Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (6. Senat) - 6 A 11602/20

Tenor

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. Oktober 2020 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 1.627.724,08 € festgesetzt.

Gründe

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Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO liegen, soweit sie hinreichend dargelegt sind (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), nicht vor.

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I. Zur Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO muss ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung in dem angefochtenen Urteil mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. zuletzt BVerfG, Beschlüsse vom 7. Oktober 2020 – 2 BvR 2426/17 –, juris Rn. 34, m.w.N., und vom 22. Juli 2020 – 1 BvR 561/19 –, juris Rn. 16, m.w.N.; OVG RP, Beschluss vom 21. Januar 2020 – 6 A 10583/19.OVG –, juris Rn. 4). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.

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Das Verwaltungsgericht hat ohne Rechtsfehler erkannt, dass die Voraussetzungen für eine Verrechnung von Aufwendungen zur Schadstoffreduzierung mit der für das Jahr 2013 geschuldeten und bereits gezahlten Abwasserabgabe (§ 10 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer – AbwAG –) erfüllt sind. Danach können die für die Errichtung oder Erweiterung von Abwasserbehandlungsanlagen entstandenen Aufwendungen mit der für die in den drei Jahren vor der vorgesehenen Inbetriebnahme der Anlage insgesamt für diese Einleitung geschuldeten Abgabe verrechnet werden, wenn deren Betrieb eine Minderung der Fracht einer der bewerteten Schadstoffe und Schadstoffgruppen in einem zu behandelnden Abwasserstrom um mindestens 20 v.H. sowie eine Minderung der Gesamtschadstofffracht beim Einleiten in das Gewässer erwarten lässt.

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1. Dabei ist das Verwaltungsgericht insbesondere zutreffend davon ausgegangen, dass die Minderungsmaßnahme (MIMA) 1484 – Cyanid-Fabrik – zu einer Minderung der Gesamtschadstofffracht beim Einleiten in das Gewässer führt. Anders als es der Beklagte mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung darlegt, kommt es hierbei nicht darauf an, dass „der Einleitungsbescheid […] im Anschluss an die Inbetriebnahme der Minderungsmaßnahme 1484 nicht angepasst wurde und auch nicht angepasst werde konnte“. Eine solche Voraussetzung lässt sich dem Tatbestand des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG nicht entnehmen. Während sich die Höhe der Abwasserabgabe danach bestimmt, was aufgrund der vorangegangenen Behördenentscheidung von Rechts wegen eingeleitet werden darf, mit der Folge, dass sich die Höhe der Abwasserabgabe nicht nach der Qualität und Quantität dessen bestimmt, was tatsächlich eingeleitet wird (vgl. Zöllner, in: Sieder/Zeitler/
Dahme/Knopp, WHG, Werkstand: 54. EL August 2020, § 4 AbwAG Rn. 7), gilt gleiches nicht für die Verrechnungsfähigkeit von Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung von Abwasserbehandlungsanlagen. § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG verlangt insofern eine (tatsächlich) zu erwartende Minderung der Gesamtschadstofffracht beim Einleiten in das Gewässer, ohne damit eine auf die Minderungsmaßnahme zurückzuführende Anpassung des Einleitungsbescheides zu verlangen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Februar 2021 – 9 A 1401/18 –, juris Rn. 20 f., m.w.N.; zu § 10 Abs. 4 AbwAG: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28. Mai 2014 – 4 L 18/14 –, juris Rn. 25).

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Gegen die vom Beklagten vertretene Ansicht einer Anlehnung an den Einleitungsbescheid spricht auch die zwischen der Abgabenfestsetzung und der Verrechnung vom Gesetzgeber abweichend festgelegte zeitliche Betrachtung. Während § 11 Abs. 1 AbwAG als Veranlagungszeitraum für die Festsetzung, die Erhebung und die Verwendung der Abgabe das Kalenderjahr festlegt, und damit für die Bemessung der Abwasserabgabe die Verhältnisse im einzelnen Kalenderjahr zugrunde gelegt werden (vgl. Zöllner, a.a.O., § 11 AbwAG Rn. 4), erlaubt § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG die Verrechnung mit der geschuldeten Abgabe „in den drei Jahren“ vor der vorgesehenen Inbetriebnahme der Anlage. Dieses sog. Bauphasenprivileg soll finanzielle Anreize zur Schaffung oder Verbesserung von Abwasserbehandlungsanlagen bieten, indem es den Einleitern und künftigen Anlagenbetreibern ermöglicht, die während der Bauzeit drohende Doppelbelastung durch den Investitionsaufwand und die gleichzeitig anfallenden Abwasserabgaben zumindest teilweise abzumildern (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1997 – 8 C 26.96 –, NVwZ 1998, 641). Die Verrechnung kann damit bereits vor der Inbetriebnahme der Anlage zur Minderungsmaßnahme erfolgen. Dieser gesetzlichen Regelung würde es evident zuwiderlaufen, mit dem Beklagten für eine Minderung der Gesamtschadstofffracht „im Anschluss an die Inbetriebnahme“ auch die Anpassung des Einleitungsbescheides zu verlangen. Insofern kollidiert die Auffassung des Beklagten auch mit der in § 10 Abs. 3 Satz 4 AbwAG statuierten Nacherhebungspflicht, wonach die Abgabe nachzuerheben – mithin die bereits erfolgte Verrechnung zu korrigieren – ist, wenn die Anlage nicht in Betrieb genommen wird oder eine Minderung um mindestens 20 v.H. nicht erreicht.

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2. Das Verwaltungsgericht hat auch nicht, wie es der Beklagte ausgeführt hat, von der Minderung der Fracht eines bewerteten Schadstoffs in einem Teilstrom ohne Weiteres auf die Minderung der Gesamtschadstofffracht geschlossen. Eine solch isolierte gedankliche Verknüpfung ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht ausdrücklich ausgeführt und nachvollziehbar begründet, dass die MIMA 1484 auch zu einer Minderung der Gesamtschadstofffracht beim Einleiten in das Gewässer führt (UA S. 17 f.). Insbesondere ist dem Urteil des Verwaltungsgerichts dabei zu entnehmen, auch das Landesamt für Umwelt habe in seiner letzten Stellungnahme vom 16. Oktober 2020 (Bl. 248 ff. d.A.) eine auf die MIMA 1484 zurückzuführende reale Minderung der TOC-Fracht im Ablauf der Kläranlage zum Rhein um 8,604 t/a festgestellt. Vor dem Hintergrund dieser Stellungnahme sowie der zwischen den Beteiligten unstreitigen und vom Verwaltungsgericht aufgegriffenen Vorgabe des Umweltministeriums Rheinland-Pfalz, wonach die Minderung der Schadstofffracht im Falle der Teilstromverrechnung nicht im Kläranlagenablauf messbar sein müsse (vgl. insofern Ergebnisvermerk des Beklagten aus der Besprechung vom 25. Juli 2016, Seite 1, Bl. 167 d. VA), erschließt sich weder der pauschale Hinweis des Beklagten auf die Messungenauigkeit der Durchflussmessung der Kläranlage der Klägerin noch der Verweis auf das Vorliegen von lediglich „theoretischen Rechnungen“.

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Die vom Beklagten aufgeworfene Frage, ob und inwiefern Kapazitätserweiterungen, die in vorliegendem Fall mit der MIMA 1484 einhergegangen sind, in die rechtliche Betrachtung einzubeziehen sind, bedarf dabei keiner Entscheidung. Die vom Verwaltungsgericht angestellte, schlüssige Berechnung, die eine durch die MIMA reduzierte Schadstofffracht im Abstrom auch unter Berücksichtigung der Kapazitätserweiterung ergeben hat (UA S. 16), ist von dem Beklagten nicht substantiiert angegriffen worden.

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3. Keinen ernstlichen Richtigkeitszweifel unterliegt ferner die erstinstanzliche Subsumtion des zugrundeliegenden Falls unter das gesetzliche Tatbestandsmerkmal eines „zu behandelnden Abwasserstrom[s]“ gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG. Unterstellt der Beklagte dem Verwaltungsgericht hierbei eine zu enge Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals, ist es gerade die Argumentation des Beklagten selbst, die der gesetzlichen Formulierung des „zu behandelnden Abwasserstrom[s]“ weitergehende – und damit engere – Anforderungen entnimmt. Der Beklagte erweitert den „zu behandelnden Abwasserstrom“ um die Notwendigkeit der Anstellung wasserwirtschaftlicher Überlegungen unter konkretem Bezug des betroffenen Gewässers, seiner Leistungsfähigkeit und Gewässergüte und der Gesamtwassersituation der Klägerin. Ein solch weitgehender Gehalt kommt dem Tatbestandsmerkmal in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Vorinstanz (UA S. 18 ff.) indes nicht zu. Insbesondere beinhaltet die gesetzliche Regelung keine über die ausdrücklich normierten Voraussetzungen hinausgehenden Anforderungen an die objektive Sinnhaftigkeit von Minderungsmaßnahmen. Denn § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG verlangt ausdrücklich nur eine Mindestrate im Hinblick auf den zu behandelnden Abwasserstrom. Diese erste Voraussetzung hat das Verwaltungsgericht nachvollziehbar und schlüssig als erfüllt angesehen (UA S. 15 f.), was wiederum vom Beklagten nicht mit der Darlegung ernstlicher Richtigkeitszweifel angegriffen worden ist. Hinsichtlich der weiteren Voraussetzung einer zu erwartenden Minderung der Gesamtschadstofffracht beim Einleiten in das Gewässer hat der Gesetzgeber ausdrücklich von der Normierung einer Mindestrate abgesehen (vgl. BT-Drs. 12/4272, S. 7). Es genügt insofern „bei der Gesamteinleitung eine Verminderung der Schädlichkeit“, ohne dass hierfür weitergehende Anforderungen zu stellen sind. Denn Sinn und Zweck der Verrechnungsvorschriften des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AbwAG ist es – der Entstehungsgeschichte der Vorschriften zufolge –, Maßnahmen zur Verringerung der Abwasserschädlichkeit anzustoßen. Von der Abwasserabgabe soll dementsprechend eine Anreizwirkung zur Durchführung von Gewässerschutzmaßnahmen ausgehen (BT- Drs. 12/4272 S. 1 und 7; vgl. auch BVerwG, Urteile vom 21. November 2013 – 7 C 12.12 –, juris Rn. 46, vom 20. Januar 2004 – 9 C 13.03 –⁠, juris Rn. 20, und vom 8. September 2003 – 9 C 1.03 –, juris Rn. 18; OVG Sachsen-Anhalt, Beschlüsse vom 13. April 2017 – 4 L 164/16 –, juris Rn. 17, und vom 28. Mai 2014, a.a.O., juris Rn. 22; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26. Juni 2014 – 4 LB 12/13 –, juris Rn. 80; Zöllner, a.a.O., § 10 AbwAG Rn. 51; für eine investitionsfreundliche Auslegung unter Verweis auf die zugrundeliegende erstinstanzliche Entscheidung auch OVG NRW, Beschluss vom 11. Februar 2021, a.a.O., juris Rn. 25 f.). Diese Lenkungswirkung wird durch das „Bauphasenprivileg“ nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG gestützt, indem der Investitionsaufwand für bestimmte Maßnahmen – wie bereits ausgeführt – schon vor deren Wirksamkeit, nämlich bereits während der auf drei Jahre geschätzten Bauzeit, mit der in diesem Zeitraum anfallenden Abwasserabgabe verrechnet werden kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Januar 2004, a.a.O., und vom 8. September 2003, a.a.O., m.w.N.). Der Gesetzgeber unterstellt mit den statuierten inhaltlichen Voraussetzungen der Vorschrift und der sich darin widerspiegelnden Anreizwirkung mithin offensichtlich auch eine technische Sinnhaftigkeit der Maßnahme, die keines weiteren Nachweises bedarf und keiner darüber hinausgehenden fachlichen Einschätzung durch die Wasserbehörden unterliegt. Das Verwaltungsgericht hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, die derzeitige Fassung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG ermögliche es Großeinleitern wie der Klägerin, Investitionen, die zur Minderung von Schadstoffen im Abwasser führen, in großem Umfang mit der anfallenden Abwasserabgabe zu verrechnen, weil hierfür eine bestimmte Mindestminderung der Schadstofffracht bei der Einleitung in das Gewässer – seit der Änderung des Gesetzes durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom 5. Juli 1994 (BGBl. I S. 1453) – nicht (mehr) erforderlich sei (UA S. 22 f.; vgl. zur gesetzgeberischen Änderungsintention auch: BT-Drs. 12/4272, S. 7).

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Soweit der Beklagte und zuletzt auch das Landesamt für Umwelt in seiner Stellungnahme vom 16. Oktober 2020 die Auffassung vertreten haben, eine Förderung von Maßnahmen, die „nahezu keine Veränderung der Ablauffrachten (-konzentrationen) der Kläranlage in das Gewässer bewirken“, sei „aus fachlicher Sicht nicht zielführend“ und das beklagte Land damit die zu verrechnenden Aufwendungen in ein Verhältnis zu dem ökologischen Nutzen setzt, findet eine solche Herangehensweise weder im Wortlaut des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG noch in seiner Entstehungsgeschichte und der gesetzgeberischen Regelungsintention eine tragfähige Stütze. Für eine Verrechnungsmöglichkeit ist es demnach unerheblich, in welchem Verhältnis die entstandenen Aufwendungen und der Enderfolg der Investitionsmaßnahme – in Form der zu erwartenden Minderung der Gesamtschadstofffracht beim Einleiten in das Gewässer sowie einer daraus möglicherweise resultierenden zukünftigen Reduktion der Abwasserabgabe – stehen. Die normativen Anforderungen verhindern jedenfalls bereits, dass eine Verrechnungsmöglichkeit nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG für jede beliebige klärtechnische Verbesserung besteht (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Februar 2021, a.a.O., juris Rn. 17 ff., m.w.N.). Das Verrechnungsvolumen ist zudem durch den Betrag der in den drei Jahren vor der Inbetriebnahme anfallenden Abwasserabgabe begrenzt, während die verrechnungsfähigen Aufwendungen durch die Kosten der Errichtung oder Erweiterung der Abwasserbehandlungsanlage ihre Grenze finden (vgl. Dahme, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG, Werkstand: 54. EL August 2020, § 10 AbwAG Rn. 47).

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Die Argumentation des Beklagten erweist sich vor diesem Hintergrund insgesamt als nicht schlüssig und vermag ernstliche Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung nicht zu begründen.

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II. Die Voraussetzungen des Zulassungsgrundes der Grundsatzbedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen ebenfalls nicht vor.

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Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine konkrete tatsächliche oder rechtliche Frage aufwirft, die entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheit oder Fortbildung des Rechts der Klärung bedarf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. August 2011 – 1 BvR 1460/09 –, juris Rn. 32; BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 – 1 B 25.18 –, juris Rn. 5, m.w.N.).

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Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Antragsbegründung nicht.

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1. Die vom Beklagten als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,

15

ob „eine Verrechnung nach § 10 Abs. 3 AbwAG vorzunehmen [ist], wenn der Einleitungsbescheid nicht im Anschluss an die Inbetriebnahme der zur Verrechnung gestellten Maßnahme dergestalt angepasst wird, dass sich die Zahl der Schadeinheiten bzw. die sich aus Jahresschmutzwassermenge und Überwachungswert ergebende Schadstofffracht mindert“,

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rechtfertigt keine Berufungszulassung. Wie die obigen Ausführungen zum Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verdeutlichen (vgl. Abschnitt I. 1.), lässt sich diese Frage auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts nach allgemeinen Auslegungsmethoden ohne Weiteres beantworten, ohne dass es insofern einer Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.

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2. Mit der vom Beklagten ferner als grundsätzlich bedeutsam angesehenen Frage,

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ob „ein Anspruch auf Verrechnung nach § 10 Abs. 3 AbwAG [besteht], wenn die Minderung der Gesamtschadstofffracht im Ablauf der Kläranlage ins Gewässer messtechnisch nicht nachweisbar ist, sondern die Minderung auf (theoretischen) Berechnungen beruht, die unterstellen, dass die Schadstofffrachten aus zahlreichen anderen Teilströmen nicht so zugenommen haben, dass sie die Schadstofffrachtminderung kompensieren“,

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lässt sich eine Berufungszulassung ebenfalls nicht rechtfertigen. Der Senat hat bereits in der Prüfung der vom Beklagten geltend gemachten ernstlichen Zweifeln an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (vgl. Abschnitt I. 2.) ausgeführt, dass die angenommene Minderung der Gesamtschadstofffracht nicht auf theoretischen Berechnungen, sondern insbesondere auf der jüngsten Stellungnahme des Landesamtes für Umwelt beruht. Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht auf die – vom Beklagten insoweit unbestrittenen – Vorgaben des Umweltministeriums Rheinland-Pfalz abgestellt, wonach die Minderung der Schadstofffracht im Falle der Teilstromverrechnung nicht im Kläranlagenablauf messbar sein müsse, sondern in sonstiger Weise nachgewiesen werden könne (UA S. 17). Der Beklagte muss sich diese fachaufsichtlichen Vorgaben der obersten Wasserbehörde (§ 12 Abs. 1 Satz 1 des Landesgesetzes zur Ausführung des Abwasserabgabengesetzes – LAbwAG – i.V.m. § 92 Abs. 3, § 94 Abs. 2 Satz 1 des Landeswassergesetzes – LWG –) zurechnen lassen und hat damit überdies weder die Entscheidungserheblichkeit noch die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ausreichend dargelegt.

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3. Auch die weitere vom Beklagten für grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,

21

„wie […] ein ‚zu behandelnder Abwasserstrom‘ im Sinn [sic] des § 10 Abs. 3 AbwAG zu definieren [ist]“,

22

rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung.

23

Die vom Beklagten formulierte Frage genügt bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Für die Darlegung der Grundsatzbedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist es erforderlich, eine bestimmte, höchstrichterlich noch nicht geklärte und für das Berufungsverfahren erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage herauszuarbeiten und anzugeben, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 –, NJW 1997, 3328; Rudisile, in: Schoch/Schneider, VwGO, Werkstand: 39. EL Juli 2020, § 124a Rn. 103). Die vom Beklagten begehrte Definition des „zu behandelnden Abwasserstrom[s]“ stellt indes schon keine konkrete Bezeichnung einer grundsätzlichen Frage dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. November 1992 – 2 B 137.92 –, NVwZ- RR 1993, 276). Eine obergerichtliche Definition dieses Tatbestandsmerkmals mag zwar für die das Abwasserabgabengesetz anwendenden Wasserbehörden wünschenswert sein; eine solche stellt indes keine Antwort auf eine konkret herausgearbeitete Frage dar, an der ein Allgemeininteresse im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts bestünde.

24

Unabhängig hiervon fehlt es auch an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der vom Beklagten aufgeworfenen Frage. Mit der vom Beklagten begehrten Definition eines „zu behandelnden Abwasserstrom[s]“ verbindet er offensichtlich Erkenntnisse dazu, ob es auf die konkret zur Verrechnung gestellte Maßnahme oder abstrakt auf den Abwasserstrom ankommt. Diese Frage lässt sich anhand des Gesetzeswortlauts des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG allerdings eindeutig [bejahend] beantworten. Die erste Voraussetzung dieser Norm ist nämlich die zu erwartende Minderung der Fracht einer der bewerteten Schadstoffe und Schadstoffgruppen in einem zu behandelnden Abwasserstrom um mindestens 20 v.H.. Bereits der Gesetzeswortlaut stellt hinreichend klar, dass es auf die Auswirkungen der Errichtung oder Erweiterung einer (konkreten) Abwasserbehandlungsanlage ankommt. Ansonsten ergäbe auch die Nacherhebungsvorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 4 AbwAG erkennbar keinen Sinn.

25

In Ermangelung der Darstellung unterschiedlicher Auswirkungen bei der Beantwortung dieser (Teil-) Frage auf die Entscheidung des zugrundeliegenden Einzelfalls fehlt es insofern auch an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit.

26

Soweit der Beklagte innerhalb der von ihm begehrten Begriffsdefinition insbesondere auch die Fragen aufwirft, ob Minderungsmaßnahmen technisch und wasserwirtschaftlich sinnvoll sein müssen und ob hierbei die Gesamtwassersituation des Einleiters zu berücksichtigen ist, lassen sich auch diese Fragen bereits anhand des Gesetzeswortlauts beantworten. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die vorstehenden Ausführungen zu Abschnitt I. 3. Bezug. Da die Rechtsauffassung des Beklagten vor dem Hintergrund dieser Ausführungen weder im Wortlaut des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG noch in seiner Entstehungsgeschichte und der gesetzgeberischen Regelungsintention eine hinreichende Grundlage findet, bedarf es auch insofern keiner Zulassung der Berufung wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (vgl. Rudisile, a.a.O., § 124 Rn. 30, m.w.N.).

27

III. Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wegen Divergenz zuzulassen.

28

Dies erfordert neben der Angabe der Entscheidung, von der das Verwaltungsgericht abgewichen sein soll, auch die zutreffende Bezeichnung und Wiedergabe der im Widerspruch stehenden, entscheidungstragenden Rechtssätze. Das Verwaltungsgericht muss einen abstrakten, der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichts widersprechenden Rechtssatz aufgestellt haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 – 6 C 28.03 –, BVerwGE 121, 211, vgl. zuletzt OVG RP, Beschluss vom 8. Januar 2021 – 6 A 11038/20.OVG –, BA S. 14, n.v.). Daran fehlt es hier.

29

Dem Zulassungsvorbringen ist ein solcher Rechtssatz, von dem das Verwaltungsgericht abgewichen sein soll, bereits nicht zu entnehmen. Der Beklagte beschränkt sich insofern auf die Darstellung, aus den von ihm benannten Entscheidungen des erkennenden Gerichts (Urteil vom 25. April 2003 – 12 A 11670/02 –) und des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 15. Januar 2004 – 9 B 71.03 –) werde „deutlich“, dass es beim Vergleich der Schadstofffrachten nicht auf tatsächliche Werte, sondern auf das Produkt aus Jahresschmutzwassermenge und Überwachungswert für den bewerteten Schadstoff bzw. die bewertete Schadstoffgruppe ankomme. Selbst wenn man in dieser Interpretation durch den Beklagten einen Rechtssatz erkennen könnte, fehlt es an der Darlegung eines abstrakten Rechtssatzes aus der angegriffenen erstinstanzlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, aus der die Abweichung hinreichend erkennbar wird (vgl. Rudisile, a.a.O., § 124a Rn. 107, m.w.N.).

30

In der Sache entnimmt der Beklagte den von ihm benannten Entscheidungen des erkennenden Gerichts und des Bundesverwaltungsgerichts offenbar den Rechtssatz, eine Verrechnung im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG erfordere eine Verringerung der Zahl der Schadeinheiten nach Inbetriebnahme der zu verrechnenden Maßnahme und eine daran anschließende Anpassung des Einleitungsbescheides. Einen solchen Rechtssatz hat indes weder der Senat noch das Bundesverwaltungsgericht in den benannten Entscheidungen aufgestellt. Insbesondere hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich ausgeführt, es könne im Rahmen von § 10 Abs. 3 AbwAG nur auf solche Konzentrationswerte und Abwassermengen ankommen, die für die Ermittlung und Festsetzung der Abwasserabgabe relevant sind. Deswegen sei ausschließlich auf die in dem die Abwassereinleitung zulassenden Bescheid genannten Werte bzw. auf die in § 6 Abs. 1 AbwAG geregelten Ersatzlösungen abzustellen, da anderenfalls das spezifische Anreizsystem des Abwasserabgabengesetzes verlassen würde (vgl. BVerwG; Beschluss vom 15. Januar 2004, a.a.O., juris Rn. 6, m.w.N.). Die von dem Beklagten unterstellte Notwendigkeit einer kausal auf die streitgegenständliche Minderungsmaßnahme zurückführbaren Anpassung des Einleitungsbescheides ergibt sich aus den vom Beklagten angeführten Entscheidungen mithin nicht. Aus den obigen Ausführungen (Abschnitte I. 1. und II. 1.) folgt vielmehr ein von der Auffassung des Beklagten abweichendes, gegenteiliges Verständnis.

31

Der Antrag war nach alledem mit der sich aus § 154 Abs. 2 VwGO ergebenden Kostenfolge abzulehnen.

32

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.

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