Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 MB 42/14
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 6. Kammer - vom 23.09.2014 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf
7.500,00 Euro
festgesetzt.
Gründe
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Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 23.09.2014 ist unbegründet. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO), stellen das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses nicht in Frage. Der Antragsteller kann die begehrte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Genehmigungsbescheide vom 30.05.2014 nicht beanspruchen.
- 2
Der Antragsteller wiederholt und vertieft im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen, mit dem sich das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss ausführlich und überzeugend auseinandergesetzt hat.
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Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung über den Antrag des Antragstellers gem. §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO einen rechtlich zutreffenden Maßstab zugrundegelegt und auf die Frage abgestellt, ob der angefochtene Genehmigungsbescheid - voraussichtlich - als rechtmäßig zu beurteilen sein wird (S. 2 des Beschl.-Abdr.); das entspricht gefestigter Rechtsprechung (vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO (Komm.), Stand 2013, § 80 Rn. 372 sowie § 80a Rn. 60 - m. w. N. bei Fn. 234). Die im angefochtenen Beschluss begründete Prognose, dass die Klage der Antragsteller keinen Erfolg verspricht, hält den Angriffen der Beschwerde stand.
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Der Senat folgt der erstinstanzlichen Entscheidung und nimmt zur Begründung Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts.
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Entgegen der Auffassung des Antragstellers liegen hier die Voraussetzungen für die Durchführung eines vereinfachten Genehmigungsverfahrens iSd § 19 BImSchG vor.
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Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch festgestellt, dass von den genehmigten Windkraftanlagen keine konkreten Wirkungen ausgehen, die der Antragsteller rechtlich nicht hinzunehmen braucht. Das kann der Fall sein in Bezug auf Abstandsflächen bzw. Schutzabstände, die für Immissionen oder eine evtl. „optisch erdrückende Wirkung“ der Windenergieanlage maßgeblich sind.
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Angesichts der Tatsache, dass die vorliegend genehmigten Windenenergieanlage mehr als 400 Meter vom Wohnhaus des Antragstellers errichtet werden sollen, sind derartige - nachbarrechtsrelevante - Wirkungen auszuschließen.
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Das Verwaltungsgericht hat zur Abstandsbestimmung - zutreffend - (allein) auf das Hauptgebäude des Antragstellers abgestellt und nicht auch den sog. „Geräte- und Pausenraum“ in der Nordwestecke des Grundstücks des Antragstellers mit einbezogen. Das Gebot der Wahrung ausreichender Abstände gilt - gleichermaßen, ob die Abstandswahrung aus immissionsschutzrechtlichen oder baurechtlichen Gründen gefordert wird - nicht um seiner selbst willen, sondern dient - insbesondere - dem Schutz von Wohngebäuden, wo sich Menschen regelmäßig dauernd aufhalten und sich auch zurückziehen (dürfen). Gebäude, die nicht dem dauernden Aufenthalt dienen (z. Betriebsgebäude, Garagen, Hallen etc.), sind nicht schutzbedürftig. Die Erwartung des Antragstellers, dass auch die nicht wohngenutzte Bebauung seines Grundstücks bei der Abstandsbestimmung zu berücksichtigen sei, ist deshalb rechtlich nicht geschützt und - zudem - überzogen. Es mag sein, dass der „Geräte- und Pausenraum“ täglich genutzt wird, doch kann er keinen einer Wohnbebauung vergleichbaren Schutz beanspruchen.
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Maßgeblich für die Rechtmäßigkeit der Genehmigung im Verhältnis zu den Rechten des Antragstellers kann nur – das ist bereits vom Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt worden - eine bestehende und insbesondere legale Nutzung sein, nicht dagegen eine tatsächliche von der erteilten Baugenehmigung abweichende Nutzung. Dem Verwaltungsgericht ist beizupflichten, das der sog. „Geräte- und Pausenraum“ – mag er auch tatsächlich als Schulungs- und Seminarraum genutzt werden – ausweislich des Erläuterungsberichtes zum Bauantrag des Antragstellers nicht dem regelmäßigen dauernden Aufenthalt von Menschen dienen sollte. Im Erläuterungsbericht zum Bauantrag für dieses Gebäude im Juni 1997 heißt es u.a.:
- 10
"Der o.g. Bauherr beabsichtigt auf seinem Grundstück, hinter dem vorhandenen Hundeübungsplatz einen Geräte- und Pausenraum einzurichten. ……Außerdem soll der bezeichnete Pausenraum als Besprechungsraum für die praktische Arbeit genutzt werden" (Bl. 28 der Beiakte A – Hervorhebung vom Senat).
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Schon nach herkömmlichen Sprachverständnis war die im Bauantrag erläuterte Nutzung des Gebäudes als Besprechungsraum offenkundig nur als eine Nebennutzung des Geräte- und Pausenraums zu verstehen. Auf dieser Grundlage und allein zu den im Erläuterungsbericht dargelegten Nutzungen ist dem Antragsteller 1997 eine Baugenehmigung für dieses Gebäude erteilt worden; damit nicht in Einklang zu bringen ist die vom Antragsteller nunmehr vorgetragene tatsächliche (ganztägige ?) Nutzung des Gebäudes als Schulungsraum für theoretischen Unterricht und jährlich 30 Seminarveranstaltungen mit einer Dauer von 6 - 10 Tagen (S. 4 der Antragsschrift – Bl. 4 der GA des Verwaltungsgerichts). Die dem Antragsteller erteilte Baugenehmigung für den Geräte- und Pausenraum berechtigt erkennbar nicht zu dieser qualitativ erheblich abweichenden Nutzung des Gebäudes und begründet dementsprechend auch keinen einer Wohnnutzung vergleichbaren Schutzanspruch des Antragstellers.
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Maßgeblich ist daher allein der Abstand zur schutzwürdigen Wohnbebauung des Beschwerdeführers; eine Einbeziehung des nach Genehmigungslage nicht wohngenutzten „Geräte- und Pausenraumes“ in die Abstandsbestimmung scheidet aus, mit der Folge, dass es entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht auf die Himmelsausrichtung der Fenster und Türen dieses Gebäudes ankommt.
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Soweit der Antragsteller rügt, das Verwaltungsgericht sei „unzureichend“ auf den sog. „Winderlass“ - gemeint ist der Gemeinsame Runderlass des Ministeriums für Energiewende pp., der Staatskanzlei, des Innenministeriums und des Ministeriums für Wirtschaft pp. des Landes Schleswig-Holstein vom 26.11.2012 (Amtsbl. SH S. 1352) - eingegangen, verkennt er, dass diesem Erlass schon im Ansatz keine nachbarschützende Bedeutung zukommt. Zwar enthält dieser Erlass Aussagen zu den Abständen zwischen Windkraftanlagen und bebauten Bereichen (Ziff. 2.2, 3.1), dies erfolgt aber ausdrücklich unter „planerischen Vorsorgeaspekten“ (Ziff. 3.1). Der Erlass ist damit nicht dritt- bzw. nachbarschützend, sondern an Planungsträger gerichtet und enthält im Übrigen nur „Entscheidungshilfen“ für die planungsrechtliche Prüfung von Vorhaben durch die Genehmigungsbehörden (vgl. Beschl. des Senats v. 21.08.2014 - 1 MR 7/14).
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Die Einhaltung der Schutzpflichten, die die Beigeladene nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zu beachten hat, wird durch den Abstand von mehr als 400 m zur schutzwürdigen Bebauung gewährleistet. Lärm- und Schattenwurfwirkungen der Anlage, die der Antragsteller geltend macht, vermögen angesichts der rechtlich zutreffenden Erwägungen des erstinstanzlichen Beschlusses (S. 3-4) nicht zu überzeugen.
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Der Abstand zwischen der schutzwürdigen Bebauung und der Windenergieanlage kann - wie das Verwaltungsgericht im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu Recht entschieden hat - auch nicht als rücksichtslos i. S. d. § 35 Abs. 3 S. 1 BauGB bezeichnet werden. Insbesondere kann von einer „optisch bedrängenden Wirkung“ der Anlage keine Rede sein.
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Eine solche „bedrängende“ Wirkung kann bei einem zu geringen Abstand zur Windkraftanlage vorliegen. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des OVG Münster (Beschl. v. 09.08.2006, 8 A 3726/05, BauR 2007, 74, sowie Beschl. v. 24.06.2010, 8 A 2764/09, BauR 2011, 252), wonach der Abstand als „Orientierungswert“ heranzuziehen ist und - unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände - eine „bedrängende“ Wirkung vorliegen kann, wenn der Abstand weniger als das Zweifache der Gesamthöhe der Anlage beträgt. Beträgt der Abstand mindestens das Dreifache der Anlagenhöhe, wird in der Regel eine solche Wirkung nicht mehr anzunehmen sein. Die Gesamthöhe setzt sich aus der Nabenhöhe und dem Rotorradius zusammen (vgl. nur zuletzt Beschluss des Senates vom 22.09.2014 - 1 MB 32/14 -; dazu auch OVG Münster, Beschl. vom 24.06.2010, a.a.O.; ebenso VGH München, Urteil vom 28.7.2009, 22 BV 08.3427, NVwZ-RR 2009, 992).
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Im vorliegenden Fall ergibt sich bei einer Nabenhöhe von 93 m und einem Rotorradius von 57 m eine Gesamthöhe von 150 m; das Dreifache davon (450m) wird durch den Abstand von über 500 m der nächstgelegenen Windkraftanlage 10 zur nächstgelegenen Bebauung, die dem dauernden Aufenthalt von Menschen dient (Hotelgebäude), überschritten. Das ändert sich auch nicht, soweit der Antragsteller unter Hinweis auf einen Beschluss des OVG Lüneburg vom 10.02.2014 – 12 ME 227/13 – meint, dem „Dreifachen“ der Gesamthöhe sei - nochmals - der Rotorradius hinzu zu addieren. Dieser Sichtweise folgt der Senat ausdrücklich nicht (vgl. bereits Beschluss des Senates vom 22.09.2014 - 1 MB 32/14 -); es sind schließlich auch keine besonderen Einzelfallumstände erkennbar, die eine andere Abstandsbemessung erfordern könnten.
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Die Beschwerde der Antragsteller ist nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
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Der Senat hält es für billig, dass die Antragsteller der Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten erstatten (§ 162 Abs. 3 VwGO). Dies folgt daraus, dass die Beigeladene einen Sachantrag gestellt und sich damit am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
- 20
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.
- 21
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG).
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Referenzen
- 12 ME 227/13 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80a 1x
- §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- BImSchG § 19 Vereinfachtes Verfahren 1x
- §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 1x
- 8 A 2764/09 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 152 1x
- BImSchG § 5 Pflichten der Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen 1x
- 8 A 3726/05 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 146 1x
- 1 MB 32/14 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 162 1x
- VwGO § 154 2x
- 1 MR 7/14 1x (nicht zugeordnet)
- § 35 Abs. 3 S. 1 BauGB 1x (nicht zugeordnet)