Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 MB 8/14
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig- Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 2. Kammer - vom 17. März 2014 wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Gründe
I.
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Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 12. Juli 2013 zum Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses auf dem Grundstück … (Flurstücke …, …, …, …, … der Flur …). Sie sind Eigentümer des benachbarten Grundstücks … (Flurstück … Flur …), auf dem - durch Baugenehmigung vom 17. Oktober 2013 - ein Wohn- und Geschäftshaus errichtet werden soll.
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Die beiden Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 76 der Antragsgegnerin, der ein Sondergebiet für den Fremdenverkehr und sonstiges Wohnen, das vorwiegend der Unterbringung von Anlagen und Einrichtungen des touristischen Gewerbes und von sonstigen Wohnungen dienen soll, festsetzt:
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In dem Verfahren zum Bauantrag der Beigeladenen sind die Antragsteller nicht beteiligt worden. Der der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 12. Juli 2013 ist als Anlage Nr. 11 ein (grün gestempelter) „Lageplan mit B-Plan Festsetzungen 1: 500“ beigefügt, in dem die im Bebauungsplan festgesetzten Baulinien gem. § 23 Abs. 2 BauNVO als rote Linien und die Baugrenzen gem. § 23 Abs. 3 BauNVO als blaue Linien dargestellt sind:
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Unter „Auflagen“ - Ziff. 5. - heißt es in der Baugenehmigung:
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„Über die Einhaltung der Grundrissflächen ... ist ein amtlicher Nachweis in Form eines Absteckprotokolls ... zu führen (§ 73 Abs. 2 LBO). Dieser Nachweis ist der Bauaufsichtsbehörde mit der Baubeginnsanzeige, spätestens bei Baubeginn vorzulegen (§ 73 Abs. 6 und § 78 Abs. 1 LBO).“
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Die Beigeladene zeigte den Baubeginn zum 29.07.2013 an. Der sog. „Absteckungsriss“ wurde am 25.07.2013 vorgelegt; anschließend begannen - zunächst - die Erdarbeiten.
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Die Antragsteller kamen nach Genehmigung ihres Vorhabens und dessen Vermessung im November 2013 zu der Schlussfolgerung, das Bauvorhaben der Beigeladenen sei auf deren Grundstück „falsch positioniert“. Nachdem diesbezügliche Gespräche mit der Antragsgegnerin und der Beigeladenen ergebnislos geblieben waren, erhoben sie am 19. Dezember 2013 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung Widerspruch und beantragten „vorsorglich“ für den Fall, dass die Beigeladene abweichend von der Baugenehmigung baut, die sofort vollziehbare Anordnung der Einstellung der Bauarbeiten durch die Antragsgegnerin. Der Widerspruch und der Antrag sind bislang nicht beschieden worden.
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Den Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. März 2014 abgelehnt und zur Begründung i. w. ausgeführt, der Widerspruch der Antragsteller werde voraussichtlich erfolglos bleiben, da ihre Abwehrrechte gegen die Baugenehmigung vom 12. Juli 2013 verwirkt seien. Eine „Gesamtschau“ der zeitlichen Abläufe belege, dass die Geltendmachung von Einwänden gegen das Bauvorhaben der Beigeladenen erst ab Mitte November 2013 bzw. durch den Widerspruch vom 19. Dezember 2013 treuwidrig sei, da die Bauabsicht bereits ab Ende Juli 2013 mit Beginn der Auskofferung des Baugrundes bekannt gewesen sei. Überdies seien den Antragstellern Mitte August 2013 „diverse Unterlagen zur Planung an der gemeinsamen Grundstücksgrenze“ zur Verfügung gestellt worden. Weitere Informationen hätten die Antragsteller einholen können, was nicht geschehen sei. Mit einem Widerspruch erst im Dezember hätten die Beigeladenen nicht mehr rechnen müssen.
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Gegen den am 20. März 2014 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 31.März 2014 Beschwerde eingelegt; die Beschwerdebegründung ist am 11. April 2014 eingegangen. Die Antragsteller sind der Ansicht, ihr Abwehrrecht sei nicht verwirkt; weder sei ihnen eine Verzögerung der erhobenen Rügen vorwerfbar noch habe die Beigeladene im Vertrauen auf ausbleibende Rügen mit ihrem Bau begonnen bzw. diesen fortgesetzt. Der Beginn der Erdarbeiten lasse keinen Rückschluss auf die Lage des Gebäudes zu. Nach dem Bebauungsplan habe die gesamte Bebauung von Anfang an einen „grundstücksübergreifenden Baukörper mit einer Kubatur aus einem Guss“ erreichen wollen; maßgebliche Bezugspunkte seien die Ecken der Bestandsgebäude auf dem Grundstück …; (auch) die hintere Baugrenze für das vierte Obergeschoss habe mit der Baugrenze betreffend die zweigeschossige Bauweise auf ihrem Grundstück „fluchten“ sollen.
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ie Antragsgegnerin erwidert, die im Bebauungsplan festgesetzten Baulinien und - grenzen seien richtig in die Bauvorlagen übernommen worden. Eine Ungenauigkeit in „Strichstärke“ bestehe bzgl. der rückwärtigen Baugrenze nur zwischen dem dritten und dem vierten Obergeschoss. Weder die Baugenehmigung noch die Bauausführung weiche hinsichtlich der Baulinien bzw. Baugrenzen von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 76 ab. Das Vorhaben der Beigeladenen sei formell und materiell nicht zu beanstanden.
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Die Beigeladene ist der Ansicht, die Antragsteller hätten ihre Rechte verwirkt. Zudem entfalle nach Fertigstellung der äußeren Gebäudehülle das Rechtsschutzbedürfnis. Das genehmigte Bauvorhaben liege i. ü. innerhalb der Baugrenzen und Baulinien.
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Der Senat hat durch Beschluss vom 04. April 2014 den Antrag der Antragsteller auf einstweilige Untersagung der weiteren Bauausführung im Wege eines sog. „Hängebeschlusses“ abgelehnt.
II.
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Die fristgerecht erhobene und begründete Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Ihrer Zulässigkeit steht - entgegen der Ansicht der Beigeladenen - nicht entgegen, dass das Bauvorhaben der Beigeladenen während des Beschwerdeverfahrens (bzg. der äußeren „Gebäudehülle“) fertig gestellt und mit dem Innenausbau begonnen worden ist (unten 1.). Ob die Antragsteller - wie das Verwaltungsgericht annimmt - ihre Abwehrrechte gegen die Baugenehmigung vom 12. Juli 2013 verwirkt haben, erscheint zweifelhaft (unten 2.). Dem Erfolg der Beschwerde steht entgegen, dass nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage für den Widerspruch gegen die genannte Baugenehmigung keine Erfolgsaussichten bestehen (unten 3.). Ob die tatsächliche Bauausführung von der Baugenehmigung vom 12. Juli 2013 abweicht, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung (unten 4.).
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1. Dem Begehren der Antragsteller würde das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn sie auch im Erfolgsfalle ihre Rechtsstellung nicht mehr verbessern könnten. Das ist auch im Beschwerdeverfahren zu prüfen, wenn - wie hier - eine Baugenehmigung im Wege des § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO suspendiert werden soll, die im Wesentlichen bereits „ausgenutzt“ worden ist.
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In der Regel ist nach Fertigstellung der baulichen Anlage das mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage verbundene Ziel, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern, nicht mehr zu erreichen (vgl. VGH München, Beschl. v. 08.04.2014, 9 CS 13.2007, Juris [Rn. 17], OVG Magdeburg, Beschl. v. 04.06.2013, 2 M 34/13, Juris; OVG Hamburg, Beschl. v. 21.10.2009, 2 Bs 152/09, Juris, VGH Mannheim, Beschl. v. 12.01.2005, 8 S 2720/04, BRS 69 Nr. 183). Allerdings kann trotz Rohbau-Fertigstellung das Rechtsschutzbedürfnis des Nachbarn für eine Suspendierung der Baugenehmigung fortbestehen, wenn eine Rechtsverletzung (auch) durch die bauliche Nutzung geltend gemacht wird oder eine weitere Verfestigung des - möglicherweise - nachbarrechtswidrigen Zustandes durch die Fertigstellung des Gebäudes insgesamt (einschließlich des Innenausbaus) verhindert werden soll. Im vorliegenden Fall hat der Senat bereits in seinem („Hänge“-)Beschluss vom 04. April 2014 ausgeführt, dass die Bauausführung im vierten Obergeschoss („Laubengang“ vor der rückwärtigen Baugrenze) mit dem Risiko eines evtl. späteren (teilweisen) Rückbaus erfolgt; (zumindest) insoweit kann die Fortführung des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens für die Antragsteller von Nutzen sein. Zu berücksichtigen ist auch, dass im Falle einer (endgültig) obsiegenden Entscheidung zu Gunsten der Antragsteller die (teilweise) Beseitigung einer noch unfertigen „Gebäudehülle“ erfahrungsgemäß leichter und schneller zu erreichen ist als die eines fertig gestellten Bauwerks. Soll ein Objekt - wie hier - teilweise vermietet werden, wäre eine Beseitigungsverfügung nur nach dessen vorheriger Räumung möglich. Unter diesen Umständen ist von einem fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnis für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auszugehen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 17.10.2000, 10 B 1053/00, BRS 63 Nr. 198 [bei Juris Rn. 5], OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 18.09.2013, 2 S 60.13, Juris [Rn. 5]).
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2. Das Recht der Antragsteller auf „Abwehr“ des Bauvorhabens der Beigeladenen unterliegt - im Grundsatz - der Verwirkung. Die rechtlichen Maßstäbe dazu sind im erstinstanzlichen Beschluss i. W. zutreffend zusammengefasst worden (S. 3 u. - 5 o. des Beschl.-Abdr.). Die Verwirkung ist deutlich vor Ablauf eines Jahres möglich (Urt. des Senats v. 26.03.1997, 1 L 322/97, Juris; vgl. auch Beschl. des Senats vom 11.08.2003, 1 LA 137/02, NordÖR 2004, 244); sie kann schon eintreten, wenn der Berechtigte sein Abwehrrecht „deutlich länger als einen Monat“ nicht ausgeübt hat (BVerwG, Urt. v. 16.05.1991, 4 C 4.89, NVwZ 1991, 1182 [bei Juris Tn. 22]).
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Im vorliegenden Fall spricht Überwiegendes gegen eine Verwirkung der Abwehrrechte der Antragsteller. Voraussetzung für eine solche Verwirkung ist stets, dass die Betroffenen - zumutbar - erkennen können, dass und in welcher Hinsicht ein nachbarliches Bauvorhaben ihre Rechte beeinträchtigen kann. Das war - hinsichtlich der geltend gemachten „falschen Positionierung“ des Bauwerks und der Abweichung von Baugrenzen und Baulinien weder bei Beginn der Erdarbeiten (Ende Juli 2013) noch im Zusammenhang mit der Übergabe von Unterlagen zum „technischen“ Anschluss von Bauteilen der Fall. Die Antragsteller konnten - allein - daraus noch keinen Rückschluss auf die (genaue) Position des genehmigten Baukörpers auf oder hinter den Baulinien/- grenzen ableiten.
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Eine Verwirkung wäre bei dieser Sachlage allenfalls daraus abzuleiten, dass die Antragsteller den Baubeginn bzw. die Aushändigung technischer Unterlagen nicht sogleich zum Anlass genommen haben, sich über den (genauen) Inhalt der den Beigeladenen erteilten Baugenehmigung zu informieren. Eine solche „Erkundigungslast“ des Nachbarn kann etwa dann bestehen, wenn sich eine Beeinträchtigung seines Grundstücks und ein möglicher Eingriff in seine Rechtspositionen anhand des sichtbaren Baugeschehens aufdrängt oder diese zumindest wahrscheinlich ist. Eine Obliegenheit des Nachbarn zur Geltendmachung von Abwehrrechten besteht auch nach vollständiger Kenntnis aller maßgeblichen Umstände erst nach Ablauf einer Überlegungs- und Handlungsfrist, die in jedem Fall ausgeschöpft werden darf (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 14.05.2012, 10 S 2693/09, BauR 2012, 1637 [bei Juris Rn. 40]; BVerwG, Urt. v. 16.05.1991, a.a.O., Rn. 22). Im vorliegenden Fall hatten die Antragsteller allein wegen der begonnenen Erdarbeiten der Beigeladenen noch keinen Anlass zu einer genaueren Erkundigung über die (genehmigte) Lage des künftigen Bauwerks. Sie sind erst im Anschluss an die ihr Bauvorhaben veranlasste Vermessung aktiv geworden, indem sie die Beigeladene und die Antragstellerin darauf angesprochen haben. Der Umstand, dass sie erst nach Erfolglosigkeit dieser Bemühungen förmlich Widerspruch eingelegt haben, vermag eine Verwirkung ihres Abwehrrechtes nicht zu begründen, denn sie haben bereits zuvor klar zu erkennen gegeben, dass sie mit der „falschen Positionierung“ des Bauwerks der Beigeladenen nicht einverstanden sind.
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3. Der Widerspruch der Antragsteller gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 12. Juli 2007 könnte nur Erfolg haben, wenn nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts verletzt worden wären. Das ist nicht der Fall.
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3.1 Dem Vorbringen der Antragsteller ist schon nicht mit der gebotenen Klarheit zu entnehmen, worin eine von der Baugenehmigung ausgehende Nachbarrechtsverletzung liegen soll. Sie führen zwar aus, dass der „in der Errichtung befindliche“ Baukörper der Beigeladenen den Grenzabstand nicht einhalte, gegen § 23 BauNVO verstoße und unter Missachtung des Baufensters auf dem Baugrundstück „falsch positioniert“ sei. Diese Beanstandungen nehmen aber keinerlei Bezug auf den Inhalt der (im Widerspruchsverfahren angefochtenen) Baugenehmigung, wie er dem Genehmigungsbescheid und den diesem beigefügten genehmigten („grün gestempelten“) Bauvorlagen zu entnehmen ist.
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Die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung kann nicht mit Erfolg angegriffen werden, indem auf eine - möglicherweise - von der Genehmigung abweichende tatsächliche Bauausführung hingewiesen wird. Maßgeblich ist vielmehr - allein - der Genehmigungsinhalt, m. a. W. die Frage, ob das Bauvorhaben in seiner genehmigten Gestalt und Nutzung nachbarschützende Vorschriften beachtet. Ein Widerspruch gegen die Baugenehmigung - und damit auch ein Antrag auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung - kann nicht darauf gestützt werden, dass die Bauausführung von der Genehmigung abweicht. Eine genehmigungsabweichende Bauausführung wäre durch die erteilte Baugenehmigung, um deren sofortige Vollziehbarkeit es geht, nicht gedeckt (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 12.01.2005, a.a.O., Rn. 4).
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3.2 Der Baugenehmigung vom 12. Juli 2013 sind - unabhängig davon – keine Ansatzpunkte zu entnehmen, die eine - daran anknüpfende - Verletzung der Nachbarrechte der Antragsteller zu begründen vermögen.
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3.2.1 Soweit das Bauvorhaben der Beigeladenen von den Festsetzungen des Bebauungsplans abweicht (Turm an der Ecke zur …, vertikale Zäsuren, Balkone, Arkaden, rückwärtige Treppenhäuser), betrifft dies Bauteile, die keine Relevanz für die Nachbarrechte der Antragsteller haben. Die Abweichungen sind i. Ü. durch den Vorbescheid der Antragsgegnerin vom 18.12.2012 (als „Befreiungen/Abweichungen“) genehmigt worden.
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3.2.2 Hinsichtlich des im sog. „Staffelgeschoss“ vorgesehenen (sog.) offenen „Laubenganges“ fällt auf, dass dieser vor der rückwärtigen Baugrenze genehmigt worden ist. Ob darin eine materiell-rechtswidrige Überschreitung der rückwärtigen Baugrenze liegt, kann offen bleiben, wenn die hintere Baugrenze nicht aus Gründen des Nachbarschutzes, sondern aus allgemein-städtebaulichen Gründen festgesetzt worden ist.
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Im Regelfall begründet die Festsetzung einer hinteren Baugrenze im Bebauungsplan keine Schutzrechte der Nachbarn, wenn aus der Planbegründung kein gegenteiliger Wille deutlich wird (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 2008, § 23 Rn. 6; Blechschmidt in: Ernst/Zinkahn u. a., BauGB (Stand 2013), § 23 BauNVO Rn. 56 m. w. N.). Vorliegend führt die Begründung des Bebauungsplans Nr. 76 für die Festsetzung des „zurückversetzten“ Staffelgeschosses städtebauliche Ziele an (Ziff. 4.2). Nachbarliche Belange werden nicht angesprochen. Eine Überschreitung der rückwärtigen Baugrenze im Bereich des Staffelgeschosses kann damit keine nachbarlichen Rechte der Antragsteller verletzen. Eine andere Beurteilung käme nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der planerischen Festsetzung der Baugrenze eine besondere „Befriedungsfunktion“ - etwa in Bezug auf die Lichtzufuhr oder die Belüftung - zuzuerkennen wäre (vgl. Blechschmidt, a.a.O., Rn. 59). Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich.
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3.2.3 Die Baugenehmigung gibt das Vorhaben der Beigeladenen im Übrigen - plankonform - frei. Die (bereits) auf der Ebene des Bebauungsplans Nr. 76 der Antragsgegnerin gem. § 1 Abs. 7 BauGB erfolgte Abwägung ist damit in die Baugenehmigung überführt worden; für eine weitere, die nachbarlichen Belange der Antragsteller betreffende (Konflikt-)Prüfung bleibt insoweit kein Raum mehr (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.12.1984, 4 B 278.84, NVwZ 1985, 652 [Rn. 2]; Beschl. v. 11.07.1983, 4 B 123.83, Juris Rn. 15).
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Die im Bebauungsplan festgesetzten Baulinien und Baugrenzen sind korrekt in die genehmigten Bauvorlagen übernommen worden. Sowohl die Antragsgegnerin als auch die Beigeladene haben dies bestätigt (Schriftsätze vom 04.04.2014 und vom 07.04.2014 mit Anlage Bgl. 2); für den Senat ergeben sich keine Zweifel daran, dass dies richtig ist. Die Baugenehmigung und die (insbesondere) in Anlage Nr. 11 - „Lageplan mit B-Plan Festsetzungen 1 : 500“ - dargestellten Baulinien und -grenzen sind im Zweifel so auszulegen, dass sie mit den im Bebauungsplan festgesetzten Baulinien- und -grenzen übereinstimmen.
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Eine „Ungenauigkeit“ bezüglich der Baugrenze zwischen dem dritten und dem vierten Obergeschoss resultiert - so die Antragsgegnerin - aus der „Strichstärke“ in der Planzeichnung des Bebauungsplans; bei einem Plan-Maßstab von 1:500 und einer Strichstärke von 1 mm ergibt sich daraus ein Unterschied von max. 50 cm. Die genehmigten Bauvorlagen - insbesondere der „Lageplan“ in Anlage Nr. 11 zur Baugenehmigung - weisen den gleichen Maßstab und eine geringfügig schmalere Strichstärke bzgl. der Baugrenzen zwischen dem dritten und dem vierten Obergeschoss auf. Ansatzpunkte dafür, dass insoweit eine Nachbarrechtsverletzung der Antragsteller begründet wird, bestehen nicht.
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Soweit die Antragsteller aus dem Planaufstellungsverfahren entnimmt, dass die „maßgeblichen Bezugspunkte der überbaubaren Grundstücksfläche an der westlichen Plangrenze ... die Ecken der Bestandsgebäude auf dem Grundstück …“ (genauer: am sog. „Trafogebäude“) lägen und daraus abzuleiten versucht, dass das Baufenster „bei der Baugenehmigung nicht eingehalten“ werde (Schriftsatz vom 11.04.2014, S. 9 [mit Anlagen Ast 11-14]), ist dies anhand der genehmigten Bauvorlagen - Anlage Nr. 11 zur Baugenehmigung - nicht zu verifizieren. Das sog. „Trafohäuschen“ ist in der genannten Bauvorlage nicht dargestellt. Die Lage der vorderen (seeseitigen) Baugrenzen und -linien treffen in der Bauvorlage in etwa an derselben Stelle auf das (Bestands-)Gebäude …, wie es in der Planzeichnung des Bebauungsplans festgesetzt worden ist.
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4. Soweit die von den Antragstellern erhobenen Rügen auf eine von der Baugenehmigung vom 12. Juli 2013 abweichende tatsächliche Bauausführung hinweisen, wäre dies ggf. außerhalb des vorliegenden Verfahrens von der Antragsgegnerin im Wege der Bauüberwachung - unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots - zu korrigieren (s. o. 3.1).
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Die von den Antragstellern am bereits errichteten Mauerwerk gemessenen „Versprünge“ von 64 cm seeseitig und von 74 cm landseitig (Schriftsatz vom 16.04.2014 mit Fotos) sind nach Darstellung der Antragsgegnerin durch den Bau der Antragsteller entstanden. Ob dies zutrifft, oder ob die - im einzelnen von der Antragsgegnerin ggf. noch zu überprüfenden - „Versprünge“ durch bauliche Abweichungen von den im Bebauungsplan festgesetzten und - damit konform - in der Baugenehmigung genehmigten Baulinien und - grenzen auf Seiten der Beigeladenen entstanden sind, ist für die vorliegend zu treffende Entscheidung unerheblich. Hinzuweisen ist darauf, dass die Antragsteller - zusammen mit ihrem Widerspruch gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 12. Juli 2013 - bei der Antragsgegnerin hilfsweise auch den Erlass „geeignete[r] Anordnungen ... zur Herstellung und Sicherung baurechtmäßiger Zustände“ sowie deren Überwachung und evtl. zwangsweise Durchsetzung beantragt haben (Widerspruchsschreiben vom 19.12.2013, S. 5). Über diesen Antrag hat die Antragsgegnerin bislang nicht entschieden. Im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens kann dieser Entscheidung nicht vorgegriffen werden.
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Entsprechendes gilt auch für die Frage einer Überschreitung der Baugrenze im Bereich des sog. „Laubengangs“, die die Antragsteller mit 1,79 m angeben.
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5. Ob die Antragsteller der aufgezeigten Problematik eines baulichen „Versatzes“ durch eine geringfügige „Verschiebung“ ihres Baus nach Nord-Osten abhelfen könnten und ob die Antragsgegnerin dies genehmigen könnte, bedarf vorliegend ebenfalls keiner Entscheidung. Lediglich angemerkt sei, dass eine infolge der „Verschiebung“ - nach Lage der Dinge - der Blick auf die freie Ostsee nur sehr geringfügig eingeengt werden würde, was von den Eigentümern des Grundstücks … hinzunehmen wäre. Der „freie“ Meeresblick war auch bisher rechtlich nicht besonders geschützt, insbesondere durch Bebauung behindert (vgl. Urt. des Senats v. 22.11.2007, 1 KN 11/06, NordÖR 2008, 344 [bei Juris Rn. 41]).
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6. Die Beschwerde ist nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
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Es entspricht billigem Ermessen, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären; denn diese hat einen Antrag gestellt und sich damit am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt (vgl. §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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