Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 LA 34/20
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 13. Kammer, Einzelrichter - vom 8. Januar 2020 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 8. Januar 2020 ist unbegründet; die Darlegungen des Klägers zu dem allein geltend gemachten Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO führen nicht zum Erfolg.
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Der Kläger rügt, ihm sei das rechtliche Gehör versagt worden, weil das Verwaltungsgericht verschiedene Aspekte des Falles nicht zur Kenntnis genommen und erwogen habe. Ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs ist damit jedoch nicht dargelegt.
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Art. 103 Abs. 1 GG ist erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass dies geschieht. Dabei sind die Gerichte nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerfG, Stattg. Kammerbeschl. v. 29.08.2017 - 2 BvR 863/17 - juris Rn. 15). Vielmehr sind lediglich diejenigen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Insoweit kann sich das Gericht auch der prozessualen Möglichkeit bedienen, gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des in Streit stehenden Bescheids Bezug zu nehmen und diese so in die verwaltungsgerichtliche Entscheidung zu inkorporieren (vgl. nur OVG Bautzen, Beschl. v. 17.12.2019 - 3 A 1128/19.A -, juris Rn. 24).
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1. Mit dem Vorbringen, das Gericht habe das vorgerückte Lebensalter des Klägers lediglich im Rahmen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, nicht aber im Zusammenhang mit der Frage, ob sich im Rahmen des Wiederaufgreifens aus § 51 Abs. 5 VwVfG und einer Ermessensreduzierung ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes i.S.d. § 60 Abs. 5 / Abs. 7 AufenthG ergebe, in seine Erwägungen einbezogen, wird eine Gehörsverletzung nicht dargelegt. Entsprechendes gilt für das Vorbringen, das Gericht habe den Umstand nicht zur Kenntnis genommen und erwogen, dass sich der Kläger aufgrund seiner individuellen Disposition, insbesondere seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen, nicht auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG berufen, sondern geltend gemacht habe, dass er keine materielle Lebensgrundlage mehr finden könne.
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Der Kläger übersieht, dass das Gericht auch insoweit ausdrücklich auf die Begründung des in Streit stehenden Bundesamtsbescheids Bezug genommen hat und dass der Bescheid die Möglichkeiten eines Abschiebungsverbots sowohl nach § 60 Abs. 5 AufenthG als auch nach § 60 Abs. 7 AufenthG ausführlich prüft. Damit setzt er sich nicht auseinander. Im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG befasst sich der Bescheid ausdrücklich mit den individuellen Umständen des Klägers, kommt aber zu dem Schluss, dass er trotz seines hohen Lebensalters in der Lage sein werde, bei einer Rückkehr seinen Lebensunterhalt zu sichern, weil es ausreichende Möglichkeiten der Unterstützung durch Familienangehörige und soziale Kontakte gebe.
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Im Übrigen kann aus dem Fehlen einer ausführlichen Begründung nur ausnahmsweise auf eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs geschlossen werden. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.03.2019 - 1 BvR 2721/16 -, juris Rn. 17, Beschl. v. 14.09.2016 - 1 BvR 1304/13 -, juris Rn. 22, v. 27.05.2016 - 1 BvR 1890/15 -, juris Rn.14 m.w.N., Beschl. v. 19.05.1992 - 1 BvR 986/91 -, juris Rn. 39). Insofern wäre es Sache des Klägers, darzulegen, dass nicht nur sein Alter, sondern gerade auch seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG für die Frage der Existenzsicherung von zentraler Bedeutung gewesen wären. Hierzu gehört die Darlegung, dass die angegriffene Entscheidung auf dem geltend gemachten Gehörsverstoß auch beruht oder beruhen kann.
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Für die Zulassung der Berufung in Asylsachen wegen des Vorliegens eines in § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmangels gilt zwar, dass die Feststellung eines solchen Mangels erforderlich, aber auch ausreichend ist und deshalb grundsätzlich nicht zu prüfen ist, ob das Urteil auf dem Fehler beruht oder beruhen kann. Um den Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs festzustellen, kommt es allerdings auf die Auffassung des Verwaltungsgerichts von der Entscheidungserheblichkeit der betreffenden Tatsache an, da rechtliches Gehör nur hinsichtlich (letztlich) entscheidungserheblicher Tatsachen zu gewähren ist (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AsylG § 78 Rn. 25). Das in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG nicht aufgeführte Beruhenserfordernis leitet sich hier aus dem Begriff des rechtlichen Gehörs selbst ab (Funke-Kaiser in: GK AsylG, Stand März 2019, § 78 Rn. 634). Die Darlegung einer Gehörsverletzung erfordert deshalb nicht nur den schlüssigen Vortrag von Tatsachen, aus denen sich die Verletzung des rechtlichen Gehörs ergeben kann, sondern auch, dass das übergangene Vorbringen nach Maßgabe der Rechtsmeinung des erkennenden Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich ist. Dies wiederum bedarf der Sichtung des Streitstoffs und der Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.01.2016 - 2 B 34.14 -, juris Rn. 60).
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Dies leistet das klägerische Vorbringen nicht. Offenkundig gehen sowohl das Bundesamt als auch das Verwaltungsgericht davon aus, dass der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nahezu 79 Jahre alte Kläger im Falle einer Rückkehr ausreichende Möglichkeiten der Unterstützung durch Familienangehörige und soziale Kontakte erhalten werde, weil die Aufnahme einer existenzsichernden Arbeit schon altersbedingt nicht mehr von ihm erwartet werden kann. Dass die Unterstützung unter diesen Umständen nicht auch die gesundheitliche Sorge umfasst, erscheint fernliegend und hätte einer eingehenderen Begründung bedurft.
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Sollte sich das Zulassungsvorbringen in diesem Zusammenhang gegen die durch Bundesamt und Verwaltungsgericht vorgenommene Würdigung und Überzeugungsbildung wenden, wäre diese Kritik grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen und würde von vornherein nicht die Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO rechtfertigen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 08.05.2018 - 4 A 1197/17.A -, juris Rn. 11 m.w.N.). Die vom Kläger zitierte Ausnahme bezieht sich auf Verstöße gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (BVerwG, Beschl. v. 03.09.2018 - 1 B 41.18 -, juris Rn. 3), nicht aber auf die Versagung rechtlichen Gehörs. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung können im Übrigen zwar einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO darstellen, sind von § 138 VwGO aber nicht erfasst.
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2. Soweit der Kläger behauptet, das Verwaltungsgericht habe das dem Bundesamtsbescheid entgegengestellte Argument, dass der Verweis auf Unterstützungsmöglichkeiten durch die im Iran lebende Ehefrau bei der Frage nach einem Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans „doch eher neben der Sache“ liege, nicht zur Kenntnis genommen, kann dem nicht gefolgt werden. Der Kläger selbst zitiert das verwaltungsgerichtliche Urteil mit den Worten, es sei nicht ersichtlich, weshalb eine Unterstützungsmöglichkeit durch die im Iran lebende Ehefrau „neben der Sache liegen“ solle. Zur Begründung verweist das Gericht auf die vorhandene Verbindung zwischen Iran und Afghanistan, die es ermögliche, Rückkehrern nach Afghanistan vom Iran aus zu unterstützen. Ausdrücklich nimmt es an dieser Stelle auf das Vorbringen des Klägers im gerichtlichen Verfahren Bezug. Damit ist dem Gehörsanspruch Genüge getan. Das Gericht muss dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen nicht auch in der Sache folgen, sondern kann aus Gründen des materiellen Rechts oder des Prozessrechts zu einem anderen Ergebnis gelangen, als die Beteiligten es für richtig halten (BVerwG, Beschl. v. 10.03.2010 - 5 B 4.10 -, juris Rn. 4).
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Gleiches gilt schließlich für die Kritik, das Gericht habe die klägerische Behauptung, dass der Erlös aus dem Verkauf des Hauses längst verbraucht sei, als Schutzbehauptung abgetan.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
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Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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