Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 MB 73/21
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 7. Kammer - vom 6. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
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Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehung des Widerrufs eines Befähigungsnachweises für Fahrer und Betreuer von Tiertransporten.
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Der Antragsteller betreibt ein Viehtransportunternehmen und nimmt auch selbst die Tiertransporte vor. Mit Verfügung vom 3. November 2021 widerrief der Antragsgegner einen dem Antragsteller im Jahre 2013 erteilten Befähigungsnachweis Nr. …und forderte ihn auf, diesen bis zum 19. November 2021 im Original zurückzugeben. Dieser Befähigungsnachweis wird Fahrern (und Betreuern) von Straßenfahrzeugen erteilt, auf denen Hausequiden, Hausrinder, Hausschafe, Hausziegen, Hausschweine oder Hausgeflügel befördert werden (Art. 17 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 des Rates über den Schutz von Tieren beim Transport und damit zusammenhängenden Vorgängen sowie zur Änderung der Richtlinien 64/432/EWG und 93/119/EG und der Verordnung (EG) Nr. 1255/97 vom 22.12.2004, ABl. EU 3 vom 05.01.2005, S. 1; im Folgenden: Verordnung (EG) Nr. 1/2005). Grund für den Widerruf sind vier festgestellte Verstöße gegen tierschutzrechtliche Vorschriften anlässlich des Transports von Rindern zu einem Schlachthof in B. am 27. November 2019, 25. Februar und 10. März 2020 sowie am 9. Juni 2021.
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Der Antragsteller erhob Widerspruch. Den außerdem gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. Dezember 2021 als unbegründet abgelehnt, da die behördlicherseits getroffene Anordnung der sofortigen Vollziehung die formellen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO erfülle (1), die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung wegen offensichtlicher Rechtmäßigkeit des angegriffenen Widerrufs zulasten des Antragstellers ausgehe (2) und ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Ordnungsverfügung gegeben sei (3).
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Die dagegen gerichtete Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), stellen das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses nicht in Frage.
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1. Der Antragsteller meint, dass das Verwaltungsgericht bereits ein Überwiegen des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung nicht hätte bejahen dürfen. Dem Antragsteller werde durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung mit sofortiger Wirkung jegliche Existenzgrundlage in wirtschaftlicher Hinsicht entzogen. Dies komme einem Berufsverbot gleich. In seinem Alter und bei seiner Ausbildung/Vorbildung gebe es in beruflicher Hinsicht keine Alternativen mehr. Diese wirtschaftliche Auswirkung würde vollständig verkannt.
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Auf die behaupteten Auswirkungen des Widerrufs kommt es an dieser Stelle nicht an. Die vom Antragsteller in Bezug genommenen Ausführungen des Verwaltungsgerichts beziehen sich lediglich auf die formellen Voraussetzungen, die § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO an die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO stellt (Beschlussausfertigung S. 5). Im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats hat sich das Verwaltungsgericht an dieser Stelle auf die Frage beschränkt, ob eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses gegeben ist. Die Begründung muss eine schlüssige konkrete Auseinandersetzung im Einzelfall enthalten. Formelhafte, allgemein gehaltene Wendungen reichen insoweit nicht. Dabei müssen zur Begründung des besonderen Vollziehungsinteresses regelmäßig auch andere Gründe angeführt werden, als sie zur Rechtfertigung des zu vollziehenden Verwaltungsaktes herangezogen wurden (dazu ausführlich Beschl. des Senats v. 23.01.2017 - 4 MB 2/17 -, juris Rn. 4). Auf die inhaltliche Richtigkeit der Sofortvollzugsbegründung kommt es an dieser Stelle nicht an. In Bezug auf das Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung führt das Gericht an anderer Stelle eine eigene Interessenabwägung durch. Aus einer als inhaltlich unzutreffend erachteten Begründung ergäbe sich im Übrigen auch nicht, dass sie nur formelhaft erfolgte und den Einzelfall nicht ausreichend würdigt (Beschl. des Senats v. 05.06.2019 - 4 MB 42/19 -, juris Rn. 6 m.w.N.).
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2. Das Vorbringen der Beschwerdebegründung zur angenommenen offensichtlichen Rechtmäßigkeit des Widerrufs des Befähigungsnachweises stellt die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses ebenfalls nicht in Frage.
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Der Widerruf hat seine Rechtsgrundlage in § 2a Abs. 2 TierSchG i.V.m. § 4 Abs. 3 der „Verordnung zum Schutz von Tieren beim Transport und zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1/2005“ (TierSchTrV). Nach § 4 Abs. 3 TierSchTrV ist ein Befähigungsnachweis nach Art. 17 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 zu widerrufen, wenn dessen Inhaber wiederholt oder grob gegen Vorschriften der VO (EG) Nummer 1/2005 verstoßen hat und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dies auch weiterhin geschieht. Abgestellt haben der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht auf wiederholte Verstöße gegen Art. 3 Satz 1 und Satz 2 lit. b) VO (EG) Nr. 1/2005.
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Nach Art. 3 Satz 1 VO (EG) Nr. 1/2005 darf niemand eine Tierbeförderung durchführen oder veranlassen, wenn den Tieren dabei Verletzungen oder unnötige Leiden zugefügt werden könnten. Art. 3 Satz 2 lit. b) VO (EG) Nr. 1/2005 gibt als weitergehende Bedingung für die Beförderung vor, dass die Tiere transportfähig sein müssen. Die Transportfähigkeit wiederum richtet sich nach § 6 Abs. 3 i.V.m. Anhang I Kapitel I Nr. 1 und 2 VO (EG) Nr. 1/2005. Danach dürfen Tiere nur transportiert werden, wenn sie im Hinblick auf die geplante Beförderung transportfähig sind und wenn gewährleistet ist, dass ihnen unnötige Verletzungen und Leiden erspart bleiben (Nr. 1). Verletzte Tiere und Tiere mit physiologischen Schwächen oder pathologischen Zuständen gelten als nicht transportfähig; es folgen Beispielsfälle (Nr. 2).
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a. Der Antragsteller bestreitet, derartige Verstöße begangen zu haben.
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i. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sei es keineswegs unstreitig, dass den an den genannten Tagen beförderten und im einzelnen bezeichneten Rindern beim Transport erhebliche Leiden zugefügt worden seien. Streitig geblieben sei vielmehr, ob
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o den bezeichneten Tieren Leiden während des Transportes zugefügt wurden,
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o diese Leiden dem Antragsteller erkennbar waren
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o und ob die entsprechenden Beeinträchtigungen und Verletzungen nicht erst während des Transportes entstanden sind.
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Diese Tatsachen waren für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts jedoch ohne Belang. Das Verwaltungsgericht hat das Bestreiten des Antragstellers gegenüber der vorrangigen Beurteilungskompetenz der auf dem Schlachthof tätigen Amtstierärzte als unsubstantiiert qualifiziert. Darüber hinaus hat es, auf Art. 3 Satz 2 lit. b) VO (EG) Nr. 1/2005 abstellend, anhand der amtstierärztlichen Dokumentation festgestellt, dass die Tiere nicht transportfähig gewesen seien. Das Allgemeinbefinden der Kühe sei in allen vier Fällen stark gestört gewesen. Dies habe sich beispielsweise gezeigt durch hochfrequente Atmung oder Atemstörung, tiefliegende Augen, einen schlechten Pflegezustand oder stinkenden Ausfluss aus der Vagina – physiologische Schwächen, die dem Antragsteller hätten auffallen müssen. Somit sei auch nicht gewährleistet gewesen, dass den Tieren unnötige Verletzungen und Leiden erspart blieben, zumal sich die Symptome während der Fahrt, die für die Tiere in jedem Fall mit Stress verbunden sei, noch verschlechtern konnten. Nicht angenommen und deshalb auch nicht als unstreitig behandelt hat das Verwaltungsgericht demgegenüber die Frage, ob den Tieren im Sinne des Art. 3 Satz 1 VO (EG) Nr. 1/2005 während des Transports Verletzungen oder unnötige Leiden zugefügt worden seien. Unerheblich war deshalb, ob etwaige Beeinträchtigungen und Verletzungen erst während des Transportes entstanden sein könnten.
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Unzutreffend bleibt damit auch die Rüge, dass sich das Verwaltungsgericht dazu ausgeschwiegen habe, wie der Antragsteller als Nicht-Tierarzt die später dokumentierten Leiden der transportierten Tiere (Fieber, hochfrequente Atmung, tiefliegende Augen, schlechter Pflegezustand) hätte erkennen können. Vielmehr wird insoweit auf die Sachkunde Bezug genommen, die der Antragsteller, der gemäß Art. 6 Abs. 5 i.V.m. Art. 17 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 1/2005 über einen Befähigungsnachweis verfüge und für das Wohl der Tiere während des Transport verantwortlich sei, innehabe. Dies ist im Übrigen rechtlich nicht zu beanstanden. Denn gerade das Erkennen-Können normabweichender Merkmale soll durch den nach einer entsprechenden Schulung ausgestellten Befähigungsnachweis sichergestellt werden. Insbesondere betreffen die Schulungslehrgänge die Physiologie von Tieren, die Fütterungs- und Tränkbedürfnisse, Verhaltensweisen und – zuguterletzt – auch die Transportfähigkeit (Anhang IV Nr. 2 Verordnung (EG) Nr. 1/2005). Ob es, wie der Antragsteller behauptet, für die aufgezeigten Leiden keine konkreten Definitionen und wissenschaftlichen Standards gibt, ist unerheblich. Auf eine zutreffende Diagnose kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an.
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ii. Weiter räumt der Antragsteller ein, dass es zwar eine Vielzahl strafrechtlicher und ordnungsrechtlicher Verfahren gebe, die gegen ihn eingeleitet worden seien, doch seien die meisten ergebnislos eingestellt worden. Es gebe bislang keine positive Feststellung, auf deren Basis er rechtskräftig habe verurteilt werden können. Nach dem gegenwärtigen Sach- und Rechtsstand werde auch keines der Verfahren mit einer rechtskräftigen Verurteilung enden. Die Einleitung bloßer Ermittlungsverfahren reiche insoweit für eine positive Feststellung, dass er tatsächlich nicht transportfähige Tiere transportiert habe, nicht aus. Insofern verkenne das Verwaltungsgericht auch den Verfassungsgrundsatz der Unschuldsvermutung.
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(1) Dieses Vorbringen setzt sich nicht mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach dem Antragsgegner im ordnungsrechtlichen Verwaltungsverfahren eine eigene Beurteilungskompetenz zustehe und keine gewichtigen Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der vom Antragsgegner getroffenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen bestünden. Stattdessen argumentiert der Antragsteller strafrechtlich. Er lässt außer Acht, dass der Widerruf dem Bereich der präventiven Gefahrenabwehr zuzuordnen ist, der verschuldensunabhängige Maßnahmen erlaubt und auch eine Unschuldsvermutung nicht kennt. Das Gefahrenabwehrrecht verlangt für ein behördliches Einschreiten in der Regel auch weder eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer Straftat noch die rechtskräftige Ahnung einer Ordnungswidrigkeit (vgl. etwa zum Vereinsverbot: Beschl. des Senats v. 14.02.2011 - 4 MR 1/10 -, juris Rn. 39). Eine solche Anknüpfung kommt in speziellen Tatbeständen zwar vor (etwa zur Ausweisung von Ausländern, § 54 Abs. 1 AufenthG, oder zur Rücknahme/zum Widerruf waffenrechtlicher Erlaubnisse wegen Unzuverlässigkeit, § 45 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 und § 5 Abs. 1 WaffG), ist aber nicht verallgemeinerungsfähig. Auch die Tierschutztransportverordnung verlangt dies nicht. Anhaltspunkte für einen Tatverdacht und eine Wiederholungsgefahr können im Übrigen auch nach einer Verfahrensbeendigung durch Einstellung (§§ 153 ff. oder § 170 Abs. 2 StPO) bestehen, ohne dass die Unschuldsvermutung dem entgegensteht (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 16.05.2002 - 1 BvR 2257/01 - NJW 2002, 3231 und juris Rn. 11). So liegt es hier.
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(2) Nach derzeitigem Erkenntnisstand sind die der Widerrufsverfügung zugrunde gelegten Sachverhalte vom 27. November 2019, 25. Februar und 10. März 2020 zunächst bei der Staatsanwaltschaft wegen eines Verstoßes gegen § 17 Nr. 2b TierSchG (Az. …, … und …) zur Anzeige gebracht worden. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein und gab die Verfahren an die zuständige Bußgeldbehörde ab. Die Ermittlungen hätten, so die Vermerke in den Verfahren … vom 29. Juli 2020 und … vom 13. November 2020 (BA Bl. 196, 92 im Verwaltungsvorgang), keinen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage gegeben, weil sich ein strafrechtlicher Vorsatz angesichts des Zustands des Tieres nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisen lasse. Der Antragsteller habe jedoch fahrlässig gehandelt bzw. es komme Fahrlässigkeit in Betracht, da der Transporteur verpflichtet sei, die von ihm transportierten Tiere auf ihre Transportfähigkeit zu überprüfen (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 TierSchG). Seit September 2021 befinden sich die Verfahren bei der Bußgeldbehörde des Kreises Dithmarschen; der Antragsteller wurde von der Einleitung der Owi-Verfahren informiert. Aufgrund des Sachverhaltes vom 9. Juni 2021 wurde ebenfalls eine Strafanzeige erstattet.
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(3) Ob mit einer Verurteilung des Antragstellers wegen Begehung einer Straftat zu rechnen ist oder ob es in den anhängigen Owi-Verfahren zur Verhängung eines Bußgeldes kommt, kann dahinstehen. § 4 Abs. 3 TierSchTrV verlangt nicht die Verwirklichung eines Straf- oder Bußgeldtatbestandes, sondern (nur) einen wiederholten oder groben Verstoß gegen Vorschriften der VO (EG) Nr. 1/2005. Dies zu beurteilen liegt in der eigenständigen Kompetenz der Verwaltungsbehörde. Der Einstellung der Strafverfahren und der hierzu gegebenen Begründung kommt deshalb keine vorgreifliche oder auch nur indizielle Bedeutung zu. Der für eine Verurteilung erforderliche Vorsatz bezieht sich auf den objektiven Tatbestand des § 17 Nr. 2b TierSchG, der verlangt, dass einem Wirbeltier länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zugefügt werden. Diese objektiven Voraussetzungen sind für die vom Antragsgegner herangezogenen Tatbestände des Art. 3 Satz 1 und Satz 2 lit. b) VO (EG) Nr. 1/2005 schon nicht relevant. Nach dem Wortlaut des Art. 3 Satz 1 VO (EG) Nr. 1/2005 kommt es zunächst nicht darauf an, ob den Rindern Schmerzen zugefügt werden oder auch nur drohen; für die relevanten Verletzungen oder unnötigen Leiden wird auch kein bestimmtes Maß, eine bestimmte Dauer oder ein wiederholtes Vorkommen verlangt. Ausreichend ist bereits die abstrakte Möglichkeit einer Tierwohlgefährdung („…zugefügt werden könnten“). Der Tatbestand des Art. 3 Satz 2 lit. b) VO (EG) Nr. 1/2005 gibt als weitergehende Bedingung für den Transport von Tieren (nur) vor, dass die Tiere transportfähig sind. Diese entfällt, wie ausgeführt, wenn die Tiere physiologische Schwächen oder pathologische Zustände zeigen und nicht gewährleistet ist, dass ihnen unnötige Verletzungen und Leiden erspart bleiben. Auch hier genügt – über die physiologischen Schwächen oder pathologischen Zustände hinaus – eine abstrakte Tierwohlgefährdung. Ob der seinerseits auf eine verwirklichte Zufügung von erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden ausgerichtete Bußgeldtatbestand des § 18 Abs. 1 Nr. 1 TierSchG verwirklicht ist, ist im Übrigen nach hiesigem Erkenntnisstand noch offen und im vorliegenden Zusammenhang auch nicht zu entscheiden.
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iii. Soweit der Antragsteller behauptet, dass die Veterinäre auf dem Schlachthof in B. „besonders rigide“ vorgingen und es dort offensichtlich „eine konzertierte Aktion des Kreises … respektive der Amtstierärzte … (gebe), im großen Stil und erheblichen Umfang entsprechende Sachverhalte zur Anzeige zu bringen“, lässt sich dies vom Senat nicht verifizieren, vermag für sich betrachtet aber auch nichts an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses zu ändern. Es bleibt bei der im vorliegenden Einzelfall anzustellenden verwaltungsrechtlichen Überprüfung anhand des unter ii.(1) dargestellten Maßstabes. Insofern sei aber angemerkt, dass eine etwaige Häufung strafrechtlicher Anzeigen von einem bestimmten Schlachthof auch darauf beruhen könnte, dass die Kontrolle dort gründlicher ist und deshalb mehr tierschutzrechtliche Verstöße zutage fördert.
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iv. Weiter meint der Antragsteller, dass die behaupteten Beeinträchtigungen und Verletzungen in der tierärztlichen Praxis äußerst unterschiedlich gesehen würden. So zeigten die in einem strafrechtlichen Parallelverfahren getroffenen Feststellungen des Sachverständigen Dr. K. von der Tierärztlichen Hochschule Hannover, Klinik für Rinder, „in aller Deutlichkeit, dass die Feststellungen der Amtsveterinäre des Schlachthofes B. insoweit in wissenschaftlicher / sachverständigenseitiger Hinsicht erheblichen Bedenken unterlägen“. Bei ähnlich und teilweise deckungsgleich gelagerten Sachverhalten erfolge die Bewertung durch die tierärztlichen Sachverständigen zum Teil diametral entgegengesetzt. Der Antragsteller hält das von ihm eingereichte Gutachten vom 14. Juni / 12. August 2021 insoweit für „anwendbar“, wie er zu begründen versucht, dass insbesondere bei Anlieferung der Tiere kein hochgradig gestörtes Allgemeinbefinden vorgelegen habe, dass sich eine erhöhte Atemfrequenz und eine erhöhte Körperinnentemperatur unmittelbar nach dem Transport durch die entsprechende Transportaufregung ergebe, aber keinen anhaltenden Zustand des Tieres zeige und dass ein schlechter Ernährungs- und Pflegezustand rassebedingt sei. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die hier in Rede stehenden amtstierärztlichen Feststellungen vom 27. November 2019, 25. Februar und 10. März 2020 sowie vom 9. Juni 2021 in Frage zu stellen. Zutreffend weist der Antragsgegner darauf hin, dass sich von dem im eingereichten Gutachten genannten Fall keine Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der Tiere in den hier zugrundeliegenden Verfahren ziehen lassen. Die Beschwerde legt noch nicht einmal substantiiert dar, dass die Sachverhalte vergleichbar sind, weil die Tiere an den gleichen Krankheiten litten und / oder die gleichen Symptome zeigten. Letzteres lässt sich, wie der Antragsgegner vorträgt, auch nicht annehmen.
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v. Der Antragsteller meint außerdem, dass man unter den gegebenen Umständen nicht von einer vorrangigen Beurteilungskompetenz der Amtstierärzte des Schlachthofes in B. ausgehen könne. Diese sei schon widerlegt durch deren sehr einseitig angestrengten „Kreuzzug" gegen die dort anliefernden Landwirte, Spediteure, Fahrer, begleitende Bestandstierärzte. Dieser Auffassung vermag sich der Senat schon aus den unter iii. genannten Gründen nicht anzuschließen. Ebenso wenig vermag das unter iv. behandelte Gutachten des Dr. K. die Feststellungen der Amtstierärzte in den hier in Rede stehenden Fällen zu widerlegen:
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Es entspricht mittlerweile der ständigen Rechtsprechung auch des Senats, dass den amtlichen Tierärzten bei der Beantwortung der Frage, ob die Anforderungen des § 2 TierSchG erfüllt sind, eine vorrangige Beurteilungskompetenz zusteht. Die Einschätzung des zugezogenen amtlichen Tierarztes wird vom Gesetz in § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG im Regelfall als maßgeblich angesehen. Als gesetzlich vorgesehene Sachverständige sind die Amtstierärzte für Aufgaben wie diese eigens bestellt (vgl. § 15 Abs. 2 TierSchG). In einem exakten Nachweisen nur begrenzt zugänglichen Bereich einzelfallbezogener Wertungen kommt ihrer fachlichen Beurteilung daher besonderes Gewicht zu (vgl. BVerwG, Beschl. v. 02.04.2014 - 3 B 62.13 -, juris Rn. 10; Beschl. des Senats v. 12.10.2021 - 4 MB 39/21 -, juris Rn. 11 m.w.N.). Es ist zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass die von den Amtstierärzten getroffenen Feststellungen substantiiert durch fachliche Stellungnahmen von Amtstierärzten anderer Körperschaften und bei anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften beschäftigten Fachtierärzten erfolgreich in Frage gestellt werden (vgl. Beschl. d. Senats v. 12.10.2021 - 4 MB 39/21 -, juris Rn. 11; OVG Magdeburg, Beschl. v. 16.04.2015 - 3 M 517/14 -, juris Rn. 13; OVG Lüneburg, Urt. v. 20.04.2016 - 11 LB 29/15 -, juris Rn. 39). Ein schlichtes Bestreiten der vorgenommenen amtstierärztlichen Wertungen und der ihnen zugrundeliegenden Feststellungen ist hierfür jedoch nicht ausreichend. Entsprechend kann auch die Berufung des Antragstellers auf ein in einem anderen Verfahren erstelltes und ein anderes Tier (Ohrmarke …) betreffendes Gutachten vom Grundsatz her nicht geeignet sein, die hier konkret in Rede stehenden amtstierärztlichen Feststellungen substantiiert in Frage zu stellen.
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Die in dem Gutachten vom 14. Juni / 12. August 2021 enthaltenen fachärztlichen Ausführungen erscheinen entgegen den Schlussfolgerungen, die der Antragsteller daraus für das vorliegende Verfahren zieht, weder übertragbar noch verallgemeinerungsfähig und vermögen den Senat im vorliegenden Fall deshalb auch nicht davon zu überzeugen, dass die getroffenen amtstierärztlichen Feststellungen damit widerlegt werden könnten:
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(1) Der Antragsteller meint anhand der vorliegenden Lichtbilder erkennen zu können, dass das amtstierärztlich festgestellte hochgradig gestörte Allgemeinbefinden nicht vorgelegen habe. Vielmehr seien ein interessierter Gesichtsausdruck, ein ausgeprägtes Ohrenspiel und eine gerade Körperhaltung bei gleichmäßiger Belastung der Gliedmaßen zu erkennen. Damit übernimmt er Formulierungen und eine Einschätzung des Gutachters, die dieser anhand anderer Lichtbilder eines anderen Tieres gemacht hat (s. Gutachten S. 3), ohne im Übrigen über die fachärztliche Kompetenz zu verfügen, überhaupt derartige Feststellungen zu treffen. Dahingestellt bleiben kann deshalb die Frage, ob eine derartige, allein anhand von einigen Lichtbildern getroffene Einschätzung, selbst wenn sie von einem Facharzt käme, die vor Ort und nach einer eingehenderen Beobachtung des betroffenen Tieres gemachten Feststellungen eines Amtstierarztes in Frage zu stellen, zumal dann, wenn, wie Dr. K. schreibt, das Bildmaterial wie in dem von ihm zu beurteilenden Fall von sehr schlechter Bild- und Ausschnittsqualität ist und die technische Dokumentation eine Beurteilung unnötiger Weise erschwert oder gar nicht zulässt.
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(2) Wenig überzeugend meint der Antragsteller, dass sich eine erhöhte Körperinnentemperatur immer und eine erhöhte Atemfrequenz in der Regel unmittelbar nach dem Transport durch die entsprechende Transportaufregung ergebe, aber keinen anhaltenden Zustand des Tieres zeige. Insbesondere könne daraus nicht gefolgert werden, dass eine erhöhte Körperinnentemperatur schon vor dem Verladen bestanden hätte. Zudem sei der zeitliche Abstand der Messungen von Körperinnentemperatur und Atemfrequenz zum Transport nicht dokumentiert. Auch dieser Vortrag erfolgt unter Verweis auf das vorgelegte Gutachten aus einem anderen Verfahren, dessen Aussagen zu erhöhter Körperinnentemperatur und erhöhter Atemfrequenz zudem keineswegs so absolut ausfallen, wie es die des Antragstellers ist. Dr. K. verweist lediglich auf die Möglichkeit anderer Ursachen („kann erhöht sein“, S. 4). Außerdem weist der Antragsgegner in plausibler Weise darauf hin, dass derartige Symptome selbst unter den separierten Tieren nicht durchgehend festgestellt würden. Gemäß dem QM-System des Kreises …und des Schlachthofes finde die Untersuchung im Übrigen erst nach einer Ruhephase statt. Die Körpertemperatur der separierten Rinder werde mindestens zweimal gemessen und dabei ein Abstand der Messungen von mindestens 30 Minuten eingehalten.
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(3) Dass ein schlechter Ernährungs- und Pflegezustand rassebedingt sei, weil die Tiere auf Milchleistung programmiert seien und in der Hochlaktation so viel Milch gäben, dass die Futteraufnahme die benötigte Energie nicht decken könne, bleibt ebenfalls ein in den Raum gestellter Vortrag ohne Bezug zu den hier konkret zu beurteilenden Fällen. Es wird noch nicht einmal dargelegt, ob eines der Tiere überhaupt frisch abgekalbt hatte und sich deshalb in der Hochlaktation befand. Der Antragsgegner teilt insoweit mit, dass nur in einem Fall ein schlechter Ernährungszustand festgestellt worden sei und dies auch nur neben anderen Krankheitsmerkmalen. Ein schlechter Pflegezustand sei im Übrigen nicht Folge eines – wie auch immer zu erklärenden – Ernährungsmangels und auch kein Rassemerkmal, sondern weise auf schlechte Haltungsbedingungen und Tierschutzverstöße hin.
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(4) Das mit der Beschwerdebegründung angekündigte Gutachten des Dr. K. zu den hier relevanten Vorfällen hat der Antragsteller trotz erfolgter Nachfristsetzung bis zur Entscheidung des Senats nicht vorgelegt, so dass auch insoweit eine Widerlegung der gerügten Beeinträchtigungen und Leiden nicht erfolgt ist.
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b. Soweit der Antragsteller eine auf die bereits festgestellten Verstöße gestützte Wiederholungsgefahr ablehnt, da er bis auf weiteres keine Tiere mehr nach B. bringen werde / auf Rat des Unterzeichners zurzeit während des laufenden Verfahrens keine Tiertransporte durchführe, belegt dieses Vorbringen, selbst wenn es den Tatsachen entspräche, allenfalls, dass ein Wohlverhalten vorläge, das unter dem Druck des laufenden Verfahrens gezeigt wird und eine Wiederholungsgefahr keineswegs ausschließt. Das behauptete Verhalten ginge am Zweck der angegriffenen Maßnahme vorbei, denn es offenbarte im Gesamtkontext der Beschwerdebegründung lediglich die Intention, weitere Strafanzeigen, nicht aber weitere Verstöße gegen tierschutzrechtliche Vorgaben beim Transport zu vermeiden. Im Übrigen steht selbst diese Behauptung in Frage. Denn der Antragsgegner hatte schon im erstinstanzlichen Verfahren mitgeteilt, dass der Antragsteller am 23. und am 25. November 2021 erneut Tiere zum Schlachthof nach B. transportiert habe. Am 18. Januar 2022 sei dem Antragsgegner eine erneute Anlieferung gemeldet worden.
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Nach alledem bleibt es dabei, dass eine Wiederholungsgefahr schon mit den der Ordnungsverfügung vom 3. November 2021 zugrundeliegenden und vom Verwaltungsgericht nach summarischer Prüfung bestätigten vier Verstößen indiziert ist. Zudem liegen laut Antragsgegner seit 2019 insgesamt zwölf Strafanzeigen vor; dies bestätigt eine Durchsicht des dem Senat vorliegenden Verwaltungsvorgangs. Laut Telefonvermerk vom 15. November 2021 soll der Antragsteller außerdem vom AG B zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilt worden sein, weil er in drei Fällen transportunfähige Tiere zum Schlachthof transportiert habe, Az. …(3) (Bl. 352 im Verwaltungsvorgang). Drei weitere Verfahren sollen nach Angaben des Antragsgegners in Vorbereitung sein. Schließlich liegt es nahe, in der aufgestellten Behauptung, die Transportunfähigkeit der Rinder nicht erkannt zu haben, nur eine Bestätigung der Gefahr weiterer Verstöße zu sehen, wenn man annimmt, dass dies auf eine mangelnde Sachkunde und Befähigung des Antragstellers zurückzuführen ist.
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c. Unter den gegebenen Umständen bestehen auch keine Zweifel an der vom Verwaltungsgericht angenommenen Verhältnismäßigkeit des Widerrufs. Soweit der Antragsteller auf andere mildere Maßnahmen verweist, die der Antragsgegner nicht erwogen habe, übersieht er, dass dem Antragsgegner insoweit kein Ermessen zusteht, sobald der Inhaber des Befähigungsnachweises entweder mindestens zwei, für sich genommen jeweils leichte Verstöße oder einen groben Verstoß gegen die Anforderungen der EU-Tiertransport-VO oder der TierSchTrV begangen hat und die Annahme einer Wiederholungsgefahr begründet erscheint. Das Verwaltungsgericht hat hierauf hingewiesen (so auch Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Aufl. 2016, TierSchTrV § 4, Rn. 4).
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Eine dennoch anzunehmende Unverhältnismäßigkeit ergibt sich schließlich nicht aus dem Hinweis, dass es dem Antragsteller entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht möglich sei, andere Personen als Fahrer einzustellen und sich selbst auf die Organisation und Büroarbeit zu beschränken. Seine Behauptung, dass es „auf dem Markt schlicht und einfach“ keine sonstigen Fahrer mit entsprechendem Befähigungsnachweis gebe und die Größe seines Betriebes die Einstellung eines Fahrers in wirtschaftlicher Hinsicht „nicht einmal ansatzweise“ rechtfertige, weshalb der Widerruf einem Berufsverbot gleichkomme, bleibt schon im Tatsächlichen unsubstantiiert. Nach Auskunft des Antragsgegners beschäftigte der Antragsteller immer wieder auch andere Fahrer (Bl. 227 und 261 im Verwaltungsvorgang). Dies bestätigen die im Verwaltungsvorgang dokumentierten und ebenfalls geahndeten Verstöße des Fahrers H. in den Jahren 2013 und 2019 anlässlich des Transportes von Schweinen.
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3. Soweit das Verwaltungsgericht am Ende seines Beschlusses wegen der dringlich gebotenen Vermeidung von möglichen Leiden sowie der zu gewährenden Sicherheit und des zu gewährenden Wohlbefindens der ansonsten zukünftig vom Antragsteller zu transportierenden Tiere auch inhaltlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheides annimmt, tritt die Beschwerdebegründung dem nicht gesondert entgegen. Nach den Feststellungen zu 2. ist dies im Übrigen auch nicht zu beanstanden. Dass dem Antragsteller durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung mit sofortiger Wirkung jegliche Existenzgrundlage in wirtschaftlicher Hinsicht entzogen werde, ist wiederum nicht schlüssig dargelegt. Die streitgegenständliche Maßnahme betrifft nicht den Betrieb des Antragstellers, sondern nur seine persönliche Befugnis, als Fahrer Tiertransporte vorzunehmen.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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