Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 A 11512/19

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 26. August 2019 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist als unzulässig zu verwerfen.

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Er erfüllt nicht mehr die gesetzlichen Formanforderungen (1.) und das erforderliche Rechtsschutzinteresse ist entfallen (2.).

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1. Der Antrag ist unzulässig, da für den Kläger trotz gerichtlicher Aufforderung keine aktuelle ladungsfähige Anschrift angegeben wurde.

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a) Gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss in einer Klageschrift der Kläger bezeichnet werden. Die Bezeichnung umfasst den Wohnort und damit die ladungsfähige Anschrift. Dies ergibt sich aus der Verweisung in § 173 Satz 1 VwGO auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung unter anderem zu den vorbereitenden Schriftsätzen, die für Klageschriften gelten (§ 253 Abs. 4 ZPO). Solche Schriftsätze sollen Angaben zum Wohnort enthalten (§ 130 Nr. 1 ZPO).

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Die Pflicht, eine ladungsfähige Anschrift anzugeben, gilt auch für Anträge auf Zulassung der Berufung. Zum einen umfasst der Anwendungsbereich von § 130 Nr. 1 ZPO alle vorbereitenden Schriftsätze. Zum anderen gelten gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Regeln des Teils II der Verwaltungsgerichtsordnung – und damit § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO – für das Berufungsverfahren entsprechend. Für den Inhalt einer Berufungsschrift gilt zudem nach § 519 Abs. 4 ZPO wiederum die Anforderung in § 130 Nr. 1 ZPO zur Angabe der Anschrift. Die Regelungen zum Berufungsverfahren sind auf das Verfahren auf Zulassung der Berufung zu übertragen. Die gesetzgeberischen Ziele gelten für beide Verfahren gleichermaßen.

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Die Regelungen sollen berechtigte Interessen des Gerichts sichern. Dieses muss aus einer Reihe von Gründen Kenntnis von der aktuellen Wohnung des jeweiligen Klägers haben. So ist die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift etwa nötig, um ihn zu individualisieren und seine Erreichbarkeit sicherzustellen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 13. November 2018 – 15 B 18.32145 –, juris, Rn. 5). Zudem muss das Gericht wissen, wo der Kläger tatsächlich wohnt, wenn zu entscheiden ist, ob die durch die Beauftragung eines auswärtigen Anwalts ausgelösten Kosten erstattungsfähig sind (§ 121 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ferner dient die Angabe der Anschrift dem Interesse an der Sicherung gerichtlicher Kostenforderungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 – 1 C 24/97 –, juris, Rn. 38). Dem steht nicht entgegen, dass bestimmte Verfahren wegen ihres Streitgegenstands gerichtskostenfrei sind (§ 188 Satz 2 VwGO). Es kann nicht nach Streitgegenständen differenziert bewertet werden, welchen Inhalt ein Schriftsatz haben muss.

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Die Pflicht zur Angabe der Anschrift greift auch dann, wenn der Kläger durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird (vgl. BayVGH, Beschluss vom 13. November 2018 – 15 B 18.32145 –, juris, Rn. 5). Dem kann nicht entgegnet werden, der Kläger sei über seinen Bevollmächtigten erreichbar. Denn die Angabe der Anschrift dient nicht nur Zwecken der Ladung, sondern – wie dargelegt – auch anderweitigen Interessen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 – 1 C 24/97 –, juris, Rn. 39). Die Pflicht entfaltet auch Bedeutung, wenn zwar die Anschrift zunächst genannt wurde, sie sich im Laufe des Verfahrens jedoch ändert oder nicht mehr bekannt ist (vgl. BayVGH, Beschluss vom 13. November 2018 – 15 B 18.32145 –, juris, Rn. 5).

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Die ladungsfähige Anschrift muss nicht angegeben oder wiederholt werden, wenn sie sich aus den Akten ergibt oder sonst bekannt oder leicht zu ermitteln ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 – 1 C 24/97 –, juris, Rn. 39). Ferner ist die Angabe ausnahmsweise entbehrlich, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Februar 2012 – 9 B 79/11 –, juris, Rn. 7, m.w.N.), sie etwa unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 – 1 C 24/97 –, juris, Rn. 40).

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Fehlt die ladungsfähige Anschrift, ist der Kläger zu deren Angabe in einer bestimmten Frist aufzufordern (§ 82 Abs. 2 VwGO). Kommt er dem nicht nach, ist das Rechtsmittel unzulässig; dies gilt auch, wenn die angegebene Anschrift nicht mehr zutrifft (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 – 1 C 24/97 –, juris, Rn. 42).

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b) Seit dem 1. Oktober 2019 fehlt eine ladungsfähige Anschrift des Klägers; dies führt zur Unzulässigkeit seines Zulassungsantrags.

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Nach der Mitteilung der zuständigen Ausländerbehörde vom 16. Januar 2020 ist der Kläger seit diesem Tag untergetaucht und unbekannten Aufenthalts. Seine ursprünglich benannte Anschrift ist folglich nicht mehr aktuell. Sein Prozessbevollmächtigter vermochte es auf die Anfrage des Senats vom 27. Januar 2020 nicht, eine aktuelle Adresse seines Mandanten zu benennen. Sie lässt sich auch nicht anderweitig auf einfache Weise ermitteln.

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Gründe, wonach dem Kläger die Preisgabe einer neuen Anschrift unmöglich oder unzumutbar wäre, wurden nicht benannt und sind nicht erkennbar. Insbesondere rechtfertigt es die Absicht der Ausländerbehörde, den Kläger nach Italien zu überstellen, nicht, seinen Aufenthalt geheim zu halten. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger seine Rechte nicht ggf. – etwa im Wege einstweiligen Rechtsschutzes – von einem bekannten Aufenthaltsort aus verteidigen können sollte (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 19. August 2015 – 3 B 219/15 –, juris, Rn. 5).

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2. Für eine Entscheidung in der Sache fehlt zudem das in jedem Verfahrensstadium zu prüfende Rechtsschutzbedürfnis.

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Dies gilt sowohl für die Weiterverfolgung der ursprünglichen Klage als auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Die Aufgabe der Unterkunft ohne Mitteilung im Sinne von § 10 Abs. 1 AsylG zum aktuellen Aufenthalt lässt den Schluss zu, dass der Kläger entweder sein Begehren nicht weiterverfolgen will oder er untergetaucht ist, was die Schutzwürdigkeit seines Rechtsschutzinteresses nach § 33 Abs. 2 Nr. 2 AsylG in Frage stellt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 13. November 2018 – 15 B 18.32145 –, Rn. 4; SächsOVG, Beschluss vom 10. Mai 2017 – 4 A 453/16.A –, Rn. 4, m.w.N.; beide juris).

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An der Verwerfung des Zulassungsantrags wegen fehlendem Rechtsschutzinteresse sieht sich der Senat nicht dadurch gehindert, dass die Möglichkeit besteht, eine Betreibensaufforderung zu erlassen. Zwar verknüpfen Vorschriften wie § 81 AsylG, § 92 Abs. 2 und § 126 Abs. 2 VwGO das Nichtbetreiben des Verfahrens trotz Aufforderung des Gerichts mit der Fiktion der Rücknahme des Rechtsmittels, was auf der Vermutung beruht, das Interesse daran sei entfallen. Fehlt dieses, sperren die Vorschriften indes nicht die Möglichkeit, das Rechtsmittel ohne Betreibensaufforderung als unzulässig zu verwerfen, sofern der Betroffene – wie hier – angehört wurde. Die Annahme einer Sperrwirkung ließe sich nicht mit der Absicht des Gesetzgebers vereinbaren, zur beschleunigten Erledigung für bestimmte Verfahrenskonstellationen ein zusätzliches Instrument zur Verfügung zu stellen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. Februar 2002 – 21 A 1550/01.A –, juris, Rn. 10 ff.).

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Hier rechtfertigt das Verhalten des Klägers auch ohne Betreibensaufforderung die Annahme, dass er an der begehrten Entscheidung kein Interesse mehr hat. Zum einen hat er ersichtlich keinen Kontakt zu seinem Prozessbevollmächtigten und kann somit keine Informationen über den Fortgang des Verfahrens erhalten. Zum anderen könnte das Rechtsschutzziel überholt sein. Mit seiner Klage und dem anschließenden Zulassungsantrag wollte der Kläger erreichen, dass sein Asylantrag in Deutschland geprüft und dass er nicht an Italien überstellt wird. Da sein Aufenthalt seit dem 1. Oktober 2019 unbekannt ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass er sich in diesem Mitgliedstaat aufhält. Dann liefe eine Überprüfung der maßgeblichen Regelungen im Bescheid vom 28. November 2018 (Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, Abschiebungsanordnung) faktisch ins Leere.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; gemäß § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.

18

Dieser Beschluss ist unanfechtbar; damit wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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