshalb ist zu befürchten, dass der Kläger auch in Zukunft das Selbstbestimmungsrecht der Frauen und deren Willen in sexuellen Belangen nicht ausreichend beachtet, übergriffig wird und gegen Strafvorschriften verstößt, die dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dienen. Für eine Änderung seiner Vorstellung, unabhängig auftretende und westlich orientierte Frauen seien „leicht zu haben“, finden sich in den vorrangig in den Blick zu nehmenden jüngeren Stellungnahmen der JVA D. keine Anhaltspunkte. Diese sind ausreichend aussagekräftig, um eine zuverlässige Beurteilung der Wiederholungsgefahr zu ermöglichen. Einer zusätzlichen Bewertung durch einen Gutachter bedarf es dazu entgegen der Auffassung des Klägers nicht.

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In der Fortschreibung des Vollzugs- und Eingliederungsplans der JVA D. vom 27. März 2017 wird festgehalten, dass das Thema Frauenbild weiter in der Therapie zu bearbeiten sei. Der Kläger müsse seine bisherige Haltung gegenüber Frauen und seinen Umgang mit diesen zunächst dezidiert darlegen. In einem nächsten Schritt müsse dann eine Entscheidung des Klägers erfolgen, ob er diese Haltung und dieses Bild verändern wolle; erst dann könne eine Verhaltensänderung angegangen werden. Nach dieser Einschätzung kann von einer nachhaltigen Veränderung der Einstellung des Klägers zu Frauen keine Rede sein. Denn augenscheinlich hat er sich noch nicht einmal mit seinem bisherigen Frauenbild auseinandergesetzt. Die Therapieverlaufsdokumentation der JVA D. vom 13. November 2017 zeigt kein anderes Bild. Danach habe der Kläger zwar das Thema Frauenbild ernst genommen. Es bedürfe allerdings noch eines Willensentschlusses zu einer Veränderung, selbst wenn er sich die Fähigkeit erarbeitet habe, sich von seiner bisherigen Lebensweise zu distanzieren. Auch danach fehlt ein positiver Entschluss des Klägers zur Änderung seiner Einstellung gegenüber Frauen.

22

Für eine Wiederholungsgefahr spricht ferner, dass der Kläger wieder bei seinen Eltern in W. wohnt. Ausweislich der Stellungnahme zur Sozial- und Kriminalprognose der JVA D. vom 11. Januar 2017 wollte er nach seiner Entlassung nicht nach W. und nicht zu seinen Eltern, um nicht in seine alten Kreise zurückzukehren. Das damit verbundene Risiko einer weiteren dissozialen Entwicklung ist durch den Einzug in die Wohnung der Eltern in W. eingetreten.

23

Die Annahme einer ernsthaft bestehenden Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger zum Tatzeitpunkt erst 19 Jahre alt war und es sich um eine einmalige Tat gehandelt habe. Beide Gesichtspunkte sind für die Prognose, ob der Kläger wieder straffällig wird, ohne wesentliche Bedeutung. Weder das Alter noch die Tathäufigkeit entkräften die Feststellung, dass sich das Frauenbild des Klägers nicht geändert hat. Zudem hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei Sexualstraftaten um Neigungstaten handelt, bei denen grundsätzlich mit einer Wiederholungsgefahr gerechnet werden müsse. Insoweit ist es unerheblich, ob der Kläger zuvor nicht straffällig wurde. Allerdings ergibt sich aus den Verwaltungsakten, dass er früher bereits wegen Diebstahls und schwerer Körperverletzung beschuldigt worden war.

24

d) Ernstliche Zweifel am Urteil des Verwaltungsgerichts bestehen auch nicht im Hinblick auf die übrigen Ziffern im Bescheid des Beklagten vom 2. Juni 2017. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis bereits § 11 Abs. 1 AufenthG entgegensteht. Deshalb bedarf es keiner Ausführungen dazu, ob das im Fall des Klägers bestehende Ausweisungsinteresse der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegensteht (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).

25

2. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung.

26

Solche Schwierigkeiten sind hier nicht zu erkennen. Der vom Kläger erwähnte Abwägungsprozess bereitet keine das normale Maß erheblich überschreitende Schwierigkeiten. Abwägungen zwischen Ausweisungs- und Bleibeinteressen sind bei jeder Ausweisungsentscheidung durchzuführen. Der Kläger hat nicht dargelegt, worin in seinem Fall Probleme liegen, die über den Normalfall hinausgehen.

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3. Die Rechtssache weist keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf.

28

Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn der Streitfall die Entscheidung einer klärungsbedürftigen und klärungsfähigen Rechts- oder Tatsachenfrage erfordert, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. November 2008 – 1 BvR 2587/06 –, juris, Rn. 19). An einer Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die aufgeworfene Frage auf der Grundlage des Gesetzes und bereits vorliegender Rechtsprechung ohne weiteres beantworten lässt (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 13. Dezember 2004 – VGH B 7/04 –, AS 35, 184).

29

Die hier gestellte Frage, ob eine Fortgeltungsfiktion gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG dem „Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gleichsteht, ist nicht klärungsbedürftig. Die Frage lässt sich schon auf Grund des Wortlauts der letztgenannten Norm verneinen. Durch die Verwendung des Wortes „besitzt“ wurde zum Ausdruck gebracht, dass eine Aufenthaltserlaubnis tatsächlich vorhanden, also dem jeweiligen Ausländer erteilt sein muss (vgl. BayVGH, Beschluss vom 13. März 2006 – 24 ZB 05.3139 –, juris, Rn. 16). Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis genügt deshalb für sich genommen noch nicht, um ein Bleibeinteresse zu begründen (vgl. Beschluss des Senats vom 23. Mai 2017 – 7 A 11445/16.OVG –, juris, Rn. 51). Das entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser hat in Bezug auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung klargestellt, dass nur der Inhaber einer Niederlassungserlaubnis geschützt werden soll (s. BT-Drs. 18/4097, S. 53). Das lässt sich auf § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen, da beide Vorschriften den Begriff „besitzt“ verwenden.

30

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

31

Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat orientiert sich dabei an Ziffer 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (LKRZ 2014, 169).

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