Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 MB 5/20

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 11. Kammer - vom 24. Januar 2020 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf
5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller ist albanischer Staatsangehöriger. Am 25. Oktober 2018 schloss er in Dänemark die Ehe mit einer in A-Stadt lebenden deutschen Staatsangehörigen; die Ehe wurde im Februar 2019 beim Standesamt registriert. Die bei der deutschen Botschaft in Tirana am 23. Mai 2019 beantragte Erteilung eines nationalen Visums wurde am 4. September 2019 abgelehnt. Nach einem Aufenthalt im Bundesgebiet vom 17. September bis zum 5. Oktober 2019 reiste der Antragsteller am 13. Oktober 2019 erneut in das Bundesgebiet ein. Mit anwaltlichem Schreiben vom 17. Oktober 2019 remonstrierte er gegen die Entscheidung der Botschaft. Mit weiterem anwaltlichen Schreiben vom 4. November 2019 beantragte er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft, hilfsweise aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG. Gegen die Ablehnung dieses Antrages durch Bescheid vom 12. Dezember 2019 erhob er Widerspruch und beantragte die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches durch Beschluss vom 24. Januar 2020 als statthaft, aber unbegründet abgelehnt. Der Ablehnungsbescheid sei offensichtlich rechtmäßig. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner rechtzeitig eingelegten Beschwerde.Ausweislich eines im Beschwerdeverfahren vorgelegten Bestätigungsschreibens der Förde-vhs in A-Stadt hat der Antragsteller dort am 11. Februar 2020 einen Einstufungstest abgelegt und das Niveau A1 innerhalb des europäischen Referenzrahmens erreicht.

II.

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1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt, weil die Beschwerde gegen die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO bietet.

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2. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist unbegründet. Die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses steht im Ergebnis nicht in Frage.

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a. Das Begehren nach vorläufigem Rechtsschutz ist schon unzulässig, da der ausdrücklich nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellte Antrag nicht statthaft ist.

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An der Prüfung dieses Erfordernisses ist der Senat nicht durch die Vorschrift des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO gehindert, nach der das Oberverwaltungsgericht im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nur die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe prüft. Mit den dargelegten Gründen, insbesondere mit der Vorlage des Bestätigungsschreibens über die erfolgreiche Ablegung eines Einstufungstestes stellt die Beschwerde die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung insoweit ernsthaft in Frage, als die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 2 Abs. 9 AufenthG – Verständigung in deutscher Sprache zumindest auf einfache Art – verneint worden sind. In einem solchen Fall nimmt der Senat eine eigene Sachprüfung anhand der für die Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geltenden allgemeinen Maßstäbe vor. Denn wenn die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts mit der von ihm zu Grunde gelegten und vom Beschwerdeführer angegriffenen Begründung nicht bestätigt werden kann, kann es damit nicht sein Bewenden haben. Anderenfalls wäre der Beschwerde ohne weiteres stattzugeben, ohne dass dem Beschwerdegericht eine abschließende Prüfung anhand der Gesichtspunkte des Art. 19 Abs. 4 GG, der Offizialmaxime sowie der Ergebnisrichtigkeit möglich wäre. Das Antragsbegehren ist deshalb auch unter Aspekten zu prüfen, die vom Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt worden sind (vgl. nur VGH Mannheim, Beschl. v. 02.01.2018 - 10 S 2000/17 -, juris Rn. 2 m.w.N.; OVG Hamburg, Beschl. v. 07.11.2013 - 4 Bs 186/13 - juris Rn. 13; OVG Münster, Beschl. v. 08.05.2002 - 1 B 241/02 - NVwZ 2002, 1390, juris Rn. 4 und v. 18.03.2002 - 7 B 315/02 - NVwZ 2002, 1390, juris Rn. 5; vgl. auch Rudisile in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 146 Rn. 15a).

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Die Ablehnung der beantragten Aufenthaltserlaubnis löste für den Antragsteller keine belastende Wirkung aus, die durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung hätte suspendiert werden können. Eine Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bestand nicht, da sich der Antragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt. Vielmehr war er zuletzt unerlaubt eingereist i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, da er nicht im Besitz des nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitels war. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist.

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Der Antragsteller reiste im Oktober 2019 ohne einen Titel i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, insbesondere ohne das erforderliche Visum ein. Die von ihm in Anspruch genommene Befreiung von der Visumpflicht gemäß Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Anhang II EU-Visa-VO 2018 für die sogenannten Positivstaater gilt zwar für Aufenthalte, die 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreiten. Allerdings muss der Aufenthalt auch als ein solcher Kurzaufenthalt geplant gewesen sein. Denn unter dem Aspekt der Aufenthaltsdauer kann die Frage nach einer Befreiung von der Visumpflicht nicht losgelöst von den Absichten und Vorstellungen der betreffenden Person bei der Einreise beantwortet werden. Bereits für die Vorgängerregelung des Art. 1 Abs. 2 EG-Visa-VO 2001 war anerkannt, dass sich dieses Erfordernis auch aus dem Kontext der Regelung, insbesondere aus der maßgeblichen Regelungskompetenz des Rates und nach der Legaldefinition des Visums in Art. 2 der EG-Visa-VO 2001 ergab (vgl. nur VGH Kassel, Beschl. v. 20.10.2016 - 7 B 21/16 - juris Rn. 27 und OVG Hamburg, Beschl. v. 23.09.2013 - 3 Bs 131/13 - juris Rn. 7, beide m.w.N.; Funke-Kaiser in GK AufenthG, Stand Sept. 2019, § 14 Rn. 23 m.w.N.). Gleiches gilt für Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Anhang II EU-Visa-VO 2018. Nach der aktuellen Legaldefinition gemäß Art. 2 der EU-Visa-VO 2018 i.V.m. Art. 2 Nr. 2a) VO (EG) 810/2009 – Visakodex – bezeichnet der Begriff „Visum“ die von einem Mitgliedstaat erteilte Genehmigung im Hinblick auf … einen geplanten Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von höchstens 90 Tagen … .

8

Die zeitlichen Abläufe und die – nach eigenen Angaben – bestehenden Schwierigkeiten, in Albanien den geforderten Sprachnachweis zu erhalten, sprechen nach Auffassung des Senats mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragsteller bei seiner Einreise im Oktober 2019 nicht mehr nur einen Kurzaufenthalt plante, sondern einen dauerhaften Aufenthalt bei seiner Ehefrau. Für einen solchen Aufenthalt ist aber gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ein Visum für das Bundesgebiet erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. Die Erteilung eines solchen Visums war hingegen gerade erst abgelehnt worden.

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b. Der Antrag bliebe im Übrigen auch dann ohne Erfolg, wenn man ihn als einen solchen gemäß § 123 Abs. 1 VwGO verstehen würde.

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aa. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kommt grundsätzlich dann nicht in Betracht, wenn der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels weder eine fiktive Erlaubnis oder Duldung nach § 81 Abs. 3 AufenthG noch die Anordnung einer Fortgeltung nach § 81 Abs. 4 AufenthG zur Folge hat und ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Ablehnung des Aufenthaltstitels deshalb – wie hier – unzulässig ist. In diesen Fällen soll nach der gesetzlichen Wertung der §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 und 2, 81 Abs. 3 und 4 AufenthG grundsätzlich kein verfahrensabhängiges Bleiberecht eintreten. Der Betreffende hat das Verfahren auf Erteilung des Aufenthaltstitels vielmehr von seinem Heimatland aus zu betreiben (vgl. Senatsbeschl. v. 01.06.2017 - 4 MB 22/17 - m.w.N.; Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, AufenthG § 81 Rn. 46).

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bb. Sicherungsfähig wäre danach allenfalls der hilfsweise geltend gemachte Anspruch nach § 25 Abs. 5 AufenthG, da dieser einen Aufenthalt im Bundesgebiet bedingt. Insoweit ist zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) von dem unter aa. genannten Grundsatz eine Ausnahme zu machen, wenn nur so sichergestellt werden kann, dass eine ausländerrechtliche Regelung, die einen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzt, einem möglicherweise Begünstigten zugutekommt (OVG Münster, Beschl. v. 04.05.2017 - 18 B 504/17 -, juris Rn. 2 und Beschl. v. 11.01.2016 - 17 B 890/15 -, juris Rn. 9 ff.).

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Insoweit ist jedoch mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass weder tatsächliche noch rechtliche Gründe glaubhaft gemacht sind, die einer Ausreise entgegenstehen. Der Annahme, dass es dem Antragsteller trotz der ehebezogenen Wirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG zumutbar sei, seine familiären Bindungen zur Nachholung des erforderlichen Visumverfahrens zu unterbrechen, greift der Antragsteller mit seiner Beschwerde nicht an. Aus der Tatsache, dass die Ehefrau nach einer Operation am Fuß in der Zeit bis zum 14. Februar 2020 krankgeschrieben war, ergibt sich nicht, dass sie zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung auf den persönlichen Beistand des Antragstellers angewiesen sein könnte. Im Übrigen dürfte sich die zu erwartende Dauer der Trennung der Eheleute aufgrund der nunmehr vorliegenden Bestätigung über das erreichte Sprachniveau erheblich verkürzen.

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cc. Aus den vorgenannten Gründen kommt auch eine Duldung des Antragstellers gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG nicht in Betracht.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

15

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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