Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (5. Senat) - 5 LA 43/21

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 2. Kammer, Einzelrichter - vom 10. Februar 2021 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO liegen nicht vor; jedenfalls hat der Kläger die Voraussetzungen hierfür nicht ausreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).

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1. Eine Gehörsverletzung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidungsfindung in Erwägung zu ziehen (BVerwG, Beschluss vom 15. September 2011 – 5 B 23.11 –, juris Rn. 3).

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Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht habe offenbar nicht mehr gewusst und zuordnen können, aus welchem Grund es dem Kläger in der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit zur Vorlage eines Urteils gegen seinen Cousin gegeben habe. Hätte es das von dem Kläger nach der mündlichen Verhandlung vorgelegte Urteil übersetzen lassen, wäre es zu der sicheren Überzeugung gelangt, dass dem Kläger aufgrund seiner nahen Verwandtschaft, der Namensgleichheit und der eigenen exponierten politischen Tätigkeit politische Verfolgung droht. Auch die Gefahr der Sippenhaft sei nicht geprüft worden, obwohl zu dieser Prüfung von Amts wegen Veranlassung bestanden habe.

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Das Verwaltungsgericht hat auch die von dem Kläger nach der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen bei seiner Entscheidung berücksichtigt und hierzu sowie zu dem Gesichtspunkt der Verfolgung des Klägers aufgrund der Verurteilung seines Cousins ausgeführt (Urteil, Seite 8, Mitte):

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„Auch die vom Kläger inzwischen – wenn auch nur in türkischer Sprache – vorgelegten Dokumente, bei denen es sich um ein Urteil des Kassationsgerichts handeln soll, in dem die Verurteilung seines Cousins Mehmet A. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung kürzlich bestätigt worden sein soll, rechtfertigen keine andere Beurteilung. Es konnte vom Kläger nicht ausreichend dargelegt werden, warum eine solche Verurteilung eines Verwandten eine drohende Verfolgung seiner Person als beachtlich wahrscheinlich erscheinen lassen sollte. Dies wäre allenfalls davon von Bedeutung, wenn nach ihm selbst tatsächlich wegen der angeblich bei gefallenen PKK-Kämpfern gefundenen Kontaktdaten gesucht würde, wovon das Gericht aus den vorgenannten Gründen wegen durchgreifender Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens jedoch gerade nicht ausgeht.“

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Der Kläger hält diese Einschätzung für falsch, ohne dass insoweit eine Gehörsverletzung dargelegt wäre. Unberücksichtigt gebliebenes Vorbringen und insbesondere welche Tatsachen in den nachgereichten Unterlagen zu Gunsten des Klägers relevant sein sollen, zeigt der Kläger nicht auf. Er wendet sich stattdessen inhaltlich gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, indem er seine eigenen Schlussfolgerungen für zutreffend erachtet.

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Auch der als Rüge eines angeblichen Aufklärungsmangels anzusehende Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe den Amtsermittlungsgrundsatz verletzt (§ 86 Abs. 1 VwGO), weil es keine Übersetzung des nachträglich übersandten Dokuments veranlasst habe, verhilft dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg. Ein Aufklärungsmangel ist im Berufungszulassungsverfahren nach dem Asylgesetz nicht rügefähig (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO). Darüber hinaus ergibt sich weder aus dem vorliegenden Urteil noch aus dem Protokoll zur mündlichen Verhandlung noch aus dem Zulassungsantrag, dass der Kläger auf einen unberücksichtigt gebliebenen Inhalt der nachgereichten Dokumente hingewiesen hat, der einer weiteren Aufklärung bedurft hätte.

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Die Gehörsrüge kann schließlich auch nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, das Verwaltungsgericht habe veraltete und überholte Erkenntnisse dazu zugrunde gelegt, dass Folter und Misshandlungen in türkischen Gefängnissen erheblich zugenommen hätten und generell aus den kurdischen Gebieten besonders viele Folterfälle gemeldet würden, vor allem an Kurden, denen Zugehörigkeit oder Unterstützung der PKK vorgeworfen wird. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht nicht auf solchen Feststellungen. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil (Seite 11, vorletzter Absatz) ausgeführt, dass keine Erkenntnisse zu Folter oder Misshandlung von Militärdienstpflichtigen vorliegen, die eine Strafe wegen Dienstentziehung oder Fahnenflucht verbüßen. Dass zu dem Umgang mit diesem Personenkreis neuere, abweichende Erkenntnisse vorliegen, zeigt der Kläger nicht auf und ist auch nicht ersichtlich.

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2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).

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Die Darlegung der Grundsatzbedeutung setzt voraus, dass eine bestimmte, obergerichtlich oder höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte und für die Berufungsentscheidung erhebliche Frage rechtlicher oder tatsächlicher Art herausgearbeitet und formuliert wird; außerdem muss angegeben werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Darzulegen sind die konkrete Frage, ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre Klärungsfähigkeit und ihre allgemeine Bedeutung (OVG Schleswig, Beschluss vom 13. April 2015 – 2 LA 39/15 –, juris Rn. 2).

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Diesen Anforderungen wird die Antragsbegründung nicht gerecht. Der Kläger behauptet lediglich, es bestehe Anlass zu der Prüfung,

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ob eine Gefahr der Sippenhaft und

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ob eine landesweite Gruppenverfolgung von politisch aktiven Kurden

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vorliege.

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Die erste Frage hat das Verwaltungsgericht individuell für den Kläger dahin beantwortet, dass bei ihm eine Verfolgung wegen der Verurteilung seines Cousins nicht als beachtlich wahrscheinlich anzusehen ist. Die zweite Frage ist dahin geklärt, dass eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung nur unter besonderen individuellen Voraussetzungen, nämlich für politisch aktive, sich erkennbar von der Masse gleichartiger Betätigungen abhebende Unterstützer der PKK und vergleichbarer Organisationen besteht (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 26. April 2017 – 4 LA 42/17 -). Zu diesem Personenkreis zählt der Kläger nach der Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht. Eine erneute Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen in der Türkei hat der Kläger nicht dargelegt. Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Tatsachenfrage setzt eine intensive, fallbezogene Auseinandersetzung mit den von dem Verwaltungsgericht herangezogenen und bewerteten Erkenntnismitteln voraus. Des Weiteren muss substantiiert dargelegt werden, welche neueren Erkenntnismittel eine anderslautende Entscheidung nahelegen könnten (OVG Schleswig, Beschluss vom 16. November 2016 – 2 LA 106/16 –, juris Rn. 7 m.w.N.). Beides leistet das Zulassungsvorbringen nicht.

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Im Übrigen entspricht es einhelliger aktueller Rechtsprechung, dass Kurden in der Türkei keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt sind (OVG Bautzen, Beschluss vom 7. Januar 2021 – 3 A 927/20.A –, juris Rn. 12 m.w.N.).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

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Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

19

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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