Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (8. Senat) - 8 B 11248/21

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 22. September 2021 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.000,00 € festgesetzt.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

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Die geltend gemachten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – beschränkt ist, rechtfertigen keine von dem Verwaltungsgericht abweichende Entscheidung.

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Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung das Interesse der Antragsteller überwiegt, die beanstandete Nutzung einstweilen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens noch nicht einschränken zu müssen, und daher das Eilrechtsschutzbegehren keinen Erfolg haben kann. Hierzu kann auf die zutreffenden Gründe im Beschluss des Verwaltungsgerichts verwiesen werden (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend führt der Senat auch im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen aus:

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1. Der Senat legt seiner Prüfung zugrunde, dass mit Ziffer 1) des streitgegenständlichen Bescheids vom 9. September 2020 („Die Nutzung des Flurstücks A. […] wird untersagt“) die Haltung von Schafen, Perlhühnern und Truthähnen in der Tierhaltungsanlage auf dem Grundstück der Antragsteller untersagt wird; diese bauliche Anlage i.S.d. § 2 Abs. 1 Landesbauordnung – LBauO – besteht, wie es sich aus der Genehmigung vom 19. März 2009 bzw. den Bauantragsunterlagen eindeutig ergibt, aus den Stallungen und einem umzäunten Tiergehege (Hühnergarten, Hühnerfreilauf, Gartenfläche). Allein die Tierhaltung innerhalb dieser Anlage und nicht etwa auch Tierhaltung in anderen Grundstücksbereichen ist deshalb Gegenstand des Verfahrens. Insofern geht die Annahme der Antragsteller im Schriftsatz vom 20. Oktober 2021 (dort S. 4), es gehe nicht um die Beurteilung der vorhandenen Stallungen, bereits fehl. Soweit die Antragsteller dort andeuten, die Schafe würden in einem anderen Grundstücksbereich außerhalb der im Jahr 2009 genehmigten Anlage gehalten, entnimmt der Senat allerdings den Fotos in den Verwaltungsakten zur Ortsbesichtigung vom 8. September 2020 (vgl. Blatt 88 der Akte BV-Nr. 1900780), dass auch die Schafe innerhalb des Tiergeheges gehalten werden.

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2. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die den Antragstellern untersagte Tierhaltung von Schafen, Perlhühnern und Truthähnen nicht von der im Jahr 2009 erteilten Baugenehmigung gedeckt ist und sich daher als formell rechtswidrig darstellt. Gegenstand der Baugenehmigung ist jeweils eine bauliche Anlage mit bestimmter Nutzung und Funktion (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 1974 – IV C 32.71 –, E 47, 185 u. juris Rn. 12; Jeromin, in: Jeromin, LBauO, 5. Aufl. 2022, § 70 Rn. 6; Mann, in: Große-Suchsdorf, Niedersächsische Bauordnung, 10. Aufl. 2020, § 79 Rn. 17). Von der Baugenehmigung gedeckt war hier lediglich die mit Grünvermerk versehene Haltung in den Antragsunterlagen, nämlich von 2 Deutschen Schäferhunden, 10 Hühnern, 5 Gänsen und 10 Hasen. Die den Antragstellern nun untersagte Haltung anderer Tiere liegt außerhalb der Variationsbreite der zugelassenen Nutzung und ist daher von der Legalisierungswirkung nicht mehr erfasst.

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Es kommt auch nicht in Betracht, die Haltung der Perlhühner als von der Baugenehmigung gedeckt anzusehen, weil dort u.a. die Haltung von „10 Hühnern“ gestattet wird. Der Inhalt einer Baugenehmigung ist durch Auslegung nach den auf öffentlich-rechtliche Willenserklärungen entsprechend anzuwendenden Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Maßgebend ist der erklärte Wille der Behörde, wie er bei objektiver Würdigung vom Standpunkt des Adressaten zu verstehen ist. Bei der Ermittlung des objektiven Erklärungswerts der Baugenehmigung sind in erster Linie die Bezeichnung und die Regelungen im Baugenehmigungsbescheid einschließlich der in Bezug genommenen Bauvorlagen und weiteren Unterlagen, aber auch sonstige den Beteiligten bekannte oder erkennbare Umstände heranzuziehen (vgl. zu Vorstehendem insgesamt BayVGH, Beschluss vom 31. August 2016 – 8 ZB 15.50 – juris Rn. 9 m.w.N.).

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Danach ergibt sich hier, dass die Genehmigung der Haltung von zehn Hühnern sich lediglich auf Haushühner bezog. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Antragsteller ausweislich der Lichtbilder in den Verwaltungsakten zum Genehmigungsverfahren (BV-113/08), die den Zustand bei einer Ortsbesichtigung am 31. Januar 2007 dokumentieren, bereits vor der Beantragung und Erteilung der Baugenehmigung in den errichteten Stallungen und Gehegen gewöhnliche Haushühner hielten. Die auf den nachträglichen Bauantrag vom 26. August 2008 hin ergangene Genehmigung im März 2009 konnten die Antragsteller daher nur so verstehen, dass sie die Tieranlage für zehn Hühner der Art nutzen durften, die sie bereits zuvor ohne Genehmigung gehalten hatten. Hingegen konnten sie nicht davon ausgehen, auf der Grundlage dieser Genehmigung auch Hühner anderer Arten (vgl. hierzu auch Teil XX lit. a des Anhangs I zur Verordnung (EU) Nr. 1308/2013: Hausgeflügel [Hühner, Enten, Gänse, Truthühner und Perlhühner] sowie § 2 Nr. 4f des Gesetzes zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen – TierGesG –: „Vieh sind Haustiere folgender Arten: Enten, Fasane, Gänse, Hühner, Laufvögel, Perlhühner, Rebhühner, Tauben, Truthühner und Wachteln“) halten zu dürfen. Dieses engere Begriffsverständnis folgt auch daraus, dass jedenfalls nicht ohne Weiteres davon auszugehen ist, dass die Haltung von Perlhühnern im Vergleich zu den üblicherweise gehaltenen Haushühnern mit identischen oder auch nur vergleichbaren Lärmwirkungen verbunden ist. Nach dem Vortrag des Antragsgegners geben Perlhühner jedenfalls bei gemeinsamer Haltung mit Schafen und Gänsen ein sehr lautes, fast kreischendes Geräusch in großer Lautstärke von sich. Diesen Angaben im Schriftsatz vom 26. Oktober 2021 sind die Antragsteller in ihrem Schriftsatz vom „20. Oktober 2021“ (Eingang bei Gericht am 18. November) zwar mit dem Verweis auf die Wahrnehmungen ihres Bevollmächtigten bei zwei Besuchen vor Ort entgegengetreten; allerdings haben sie nicht grundsätzlich bestritten, dass Perlhühner laute Geräusche von sich geben. Letztlich spricht auch schon der allgemeine Sprachgebrauch dafür, unter Hühnern Haushühner zu verstehen, wie sie üblicherweise zur Eiererzeugung gehalten werden (vgl. hierzu auch Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft: „In Deutschland ist das Haushuhn das häufigste Nutztier […] Auf deutschen Geflügelhöfen dominiert mit weitem Abstand das Haushuhn […] Andere Geflügelarten wie Perlhühner, Wachteln oder Fasane werden nur in sehr geringen Stückzahlen gehalten.“ [https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/nutztiere/gefluegel/gefluegel.html, zuletzt abgerufen am 29.11.2021]). Soweit die Antragsteller ihre Auffassung, die Genehmigung zur Hühnerhaltung umfasse auch die Haltung von Perlhühnern, damit begründen, dass auch der Antragsgegner in seinem Kontrollbericht vom 10. Oktober 2019 („20 Hühner“) nicht zwischen Perlhühnern und Hühnern unterschieden habe, verfängt dies schon deshalb nicht, weil die Perlhühner nach entsprechenden Mitteilungen der Nachbarn der Antragsteller vom Antragsgegner erst bei dem Ortstermin am 8. September 2020 auf dem Anwesen gesichtet wurden und in dem im Anschluss erstellten Bericht des Antragsgegners auch als zusätzlich gehaltene Tierart erfasst sind.

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3. Die Notwendigkeit des Einschreitens gegen die ungenehmigte Nutzung entfällt auch nicht etwa (teilweise) im Hinblick darauf, dass die Antragsteller derzeit unstreitig keine Truthähne in ihrer Tieranlage halten.

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Wenn nämlich die Nutzungsuntersagung – wie hier – zum Ziel hat, die beanstandete Nutzung dauerhaft zu unterlassen, so entfällt die Notwendigkeit eines Einschreitens nicht bereits bei einer bloß vorübergehenden Nutzungsunterbrechung. Fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten für eine endgültige Aufgabe der baurechtswidrigen Nutzung, erweist sich die Aufrechthaltung des Unterlassungsgebots weiterhin als erforderlich. Dies gilt insbesondere dann, wenn die beanstandete Nutzung bis zum Beginn des behördlichen Tätigwerdens ausgeübt wurde und bei Würdigung aller Umstände die begründete Sorge besteht, sie werde erneut wiederaufgenommen (vgl. OVG RP, Beschluss vom 13. Juli 2010 – 8 A 10623/10 –). So liegt der Fall hier. Unmittelbar vor Erlass des Nutzungsverbots am 9. September 2020 hatte der Antragsgegner die Haltung von Truthähnen in der Anlage ausweislich der Verwaltungsakten – wie bereits oben erwähnt – festgestellt. Es besteht auch die begründete Sorge, dass sich die Antragsteller erneut dazu entschließen, Truthähne zu halten. Sie haben ihren Tierbestand bereits mehrfach erweitert und verändert, so im Jahr 2020 um ein weiteres Schaf und Perlhühner sowie Truthähne, und zwar trotz des Schreibens des Antragsgegners vom 16. Oktober 2019, in dem dieser die Antragsteller auf eine Überschreitung des genehmigten Umfangs der Tierhaltung hingewiesen und auch zu einem Bescheid über die Verpflichtung zur Reduzierung des Tierbestands angehört hatte. Die schlichte Erklärung der Antragsteller im Schriftsatz vom 20. Oktober 2021, sie würden keine Truthähne halten, lässt nicht darauf schließen, dass sie darauf dauerhaft verzichten werden, zumal sie nicht mitgeteilt haben, aus welchen Gründen und zu welchem Zeitpunkt sie die Truthahnhaltung aufgegeben haben. Soweit sie mit dem Vorbringen, der Bescheid sei schon deshalb fehlerhaft, weil sie keine Truthähne hielten, geltend machen wollen, sie hätten diese zu keinem Zeitpunkt gehalten, ist dies bereits durch die Feststellungen bei dem Ortstermin am 8. September 2020 widerlegt.

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4. Soweit die Antragsteller sich weiter darauf berufen, die Tierhaltung sei dem Antragsgegner und den Nachbarn bereits seit mehreren Jahren bekannt und sei hingenommen worden, kommt weder die Unverhältnismäßigkeit der Verfügung noch die Treuwidrigkeit des jetzigen Vorgehens des Antragsgegners in Betracht.

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Zunächst können polizeiliche bzw. ordnungsrechtliche Eingriffsbefugnisse nicht verwirkt werden. Denn sie sind im Unterschied zu subjektiven privaten Rechten nicht verzichtbar, sondern müssen vielmehr im öffentlichen Interesse zur Gewährleistung rechtmäßiger Zustände aufrechterhalten bleiben (vgl. OVG RP, Urteil vom 12. Juni 2012 – 8 A 10291/12.OVG –, AS 41, 181 [187] sowie Beschluss vom 2. August 2017 – 8 A 11311/17.OVG –).

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Weiter liegen keine Anhaltspunkte für eine sogenannte „aktive Duldung“ der Haltung von Schafen, Perlhühnern und Truthähnen vor. Nach der Rechtsprechung des Senats kann sich das Gebrauchmachen von einer Eingriffsermächtigung im Einzelfall als ermessensfehlerhaft erweisen, wenn sich eine Behörde – auf das Wissen und Handeln der Nachbarn kommt es hingegen schon im Ansatz nicht an – damit in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten setzt und ein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen verletzt. Dies setzt allerdings voraus, dass die Behörde durch ihr vorangegangenes positives Tun einen Vertrauenstatbestand beim Bauherrn geschaffen und dieser im Vertrauen darauf nicht unerhebliche und nur schwer rückgängig zu machende Vermögensdispositionen getroffen hat (vgl. OVG RP, Urteil vom 12. Juni 2012, ebenda sowie Beschluss vom 2. August 2017, ebenda). Die Antragsteller haben keine konkreten Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass der Antragsgegner zu erkennen gegeben hätte, den illegalen Zustand der Tierhaltung außerhalb der Reichweite der Baugenehmigung hinzunehmen. Im Gegenteil gab dieser bereits mit dem Schreiben vom 26. Oktober 2019 – Hinweis auf Überschreitung der Genehmigung und Anhörung zu einer Verfügung zur Reduzierung des Tierbestands – zu erkennen, gegen die Nutzung erforderlichenfalls einschreiten zu wollen. Den Antragstellern war die Haltung des Antragsgegners zu der Nutzung damit bekannt. Hinzu kommt noch, dass der Antragsgegner den Bauantrag bezüglich der Schafhaltung im Jahr 2009 abgelehnt und damit seinen dieser Tierhaltung entgegenstehenden Willen ausdrücklich kundgetan hat.

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Die demnach hier allenfalls anzunehmende bloße (passive) Kenntnis des Antragsgegners führt eindeutig nicht zu einem Ermessensfehler. Denn die schlichte Hinnahme eines formell illegalen Geschehens hindert die Bauaufsichtsbehörde grundsätzlich nicht, eine als rechtswidrig erkannte Praxis zu beenden und die Herstellung baurechtmäßiger Zustände zu bewirken (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Juli 2009 – 10 B 617/09 –, juris Rn. 15).

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5. Wie das Verwaltungsgericht des Weiteren zutreffend ausgeführt hat, würde sich die Nutzungsuntersagung wegen unterbliebener Einholung einer erforderlichen Baugenehmigung als unverhältnismäßig erweisen, wenn die ungenehmigte Nutzung der baulichen Anlage offensichtlich genehmigungsfähig wäre. Diese Voraussetzung ist hier indes nicht erfüllt. In einem Genehmigungsverfahren wäre neben der Frage der Zuordnung der näheren Umgebung des Grundstücks zu einem Baugebietstyp nach den Kategorien der Baunutzungsverordnung auch zu klären, ob die von den Antragstellern betriebene Haltung von Schafen, Perlhühnern und Truthähnen wohngebietsverträglich ist und in ausreichendem Maße Rücksicht auf die in unmittelbarer Nachbarschaft bestehende Wohnnutzung wahrt. Insofern erweist sich die Nutzung der Antragsteller nicht bereits als offensichtlich genehmigungsfähig.

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6. Die offensichtliche Rechtmäßigkeit der bauaufsichtlichen Verfügung ist entgegen der Auffassung der Antragsteller auch nicht etwa im Hinblick auf einen erheblichen Verfahrensfehler im Widerspruchsverfahren rechtlich zweifelhaft. Es ist nicht ersichtlich, dass die Ablehnung des erneuten Verlegungsantrags der Antragsteller auch für den Termin zur mündlichen Erörterung im Widerspruchsverfahren (gemäß § 16 Abs. 2 des Landesgesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung) am 17. Juni 2021 Verfahrensrechte der Antragsteller verletzt hätte. Das folgt schon daraus, dass eine Vertretung durch einen anderen Angehörigen der Sozietät angesichts des Aktenumfangs und der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten nicht unzumutbar erschien (vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschluss vom 13. Juli 2018 – 9 A 1980/17.A –, juris Rn. 12; Dolderer, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 102 Rn. 36). Hinzu kommt noch, dass dieser Ablehnung des Antrags auf Terminsverlegung bereits ein Verlegungsantrag der Antragstellerseite – für den für den 3. März 2021 anberaumten Termin, vgl. E-Mail der Antragstellerbevollmächtigten vom 12. Februar 2021 in der Widerspruchsakte 138/20 – vorangegangen war, der ebenfalls mit einer Terminsüberschneidung begründet wurde und dem der Antragsgegner entsprochen hatte. Überdies ist in den Widerspruchsakten dokumentiert, dass zwei Versuche einer Terminsabsprache mit dem Bevollmächtigten – für den 24. März und 6. Mai 2021 – scheiterten, weil auch diese Termine wegen einer Terminskollision nicht in Betracht kamen (vgl. E-Mail vom 22. Februar 2021 und Vermerk des Kreisrechtsausschusses über telefonische Anfrage in der Kanzlei für den 6. Mai 2021 in den Widerspruchsakten 138/20).

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Ungeachtet dessen könnte aber der von den Antragstellern – nach Auffassung des Senats zu Unrecht – gerügte Verfahrensfehler im Widerspruchsverfahren ohnehin nicht die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheids begründen, weil die Modalitäten des Widerspruchsverfahrens weder den Tenor noch die Begründung des Ausgangsbescheids verändern und daher ohne Bedeutung für die Gestalt des Verwaltungsakts i.S.d. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO sind (vgl. Brenner, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 79 Rn. 23).

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7. Der Senat teilt auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung, das über jenes Interesse hinauszugehen hat, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt, gegeben ist (zu diesem Erfordernis vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Mai 2007 – 2 BvR 304/07 –, juris Rn. 29; OVG RP, Beschluss vom 22. November 2017 – 8 B 11802/17 –; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 80, Rn. 387 m.w.N.). Die Vollziehung des Nutzungsverbots ist wegen öffentlicher Interessen besonders dringlich und duldet keinen Aufschub bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptverfahrens.

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Denn – worauf auch das Verwaltungsgericht abgestellt hat – die sofortige Vollziehung einer (rechtmäßigen) Nutzungsuntersagung liegt regelmäßig im besonderen öffentlichen Interesse, weil sie die Vorbildwirkungen einer formell-illegalen Nutzung, die die Rechtstreue der Bevölkerung untergraben, bekämpft und ein Unterlaufen der präventiven Kontrolle der Bauaufsicht verhindert (vgl. OVG RP, Beschluss vom 5. Juli 2006 – 8 B 10574/06.OVG –, juris Rn. 13 (bereits vom VG zitiert); OVG NRW, Beschluss vom 22. Januar 2020 – 2 B 1750/19 –, juris Rn. 8: Wahrung der formellen Ordnungsfunktion des Bauordnungsrechts). Zur Begründung des öffentlichen Interesses bedarf es danach keiner von der Anlage ausgehenden konkreten Gefahren für Rechtsgüter Dritter (vgl. OVG RP, a.a.O.). Der Verweis der Antragsteller darauf, dass die Tierhaltung nicht störend und die Schafhaltung nicht Gegenstand früherer Anzeigen der Nachbarn gewesen sei, wobei diese die Schafhaltung sogar gefördert hätten, ist daher nicht geeignet, die besondere Dringlichkeit in Zweifel zu ziehen.

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a) Dieses besondere öffentliche Interesse entfällt auch nicht etwa ausnahmsweise durch die Hinnahme der illegalen Nutzung seitens des Antragsgegners über einen langen Zeitraum und einen hierdurch geschaffenen Vertrauenstatbestand, der die Anordnung des Sofortvollzugs nicht mehr gerechtfertigt erscheinen ließe (vgl. hierzu auch BayVGH, Beschluss vom 23. August 2012 – 15 CS 12.130 –, juris Rn. 13ff.; Decker, in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 143. EL Juli 2021; Art. 76 Rn. 349).

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Ein vertrauenswidriges Vorgehen durch langjähriges Zuwarten einerseits und die spätere Berufung auf besondere Dringlichkeit andererseits ist – unabhängig davon, ob eine langjähriges Zuwarten bezüglich allenfalls der Schafhaltung überhaupt vorliegt – hier im Hinblick auf die ab dem Jahr 2020 herbeigeführte Intensivierung und Verfestigung der illegalen Nutzung nämlich nicht festzustellen. Das Halten weiterer Tierarten – Perlhühner und Truthähne – und weiterer Schafe führte jedenfalls im September 2020 zu einer neuen Situation. Die Erhöhung des Tierbestands erforderte eine schnelle Vollziehung der Nutzungsuntersagung zur Wahrung der Ordnungsfunktion des Baurechts und im Hinblick auf mögliche Nachahmung und die Aushöhlung des Genehmigungsverfahrens.

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Das – wenn überhaupt – vorherige bloße Hinnehmen des baurechtswidrigen Zustands über einen längeren Zeitraum in Form von Schafhaltung könnte sich somit allenfalls auf die Nutzung bis zur Vergrößerung des Tierbestands im Jahr 2020 bezogen haben. Denn unmittelbar nach der Ortsbesichtigung am 8. September 2020 erließ der Antragsgegner am 9. September die Nutzungsuntersagung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Grundsätzlich muss auch jeder, der eine Schwarznutzung aufnimmt, zunächst jederzeit damit rechnen, mit einem sofort vollziehbaren Nutzungsverbot belegt zu werden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 08.05.2020 – 2 B 457/20 –, juris Rn. 10).

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Soweit die Antragsteller demgegenüber mit ihrer Beschwerde pauschal geltend machen, sie hätten den Tierbestand nach der Verfügung betreffend die Haltung von Gänsen vom 16. März 2020 nicht erweitert, sondern vielmehr deutlich reduziert, trifft dies schon in der Sache nicht zu. Denn dem in den Verwaltungsakten (BV 1900780) enthaltenen Feststellungsvermerk zur Ortsbesichtigung am 8. September 2020 nebst Lichtbildern ist zu entnehmen, dass zusätzlich fünf Perlhühner, vier Truthähne und zwei weitere Schafe festgestellt wurden. Zutreffend hat auch das Verwaltungsgericht angenommen, dass sich das Unterlaufen der Bauaufsicht durch die Antragsteller insbesondere darin ausdrückt, dass sie auch Schafe halten, obwohl ihnen die Genehmigung für diese Stall- und Gehegenutzung im März 2009 ausdrücklich versagt wurde. In den genehmigten Antragsunterlagen ist die Schafhaltung gestrichen worden. Soweit im Beschluss des Verwaltungsgerichts (S. 6) auf die im Bescheid vom 19. März 2009 ausdrücklich nicht genehmigte Haltung von „Schweinen“ verwiesen wird und die Antragsteller dies als „völlig unverständlich“ kritisieren, handelt es sich erkennbar um ein Schreibversehen, gemeint ist die Haltung von Schafen; die Haltung von Schweinen ist schon nicht Gegenstand des Antrags der Antragsteller im Jahr 2008 gewesen.

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b) Soweit der Antragsgegner die Vollstreckung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens zurückgestellt hat, lässt sich auch daraus nichts gegen die Erforderlichkeit der Nutzungsuntersagung bzw. deren sofortige Vollziehung herleiten. Insbesondere ergibt sich aus diesem Vorgehen des Antragsgegners nicht, dass er sein Einschreiten gegen die formell illegale Nutzung nicht als eilbedürftig angesehen hätte. Denn in dem genannten Zeitraum hat der Antragsgegner – wie sich aus der Nichtabhilfeentscheidung vom 5. Oktober 2020 ergibt – die vorher unterbliebene Anhörung der Antragsteller zur Nutzungsuntersagung durchgeführt. Auch der Verweis der Antragsteller, der Antragsgegner habe das Widerspruchsverfahren nicht forciert, deutet keinesfalls auf eine entfallene Dringlichkeit hin. Die mehrfachen Verlegungen des Termins zur mündlichen Erörterung zwischen Februar 2021 und Juni 2021 gingen – wie oben ausgeführt – auf die Verhinderung ihrer Bevollmächtigten infolge von Terminsüberschneidungen zurück, und zwar im Einzelnen bezüglich der geplanten Termine vom 3. März, 24. März und 6. Mai 2021. Der Zeitablauf bis zur Entscheidung über die Widersprüche war insoweit nicht etwa darauf zurückzuführen, dass der Antragsgegner das Verfahren durch Untätigkeit in die Länge gezogen bzw. keine besondere Dringlichkeit des Vorgehens gegen die illegale Nutzung angenommen hätte.

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c) Die Anordnung des Sofortvollzugs der Nutzungsuntersagung ist auch nicht etwa im Hinblick auf zu besorgende irreparable Folgen unzulässig. Es ist nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass es den Antragstellern nicht möglich wäre, die von ihnen aktuell in überschaubarer Anzahl gehaltenen Schafe und Perlhühner bis zum Abschluss des Hauptverfahrens vorläufig an einen anderen Standort zu verbringen.

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d) Die zwischenzeitliche Abschaffung oder anderweitige Unterbringung der Truthähne, die noch am 8. September 2020 in der Anlage festgestellt wurden, lässt den Sofortvollzug ebenfalls unberührt, weil die Nutzungsuntersagung – s.o. – einen Dauerverwaltungsakt (vgl. hierzu BayVGH, Beschluss vom 11. November 2002 – 2 CS 02.2115 –, juris Rn. 9) darstellt, der auch bei Befolgung weiterwirkt und die Wiederaufnahme der Nutzung auch für die Haltung von Truthähnen zu besorgen ist.

26

Aus den oben dargelegten Gründen überwiegt daher das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

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Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 47, 52 GKG i.V.m. Nummern 1.5 und 9.4 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

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Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist aus den oben dargelegten Gründen mangels hinreichender Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs abzulehnen (§ 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 ZPO).

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